and when the rain begins to fall..

„Wart ihr schon mit NakNak* draußen?“, fragt sie mich durchs Handy.
Irgendwie schaffen es ihre Worte, die Härchen in meinen Ohren zu überspringen und sich in meinem Kopf zu verlaufen, ohne eine Schnur zu spannen.
„Ich komme gerade aus einer denkmerkwürdigen Therapiestunde mit dickem Zeitüberzug- ich bin gerade froh zu wissen, wie alt ich bin.“. Ich stolpere den Weg zur Wohnung entlang und hoffe einfach mal, dass sie die Frage noch mal wiederholt- mehr als das Fragezeichen kam gar nicht bei mir an.

„Wollt ihr alleine sein oder wollen wir mit NakNak* rausgehen? Ich hab die ganze Woche an Schreibtischen gesessen.“. Klingt sie genervt? Meine Sensoren krabbeln durch die Leitung und umklammern jede Silbe, bis wir uns dann doch verabreden.

Wir stapfen auf nassen Trampelpfaden über Wiesen und Felder. Üben mit NakNak* neuen Quatsch ein, was sie mit breitem Grinsen und Sambatänzchen begleitet.

Irgendwo zwischen Herumalbern, Mensch- und Hunderaufen, bunte Blätter bestaunen und Fotos machen, ploppt etwas von der Stunde heute und der von gestern auf und spannt einen seidenen Faden.
Ich muss lachen. Wieder nur so ein Seidenfaden. Damit kann ich keinen Anker an mir befestigen.

Ich lache immer noch, als es anfängt zu regnen und alberne Kinderinnens ein Wettrennen zum Auto anstrengen.
Keuchend fallen wir auf die Sitze, während NakNak* auf die Rückbank klettert.
„Das war was!“. Sie grinst mich an und schaut auf das hechelnde Wesen, das etwa 5 Kilo Acker- und Wildlosungsgemisch mit seinem Fell verbunden hat. „Du stinkst…“, sie lacht: „nach dreckiger Hund!“.

Kurze Zeit später muss ich das Radio aufdrehen.
„Das!!!“
„Was?“, mit geweiteten Augen starrt sie an den Scheibenwischern vorbei, auf die graunass eingetrübte Landschaft.

„And when the rain begins to fall you’ll ride my rainbow in the sky
and I will catch you if you fall you’ll never have to ask me why
and when the rain begins to fall I’ll be the sunshine in your life
you know that we can have it all and everything will be alright“

Das flutscht einfach aus meinem Hals. Einfach so. Ganz leicht.
Wann habe ich das letzte Mal gesungen? Wir hatten gestern darüber gesprochen in der Therapie. Diese Biographiestunde, vor der wir uns eigentlich ein Jahr erfolgreich zu drücken geschafft hatten. Ich hatte gesagt, dass ich gut singen kann und, dass das auch das Einzige ist, das ich wirklich als von mir gemacht erinnere.

Sie stimmt mit ein, trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad, während mir die Augen auslaufen.
Das ist das „sozial“, das ich aus Versehen gut kann.

Und mit dem ich zufällig genau das schaffe, was das Kinderinnen, das mir seit Tagen in den Rücken tritt, von mir verlangt: Ihm zu versichern, dass ich es auffangen werde, wenn es fällt. Ohne, dass es sich fragen muss, warum ich das tue. Als Licht in seinem dunklen Moment.
Ihm zu vermitteln, dass es nicht mehr schreien muss, um zu bekommen, was es haben muss.
Deutlich zu machen, dass alles wirklich in Ordnung ist.

Der Radiomoderator lässt das Lied ausklingen.
„Taschentücher sind im Handschuhfach- obwohl- eigentlich wärs jetzt auch ne Gelegenheit laufen zu lassen. Bist ja eh schon nass.“. Wir lachen, als sie ins Bullergeddo einbiegt.

Ich glühe bereits seit einer Stunde vor mich hin und bin ganz froh, dass wir jetzt da sind.
Sie macht es uns beiden gemütlich und kocht Lakritztee.

„Für mich ist es auch wichtig aufgefangen zu werden, wenn ich falle.“, denke ich.
„Ohne darum bitten oder mich dessen versichern zu müssen. Ohne im Dunkeln zu bleiben.
Einfach um zu spüren, dass auch für mich alles in Ordnung ist. Und sei es nur, damit ich dies ehrlich zu den Kinderinnens sagen kann, die es hören und spüren müssen.

Egal, ob es nun wirklich regnet oder nicht.“

nur die Zeit suchen

Es war in einem Gespräch. Sie sagte, sie habe sich vergewissert, versichert vielleicht. Ich weiß nicht. Ich höre nur mit einem Ohrteilstück zu.
Sie, die Große, die Mutige, Starke redet und ich bin eine Fussel auf ihrer Haut, die jeden Moment von ihr abfallen kann. Da hat sich jemand ermutigt und vergewisssichert. Mutig und doch schlotternd gleichzeitig.

Ich bin zu ängstlich für so etwas. Obwohl der Wille da ist.
Ein paar Versuche machen die anderen. Sie sprechen manchmal für mich. Manchmal wissen sie das nicht einmal. Manchmal bin ich eine Fussel in ihrem Gehirn und aus ihrem Mund, quellen meine Fasergedanken und langfädigen Ängste.

Und manchmal, da ist Versicherungsgewissheit an sich schon genug, um mich zu erschrecken. Dann muss ich so tun, als suchte ich eigentlich etwas anderes als das, was ich eigentlich suche. So gehe ich durch den Wald und tue so, als suchte ich den Herbst. Niemand sollte je auf die Idee kommen, ich klitzekleine Fussel krabbelte über die Beziehung mit anderen Menschen und taste sie mit meinen Faserfadenenden ab.

Nein, nein. Ich laufe durch den Wald und suche den Herbst.

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Nein, ich sehe keine Muster, die mich immer wieder den gleichen kleinen Tod sterben lassen. Mich vor Angst einfach auslöschen lassen. Ich sehe die Adern der Natur, die der Herbst hervortreten lässt.

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„Ich kann allein sein“, denke ich. Ich werde allein gesehen. Das ist doch, was ich immer wollte. „Nein, ich bin nicht Viele. Die anderen vielleicht, aber ich nicht. Ich bin ich allein. Das Viele ist nicht ich.“. Und dann ist dort ein Anblick, der mich tröstet. Ein bisschen versöhnt, vielleicht.

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Niemand soll denken, ich könnte nicht alles gleichzeitig. Niemand sollte je denken, ich würde irgendetwas brauchen, um etwas zu können. Ich bin nicht abhängig von Sichergewissheit.
So wie diese Blumen, die noch immer blühen und viele Insekten ernähren, obwohl der Herbst schon sichtbar, spürbar, nachweislich erprüfbar ist.

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Ich will vor anderen auch einfach so sein. Würden sie spüren, dass ich über das Band zwischen uns krabble, sie würden vielleicht nach mir ausschlagen, wie nach einer der nun verirrt herumsuchenden Bienenköniginnen.
Diese kommen um zu schlafen, den Winter, die kalte Zeit zu überstehen. Nicht um zu bleiben. Nicht, um die Süßigkeiten wegzufressen, Schmerz zu bereiten oder zu stören. Sie kommen um zu überleben. Vielleicht im nächsten Jahr zu funktionieren und zu erschaffen, was gemocht wird. Honig zum Beispiel oder die Bestäubung vieler wunderbarer Blumen und Bäume.

So eine kleine Fussel, wie ich, stört und das weiß ich. Nicht umsonst gibt es Kleiderbürsten und Fusselrollen.
Das Gesprächstückchen mit dem Menschen, der sich versichert hatte… die Starke hatte es von sich gestreift. Keinen Bezug zu sich hergestellt. Ich aber nahm es mir als Grundstoff für eine Mutwolke. Eine Erfahrung aus fremder Welt, wie es sein kann. Wie es ausgehen kann.

In so einer Mutwolke kann ich mich verstecken. Mich tragen lassen vielleicht.

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Auf jeden Fall würde mich niemand sehen.
Niemand würde wissen, ob ich gerade über unser Band krieche, taste, fühle… zu erspüren versuche, was dort sicher ist und was nicht, ob es echt ist oder alles Lüge.

Oder, ob ich nicht doch einfach nur die Zeit wahrzunehmen versuche.
Das Heute erspüren möchte.

Hirnhass, Krätzepickel und Frühstück

„Ich muss Termine absagen und hab am Mittwoch einen verpasst. Und jetzt übe ich mich in Hirnhass.“. Ich sitze am Fenster und gucke jemand anderem zu, wie er meine Lunge verpestet, während wir telefonieren.

„Warum musst du die Termine absagen? Ist was passiert am Mittwoch?“.
Ich bin unschlüssig. Was ist passiert? Ist das wichtig? Bin ich wütend auf mich und mein Kopfinneres, weil ich die Termine absagen muss, oder, weil ich nicht verhindern konnte, dass passierte, was halt war?

Ich erzähle vom verpassten Jobcentertermin, dem Fehlen bei einer Feier, zu der wir eingeladen wurden, und der Absage zur verabredeten Dokumentenübergabe. Will nicht zugeben, dass ich mich matschbrösligwund und eklig fühle und ganz eigentlich nur in meine Höhle zurück will, um die Welt auszuschließen.

Sie sagt, es sei okay, solche Termine abzusagen. „Und wegen dem Jobcenter braucht du, glaub ich, auch keine Angst haben. Ihr wärt nicht da, wenn ihr nie Panikattacken aus heiterem Himmel hättet.“.

161621_web_R_K_B_by_Joujou_pixelio.deIch weiß das alles. Weiß es und könnte trotzdem ausrastplatzschreien. Wieso hab ich mich nie im Griff, wieso hört mein Kopf nicht einfach auf mit diesem Mist, wieso sind 14 Jahre um und ich eigentlich nur in einer aufgehübschten Version dessen, was ich damals schon für Schwierigkeiten hatte?!

„K.? Bist du noch dran oder schluckst du grad deinen Hirnselbsthass runter?“.
-„Hirnhass… mee.“, ich atme durch und verbinde die Pfützen, die der Regen auf meiner Fensterbank hinterlassen hat. „Ich will, eine andere Normalität leben.“.

Sie holt ihre Sozialcheerleaderpompons raus und fängt an damit herumzuwedeln. Irgendwo innen spüre ich eine Dankbarkeit darüber, während mir Krätzepickel auf den Gedanken wachsen.
Ich hatte mich auf alle Termine gefreut. War neugierig, was sich beim Jobcenter für uns ergeben könnte. Immerhin stand in dem Brief, dass wir uns über meine „berufliche Zukunft“ unterhalten wollten. Als gäbe es sie, als hätte ich eine Chance darauf. Eine echte. So wie beim Lotto.
Ich hatte mich auf die Einweihungsfeier gefreut, mich auf interessante Gespräche und neue Kontakte eingestellt. Ich hatte mich auch darauf gefreut, die Dokumente zu übergeben, weil wir die Hundewelpen auch gleich noch besuchen hätten können.

Und nur mein scheiß Gehirn stellt mir ein Bein und lässt mich kopfüber in die 90 er plumpsen, von denen ich weder wissen noch fühlen will und ewig nichts von mir abgekratzt bekomme.
„Ich will nicht „irgendwann“. Ich will jetzt!“. Krätzepickel geplatzt. Scheiße.
– „Ich weiß, aber „Jetzt“ ist grad anders. Ich sag ja auch nicht, dass du dich damit abfinden musst, aber mit Aufstampfen und bockigem „Ich will aber“, gehts auch nicht- merkst du doch.“.
„Hrrr… mee.“. Widerrede kommt mir sinnlos vor und mehr als das, was ich schon gesagt habe, fällt mir auch nicht ein. Vorsichtig rette ich eine Fruchtfliege vor dem Ertrinken auf meiner Fensterbank. Ich habe einen Kloß im Hals und stelle eine Ähnlichkeit zwischen mir und meinen Krätzepickeln fest.

„Weißt du was? Ich komme jetzt vorbei und wir frühstücken, ja?“.
– „Ich bin grad ein wandelnder Krätzepickel.“.
Sie lacht. „Aha. Und? Ich sitze trotzdem gerade hungrig in meinem Bett und will euch besuchen, um zu frühstücken.“.
Ich weiß, dass ihr egal ist, dass es hier aussieht, wie unterm Eumel, der sich unter Hempels Sofa gesammelt hat. Dass es ihr egal ist, wenn wir immer noch im Schlafpanzer und mit Medusenhaarrestfrisur die Tür aufmachen und auch, dass ich unter ihren Händen zerfasern könnte.
-„Ich will nicht, dass dein Samstag mit Rosenblätterrettung anfängt.“.
„Weiß ich. Aber eigentlich hat er das doch schon längst. Pass auf“, ich höre, wie sie aufsteht und ihr Bett macht, „Du schreibst jetzt die Absagen und fängst mit deiner hektischen Putzerei an und wenn ich da bin, gucken wir zusammen, ob du sie abschickst oder nicht. Okay?“.
– „Okay.“.

Ich putze hektisch, tippe schnell und denke, dass das alles scheiße ist, als ich die Wohnungstür aufmache. „Weißt du, früher hätte man sich eine Pestmaske oder sowas aufgesetzt, bevor man Seuchenherde besucht.“. Sie grinst mich an. „Du verseuchst nur dein Inneres. Ich hab meine eigenen Seuchen.“.
„Und offenbar keine Angst vor Konversionsmutationen.“.
Sie lacht.

„Komm, soll ich dir mal die Haare kämmen? Das sieht nicht aus, als wenn du das schnell alleine schaffst.“. Sie mag unsere Haare. Eigentlich will sie sie nur kämmen, weil sie das schön findet und nicht, weil sie denkt, ich könnte dieses Gewusel auf meinem Kopf nicht allein bändigen.
– „Von mir aus…“. Ich drücke ihr die Haarbrüste in die Hand und setze mich auf den Küchenstuhl vor dem gedeckten Tisch. „Aber erwarte nicht, dass ich zu schnurren anfange.“.
„Quatschkopf“, sie grinst und beginnt mit den Spitzen.

Irgendwann fühlt es sich an, als würde sie mir den Kopf streicheln.
Später sitze ich vor einem Haufen nasser Taschentücher, von denen ein ekelhafter Kopfgestank ausgeht.

Sie schickt die Emails, die noch offen auf dem Laptopbildschirm sind, ab und fragt, obs jetzt geht.
„Ich fühl mich noch ekliger als vorher. Scheiße und jetzt auch noch schwach.“.
– „Diesen Krätzepickel kriegt man auch nie weg, oder?“.
„Ich hab keine Ahnung. Vielleicht ist es auch einfach wahr und ich bin nur zu stolz das anzunehmen.“.

Sie holt ein Brötchen aus der Tüte und legt es mir auf den Teller. „Nimm erst mal das hier an. Mit vollem Magen zerfleischt es sich besser.“.
Jemand spießt das Gebäck mit dem Messer an der Seite auf und fuchtelt damit vor ihrer Nase herum. „Wieso bist du eigentlich immer hier, wenns jemand scheiße geht? Findste das geil oder was?“.
Sie schiebt die verkorkte Messerspitze von sich.
„Nein.“.
Sie lässt die Antwort einfach in uns reinfallen und die Abwehrhaltung, wie eine Brausetablette auflösen.

Wir essen eine Weile schweigend. Draußen nieselt es noch immer und NakNak*s Sabber tropft in langen Fäden auf das Laminat.

„Du hast nicht versagt, K.“.

von Bücherwissen und Seelenhingabe

Ich glaube, ich war 11 oder 12 und mein Bibliotheksausweis erschien mir wie alles, was ich je gebraucht hatte. Meine Lizenz zum Lügenmorden, mein Schlüssel zu Türen, die mir ständig verschlossen schienen. Meine Karte durchs Land hinter den Spiegeln.

In der Bücherei gab es noch Lochkarten mit Nummern, die man um Himmels Willen nicht verlieren durfte, und die zusammen mit dem Buch und dem Ausweis abfotografiert wurde.
Ich mochte die Karten. Sie rochen nach „alt“ und die Löcher kribbelten so wunderbar unter meinen Fingerspitzen, wenn ich langsam darüber hinweg strich. Diese Karten waren mir die Katze, die ich während des Lesens streichelte.

Ich las zum Zeitvertreib, zur Sättigung, zur Beruhigung. Es ging um den Akt des In-sich-geschlossen-Seins.
Es gab diese Zeit in der wir die Wohnung für ziemlich genau 2 Stunden und 20 Minuten für uns allein hatten. 10 Minuten Hausaufgaben, 30 Minuten Sailor Moon im Fernsehen und der Rest der Zeit verwob sich zu meinem Lesenest in der Höhle unter meinem Schreibtisch.
Gegenüber von unserem Wohnhaus gab es eine Kaufhalle. Eine Tafel Schokolade kostete 29 Pfennig. Meistens bezahlte ich nicht, sondern schob die Tafeln einfach in meinen Ärmel und ging wieder. Erwischt wurde ich nie- Angst davor, erwischt zu werden, hatte ich aber auch nie.

Heute morgen dachte ich, dass ich mir mal wieder so ein Nest bauen könnte.
Ich habe es immer so genossen bäuchlings auf dem Bett zu liegen, links die Schokolade oder anderer Süßkram, rechts die Lochkartenkatze und in der Mitte der Schlüssel zur Welt.
So kam es mir wirklich vor. Die Buchstaben, die Reihe für Reihe in meinen Kopf hineinwanderten und sich dort zur etwas zusammentaten, das viele Fragezeichen unter sich begrub.

Ich merke, dass ich nicht nur die Ruhe, die Geschlossenheit wünsche. Sondern auch dieses Gefühl der Sicherheit, weil ein weiteres Fragezeichen weg ist. Dieses Gefühl, das ich früher auf meinem roten Fahrrad immer hatte, wenn ich zur Bibliothek fuhr. Der Wind vorn vorn, die Schweißtropfen im Haaransatz und das Gefühl auf dem Weg zum Wissen zu sein. Wissen und Handeln.

Da gibt es so eine Krimireihe von einem Jungdetektiv, der zum Nachdenken kalte Milch und eine bestimmte Sorte Kaugummi braucht. So ähnlich ging es mir: mein Bett, meine Sachen, ein Buch und alles wird sich richten. Das Buch würde mir sagen, worauf ich meine Lupe richten müsste, aufgrund welcher Fakten womit gerechnet werden müsse.

Heute bin ich 27 Jahre alt.
Die Bücherei ist mir entzaubert als Hort des Wissens. Vielleicht liegt es am Wunsch nach Bestätigung, der erst erfüllt sein muss, bis ich mich wieder öffnen kann. Es ist eben auch- neben allem Anderen, was bei uns so passiert- so eine Phase mit Mitte Zwanzig. Die erste Midlifecrisis, die kaum einer wirklich ernst nimmt, weil es eine Mischung aus Postpubertärem: „Ich weiß schon alles.“ und Jungerwachsenem: „Ich weiß verdammt nochmal nicht, was mir noch fehlt, um zu wissen, was ich will…“ ist.539925_web_R_K_B_by_johnnyb_pixelio.de

Ich weiß grundsätzlich, was mit mir und uns los ist.
Es ist nicht die Zeit wahllos abzustoßen. Nicht die Zeit sich nicht zu verletzen. Nicht die Zeit einem Schmerz den Raum zu lassen, den er braucht und stetig pochend einfordert. Es ist nicht die Zeit, einsam zu sein. Es ist aber auch nicht die Zeit nicht einsam zu sein. Es ist nicht die Zeit, in der Schokolade links und Lochkarte rechts, der Garant für das Gefühl, in sich selbst sicher zu sein, weil es eine Ahnung von einem Plan der eventuell vielleicht klappen könnte, vermittelt. Es ist nicht die Zeit, in der wir uns verändern müssen, sondern uns auf den Prozess selbst einlassen müssen.

Es ist die Zeit, die begann, als die Lochkarten verschwanden und durch ein Scannersystem ersetzt wurden.
Es ist die Zeit, in der wir uns klar machen müssen, was wir können, was wir haben, was wir wie jederzeit noch beeinflussen können, obwohl plötzlich fehlt, was immer da war.

Es ist die Zeit, in der wir uns hingeben müssen, obwohl wir alle wissen, dass es noch nie schlau war, dies zu tun.

R.

511582_web_R_K_by_cathynka_pixelio.deSie gilt als „der wütende Teenie“ und das ist ihr egal.
Sie hasst Lügen und Ungerechtigkeit.

Sich selbst nicht wichtig nehmend, stellt sie niemanden über oder unter sich.
Egal, wie andere ihr Verhalten deuten.

Sie lebt mit viel schwarz und weiß, doch wie ein Kind alle Farben zusammenzumischen, kommt für sie nicht in Frage. „Wozu?“, raunzt sie, „Ist doch schon alles da. Wenn du grau willst, musst du nur deinen Blick verändern.“.

Sie rauft mit dem Hund, lässt sich zwicken und anrempeln. Kunststückchendressur kommt für sie nicht in Frage. „Wozu?“, grunzt sie, „Wenn sie was Cooles zeigen will, macht sie das von ganz allein.“.

Sie kleidet sich, wie sie will. Bunt, schlabbrig, verdreckt, zu groß, zu klein.
„Die Leute sehen mich eh nicht.“, sagt sie schulterzuckend.

Sie er-trägt ein Kind und schleift es, wie einen offenen Schnürsenkel, mit sich. Mahnende Stimmen zur Vorsicht und Fürsorglichkeit, umfasst sie mit ihren schmalen Händen und würgt sie nieder. „Wenn mir einer sagt, dass ich was anders machen soll, aber nicht wie; kann er auch gleich die Klappe halten.“.

Sie nimmt, was sie kriegt.
Sie hat noch nie um etwas gebeten.
Auch jetzt nicht, wo ihr Kind im Sterben liegt.

„Ich hab getan, was ich konnte.“
– „Ich weiß, mein Herz.“
„Das wird auch wieder keiner außen verstehen, ne?“
– „Vielleicht.“

Sie schweigt. Teilt sich ihr Brot mit dem Hund und bohrt Löcher in die Butter.

was wäre wenn…?

Der Bildschirm erhellt ihre Front.
Sie hockt auf dem Boden des Schlafzimmers und drückt mir ihren gekrümmten Stachelrückenpanzer in die Brust. Die Luft um uns herum flirrt von ihrer Konzentration.
Der Film ist zu Ende und sie greift nach dem Notizblock neben sich. Eine Strichliste, eine Spalte für Kommentare, eine Spalte für den Titel. Für etwas, dass sich so ergeben hat.

Sie fetzt ihre steilen Buchstaben aufs Papier.206550_original_R_by_Sigrid Harig_pixelio.de
„Geht es dir gut?“
– „Nein.“. Sie drückt mir ihren Stachelrücken tiefer in die Brust, bis ich die ersten Spitzen brechen fühle.
„Kannst du mich ansehen?“
– „Nein.“, sie schüttelt den Kopf kaum spürbar.
„Kannst du deine Augen zu lassen und dich umdrehen?“
– „Hast du Augen?“, sie spricht durch sich hindurch. Lässt ihre Worte, wie Wellen durch ihr Sein gleiten und an mir zur Gischt werden.
„Ja.“. Ich beuge mich etwas vor und lasse sie meine Wimpern an ihrer Wange spüren, als ich sie schließe.

Stachel für Stachel schiebt sich aus meinem Gefieder und lässt die aufgespießten kleinen Herzen frei, als sie sich langsam umdreht. Ein Schmerz perlt in silbrigen Tropfen an mir herunter und vermischt sich mit den Tränen der jungen Frau vor mir.
„Sie stellen nie Fragen. Die ganzen Wunder um sie herum… sie wundern sich gar nicht. Wieso fragen sie nichts?“.
Ich weite mich und versuche sie vorsichtig zwischen meine Federn einzuladen. Doch sie bleibt, wo sie ist, den Kopf an mich gelehnt. Die Beine angezogen, den Bauch fest an die Oberschenkel gedrückt, die Hände zu Fäusten unterm Kinn geballt.
„Das weiß ich nicht mein Herz. Es ist Fernsehen. Vielleicht soll man sich wundern, wenn man es tut?“.

– „Es ist so eine fremdbekannte Welt. Hast du gesehen? Da muss doch… „. Sie verstummt.
„Was man dort sieht, ist nicht echt. Alles was gesprochen und gezeigt wird, hat sich jemand ausgedacht. Das ist ein Puppentheater, weißt du? Eine Geschichte. Die Menschen da sagen nicht, was sie denken. Das ist, als wenn ich die Geschichte von „Was wäre wenn…“ erzähle. Alles gesponnen und ausgedacht. Dann gilt nichts mehr von dem, was wir kennen. Nicht mal, dass man im Weltall nicht atmen kann. Das ist dann so, weil ich es  mir ausgedacht hab. Weil ich das so will. Ich glaube mit dem Fernsehen ist es fast gleich.“. Überall in meinen Federkleid kribbelt es. Ich spreche nicht nur zu einem Herzen. Wer weiß, wen ich gerade alles sehen könnte, hätte ich meine Augen offen.

– „Aber manches ist genau so, wie bei manchen anderen Menschen im echten Leben. Und sie wundern sich auch nie. Sie wundern sich, wenn ich mich wundere, dass sie sich nicht wundern. Sie merken das gar nicht. Fragen nicht. Ich dachte, dass ist so, weil sie es nicht angucken können wie ich. Aber im Fernsehen sind die Wunder auch und eigentlich… dann könnten sie das doch sehen. Und die Figuren könnten doch darüber reden… irgendeiner könnte doch darüber reden… Wenn es eine „Was wäre wenn..“- Geschichte ist, dann könnten es doch auch ganz viele tun. Nicht so wie im echten Leben. So wie in einer „Was wäre wenn sie sich wundern würden?“- Geschichte.“.

„Schätzelein, dann wärs nicht mehr Fernsehen.“. Ich spüre seinen Ellenbogen in meiner Halsbeuge.
„Ich glaub, das gibts nur damit man nicht dran denkt sich zu wundern und fragen. Guck mal, was da alles serviert wird. Da gibts nichts mit Denken und Überlegen. Das läuft alles wie am Schnürchen. Einmal alles was man kennt mit einer Prise, wie mans gerne hätte, durch den Häcksler, paniert mit einer Kruste aus Anspruch und zack in einer 25-45 Minuten Portion ins Wohnzimmer. Geistiges Mc Donalds- haha- Wirste auch arm von aber nich satt.“. Sein Lachen klingt bitter. „Weißt doch wie das ist im echten Leben- das Fernsehen wird vom echten Leben gemacht. Man soll denken, es wäre wahnsinnig gleich, damit das, was man so macht, wenn die Glotze aus ist. nicht weiter wundernswert ist. Tote Köpfe lassen sich besser stapeln, als welche die rumzappeln.“. Er stößt sich ab, murmelt noch irgendwas und zündet sich eine Zigarette an.

„N.?“. Plötzlich spüre ich ihrem Atmen warm auf meiner Haut. „Ja, mein Herz?“
„Erzähl mir eine „Was wäre wenn, sie sich alle fragen würden, wo die Wunder herkommen“- Geschichte.“.
Sachte fühle ich, wie ihre Wimpern an meinen Federn entlang gleiten.

vom Vielheitsnetz und der Therapie

Und schon wieder krabbelt das erste Tageslicht und Vogelzwitschern in meinen nächtlichen Dunstgrübelbrei. Adieu, du schnöde Schnapsidee von einem Nachtschlafrhythmus.

Ich grüble über die letzte Therapiestunde und die Therapie allgemein. Ich bin so dumpf erstummt in der letzten Zeit und empfinde mein Alltagwirken als unpassend dort.
Nicht, weil die Therapeutin es mir vermittelt, sondern, weil es von je her wenig bis nichts mit dem zu tun hat, was wir er- und bearbeiten wollen. Es ist eine selbst gewählte Ergotherapie, die ich hier jeden Tag mache und das ist okay.

Es gibt Berührungspunkte, aber kein zentrales Zusammenspiel.
Letztes Mal, war es das Baugerüst und der Akt um dort hin zu kommen, der mich hat so wegkippen lassen. Irgendwie immer wieder in diesen Zustand vom Warten auf nichts und währenddessen so tun, was man eben so tut. Während andere Innens Psychotherapie „tun“.

Sie waren da und haben- ja was eigentlich? Haben sie geredet oder einfach nur da gesessen und vor sich hinverstoffwechselt? Hab sie gearbeitet oder nur herumgecreept? Haben sie einen Zeitbezug oder nicht? Haben sie etwas getan, was die Therapeutin etwas über mich denken lässt?

Ich versuche mich zu konzentrieren, versuche die Tagebucheinträge dazu zu verstehen und kanns einfach nicht. Da ist nichts. Ich finde keinen Punkt, an dem ich mich festhalten und von dort aus weiterarbeiten kann. Das einzige verbindende Element ist der Satz, der nachwievor ständig und ständig von „hinten rechts“ kommt und einen Handlungsdruck erzeugt, den ich noch immer nicht zu erfassen in der Lage bin.

Wir sprachen vom „leiser machen“, vom „Abschirmen“ und eigentlich würde ich gern langsam wie irre darüber lachen. Nicht, weil das nicht geht, sondern, weil es davon nicht aufhört.

Sie riss mir kurz ab, was in der Stunde war, aber schon bei „ein Kind“ klinkte sich mein Ich-Bezug aus. Ich schaltete in den Erklärmodus und versuchte ihr eine Brücke zum Verständnis zu machen- nicht mir selbst.
Warum?
Weil ich etwas über die Kinderinnens von anderen Außenmenschen weiß und sie nicht.
Und, weil ich nicht weiß, was gewesen ist, was dazu geführt haben könnte, dass eines da war. Wenn sie anfinge mit mir das zu erraten, könnte es wieder passieren, also tun wir das nicht.

Sollten wir das tun? Ist das wichtig? Wo führt uns das hin? Zum Satz- Ende oder auf ein weiteres Nebengleis im Vielheitsnetz meines Kopfes?

Sind wir noch da woran wir arbeiten wollten?
Ist es die Notwendigkeit, wie ein Krake mehrere Bereiche berühren zu müssen und in seinem Kopf simultan beizubehalten oder meine Unfähigkeit, eingleisig bei einem Thema zu bleiben, die es mir unmöglich machen, die Stunden selbst zu nutzen?

Ich bin nur eines von vielen Innens. Vielleicht bin ich gerade nicht wichtig?
Oder ist es die Therapie selbst, die die anderen Innens zum Auftauchen zwingt? Was tut sie, dass mein Gehirn meint, einen anderen Funktionsmodus anzuschalten, als meinen? Ist es etwas, das sie sagt oder tut? Etwas im Raum? Ist es unsere Anpassung auf das ständige innere Hören des Satzes, das uns Dinge nicht wie sonst wahrnehmen lässt und entsprechend auch nicht in der Therapie arbeiten lässt, wie sonst?

Es ist halb 5 Uhr morgens und ich weiß, dass mich diese Fragen350215_web_R_by_GesaD_pixelio.de bis zum nächsten Termin beschäftigen werden. Obwohl ich gerade wie ein Krake auf meinem Alltagsgeschehen sitze und nur einen Arm auf dem Therapierhizom habe.
Wenn der Termin ist, versuche ich mich ganz darauf zu pflanzen und daran festzukrallen.
Wohlwissend, dass ich, obwohl selbst ein Krake- doch wieder nur ein Saugnapf von vielen, an einem Arm von vielen, eines noch viel größeren Kraken bin.

besondertäglich

Gestern haben wir uns Kunst angeschaut. Wir sind aus dem Haus gegangen, haben unsere neuen Gemögten getroffen und sind in der Öffentlichkeit gewesen.
Schwusch!
Das ist etwas, wozu ich mir normalerweise meine rot- güldenen Wonderwomenstiefel sowie meine Kleiderschutzpanzer anziehe und hoffe, die Aufmerksamkeit bei den Menschen, die mich kennen, die ganze Zeit über halten zu können.

Aber gestern schien die Sonne. Es war warm, während ein bisschen Wind ging.
Es war das typische Problem von Menschen, die sich selbst verletzen: Was ziehe ich an? Lang, kurz, welcher Stoff in wie vielen Lagen ist aushaltbar und trägt nicht zu einer übermäßigen Geruchsentwicklung bei? Was passt zusammen und ist dem Anlass angemessen?

Ich war so unangezogen wie schon viele Jahre nicht mehr.
Ein Kleid, das überm Knie endet und dessen Ärmel nur die Schulterkugeln bedecken.
„Mooa das Kleid ist genau richtig jetzt- ich nehm das jetzt. Seide ist gut bei dem Wetter. Die Strumpfhose passt dazu und die Schuhe- ich nehm das jetzt. Ja, ich nehm das jetzt. Ich will das jetzt anziehen.“
[- „Du denkst auch nie an die Anderen, ne? Weißte, das ist, was unsere Kontakte immer so kaputt gehen lässt- die gelten doch gleich als was, was sie nicht sind, wenn sie mit dir so gesehen werden.“]
Schnell über Twitter nochmal gefragt, obs okay für sie ist.
Ist es. Ha! Bätsch!

[- „Du siehst scheiße aus. Lass es. Alle werden dich angucken- eh schon wegen des Zopfes und dann sehen sie die Narben und dann bist du wieder Klopsi von Ballerburg zu Psychohirn- aber das willst du ja, ne? Du willst nicht, dass die Leute etwas Anderes von dir denken, ne?“
– „So willst du gehen? Du siehst nach „Fick mich“ aus. Wenn dich einer anquatscht, haste selber schuld.“
– „Schrecklich- einfach schrecklich. Hässlich.“
– „Das ist zu unsicher. Man sieht zu viel vom Körper. Man soll sich nicht so zur Schau stellen- oder suchst du einen Ehemann? Dann wärst du im Frauenkulturzentrum sicher falsch.“]

Ich schleifte NakNak* durch den Park und wurde wieder unsicher. Aber die Zeit wurde knapp und ich hatte keine Lust mehr mich nochmal in den Kleiderschrank zu setzen und festzustellen, dass das Kleid eben doch das Beste, neben der üblichen Alltagspanzerung, gewesen wäre.
Es war ein besonderer Anlass, es war ein nicht alltägliches Zusammenkommen.

Im Sommer werden wir auch im mehrschichtigen Sichtschutz angequatscht und „angeflirtet“. Die Klamotte spielt dabei keine Rolle, sondern lediglich unsere biologische Weiblichkeit. Für solche Menschen sagt jede Kleidung „Fick mich“. Und einen Ehemann zu finden, hat auch nichts mit dem Aussehen oder dem Zeigen der Körperlichkeit zu tun. Mal abgesehen davon, muss ich mal noch herausfinden, wo das nun wieder herkam. Klingt nach Zeitverschiebung um etwa 60-70 Jahre…

Wir gingen zurück in die Wohnung, in der sich NakNak* uftzend unter die Essecke fallen ließ.

Ja? Nein?
Verdammt- Ja!

Dann fiel mir noch etwas ein, was dieses Gewülst aus innerer Ablehnung und Kommentiererei beenden könnte. Mensch XY nebenan.

„Ist Mensch XY da?“, fragte ich den Besuch, der bei ihm in der Küche stand.
– „Nee, der ist grad was einkaufen.“
Hm… was jetzt? Die pünktliche Bahn hatte ich jetzt schon verpasst, noch später zu kommen ging nicht.
– „Na dann- kannst du mir grad sagen, dass ich nicht komplett furchtbar aussehe?“
[Warg- eines der Teenieinnens. Nein Nein Nein geh weg- jetzt waaaa nicht jetzt.]
„Ach nein gar nicht! Wirklich nicht.“
„Okay, danke- Erklärung kommt später- Tschüüüß“, umgedreht und los! Im Laufen merken, wie dieses Teenieinnen es genießt weniger zu tragen und etwas das wir „halb und halb“ nennen versuchen. Akzeptieren dabei Britney Spears in den Ohren haben.

Die Ausstellung war schön, die flockige Art des jüngeren Innens in meiner Nähe war hilfreich, den Kontakt zu den Gemögten zu halten. Wenn auch weniger hilfreich beim Thema „VulvaArt“ der Ausstellung. Meine Güte- Teenies sind echt unreif, wenn ich das hier grad mal anmerken darf haha

Wir haben jemand Neues kennengelernt, und sind im Anschluss sogar noch in der Öffentlichkeit essen gegangen. Auch so eine Sache gerade. Menschenessen essen, sichtbar sein, kurzärmlig sein, sprechen, denken, interagieren. Die Menschen beobachten, imitieren und das alles mit Nutzung des Sprachzentrums, während man den inneren Händen und Füßen wegstemmt, was sich hochdrücken will.
Merken, wie leicht der Nichtkörpername bei einer Vorstellung gesagt werden kann. Wie gut er in diese Konstellation passt, wie sehr es erleichtert, „die Hannah“ sein zu dürfen und von Anfang an so bekannt zu sein.

Merken, wie gut es tut, vermitteln zu dürfen, dass man nicht gut bitten kann nach Hause gefahren zu werden und nicht alles dahinter auch noch sagen zu müssen. Am Ende sogar ein bisschen vergessen zu können, was man gerade an hat und wie man aussieht.

Zu Hause haben wir uns wieder umgezogen. Aber nur weil sich Wolken am Himmel zeigten und die Nacht kühl zu werden begann. Erst mal ein bisschen in NakNak*s Fell weinen vor Dankbarkeit und das Eindrucksgewirbel im Laufen mit dem Hund verteilen. Es einfach im Park liegen lassen.
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Irgendwann in der Nacht sogar traurig darüber sein, seinen Höhenflug beenden zu müssen, weil der Körper nach Schlaf jammert.

Nein, es war nicht alltäglich. Es war besondertäglich. Schön und nah dran an dem, was wir uns für die Zukunft vorstellen.

Danke ihr Beiden!

von Watte, Aquarien, Filmen und dem Nichts-Sein

Manchmal ist es wie eine weiche weiße Watte aus Nichts, die mich umfasst und unberührbar macht.
Leicht, weich, un(an)greifbar, schmerzfrei- sowohl seelisch als auch körperlich.
Dies gibt es in furchtbar und wunderbar.

Sie ist wunderbar und fast erlösend, wenn die Angst einen Punkt erreicht an dem ich schrumpfe. Mein Körper wie schmelzendes Plastik an mir herunter fließt und eine Begegnung mit dem kindlichen Innen, die mich sterben lassen könnte, droht.
Diese weiche Watte macht mich frei, Worte besonders schön sortieren zu lassen; Farben und Kunstbestandteile noch gezielter aufzubringen und darzustellen, was gesehen wird.
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Aus dieser Watte heraus ist alles okay.
Es ist ein bisschen, wie betrunken sein. Nur nicht so angestrengt.

Furchtbar ist es aber, im Aquarium zu stecken. Ein Aquarium, das dicht an dicht vollgestopft  mit Watte und Nebel ist. In dem es heiß ist und man schwitzt- das Glas von innen beschlägt, noch während alles gefriert und nichts wahrnehmbar ist, außer das dumpfe Geräuschmurmeln von weit her. Diese Eiswatte presst einem ein Nichts in den Kopf, in die Glieder in jede Pore- jede Öffnung. Es ist ein Druck, der sowohl zusammenpresst, als auch auseinanderplatzen lässt.

Dann ist man nicht mehr. Man ist nichts. Ein Nichts. Ganz und gar Nichts.
Manchmal wunderbar erlösend. Die Rettung.
Manchmal furchtbar quälend. Wie ein Gespräch mit dem Tod unter 4 Augen.

Manchmal ist es wie ein Film.
Das Leben einer Anderen.
Mal eine leichte Komödie und mal ein Horrorfilm.
Und obwohl man selbst der Schauspieler ist, sind weder Text, noch Skript, noch der Versuch eine Pause einzufordern eine wirkliche Handlungsoption.
In diesem Film liegt nichts in meiner Hand- obwohl ich ihn gerade selbst produziere, anschaue, weiß, dass mir das hier irgendwie alles nicht real erscheint. In der wunderbaren Variante sitzt mir die spitzzüngig- Gewiefte auf der Schulter und fragt, wo denn nun der Keks ist, an dem ich mich satt trinken kann, um Regenbögen zu kotzen. Es erscheint mir alles so leicht und einfach, dass ich über alles drüber hopse. Im Bocksprung, mit einem Lächeln. „Ach- ich brauche dich nicht wahrnehmen- du, ich- alles hier, ist nicht real. Küss meine Stirn und lass Blumen drauf wachsen.“

In der furchtbaren Variante sitze ich vor einem Menschen und schreie, hinter meinem Lächeln, um mein Leben und alles was kommt, ist ein blöder Witz, der so absurd erscheint, dass ein Erdbeben, angekündigt von durch die Altstadt rennenden Einhörnern, nur logisch wäre. Ich baumle in einem Käfig von der Decke meines Verstandes und bin gefangen in der ersten Reihe meines Lebensfilms.

Allem ist eines gemein:
Ich bin starr und stumm. Gar nicht da und doch hinein, halbdran oben drüber schwebend dazu genäht.
Es ist, als sei mein Sein Schrödingers Katze und mein Körper, die Kiste, in der die Kapsel Zyankali liegt.
Jeder Ausdruck wird bewahrt und bricht heraus, wenn sich die Watte lichtet, das Aquarium geplatzt, der Film (an)gerissen ist oder die Kiste aufgeschnitten wurde- die Katze heraus schlüpfen und sich befreien konnte.

Ich weiß, dass man es Depersonalisation und Derealisation nennt. Dass es dissoziative Phänomene sind. Dass Trennung für mich auf einer Ebene mit dem Gefühl zu sterben steht.
Und doch, hasse ich diese stumme Starre. Dieses Totsein und und immer wieder neu das Gefühl gerade überlebt zu haben. Diese gefühlte Notwendigkeit mich mit einer Schaffensexplosion im Nachhinein für das Weiterleben- dürfen bedanken zu müssen.

Wohlwissend, dass ich im Moment noch nichts habe, das mir das Erleben diese Phänomene komplett erspart.
Wissend, dass ich nie weiß, ob das langsam enger werdende Sichtfeld nun die wunderbare oder furchtbare Variante vom Totnichts und Nichttotsein ankündigt. Wissend, dass ich vorerst nie meine Reorienterungsliste vergessen darf.

Denn für mich ist es Watte oder ein Film. Für ein anderes Innen ist es Zeit, die es in meinem Leben verbringt. Manchmal ganz wunderbar und manchmal ganz furchtbar.

die Tür

„Hey ihr, wie schön, dass ihr wieder da seid!“, sie lächelt und unterdrückt den Impuls uns zu umarmen.
„Was soll ich machen?“. Die Kinderstimme ist sachlich, das Gesicht starr.
„Du musst gar nichts machen.“, sie lächelt, tritt schräg einen Schritt zurück von der Wohnungstür und gibt so den Fluchtweg frei. Ihr Blick geht seitlich am Kopf vorbei. „
Weißt du, wer ich bin?“.

Das Kind antwortet nicht, starrt weiter stumpf auf das Gesicht unserer Gemögten, die uns den Sonntag mit etwas Gemeinschaft erleichtern möchte. „Ich bin die A. Ich besuche euch heute, damit ihr euch ein bisschen besser fühlen könnt. Und weil ich gerne hören möchte, was ihr so alles erlebt habt auf eurer Reise. Keiner von euch muss etwas machen. Ihr dürft alles sagen, was ihr möchtet und alles machen, was ihr möchtet.“286840_web_R_K_B_by_Daniela Berghold_pixelio.de

In den Ohren des Kindes schreit es jaulend auf. Verwirrung flimmert hinter seinen Augen. Es beginnt leicht zu zittern. „Jetzt weißt du gar nicht so richtig was los ist, ne? Das ist okay. Ich setz mich hier einfach auf die Treppe und wenn ihr möchtet, dass ich lieber morgen wiederkomme, ist das auch gut.“. Sie legt ihre Tasche auf den Boden und setzt sich. Guckt aus dem Dachfenster und umfasst ihre Knie.

„Siehst du mein Herz? Heute ist es anders. Ganz anders. Die A. ist eine Gemögte von den Frontgängern. Da musst du wirklich nichts machen.“, ich raune es leise an ihr Ohr und lasse das schreiende kleine Herz hinter ihr auf meinen Rücken kriechen, versuche das Kind sachte zu umfassen, damit die Anderen von A.´s Ankunft erfahren können. Es zuckt zusammen und stirbt mir unter meiner Berührung weg.

Jemand geht zum Kühlschrank, hält sich ein Paket Eis an den Hals und konserviert so das ausgehauchte Kinderinnen erneut.

A. schaut von ihrem Treppenplatz aus, in die Küche und fragt, ob es geht. Ob sie eintreten darf oder lieber morgen nochmal kommen soll. Die Augen füllen sich mit Tränen, im Innen schießt die heiße Gischt des dunkelbunten BÄÄÄMimperiums hin und her. Es ist unmöglich eine Entscheidung zu treffen. Schon die Verabredung war ein Fehler, die Anwesenheit der Gemögten eine Katastrophe, der Wunsch nach Gemeinschaft ein Kapitalverbrechen.

Sie nickt stumm, steht auf, nimmt ihre Tasche und winkt uns zu.
„Ich rufe morgen früh an.“. Das Klacken der Haustür, unterbricht den Hall ihrer Schritte hinunter.

Mit dem Schließen der Wohnungstür, öffnet sich eine innere Tür, die wir lieber zugemauert hätten.