“Wir sind Viele” ~ Teil 3 ~

Es war halb 6, als das Handy über den Boden unseres Zimmers rappelte, um uns zu wecken.
Sie öffnete die Augen und sah sich um. Atmete ein und studierte unsere Liste für den Tag.
“Ich will das. Ich kann das. Ich mach das.”, dachte sie, während wir einen Punkt nach dem anderen durch sie hindurch abhakten.

“So Herzi- weinen und diverse andere Aktivitäten, bei denen vermehrter Tränenfluss üblich ist, sind ab jetzt mit dem Risiko verbunden ein Waschbärengesicht zu bekommen.”, tönte es von innen, als ihr eine Frontgängerin klebrige Schwärze auf die Wimpern legte. Sie betrachtete das Innen durch diese so vertraute innere Wand aus Glas im Spiegel. “Und wo bin ich?”, strich wie ein Hauch durch sie. Wie immer, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Blitzlicht:
Wer bin ich und welche Rolle wartet auf mich? Wie muss ich sein, um anwesend… existent sein zu dürfen? Wer darf ich, muss ich, soll ich für das Gegenüber sein?
Für uns sind das zentrale Fragen. Bis heute hängt an der Antwort auf jede einzelne ab, wer von uns da ist und wie wir sortiert sind.
Natürlich haben wir uns vor der Tagung überlegt, wo es Schutz braucht; von wo die Signale zu erwarten sind, wenn Grenzen berührt werden und natürlich gibt es grobe Muster, auf die aufbauend wir planen und uns in Reihe schalten können, doch das Außen kann man schwer bis gar nicht beeinflussen. Noch immer gibt die Umgebung bzw. unsere Fähigkeit den von ihr ausgelösten Stress zu verarbeiten, maßgeblich vor, wer von uns “da” ist und die Möglichkeiten im Außen, diesen Stress adäquat zu regulieren, wer wieder “geht”.
Als wir begannen für die Tagung zu sparen, kämpften wir bereits mit diesen Fragen.
“Du bist eine Betroffene- komm was willst du da? Da werden PsychologInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen und sonstige Menschen sitzen, die einen Beruf, ein Sein vorweisen können und wir? Wir sind wir und waren nie mehr. Was willst du in die Anmeldung schreiben, hm? “Guten Tag, mein Name ist Hannah Rosenblatt- Berufsmulti seit 2007 in eigener Praxis für Lebenserforschung, diagnoseerfahren seit 2002, oder was?”.

Dann veröffentlichten wir den Artikel “Warum sich die Sprachführung über sexualisierte Gewalt verändern muss”. Inzwischen wurde dieser Artikel 181 Mal auf Facebook geteilt, bei der Mädchenmannschaft erneut veröffentlicht und mit einem Namen in Verbindung gebracht: Hannah C. Rosenblatt
”Okay, das ist schräg- aber hey- ich bin ein random Internetjemand- komm, das muss reichen- anmelden und zack jetzt hier- Bäng!”, brubbelte es vor sich hin, als wir die Anmeldungsmaske zur Tagung ausfüllten.

Was uns dann in die Hand gegeben wurde, als wir uns am Freitagmorgen anmeldeten, war dann aber doch unerwartet mächtig:
Namensschild

Sie schwebte wie ein Irrlicht in sich selbst herum, als wir zur Begrüßungsrede in die Aula eintraten. Obwohl es nicht ihre Brust war, an der das Namensschild baumelte.

 

~Fortsetzung folgt~

 

 

Vorschau: Wir werden in den folgenden Artikeln Vorträge und Workshops kommentieren bzw. die Dinge formulieren, die wir gerne formuliert hätten.

“Wir sind Viele” ~ Teil 2 ~

Die Reise begann und noch während sie sich in ihrem Platz einrichtete, beugten wir uns über die Architektur der folgenden Tage.

Im letzten Jahr haben wir viele Reisen unternommen und trotz vieler kleiner Inseln, in denen wir Kraft tanken konnten, gemögte Menschen besuchten und unsere Sinne wie Saugnäpfe an die Umgebungen hefteten, gab es immer die klare Linie: Hingehen, machen, wieder weggehen.
Wir riskieren keine Lücken, wenn wir wissen, dass wir zu arbeiten haben oder Arbeitsrelevantes tun. Freizeit ist die Fahrtzeit. Das Stück zwischen: “Ist es wirklich der richtige Zug, aus der richtigen Stadt, in der richtigen Zeit?” und “Komme ich zur richtigen Zeit, in der richtigen Stadt an?”.

Donnerstag, heute, würden wir unsere erste Lücke leben. Einen Nachmittag nur für uns allein. Ohne hundische Assistenz, dafür ohne Druck von außen.

Sie saß dort und dachte ihre Gedanken, die keine sind.
Wir schauten aus dem Fenster und lenkten uns von der Angst vor Menschen ab.
Ich liebe die Zugstrecke zwischen Koblenz und Mainz.
Wie sich der Fluss in den Schoß der Weinberge schmiegt und die Schiffe auf sich trägt.
Wie kurz vor kitschig, die kleinen Häuser am Ufer stehen, wenn die Sonne auf sie scheint. Und immer wieder die Frage, ob es schlossartige Gutshäuser oder guthausartige Schlösser sind, die dort, wie von einem riesenhaften Kind auf die Berge geklebt, erscheinen.

Mainzzug
Ich nahm so viel dieser ruhigen Idylle in mir auf, wie ich tragen konnte und steckte sie in kleine Säckchen, als emotionale Wegzehrung bis wir am Samstag Abend wieder hier entlang fahren würden.

In Mainz angekommen, wartete die erste Anforderung an unsere, sich vorsichtshalber unterm Tisch versteckende, Alltagskompetenz: “Finde den richtigen Bus, der dich zur richtigen Jugendherberge bringt und kaufe dafür das richtige Ticket.”
Vielleicht ist jetzt ein guter Moment einmal zu beschreiben, was genau NakNak* in solchen Momenten für uns tut, wenn sie bei uns ist.
Gleich zuerst einmal drückt sie sich ins Geschirr hinein und spannt die Leine. So spüren wir sie und uns gleichzeitig und das Wissen einen Körper zu haben, wird eine feste Konstante. Wer einen menschlichen Körper hat, der hat meistens zwei Beine mit Füßen dran, die auf einem festen Boden in einem Hier und Jetzt stehen.
An Orten wie Bahnhöfen oder offenen Plätzen, läuft sie in kleinen Ausschlägen vor uns her oder wenn wir gerade stehen, steht oder sitzt sie neben uns und achtet darauf, dass Menschen einen Abstand zu uns halten. Sie hilft uns also, unsere Individualdistanz zu wahren bzw. gewahrt zu wissen.
Hunde sind beliebte Haustiere und viele Menschen wissen nicht, dass es so etwas wie Assistenzhunde auch für Menschen, die gut sehen können gibt. “Ach ist der aber süß”, war schon sehr oft ein hilfreicher Gesprächsstart für uns. Sowohl um Hilfen zu erbitten, als auch um nicht zu vergessen, dass NakNak* manchmal auch auf unseren Schutz angewiesen ist. Meistens jedoch ist NakNak* aber die beste erste Hilfe, wenn wir menschliche Unterstützung brauchen und zu gefangen in Gefühlen sind, um sofort darum zu bitten.
Zum Beispiel wenn jemand von uns überfordert und verwirrt an einem Fahrkartenautomaten steht. 

In Mainz sind die Menschen aber irgendwie “auf”. Zumindest, der Mensch, der die Verwirrung in unserem Gesicht sah und uns bei der Auswahl half, ohne, dass wir darum bitten mussten und der Mensch, der uns die Buslinienkarte erklärte, als sich die Stirn erneut unter Fragezeichen kräuselte.
Dort wo wir wohnen, schauen die Menschen oft erst einmal eine Weile zu und überlegen, ob sie ihre Unterstützung anbieten sollen oder nicht. Deshalb ist NakNak* dort oft so ein Gewinn für uns.

So landeten wir also in der Jugendherberge. Die Sonne schien und jede Pflanze wisperte uns den Frühling ins Ohr.
Von Gepäck befreit, gingen wir im Volkspark und im Rosengarten spazieren.

StiefmütterchenMainz

 

BlütenHimmelMainz

Von Weitem sahen wir dort schon den Rhein.
Keine Frage- egal, was es noch alles Schönes in dieser Stadt geben könnte- das Wasser… oh bitte bitte endlich ein bisschen mehr fließendes Gewässer als Bäche und modrige Mückentümpel… endlich…

Wir kommen aus dem Norden.
Dort, wo das “da” ein winziger Punkt auf der haarfeinen Linie des Horizonts ist; wo der Blick frei ist, ohne an Bergen und Wäldern abzuprallen, wie eine Stubenfliege an der Scheibe, waren wir seit Jahren nicht. Oft ist es kein Thema, wie groß das Meerweh ist. Heimweh folgt dem nur allzu oft auf dem Fuße und mit ihm die Gedanken an die Zeit, in der wir weggingen und so viel mehr als Gewalt und Todesnähe verließen.

Wir liefen auf das Ufer zu und durchquerten dabei die hübsche Altstadt von Mainz, in der wir einem Saxophonisten, einem Klarinettisten und einer Cellistin, die von einer Querflötenspielerin begleitet wurde, lauschten und mit etwas Kleingeld beglückten.
Nebenher ein Schnappschuss vom Dom

domdings 

Und dann endlich standen wir am Rhein.
Typischer Wasserwind, Möwen, Enten, Schwäne, Kähne, Kutter und Schiffe. Dazu eine Aussicht, die so nah an das, was wir nicht mehr Heimat zu nennen wagen, kam, dass es über meine Kraft ging, die Tränen aufzuhalten.
Es ist so ein großes Opfer gewesen wegzugehen und wir hatten nie den Raum, die Zeit und vielleicht auch nie das echte “Okay” dafür, genau diesen Schritt zu betrauern und zu integrieren. Zu groß war die Last als Jugendliche hinter einer Entscheidung zu stehen, die blind getroffen wurde und in aller Konsequenz zu leben war. Und später war es der (oft unausgesprochene) Anspruch, doch froh zu sein, von DORT und von DEM weg zu sein.
Als hätte das Meer und seine Weite uns misshandelt, nicht Menschen, die dort leben.
Geblieben sind kleine Herzen, die in Trauer sind und ihre Tränen, wie Steine zum Gedenken ans Ufer eines Flusses fallen ließen. Ich wiegte sie auf meinem Rücken und fütterte sie aus meinem Säckchen voll Idylle.

Andere machten Fotos. (einige werden wir in unserem Fotoblog “einfach mal angucken” veröffentlichen)
rheinufer

 

RheinMain

Am Abend wollten wir uns mit einer Bekannten treffen. Ein bisschen Reden, zu Abend essen, die Stadt näher betrachten.
Da wir leider zu spät für einen Besuch des Gutenbergmuseums dran waren, setzten wir uns auf von der Abendsonne beschienene Bänke davor und ließen die Umgebung auf uns wirken. Neben uns saßen zwei Künstler und zeichneten den Dom mit Tinte.
“Ich glaub, das ist einer der Dialekte, der T’s, K’s und Endungen frisst… “runnäfalle” hahahaha Lass des ma nisch runnäfalle Schädse”, hörte ich von weiter vorn. Die Frontgänger wieder mit ihrem “Sprachknall”.

GutenbergmuseumAbendsonne

Mit der Bekannten haben wir “durcheinandrige Pommes” gegessen und Tee getrunken, wie noch nie zuvor. Twitterfazit dazu: “und es ist nur mittelseltsam”.
Tee kannten wir nur in Beutelform und Pommes als “zu teuer”, “ungesund”, “gerade geschnitten”. “Curly Fries” haben den gleichen Status wie “Früchte, die komisch gucken”.
Vielleicht erscheint es irrelevant- es ist eine Mahlzeit und ein Getränk- “Kriegt euch ein Rosenblätter- man kann es auch übertreiben…”. Für uns ist es Freiheitspraxis und immer wieder ein Reiz, der mit nicht vielen anderen Situationen abgeglichen werden kann. Solche Dinge sind es, die uns klar machen, wie begrenzt unsere Lebenserfahrung ist und wie facettenreich das ist, was die Menschen “Norm” nennen.
“Eure Welt ist so reich und ihr zuckt mit den Schultern…”, sie schaute die Menschen um uns herum an und beobachtete sehr genau, wie das Sieb im Teeglas die losen Teeblätter vom Wasser trennte.
Mittelseltsam, denn immerhin: Angst hatte sie keine. Wir haben das Sitzen in Cafés und Restaurants schon oft geübt.

Am Ende des Tages fanden wir uns in dem Jugendherbergszimmer wieder und telefonierten in Ruhe mit den Sommers.
Beruhigende Abendroutine inmitten eines Tages, der ziemlich weit neben “Routine” passierte.

Später fiel auf, dass wir unser Schlafnilpferd vergessen hatten.
Wir streichelten und summten, verfütterten ein weiteres Säckchen voll Idyll.
Bis irgendwann die letzte Träne geweint war und der Schlaf seine Decke über uns ausbreitete.

~ Fortsetzung folgt ~

„Wir sind Viele“ ~ Teil 1 ~

kleineBlütenweiss Die Idee sich selbst im Spiegel zu betrachten und zu sehen, was es zu sehen gibt, geistert noch immer in ihr herum und arbeitet sich von Knospe zu Blüte.
Ich schaue ihr zu, wenn sie das Glas mit einem Finger berührt und darüber nachdenkt, wie es überhaupt möglich sein soll, sich zu sehen.
Ist es doch nur Glas, das Licht reflektiert
und sie… ein Dunkel, ein Leer, ein Da.

Am Morgen des 26.3. 2014 hob sie den Kopf und starrte in die Pupille hinein.
“Ich will das.
Ich kann das.
Ich mach das.”

und glaubte es wirklich.

Wir sind nach Mainz zu der 2. interdisziplinären Trauma- Fachtagung “Wir sind Viele” gefahren.

Wieder eine fremde Stadt. Zum ersten Mal ganz allein.
Als Fremde unter Fremden, fern aller Netze.
Eigenverantwortlich, erwachsen, autonom.
Das erste Mal.

Ich strich ihr über den Kopf.

“Wir, mein Herz…
wir machen das.”


~ Fortsetzung folgt ~

… und beleuchte die Dunkelheit

Gestern Abend hatte ich es mal wieder in der Hand
“… und besiege die Finsternis” von Marie Balter, geboren 1930.
Psychiatriepatientin. 20 Jahre lang.
In den Anstalten der 50 er Jahre.
Zu Zeiten der massenhaften Medikalisierung. E- Eis- Insulinschock- Folter im Namen der medizinischen Hilfe.
Das ist keine leichte Kost. Aber ich mochte das Buch.

Sie hat überlebt, wurde Ärztin und sprach dann für die Betroffenen. Sie ist 1999 verstorben.

Das letzte Kapitel des Buches heißt “Eine Stimme für die psychisch Kranken”.
Damals, als ich das Buch zum ersten Mal las, verbrachte ich die meiste Zeit des Lesens getriggert und mich und mein Leiden kleinredend.
Das letzte Kapitel erschien mir so wohltuend in all dem, was dort steht.
Sie schreibt von ihren Vorträgen, den Reaktionen der ZuhörerInnen, aufbauschenden, oberflächlichen JournalistInnen, ihrer Angst abzustumpfen, ihren Gebeten, den Menschen, denen sie bei der Verfilmung ihres Lebens begegnete.
Und: “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen. Doch das darf nicht so weit gehen, dass andere nicht mehr eigenständig handeln können.”

Vor 2 Wochen habe ich das Exposé für mein Buch bei einer Literaturagentur landen lassen. Als Leseprobe ist ein Artikel dabei, der meine Zeit in einer der vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien aufnimmt. Ich glaube nicht, dass ich damit Hoffnung verbreite.

Mir fiel aber auch auf, dass ich denke: “Ja haaaa ICH muss anderen Menschen Hoffnung geben, denn ich habe ja überlebt. ICH muss den Menschen ja sagen, dass man das alles überleben kann. Und das dann alles besser ist…”. Ich merke, dass ich mir schon wieder ein Kostüm in einem Schrank anschaue, das mir weder passt noch gefällt. Das ich mir aber natürlich trotzdem anziehen würde, weil … darum.
Während bei vielen Vielen das Thema “Überlebensschuld” kreiselt, kreiselt bei mir “Überlebensverpflichtungen”. Immer wieder der Komplex: “Ich habe überlebt und jetzt? Was gebe ich jetzt zurück und wie stelle ich das an?”.

Ich glaube nicht, dass ich heute keine Psychiatriepatientin mehr bin (oder auch die Gewalt überlebte, die mich dort hinbrachte), weil meine Seele so besonders stark ist, oder weil in mir irgendein Schalter umgelegt wurde, der mich zu neuer Hoffnung und Kraft brachte. Ich glaube auch nicht, dass ich überlebt habe, weil an oder in mir irgendetwas ist, dass mich durch die Momente der Todesnähe trug und etwas zu erhalten vermochte, als scheinbar nichts (und niemand) mehr in mir war.
Ich weiß, dass ich keine Schuld an meinem Überleben trage, weil niemand Schuld an seinem Sterben trägt.

Aber ich merke, dass ich nicht nur etwas überlebt habe, sondern auch von etwas zeuge. Meine Schäden sind ein Er-Zeugnis der Gewalt. Wenn ich beschreibe, was ich sah und erlebte, dann ist es eine Art Zeugnis ablegen von dem, was für andere- die Verschonten, die Ungeschlagen, wie C. Emcke sie so treffend nennt, unsichtbar, unerlebt- und un- über-lebt ist.

Das Überleben ist mir einfach so passiert. Ich habe weder darum gebeten, noch dafür gekämpft.
Die Lebensrealität in der ich und die Zerstörung an mir unsichtbar sind, und sogar gehalten werden, hingegen, betrachte ich als unbedingt zu verändern. Denn es ist eben genau die Unsichtbarkeit, in der Gewalt geboren und genährt wird. Es ist immer wieder genau das Moment, in dem man Gewalt nicht Gewalt nennt, auch das Moment, in dem Gewalt triumphiert und sich weitere Opfer einverleibt.

Ich stelle mir nicht die Frage “Warum ist mir das passiert?” oder “Warum habe ich überlebt, aber dieser und jener Mensch nicht?”.
Ich habe meine Antworten dazu und daraus eben auch die Anforderung an mich, zu verhindern, dass es anderen Menschen auch so ergeht. Dieser Überlebenskult, diese Mystifizierung des Überlebens und dessen, was es abverlangt, ist in meinen Augen eine zwar nachvollziehbare menschliche Eigenschaft, doch nicht hilfreich, wenn es darum geht, einen Weg zu gehen, der ohne Gewalten auskommt und so immer wieder Menschen zum Überleben zwingt.

Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, der es einerseits völlig egal sein kann und darf, was in Psychiatrie, Heim, Gefängnis, Misshandlungsfamilie passiert, die Überlebenden dann aber in eine Position bringen darf, in der besonders wertvolle Eigenschaften impliziert sind, die sich zeigten, als es dieses Umfeld und die ihm inne liegende Gewalt, abverlangte!

Marie Balter hatte zu ihrer Zeit immer wieder betont, dass es nicht reicht, die Menschen rauszuholen. Sie war eine der ersten, die darauf zeigte, wie unterschiedlich die Welten “Psychiatrie” und “draußen” sind. Was es für einen krassen Bruch bedeutet von der Rechtlosigkeit in die Stigmatisierung; aus dem Klima eines menschenverachtenden Nihilismus in ein Klima des Anspruchs dem (noch bzw. nicht immer sofort) zu entsprechen ist, zu gehen.
Sie sagte immer wieder, wie wichtig es ist, dass entlassene Menschen aufgefangen werden und Orientierungshilfen bekommen.
Heute gibt es Peer to Peer- Hilfen, ambulante Betreuungen, ein bis heute ausbaufähiges obgleich immer weiter zusammengespartes und so dauermarodes System von Hilfen, die Menschen über den Bruch helfen und in ein Leben in Eigenständigkeit hinein begleiten soll.

Aber Gewalt taucht in all dem als Begriff nicht auf.
Hilfe darf nicht auch Gewalt genannt werden, obwohl hier und da schon Verknüpfungen bekannt sind, beobachtet werden und Überlegungen angestellt werden, wie sie zu verhindern sein könnten. Alles natürlich systemimmanent und orientiert am Status Quo, den zu hinterfragen komplex und unbequem ist.

Ich habe das Buch weggetauscht und werde es auf die Reise schicken.
Gestern dachte ich noch, dass ich in der Geschichte so viel Schönes gelesen habe und nicht noch einmal groß darüber nachdenken möchte. Heute ist mir klar, dass ich diesen Absatz “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen.” in meinem Denken umändern muss.

Vielleicht in “Anderen Menschen von der Dunkelheit erzählen, heißt ihnen Macht zu geben Licht zu verbreiten. Wir, die wir beides kennen und die Möglichkeiten haben, müssen sie nutzen.”.

hölzerner Schatz

P1010092“Sehe ich festlich aus?”, fragt sie und schraubt sich die Hände vom Bauch weg.
Sie schaut sie an und lächelt. “Ja, sehr festlich. So könnt ihr gehen, das ist hübsch.”. Sie wird rot, streicht mit den Handflächen über den glatten Stoff über ihrer Haut.

Ein Festtagskleid zu Purim.
Dem Freudentag.

Dem Tag, an dem sie rückwärts, wie vorwärts denkt.
Von Familie° umgeben ist.
Religion lebt.

Tausende Zeichen wollen hier stehen. Von Gemeinschaft, Dankbarkeit, Demut, Erfüllung und Wahrhaftigkeit.
Zeichen, die von Gefühlen kunden. Von Menschlichkeit, Verletzlichkeit, Leben und Tod.

Doch ich bewahre sie.
Vor Blicken, Bewertungen, Fremdwahrnehmung, Definitionsmacht, Neugier.

Ein hölzerner Schatz.
Doch einer, der das Kleid, die Feier, die Gebete, die Worte zum Tag noch wertvoller erscheinen lässt.

alles, außer…

runtergefalleneBlüten Die Sonne scheint in mein Schlafzimmer hinein und ich lasse mich anscheinen.
Ihre Strahlen schütten Wärme auf meinen Rücken, lassen die Schmerzen darin zu kleinen Rinnsalen schmelzen und herunter rinnen.

Ich sitze auf dem Bett. Gebeugt über den Keilrahmen mit seinem stinkenden Acrylbelag und pinsele gegen das Eintrocknen der Farben auf meiner Untertasse an.
Streichle das Maltuch, kitzle die Linien und torkle im Motiv herum.

Mein G’tt was tue ich hier?
Stunden um Stunden vergehen und das Leben schlammt in Brocken an mir vorbei.

Mein Nachbar ist wohl erkältet. Ich höre sein Rotzen und hörte seinen letzten Orgasmus irgendwann letzte Woche.
Die Familie schräg gegenüber, die letztes Jahr herzog, spricht inzwischen nicht mehr ausschließlich Russisch. Jetzt ist es ein Sprachmüsli, das sich im Hof verteilt, wenn sie grillen. Dieses IKEA- Familienmodel, das Federball spielt und am Geburtstag der Tochter, Kakao und Kuchen im Garten kredenzt.
NakNak* ist läufig, doch wenn ich das niemandem sage, ist sie es auch nicht. Dann plötzlich kommt raus, dass der Rüde so oder so nie gut hört.
Ich bade in meinem Hunger und es fühlt sich gut an.
Der Frühling schießt seine Blütenboten in die Welt hinaus und die Insekten heißen sie willkommen. Schmetterlinge finde ich schön. Obwohl sie manchmal behaart sind und lange Fühler haben, wie Weberknechtmägde und andere HmHmHm-Flügler.

Ich denke darüber nach, mein Fahrrad und den Anhänger dazu, fit zu machen. Weiß aber nicht, wohin zu fahren sein könnte.
Meine Muskeln sind zu Stein erstarrt.
Das Bild ist fast fertig. Es fehlen nur noch die Gesichter und die dicken schwarzen Linien um sie herum, die sie bannen und für immer dort halten. Raus aus mir und meinem Leben. Ich fürchte ihre Gesichter.

Aber, alles ist okay. Alles ist im Werden.
Ich habe alles im Griff.

Außer den Pinsel in meiner Hand.

drüber reden, etwas sagen

WasserBlatt Und dann dachte ich: “Etwas sagen, werde ich wohl nie.”

Ich dachte an die Artikel “mit …reden”. Dachte daran, dass ich immer wieder zu viel Zeit damit verbringe mein Jetzt, die Schäden, Verwachsungen, Anpassungen und Muster zu erklären, transparent und adaptierbar zu machen. Immer wieder dafür zu sorgen, dass ich verstanden werde und wenn eine Norm nicht umgehbar ist, Hilfe beim Annähern an Entsprechung zu erhalten.

Wieso rede ich nicht mit ÄrztInnen darüber, was meine Befürchtungen in Bezug auf körperliche Schädigungen sind?
Wieso rede ich nicht mit der Polizei darüber, dass ich selbst eine scheiß Angst davor habe, falsche Aussagen zu machen, viel Arbeit für nichts zu verursachen- das Bild der Betroffenen, der erst einmal immer geglaubt werden muss, zu zerstören?
Wieso rede ich nicht mit
dem Jobcenter darüber, dass das, was sie mir dort anbieten immer wieder etwas ist, dass ich nie so fest zusagen/ dem entsprechen kann, wie sie das brauchen?
Wieso rede ich so viel in der Therapie und sage (gefühlt) nichts?

G’tt, ich würde so gerne etwas sagen.

Doch in dieser Welt bedeutet es Drama, wenn man das tut. Vielleicht Unangemessenheit. Vielleicht Rücksichtslosigkeit. Vielleicht die Gefahr von Unverständnis verletzt zu werden. Vielleicht bedient man Voyeurismus. Vielleicht werde ich von der Messlatte ihrer Bewertungen erschlagen und sie nennen es “Bewusstwerden”.

In meinem Kopf, da sagt es vor sich hin und tritt doch nicht nach außen.

Es sind so kleine Fetzen oder Blitze und meistens lasse ich sie so an mir vorbei ziehen, wie den Müll im Wald, von dem ich weiß, dass er die Umwelt zerstört und den ich trotzdem viel zu selten aufhebe.
Ich bilde mir ein: „Ach- dieses Taschentuch- das rottet schon.“. „Ach- diese Verpackung- die wird schon vergehen…“. Und so rede ich über die Fetzen: „Ach, ist ja vorbei…“.  „Ach- es wird nicht wieder passieren…“-
und weiß doch eigentlich, dass ich Innens- “mich”-  damit quäle, wie ich unser Ökosystem zerstöre, wenn ich Müll liegen lasse.

Im Moment entsteht ein Bild von uns. Uns allen. Ein Wimmelbild.
Ich fand mich und sehe meine eigene Erschöpfung, die mich trotz aller Zeit, die vergangen ist, nie ganz verlassen hat.
Ich habe darüber nachgedacht, dass ich nicht darüber reden will, wieso ich eingesperrt war und überhaupt alles das drum rum, wie das war und wie ich mich befreit habe und so weiter und so weiter, sondern, wie schrecklich ich meine Erschöpfung wahrnahm, als ich gefunden und mitgenommen wurde.
Dass es einfach nie der Kampf ums Überleben war, die mir Not und Angst gemacht haben, sondern das, was war, als ich Erfolg hatte.

Vielleicht ist es das, was uns immer wieder behindert. Dass wir denken: “Oh- die Menschen da draußen, unsere Therapeutin, unsere Gemögten- die denken bestimmt wir wollen schlimme Kämpfe und Gewaltdetails erzählen, wenn wir äußern, dass wir über eine Not sprechen wollen”.
Irgendwie ist ja so, dass wir unterschiedliche Bewertungen haben und uns das nicht entgangen ist.
Was für uns Alltag, Norm, Wert war (und ist), das wird von unserem jetzigen Außen mit “Gewalt”, “Doktrin” und “Ideologie” betitelt und damit in unserer Wahrnehmung total verquert.

Ich will nicht darüber reden, dass mich Gewalt dort hin gebracht hat und mich in diese Erschöpfung getrieben hat. Wenn ich mich geistig dem Früher nähere, dann ist es Gewalt gewesen, die mich dort heraus brachte und meine Erschöpfung entstehen ließ- obwohl ich natürlich weiß, dass ich vorher schon schwach gewesen sein muss. Wenn ich näher dran stehe, dann ist aber trotzdem mein Befreier der Mensch, der mich schwächte und in Not brachte. So sehr, dass er mich tragen musste- obwohl ich vorher die ganze Zeit stand und mich bewegt hatte. Total aktiv war.

Irgendwie ist es der Anspruch von einem Erzählen von A nach B nach C zu dem worum es eigentlich geht, was stört.
Ich feiere mich gerade, weil ich jetzt hier zum ersten Mal davon schreibe, wie k.o. ich damals war. Dabei hätte ich das so auch ja schon früher mal sagen können.
Dann hätte es aber für niemanden gleich viel Sinn ergeben und ich hätte mir irgendwie was von “ja müde sind wir alle mal” oder ähnlichem Kackscheiß anhören müssen.

Es gibt in dem Buch “Trauma und die Folgen” von Michaela Huber eine Grafik, die beschreibt, was ein Trauma tatsächlich bedeutet.
Es ist nicht das Ereignis an sich, sondern die Wellen, die Verletzung, die es schlägt. Und, dass die Wellen, die so ein Ereignis schlagen kann, unterschiedlich sind, ist ja logisch, denn jeder Mensch hat unterschiedliche Internalisierungen in seinem Leben vorgenommen, die er gut, weniger gut oder auch gar nicht auf so ein Ereignis jenseits des Üblichen anwenden kann.

Manchmal denke ich darüber nach, warum ich über diese Dinge reden will. Warum es manchen Innens sogar wichtig ist, die Option zu haben sich irgendwann, wenn es okay ist, über ES oder DAS DA aussprechen zu können, denn eigentlich geht es uns nur selten wirklich besser, wenn wir diese Dinge angesprochen haben oder etwas (aus)gesagt haben.
Ist es Narzissmus oder eine Art Entdeckerstolz, der mit einem zitternden Finger auf etwas jenseits der Norm zeigen will? “Guck mal- das da habe ich gesehen/ erfahren/ überlebt (und du nicht!)” oder ist es ein Bedürfnis, das uns Menschen eigen ist, um grundlegend Toxisches aus sich herauszuspülen?

Ich weiß nicht, ob meine Erschöpfung verschwinden kann, denn zur Zeit verwende ich so viel Kraft aufs Aufrecht sein, Aktiv sein, Verhandeln und Wüten, um weiterhin aufrecht und aktiv sein zu können, als ob ich damit meine Rettung (= meine Schwäche) von mir fernhalten könnte. Ich weiß nicht, wie das ist, wenn ich darüber rede (und nicht nur schreibe). Wird sie dann verschwinden können? Und war es dann das “darüber reden”, oder nicht doch das, was ich an Rückmeldung von außen bekomme, was dann hilft?
Und was von dem, was ich zu sagen habe, hilft uns allen?

Ich habe in dem Fragebogen zum Anzeigeverhalten geschrieben, dass ich etwas davon haben muss, wenn ich schon eine Anzeige erstatte und genau das überhaupt nicht gegeben sehe. Dass ich eben genau deshalb nicht angezeigt habe.
Mir ist nicht an Rache, Opferstatus oder Täterdemütigung/erziehung/maßregelung gelegen.
In Bezug auf das, was uns passiert ist, geht es uns nur um uns. Egozentrik hoch zehn. Ich muss schließlich heute mit eben jenen Traumawellen (in mir drin) leben- nicht mit denen, die sie auslösten und ich sehe nicht ein, weshalb ich – ausgerechnet ich- die Verantwortung tragen soll, dass diese Menschen nicht noch andere Menschen quälen. Es ist nicht meine Verantwortung, dass sie das nicht tun! Es ist deren Verantwortung und die Verantwortung des Staates und des direkten gesellschaftlichen Umfeldes dieser jener potenziellen zukünftigen Opfer, das sich darum zu kümmern hat.

Also was habe ich vom Reden und Sagen?

Vielleicht ist es ein Bemühen um Mehrsamkeit, das eben jenen Finger auf das zeigen lässt, was jenseits der Norm geschah.
Jetzt, wo ich das hier schreibe, reicht mir schon die von mir eingebildete geistige Nähe zum Kopf anderer – fremder wie bekannter- Menschen, dass ich mich weniger allein fühle und meine 5 Tränen über dieses kleine Figürchen auf der Leinwand irgendwie besser in mich integrieren kann.
Irgendwie ist es grad mehr okay, überhaupt da zu sein. Am Leben und deshalb auch auf dieser Leinwand.

Und vielleicht ist das ja schon alles, was drüber reden bewirken kann?

~ Teil 2 ~ gemochten Menschen zuhören

Gemögtetext Es dauert nicht mehr lange, dann bin ich eine “Seelenfrau”, wie die Blättchen unter den Rosenblättern es so schön nennen.
Dann werde ich von Berufswegen her Menschen zuhören und hoffentlich auch hilfreich zur Seite stehen können.

Wir haben uns in einer Zeit kennengelernt, als das Zuhören für mich noch ein reines Werkzeug war und ich mein Labor verlassen hatte, um Psychologie zu studieren und dann Psychotherapeutin zu werden. Von Haus aus bin ich Naturwissenschaftlerin und einen linearen Verlauf von Ursache und Wirkung gewohnt.
Und hätte ich die Rosenblatts nicht kennengelernt, hätte mir mein Studium vermittelt, dass dies auch auf die Psyche von Menschen übertragbar ist.

Ich kenne den “Einsmenschen” C. Rosenblatt schon seit fast 6 Jahren, während ich in ihrer inneren Zeitrechnung erst seit 4 Jahren ein Bestandteil ihres Kosmos bin.
Spannend, nicht wahr?
Während ich aus Interesse an der Quantenphysik in Vorlesungen neben meinen Veranstaltungen saß, trieb es Rosenblätterinnens dorthin, um sich satt zu machen. Und das war auch mein erster Eindruck von ihnen: getrieben, aufmerksam, erst durch die geäußerten Worte auffällig. Sie stellten Fragen, die simpel und gleichzeitig Schwachstellen enttarnend waren, um dann schwuppdiwupp- spurlos aus der Vorlesung zu verschwinden.
So vergingen fast 2 Jahre, bis wir uns mal außerhalb dieses Kontextes trafen und mir auffiel, dass sie im Kontakt herumschwamm und versuchte mich einzuordnen.
Ich hatte “die Frontfrau” getroffen und damit die Rosenblattsche Zeitrechnung mit mir begonnen, ohne es zu merken.

Es begann ein halbes Jahr, in dem vor allem sie mir, 2 Mal in der Woche zwischen zwei Veranstaltungen in der Mensa sitzend, zuhörten und selbst verschlossen blieben. Ich wusste praktisch nichts von ihr (und von Ihnen schon gleich gar nichts) und hatte es nicht ein Mal bemerkt. Ob mir das heute noch einmal passieren würde?

Ich hielt mich für aufmerksam und offen. Ich hatte das Gefühl, wir wären einander nah und legitimierte so viele Aussagen und Geschichten von mir, die ich an sie herantrug. Ohne darüber nachzudenken, setzte ich voraus, dass sie Studentin wären, vielleicht bei den Eltern oder allein in einer kleinen Wohnung wohnten; Freunde hätten und vielleicht noch arbeiteten neben dem Studium.
Als ihre Hündin dann das erste Mal stubenrein war und sie es mit fast mütterlichem Stolz erzählten, fiel es mir auf. Wie- was – ein Hund? Wo kam der denn jetzt plötzlich her?
“Jetzt wohnen wir ja nicht mehr in der Stadt, da kann sie sich endlich richtig entspannen…”- Ich fiel aus allen Wolken.

Sie war umgezogen? Wir? Mit wem wohnte sie denn zusammen? Hatte sie einen Freund?
Hatte ich nicht richtig zugehört?

Ich fragte nach. Rückblickend würde ich das genau so nie wieder tun. Von der freudigen Erregung und den blitzenden Augen blieb nach der dritten Nachfrage nichts mehr übrig. Sie bekam Kopfschmerzen und verschwand bis das Semester zu Ende war.
Mich hatte es beschäftigt. Einerseits natürlich, weil ich beleidigt war und andererseits, weil mir ihr Wegbleiben aufzeigte, dass ich nicht einmal ihre Telefonnummer hatte, wusste, wo sie wohnte, wie sie mit Nachnamen hieß. Sogar, dass sie offenbar keine Studentin war. Da hatte ich schon mal einen “Unigeist” getroffen und nicht einmal ordentlich zugehört!

Dass da also “irgendwas im Busche” war, war damit für mich offiziell.
Als das neue Semester begann, trafen wir wieder aufeinander und tauschten die Rollen. Sie klopften ab, wie viel ich über Traumafolgestörungen wusste und wie meine Haltung zu “Kranken” und “Verrückten” war und vieles mehr, das ich gar nicht mehr benennen kann. Sie prüften mich!
Wieder war ich beleidigt. Wir waren doch befreundet!
Erst so nach und nach wurde mir klar, dass das, was ich über (post)traumatischen Stress und die Anpassungsleistungen zu denen Menschen fähig sind, gelernt hatte, erbärmlich wenig war. Und auch, dass ihre eingehende Prüfung meiner Haltung sinnvoll war, denn Schrittchen für Schrittchen erklärten sie mir dort gerade eine Diagnose, die eigentlich nicht umstritten wird, aber als umstritten bezeichnet wird: die “dissoziative Identitätsstörung” oder auch die “multiple Persönlichkeitsstörung”.

Ich hatte in den 90ern “Aufschrei” von Truddi Chase gelesen, aber hängengeblieben war nur “Missbrauch ist schlimm”. Mein Laborantinnenleben war mit Zahlen voll und auch sonst hatte ich keine Berührung mit dem Thema.
Und dann saß mir so jemand gegenüber.

Bei mir klickerte es natürlich langsam und ich verstand Dinge, über die ich vorher nicht einmal wirklich bewusst nachgedacht hatte.

Doch vom Begreifen, war ich noch entfernt.
Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass ich die Rosenblätter schnell verstehen kann, aber immer nur einzelne Sichten, vielleicht auch einzelne Lebensauffassungen und Lebenswelten, wirklich begreife und deshalb noch lange nicht erfasst habe, was “das große Ganze” ist.

Es hat etwas mit meiner Übung im Erfassen von Linien zu tun. Da ist A, also erscheint B. So ähnlich “funktionieren” die Rosenblatts, doch es ist ein Mensch, der dort funktioniert. Es sind Handlungs- und Empfindungsabläufe, die dort Mensch geworden sind und autark auftreten können, völlig am Auslöser oder äußeren Umständen vorbei oder mittenhindurch, um am Ende sofort wieder zu verschwinden.

Ich habe gelernt (und: ich lerne immer noch!), dass ich vieles “sein lassen” muss, was von ihnen kommt und als Teil oder Anteil eines Seins anerkennen muss. Nur, weil ein Rosenblatt sich über Kaffee und Kuchen freut, heißt das (leider leider) nicht, dass sie das alle mögen und sich immer über eine Einladung dazu freuen oder auch überhaupt die Legitimation dazu verspüren oder dies mit ihrer Essstörung vereinen können oder auch überhaupt wissen, “wie man das macht”.
Immer wieder gibt es diese kleinen Fallen und immer wieder muss ich zuhören.
Nicht nur die Worte, sondern auch die Töne und Zwischentöne, die Körpersprache und den Kontext. Alles das redet auch mit mir, wenn sie mit mir reden.

Sie selbst reden nicht einfach so los und worüber sie reden, folgt in der Regel keinem “von A nach B”- Weg. Es ist wie ein Muster aus Mosaiksteinen, das mit etwas (zeitlichem) Abstand ein Muster ergibt und deshalb vom Wahn zu unterscheiden ist.
Wenn sie reden, nehme ich mich inzwischen als eine Zuhörerin wahr, die Steinchen in die Hände gelegt bekommt.

Will ich einem Musterweg von mir aus folgen, muss ich damit rechnen, genau diesem Muster lange nichts hinzugefügt zu bekommen- aber, ohne es zu merken, zig Steinchen um diesen Weg herum. So ist es für mich auch manchmal, als würde ich mich in einem Fotonegativ bewegen und etwas durch Abwesenheit des Subjekts eines Themas verstehen können.

In der Regel bewegen wir uns in der Gegenwart.
Die Rosenblätter haben diesen “Drang nach Leben und Dasein”, wie es eines von ihnen mal ausdrückte. Sie vermeiden ihre Geschichte und reden von sich aus maximal “drüber hinweg”. Manchmal bin ich ihnen dafür dankbar und manchmal frage ich mich, ob das vielleicht anders sein sollte.
Wenn es ihnen sehr schlecht geht, darf ich bei ihnen schlafen oder ihnen nahe sein. Ja, Sie haben richtig gelesen: Ich darf.
Das ist etwas von mir Erkämpftes und nachwievor hart Umstrittenes unter den Blättern.

Wenn sie Albträume haben, Flashbacks sie überrollen, Innens auftauchen, “deren Lebenszeit sich über die Gegenwart schiebt” (das Innen ist nicht orientiert und handelt ganz genau so, als wäre noch “früher”) oder auch sehr junge Innens mit rein vorsprachlichem  Interaktionsmuster, dann nehme ich natürlich ihre Todesangst oder auch die feste Überzeugung in dem Moment sterben zu müssen oder Ähnliches, wahr.
Ich weiß dann nie, ob sie mich als mich (ihre positiv zugewandte Gemögte) wahrnehmen oder als (potenzielle) Täterin. Auch diesen Innens muss ich sehr genau zuhören und versuchen mich in sie hineinzuversetzen, um nicht dafür zu sorgen, dass sie auf einer emotionalen Ebene tatsächlich ein Gefühl des Sterbens (wieder)erleben.

Der Kern des Kampfes um das “dann da sein dürfen” ist nicht nur, dass sie dann etwas von mir fordern (und damit rechnen müssen, dass ich nicht kann oder auch nicht möchte) und sich damit eine Schwäche oder den Wunsch danach eingestehen müssen, sondern auch, dass meine Anwesenheit und auch mein Handeln manchmal sehr hilfreich und auch heilsam ist; manchmal hingegen aber auch nur falsch oder nicht gut wahrgenommen wird.

Mein Leben hielt ganz andere Lebenserfahrungen bereit als die ihren. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt von Menschen auf allen Ebenen gleichzeitig bedroht zu werden und dem ausgeliefert zu sein. Ich kann es nur Bruchstücken verstehen und nur aus ihren Reaktionen in diesen Momenten ableiten, ob mein Handeln oder da sein okay ist oder, ob ich etwas verändern muss.
Manche Dinge tue ich unwillkürlich richtig, zum Beispiel das Stehen schräg neben ihnen oder auch das Vermeiden von direktem Augenkontakt und an manches werde ich durch ihre Reaktionen erinnert. Zum Beispiel zu viele Füllwörter zu benutzen oder “inhaltliche Schleifen zu fahren” (zu viele Beispiele um ein und denselben Vorgang zu illustrieren) oder auch die Optionalität von Körperkontakt zu unterstreichen (als optional- weder zwingend noch “von der Norm legitimiert” etwa beim Hände schütteln oder Umarmen bei Begrüßungen). Es gibt so viele kleine, für mich überhaupt nicht bewusste, Dinge und Aktionsmuster, die sie in einen Stresszustand bringen, in dem sie dissoziieren (müssen), um sich anzupassen.

Anfangs dachte ich noch, dass manche Innens oft da sind, weil sie mich mögen oder das, worüber wir sprachen, das ist, wofür sie “zuständig sind”. Bis wir beide/ alle bemerkten, dass es viel öfter eine reaktive Anpassung ist.

Mein Zuhören basiert auf positivem Gefühlen den Rosenblättern gegenüber und bereits ihrer Reaktion darauf, muss ich immer wieder genau zuhören.
Ist es ein Moment in dem das in Ordnung ist oder dreht jemand in ihnen gerade wieder an der Tonspule derer, die an ihnen zum Täter wurden und verunsichert sie? Ist es eine Zeit in der “normal spielen” dran ist (weil ich gerade durch die Brille von Misstrauen und grundfester Angst, vielleicht aber auch Scham betrachtet werde) oder eine Zeit, in der ich einfach da bin und die Mensch gewordene Schweiz darstelle (weil in ihnen gerade der “Krieg der inneren unvereinigten Staaten” tobt)? Ist es ein Innen, das sich vorsichtig vortastet und für das ich, in dem Moment der Gradmesser für den Rest der ganzen Welt bin?

Der Großteil unserer Gespräche dient der gegenseitigen Ver- Ab- und Zusicherung unserer Positionen und Intensionen in Bezug aufeinander. Nur ein kleiner Teil ist das, was die Rosenblätter so passend “Leben essen” nennen. So sind unsere Treffen und Unternehmungen immer wieder die Eroberung von sicherem Grund und dessen Erkundung.
Ich sehe, wie sie das Leben ohne Gewalt und Überlebensnotwendigkeit in einer scheinbar nie endenden Expedition mit allen Sinnen und immer wieder neu erkunden und mich (und sie fleißigen LeserInnen!) daran teilhaben, ja, mich sogar zu einem Teil dieser Expedition werden lassen.
Sie brauchen mich als aufmerksame Zuhörerin, weil jeder Weg, den man zusammen geht, eine gute Kommunikation erfordert.

Sie haben mich noch nie dazu aufgefordert für sie da zu sein oder genau diese Anstrengungen, die es mich mitunter doch auch kostet, auf mich zu nehmen. Einmal fragte mich mein Mitbewohner, ob mein Mitleid für sie als Opfer von, mir so unfassbar grauenhaft erscheinender, Gewalt, eine Rolle spielen würde. Einige Male unterstellten mir die “FrontgängerInnen” ein “Mamiding” ihnen gegenüber. Ja, sogar ich gehe oft mit mir ins Gericht, ob mein “neben Ihnen her laufen” nur von Mitgefühl und anderen Emotionen getragen ist, die in ihrem früheren Ausgeliefert sein begründet sind.
Natürlich hat es etwas damit zu tun.
Es tut mir leid, dass ihnen so lange niemand zugehört hat.
Es tut mir leid, dass sie heute so leben müssen, wie sie es tun.
Es tut mir leid, dass die TäterInnen bis heute ungeschoren da draußen herumlaufen und weiterhin wehr- und schutzlose Menschen quälen können.
Es tut mir leid, dass ihnen das passiert ist.

Das ist aber nicht alles. “Ich mach das, weil ich das kann!” ist so ein Spruch eines Rosenblättchens und inzwischen ist dies auch mein Antwortspruch. Ich höre zu, weil ich das möchte und, weil ich das Zuhören können lernen möchte. Ich höre Ihnen nicht auch zuletzt zu, weil ich vom Verstehen ins Begreifen kommen möchte.
Deshalb verließ ich meinen früheren Beruf: Ich konnte alle Vorgänge, alle Messwerte verstehen- doch begriffen habe ich nie, was ich dort tue. So will ich nicht durchs Leben gehen. Das Leben ist zu kostbar, um nur zu verstehen und sich etwas anzueignen, das einem vielleicht nicht einmal gehört.

Es ist zum Leben da und die “Gemögschaft” mit den Rosenblättern ist es, die mich darin bestärkt, genau das näher zu erforschen.
Als Gemögte und Begleiterin, die vorsichtshalber noch immer keine Freundin ist.

 

Ende

an einem Morgen

wachsenundwerdenMorgenfrisch, wie es nur im Fernsehen üblich ist, hopst sie die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Strahlt wie Tschernobyl mitten in mein verquollenes Samstagsmorgen”gesicht” und hebt die Brötchentüte hoch.

Wenn ich erst früh morgens eingeschlafen bin, verspüre ich an mir eine gewisse geistige Nähe zu Affen, wenn es dann nur 3 Stunden später unverhofft an meiner Tür klingelt. Also lächle ich auch und starre sie an.
“Tss- ihr habt unser Frühstücksdate vergessen! Nicht schlimm- ich decke, ihr macht euer Morgending und dann gehts los. Husch Husch Husch!”.

So zum Huhn erklärt, evolutionieren wir uns in Richtung Mensch.

In der Küche klappert und rumpelt es.
“Ihr habt ja gar nichts da.” sagt sie, als ich, inzwischen im Stadium “Zombie”, in Richtung Kaffeemaschine wanke.
“Meinst du “Ihr habt ja ganz viel Nichts da” oder “nichts nichts”? Was willst du denn?”, frage ich zurück und schaue in den Kühlschrank. “Na das Übliche”, setzt sie an. “Butter, Aufschnitt, Marmelade…”. 

Langsam fällt mir ein, wieso ich das Date “vergessen” habe. Ich drücke ihr den Rest Butter vom Kekse backen in die Hand und stelle die Honigreste von Rosh Hashana auf den Tisch. Lege schweren Herzens noch die Käsescheiben für NakNak* dazu. Mein Affenlächeln wiegt jetzt doch schwer auf dem, was Gesicht zu sein versucht.
”Na? Das ist doch was. Schlachtplatte ist heute leider aus.”.

Sie setzt sich auf die Küchenbank und legt los.
Ich streichle NakNak* in den Schlaf und versuche mich daran zu erinnern, ob ich die Kaffeemaschine schon mal entkalkt habe oder nicht. Eigentlich finde ich dieses Röcheln ja gemütlich.
“Willst du NICHTS?!” sie nickt mit dem Kinn in Richtung Königinnenmahl.
“Ich bin noch nicht mal Mensch!”, grunze ich und verdünne meine Kaffeemilch.

Zum Glück ist seit unserem letzten Treffen viel passiert. Wir sprechen über die letzte Phönix-AG und unsere Reise nach Göttingen dazu. Sind uns einig, dass es viel über Privilegien und Frauenverständnis sagt, wenn es ein Kussverbot für Mädchenstatuen gibt.
Voller Stolz wird die Jugendherbergsbuchung für
die Tagung “Wir sind Viele” in Mainz gezeigt. Das haben wir wirklich noch nie gemacht. Irgendwo zwei Nächte fremdschlafen und schon gar nicht selbst bezahlt zu so einer Tagung gehen.

Ich merke, wie gut es tut, diese ganzen Erwachsenensachen auch Erwachsenensachen zu nennen und als Akt gewürdigt zu sehen. Als genau der Entwicklungsschritt, der es ist- parallel zu allem, was sowohl in der Therapiezeit selbst, als auch danach alles kreuz und quer schießt und genauso zehrend ist. Sie gratuliert dem Innen zu seiner Heldinnentat und versichert, dass ihr auch schon solche Fehler dabei unterlaufen sind.

“Das ist viel Emanzipatorisches” murmelt sie mit einer Hamsterbacke voll Käsebrötchen.
“Ja haaa, auf der Ebene irgendwie schon. Es macht mich wahnsinnig, dass ich das nicht auch auf andere Bereiche übertragen kann. Ich meine, hallo! fremde Stadt, alleine, schwere Themen und ich bin ganz sicher, dass wir das packen werden. Aber dann in der Therapie sitzen, einmal kurz in eine andere Richtung denken und puff bin ich weghoudinisiert und
BÄM BÄM BÄM für den Rest der Woche als Dauerschleife aus der Drecksecke und Mimimibabyblablaschmauchätzscheiß in der anderen. Geilo. Nicht.”.

Sie nickt und füttert NakNak* mit runtergefallenen Nusskernen.
“Ihr seid Viele.”, sie atmet ein, streckt sich, verteilt ihre ganze Pracht auf unserer Küchenbank und seufzt.

“Das ist eine Erklärung, ja. Aber nichts, was mir da jetzt grad hilft. Ich muss das aushalten, dran lang wachsen und ach keine Ahnung.”. Ich versenke meine Ungeduldslaute im dritten Kaffee. Merke, wie ich es leid bin, nicht darüber auszurasten. Denke zum x-ten Mal den Gedanken, die ganze Therapie zu lassen und einfach nur meine Sachen zu Ende zu bringen und dann erst wieder irgendwas zu fühlen oder anders zu denken als sonst.

Wir schwenken auf das Thema “NakNak* ist läufig”. Lästern auf Hundewiesenniveau. Auch sehr erwachsen.

Als wir uns von Mensch zu Mensch verabschieden, denke ich, dass ich froh bin, dass meine Gemögte mich auch ungeduldig und Hufe scharrend diesem Therapiezeug gegenüber annimmt. Dass sie nicht noch großartig aufs Essen drängelte, die ganzen Ausläufer der inneren Zeitverschiebungen in unserer Wohnung unkommentiert ließ und von ihrem Erwachsenwerden erzählte.  Damals ™ .
So sehr ich das auch hasse, wenn sie von sich sagt, dass sie sich uns gegenüber manchmal wie eine soziale Mutter fühlt- manchmal, so wie heute morgen, ist es so. Und dann ist es auch okay.
Nicht nur für mich, sondern auch für andere Innens, die das so noch nie erfahren haben und von der biologischen Mutterfrau auch nie erfahren werden.

Vielleicht gehört das irgendwie auch mit dazu.
Zu diesem beschissenen “aus Kackscheiß rauswachsen” und Werden.

Fieberthesen

früchtedings

“Gebt mir die Macht, Fieber zu erzeugen, und ich heile euch alle Krankheiten!”
~ Parmenides von Elea, 540- 480 v. Chr.

1927 wurde der Nobelpreis für Medizin an den Psychiater Julius Wagner von Jauregg aus Wien verliehen. Grund dafür war die Entdeckung, dass Fieber positiv auf Depressionen einwirkt.
Etwa zeitgleich entdeckte der New Yorker Internist William Coley, dass manche Tumorerkrankungen zu heilen sind, wenn der Körper mit Fieber auf eine Kleinstmenge abgetöteter Bakterien reagiert.

Ich bin krank. So richtig schön mit sterbend fühlen, Lindenblütentee lecker finden und so.
Das war ich lange nicht mehr.
Um genau zu sein, hatte ich meinen letzten grippalen Infekt vor.. äh.. 4 Jahren? Oder waren es 5?
Und in den letzten Wochen, hoffte ich wirklich darauf, endlich richtig krank zu werden.

Ich habe eine Theorie und will bzw.. kann sie bereits jetzt in Teilen, anhand dieses Infektes überprüfen.

Grundlage für diese Theorie ist Mustererkennung.
Immer, wenn wir einen Schritt von den Tätern und ihrem System weg machen, knallt bei uns etwas durch und eine relativ gleiche Abfolge von Überzeugungen und Gedanken, Handlungszwängen und eben einer richtig fetten Sinnkrise paart sich mit einer allgemeinen Depression.
Im letzten halben Jahr bewegten wir uns weiter, öffneten uns weiter und machten neue Erfahrungen. Da ging es neben vielen neuen Handlungen auch um viele neue Empfindungen und Herangehensweisen bei Lösungsfindung bzw. Problemlösung. Und es ging/ geht um Bindungen.

Der Fakt, dass ich jetzt mit 39°C eigentlich lieber im Bett rumkullern und den Rotz in meinen Nebenhöhlen balancieren möchte, bestätigt mir schon mal Teil 1:
Die Möglichkeit in aller Ruhe krank werden zu dürfen.
Das ist zum Einen sehr gruselig, weil es bedeutet, dass wir uns auf unsere Menschen eingelassen haben. Oder ein Großteil. Oder genug Teil, um eben krank werden zu können.
Zum Anderen ist es aber gut, denn es markiert ein Abflauen von Misstrauen und dem Modus von: “Jetzt bloß keine Schwäche zeigen/ nicht schwach werden.”.

Ich weiß, dass ich meine letzte Erkältung irgendwann vor dem Unfalltod des Welpen, den wir ansehen mussten und irgendwann nach einer Heldinnentat unserer Gemögten hatten. Also irgendwann dann, als wir uns das letzte Mal sicher gebunden und selbstwirksam erlebt hatten.

Natürlich hatte ich zwischenzeitlich auch schon Fieber- ich habe nach jeder Therapiestunde welches.
Meine These sagt aber, dass es sich dabei nicht um ein Viren/Bakterienabtöt- und fressfieber handelt. Vielleicht bilde ich mir das ein- bitte- aber ich stelle mir das immer so vor, dass manche Kackscheiße Nervennetzwerke bildet und mein Posttherapiefieber genau daran herumnagt.

Laut TäterInnenentfernungsmuster kommt nach: Schmerzen, die mich niederstrecken (immerhin- zweiter Durchlauf und ich bin halbwegs mobil geblieben- beim ersten Mal kam ich nicht mal von Bett hoch) und Erinnerungsüberschwemmung (das ist diesmal krasser- ich bin aber heute Benzoclean- also vielleicht kommts mir nur deshalb krasser vor), das dringende Gefühl nur einem bestimmten Menschen glauben zu dürfen. (In derTäter?- Kontakt!- Reihe hatten wir schon darüber geschrieben)
Da ich keinen Kontakt mehr zu dem Menschen habe, gibts nichts, was er mir direkt zum Glauben sagen könnte. Und das ist ein im Moment sehr geiler Fakt, weils beim Enttarnen hilft. Alles was mir grad durch den Kopf kommt, kann nicht von diesem Menschen kommen und ist im Moment zumindest absehbar überprüfbar.

Meine Menschen kümmern sich und halten ihr Wort. Zum Beispiel meine Therapeutin, die heute morgen anrief; meine Rechtsanwältin die gestern Abend anrief und meine Gemögte, die uns jetzt grad mal in Ruhe lässt, wie besprochen. Direkt Reden kann ich zwar nicht mit ihnen- ich weiß aber, dass ichs auch nicht muss, um mich auszudrücken.
Sie sind alle greifbar- wie das gebundene Menschen halt so sind. Damit kriege ich den Großteil dunkelbunter Kopfbereichswahrheiten widerlegt
Wie biegsam die Definitionen um Werte sind, hab ich in den letzten Jahren auch oft genug erlebt. Also an der Stelle der Faktor: Ich bin nicht mehr 21 und hab inzwischen mal mehr erlebt als Kackscheiße classic, Kackscheiße Klinikstyle und Kackscheiße (Heim)Betreuungsverschiebung und alles andere um mich herum- hier und jetzt gerade- hab ich selbst gemacht. Es ist sicher, weil ich mir dabei schon auch immer was gedacht habe.

Kann sein, dass ich hier grad nur fiebrigen Wahn niederschreibe- aber der Rest meiner These baut darauf, dass ich mich mit steigendem körperlichen Wohlbefinden nach dem Infekt, auch seelisch besser fühle.
Im Moment ist es angenehm, dass das Gefühl von langsamen Sterben irgendwie auch mit dem körperlichen Schwächeding kongruiert. Ich muss nicht dagegen ankämpfen, sondern kann mich hinlegen und mir sagen: “Jupp, ist wie Sterben- das ist Fieber immer. Kein Grund Angst zu haben. Das geht vorbei…”. Fieber kennen viele (genug) von uns um auch in der Hinsicht zu wissen: “Das geht vorbei.” wogegen das (angebliche) Sterben bei Täterentfernung endlos ist und genau deshalb so schrecklich.

So.
Sie entschuldigen mich- ich muss mit dem Hund ums Eck und dann ein paar Infekterreger(Innen lol) töten.

P.S. Was ich in meiner These hab, hab ich vergessen aufzuschreiben- wieso hab ich eigentlich ne Kommentarfunktion, wenn ihr* so ne logischen Fehler für euch behaltet? Es geht mir drum zu überprüfen, ob wir die Spaltung, die uns damals im/ nach/ durch den ersten Durchlauf passiert ist, diesmal wiederholen, oder ob die Faktoren, die wir inzwischen angesammelt haben (siehe Lebenserfahrung, Therapieerfolge, aktuelle Beziehungen und auch das Kranksein jetzt) eine Wiederholung dessen verhindern.
Immerhin dokumentiere ich den ganzen Kram ja jetzt- das hab ich damals nicht gekonnt. Ich hatte nicht mal Worte im Kopf- geschweige denn die Kapazität mich zu reflektieren, wie jetzt.
Jetzt bin ich zwar ähnlich spracheingeschränkt- ich hab noch kein Wort rausgekriegt heute- aber ich bin nicht artikulationslos.
Das ist zwar kein hochtrabender Dingsdakrempel, aber ich bin bewusst. Das find ich schon mal wetvoll und wichtig- hat mir damals extrem gefehlt und fehlt mir ob einer Gesamtkontextuierung auch heute noch. Aber wenn ichs aufschreib, komme ich vielleicht irgendwann dahinter.