alles können

Am nächsten Morgen ging es mir anders. Weder besser noch schlechter, anders. Manchmal überrascht mich das. Obwohl ich weiß, dass die Dissoziation mir das Empfinden in „gut“ oder „schlecht“ selten wirklich eindeutig ermöglicht. Ich hantiere also ständig mit Adjektiven, die richtiger sind. An dem Morgen fühlte ich mich weniger ausgeliefert. Weniger hilflos und unfähig. Und gleichzeitig dumpf. Leer. Wattig. Wie ich selbst, Hannah, doch auch nur wie ich selbst.
Ich wachte auf, ging meinen Tagesplan durch und arbeitete ihn ab. Keine persönlichen Gedanken, keine definierbaren Gefühle. Am Abend Training. Deutliches Asthma, aber keine Erstickungsangst. Einen Sturz kaum gespürt. Die Verbindung zum Körper, weiter gekappt. Das wohlige Gefühl nach dem Duschen, nicht vorhanden.
Der Kontakt zu meinem Mann diffus, aber eindeutig liebevoll.

Tags zuvor hatten wir uns gestritten. Schlimm.
Er war zu Recht wütend über etwas, das ich gemacht habe. Und zu Recht verwirrt darüber, dass ich es überhaupt gemacht hatte. Ich bestätigte ihn darin. Hatte kein Interesse daran, mich zu entschuldigen. Mir war wichtiger, dass er etwas sieht, was ich von ferngehalten habe. Was – ja, nein, wirklich überhaupt nicht logisch ist.
Manchmal habe ich diese merkwürdigen Verquerungen einfach und komme damit nicht raus. Was ich gesehen haben will, zeige ich dann manchmal in meinen Entscheidungen. Ich lasse es wirklich drauf ankommen, übergehe dabei auch Grenzen. So weit bis es keinen Weg mehr am Streit.Gespräch vorbei gibt.
Meistens liegt es daran, dass ich das Gespräch nicht anders anstoßen kann. Manchmal aber auch daran, dass ich selbst lange nicht merke, dass ich mich ungesehen fühle oder dass ich über etwas reden sollte oder könnte oder dürfte. Es gibt Phasen, in denen ich mir tatsächlich nicht sehr bewusst darüber bin, dass alles sagbar ist. Dass ich das kann. Und darf. Und manchmal auch muss.

In den Tagen vor unserem Streit hatte ich viel Wut kompensiert. Eiskalte Feuerwut. Extrem zerstörerisch. Viele meiner unkommunizierten Grenzen wurden übertreten. Menschen haben Erwartungen an mich formuliert, denen ich mich nicht gewachsen fühle. Ein langjähriger Kontakt steht als Freundschaft da, fühlt sich aber wie eine Verpflichtung ohne Gewinn an. Ich war in Berlin, der Stadt, in der ich immer mit Gestank und Lärm empfangen werde und immer arbeite. Nie einfach nur Spaß oder Selbsterfahrung habe. Ich habe nie eine Lücke nur für mich. Außer im Zug zurück. Wo ich merke, wie tief sich Schlaf- und Raummangel auf mich auswirken. Wie allein ich bin. Wie oberflächlich, unkonkret, verwirrend und überanstrengend die Kontakte waren.
Zu Hause angekommen, war ich wütend auf mich, weil ich die Reise trotzdem gemacht habe. Ich weiß, dass Veranstaltungen zu viel für mich sind. Ich weiß, dass Berlin stinkt und immer laut ist. Allein mein Wunsch für andere da zu sein, verbindlich zu sein, zu meinem Handeln zu stehen und bestimmte Dinge auch konkret zu vertreten – direkt im eins zu eins Kontakt, ist der Antrieb. Da bin ich nicht wichtig. Die anderen Leute und die (gemeinsame) Sache sind wichtig.

Dann war ich wütend, weil mich natürlich keine aufgeräumte, saubere eigene Wohnung empfing, sondern mein übliches Abreisechaos. Meine halbvolle Sporttasche neben dem lose hingelegten Schwimmbeutel, neben dem leeren Wasserkasten, neben der toten Wurmkiste und dem Verpackungsmüll von einem Jahr Verlagsarbeit. Ein Schreibtisch, dem man die drei Jobs und 2 Ehrenämter deutlich ansieht. Eine Leseecke mit einem inzwischen unschaffbaren Stapel. Ein Kühlschrank, der kaum deutlicher nach Essstörung aussehen kann. Ein Badezimmer, das in jeder Ecke „Kinderwunsch“ wispert.
Ich stand mittendrin und spürte wieder diese Wut auf mich, weil ich nicht alles gleichzeitig schaffe. Weil ich so viel zu wenig für alles das bin. Weil keiner kommt. Niemand hilft. Ich das alles alleine hinkriegen muss. Und es nicht kann.

Dann schaltete ich mich um. Ich selbst in der Eisenhaut von K.. Pragmatismus pur. Aufräumen, saubermachen, Listen schreiben. Die Listen abarbeiten. Nicht denken, nicht fühlen, nichts hinterfragen oder prüfen. Einfach tun, was nötig ist. Und wenn jemand was dagegen hat, kann er oder sie sich die Klatsche ja abholen. Mich würde es nicht treffen, würde mir jemand sagen, wie enttäuscht sie_r von mir wäre.

Mein Mann sagte nicht, dass er von mir enttäuscht sei. Er sagte, dass er scheiße fand, was ich gemacht habe. Und dann habe ich ihm endlich gesagt, was ich von ihm scheiße fand.
Unsere Streits sind immer gut. Wir reden dann viel und lernen einander immer besser kennen. Am Ende fühle ich mich immer sicherer mit ihm. Diesmal sogar genug, um vor ihm, an ihm dran, zu weinen, ohne darauf zu achten, wie lange oder wie berechtigt.

Einerseits ist das Wachstum und gut.
Andererseits ist das Wachstum und ein Problem.
Denn Wachstum geht mit veränderten Grenzen einher. Wieder etwas, was ich prozessieren muss. Wieder etwas, das ich kommunizieren muss.

Und eigentlich nicht will.
Ich will einfach keine Grenzen haben.
Ich will alles können.

als sich einmal Parallelen verbanden…

P6190068“Seit in mir alles durcheinander brüllt und weint und schreit und krampft und zappelt, gehts mir so gut, wie lange nicht. “, dachte ich heute morgennacht, als ich auf meine Betäubung wartend im Bett lag und dem Hund beim Atmen zuhörte.

Ich denke, “Ich muss doch mal wieder was ins Blog schreiben.” Und dann: “Ja was soll ich denn da rein schreiben?
Die lesen doch eh, was sie lesen wollen oder können oder dürfen oder müssen, what ever.
Darf ich da reinschreiben, dass ich meinen Selbsthass gerade gut finde und einfach gar nichts anderes machen will? Oder kommt dann ein großer Zeigefinger aus meinem Bildschirm und schimpft mich “Du du du- das geht aber nicht, das ist gar nicht positiv und heilsam!”?”.

Ich hab auch über diese “das Böse in mir”- Geschichte nachgedacht und gemerkt, dass sie die “falschen” Leute gefragt haben. Und, dass es in dieser Frage niemand “richtigen” gibt.
Was auch immer DAS DA innen ist, es kann nur sein, was die Menschen und Mächte zu sein haben wollen oder müssen oder brauchen oder what ever.

Mit uns und mir hat das aber nichts zu tun. Es ist schlicht nicht die Wahrheit, weil es so etwas wie Wahrheit und Wahrhaftigkeit nur auf klitzekleinen subjektiven Inselparadiesen des Bewussten geben kann.
Ich weiß gar nicht, wie sie und wir und alles im Innen darauf gekommen sind, diesem Wahrheitending hinterher zu hechten. Das war nie unser Kurs und es war und ist immer klar, dass Wahrheiten keinen so großen Einfluss auf das Leiden an oder mit oder unter etwas oder jemanden haben, dass es sich für uns lohnt, dem im Hoffen auf Entlastung nachzukommen.

Ich weiß, was mich entlastet und das ist akut sehr hilfreich.
Ich denke mir, dass Köpfe geschüttelt oder Hände über eben jenen zusammengeschlagen werden, wenn man von den superdupermegaweiten und ja schon fast fertigen Rosenblättern liest, dass sie sich gerade nicht mit Skills oder anderen positiven Ressourcen helfen, sondern damit, einfach gar nichts mehr davon zu machen, was ihnen andere Leute irgendwann mal beigebracht haben.
Das ist als würde ich Zähmung loszuwerden versuchen und ich fühle mich gerade sehr gut damit.

Ich habe den nächsten Therapietermin abgesagt – das heißt wir müssen da erst in 3 Wochen wieder hin bzw. nö – eigentlich ist erst 3 Wochen wieder ein Termin vereinbart. Müssen muss ich und müssen wir gar nichts. Ich will mir überlegen, was wir da eigentlich machen und wozu. Ob das überhaupt noch unser Kurs ist oder zu einem wurde der uns nicht gut tut.
Wir haben in den letzten Monaten so viel angefasst und durchgeschüttelt, aber Zeit zum Verarbeiten und Sortieren war nicht genug und ich denke, dass da irgendwas schief ist, wenn die Frontgängerin, die eigentlich NIE irgendwas merkt, mehrfach sagt: “Ich bin müde, ich bin kraftlos blablabla…” und man dann doch in der nächsten Stunde wieder etwas Heißes anpackt, weil das Gespräch einfach irgendwie so verläuft.
Ich mag diese Therapie sowieso auch nicht. Ich war schon von Anfang an dagegen mich fragen zu lassen “Wer sind sie? Mit wem spreche ich?”, zu Gunsten von Gefühlen von Kontrolle und damit Macht über die Situation und irgendwie auch mich als eine Uns, nur damit man am Ende irgendwas Fremdes zu denken bekommt und das in sich selbst finden soll, obwohls vielleicht gar nicht da ist und auch nie war.

Ich hab keinen Bedarf an Labeln von außen für das, was uns hat viele werden lassen. Mich interessiert nicht, was eine Gesellschaft zu etwas sagt, das sie, wie es ihr beliebt “Gewalt” nennt oder “Notwendigkeit”. Mich kotzt die Verlogenheit dieser unserer Umgebung in Bezug auf Verletzung, Demütigung und Unterdrückung schon an, aber richtig schmerzlich und unaushaltbar wird sie, wenn sie unreflektiert bei uns landet und dann Teil einer Norm wird, die, wenn sie als solche in anderen Kontexten benannt wird, abgelehnt werden würde.
Zum Beispiel wenn ich eine Email schreibe, dass ich den Therapietermin absagen will und die Therapeutin erst einmal schreibt, sie würde den Termin verbindlich gelten lassen. Was soll das denn? Wenn ich beim Zahnarzt einen Termin absage, sagt auch niemand: “Nee, sie kommen gefälligst her, because Termin ist Termin”.

Es interessiert mich nicht, was da für Intensionen hinterstehen. Es interessiert mich nicht, in wie vielen anderen Fällen so eine Rückfrage SCHON LEBEN GERETTET hat. Mein Leben ist nicht mehr bedroht als sonst. Überraschung- es ist in echt immer gleich scheiße, gleich belastet, gleich schwierig, gleich kompliziert, gleich nicht nachvollziehbar.
Ich glaube, für manch eine Person ist es wirklich eine Überraschung, wenn sich herausstellt, dass wir ein Mensch sind und dann auch noch einer, dem es beschissen geht, auch wenn Twitter, Facebook und diverse andere Spuren des Wirkens das gar nicht vermuten lassen.
Dann ist es plötzlich ganz verwunderlich, wie schnell man die Stigmatisierung von Krankheit und Behinderungen aufgrund psychischer Faktoren überwunden hat, als die gegenseitige Ähnlichkeit sichtbar und bewusst wurde.

Und plötzlich ist es peinlich, dass man Sätze wie “Es geht mir nicht gut” oder “Ich brauche eine Pause” oder “Ich muss langsam machen” irgendwie immer hat untergehen lassen, wie Sahne in heißem Kakao.
Es ist peinlich- nicht schmerzhaft, nicht überfordernd, nicht enttäuschend wie für mich und uns.

Und dann sollen alle Seiten machen, dass es wieder ins Lot kommt, obwohl es nur um eine Seite geht.
Es hat nichts mit uns zu tun, wenn andere Menschen uns nicht auf die Art zuhören, wie man jemandem zuhört, der gerade Bedürfnisse äußert oder Schwierigkeiten schildert oder Anteil an den Kämpfen in seinem ganz realen, ganz greifbar auch schmerzvollem Leben gibt.

Alles, was wir sagen können ist das, was wir schon seit Monaten sagen: Wir trauern, wir sind ungerächt, wir sind überarbeitet und froh um jeden Tag an dem sich etwas, was auch immer, erfühlen lässt, am Leben zu bleiben.
Für jetzt ist es ein Herbstcomic jeden Tag und ein Vortrag, der hoffentlich anderen Menschen hilft, in 3 Wochen.
Und eben nicht: ein Seelenarbeits-  Seelenoptimierungs-  Seelenseziertermin nächste Woche, der wieder neu in Frage stellt, was man gerade noch irgendwie in den Händen hatte. Und eben auch nicht: das Blog, in das so viel Arbeit, Zeit und Herzblut fließt und doch nicht das ist, was hilft, wenn es mir und uns so geht, wie es uns gerade geht.

Scheiße, die sind nett zu mir!

oder: “Wie viel Dissens verträgt der Konsens?”

Dass “Freiwilligkeit” kein Synonym für “Konsens” ist, ist für mich Fakt, weil ich persönlich das Konzept des freien Willens ablehne. Freiheit gibt es nur dort, wo nichts ist (Abwesenheit von Machtdynamik und damit Machtungleichgewicht = Abwesenheit von Gewalt = alle und alles ist gleich (ohn/mächtig) – wir* aber leben in einem Land, dass von mindestens Staatsgewalt dominiert und normiert ist, welche wiederum patriarchaler (Norm)Gewalt entsprungen ist. Also keineswegs in einem gewalt(en)freien Raum.

So bedeutet Konsens für mich ein Konzept, das bestehende Machten (Gewalten) anerkennt und eine beider/allerseits gleich be/er/entmachtende Positionierung ermöglicht und damit arbeitet.
Die Grundlage für Konsens ist neben Anerkennung von Unter- und Überlegenheiten, auch das Anerkennen, das Unter- wie Überlegenheit mit spezifischen Anpassungs- und Reaktionsmustern, Habitus, körperlichen, kognitiven und psychischen Befähigungen (aber auch ihrem Fehlen) und einem individuellem (Un-) Bewusstsein für eigene Präferenzen einhergeht.

Mein Tweet “Ich bin aufgewacht und der erste Mensch, der mich anschaut, lächelt. Vielleicht schlaf ich noch? <3”, ist für mich entsprechend sehr groß, da er mir selbst viel reflektiert:

– ich habe es geschafft unter Menschen zu schlafen
– ich habe es ausgehalten, dass mich ein Mensch anschaut, so dass ich merken konnte, dass er mich anlächelt
– ich konnte mir bewusst werden, dass sich das für mich angenehm und unwirklich neu anfühlte

Doch was stelle ich mit dieser Erkenntnis an?
Es ist das Eine zu spüren, das Freundlichkeit wenig mehr, als den Wunsch nach Harmonie und das Privileg der Gemeinschaft, die in Harmonie miteinander sein möchte, braucht, das Andere ist, in sich selbst genau das als neue Option, neue und fremde Interaktionsgrundlage zu empfinden.

Als ich die erste Nacht in der Hütte lag und versuchte meinen Körper auszuruhen, erkannte ich, dass ich den Trigger unterschätzt hatte, den es für mich bedeutet, wenn sich Nachts die Tür zu dem Raum öffnet, in dem ich schlafe.
Mein Denken und Fühlen passte sich an, schrumpfte, wurde weich, waberte wie Morgennebel ganz dicht neben meinem Gesicht.

Um mich herum wuselte es sachte. Einzelnes Lachen, gedämpfte Stimmen und das Rauschen des Waldes rahmten den Campkontext ein und allein mein Erinnern bildete für sich einen Dissens in all dem.
Diese Scheiße gehört in der Form nicht in eine Gruppe in der Diskriminierungen und andere Gewalten benannt und beendet werden wollen. Dieser rostige Nagel, den mir mein Kopf immer wieder neu in meine eiternden Wunden reintreibt, passt einfach nicht. Für mich. Als Fakt.

Mir wurde einmal mehr bewusst, wie viel von der Gewalt, die ich er- mit- ge- lebt habe, in mir selbst verankert ist und nicht durch den Konsens einer Ablehnung oder den Wunsch zur Veränderung verschwindet.
Auch in meinem Workshop wurde es kurz zum Thema, als ich sagte, dass man ein Trauma- ich möchte es ab sofort lieber “eine Erfahrungsverwundung” nennen – nicht “überwinden” kann. Wunden, Verletzungen, Schmerzen, die über physische Versehrungen hinausgehen, sind nichts, was man Kraft seiner geistigen Entscheidung oder Haltung allein “hinter sich lassen“ kann.
Wunden sind Löcher, Täler, die man durchschreiten oder mühsam umgehen muss.
So erlebe ich das jedenfalls. Was man überwinden kann – wo die Berge und Huckel zum überwinden und beklettern sind- sind meiner Meinung nach die Art Ängste, die erneute Ängste vor Verletzung, Ausbeutung und Verrat anhäufen.

Ich kann nicht in Gruppen sein, in denen meine Position heißt “Mach mal einfach- das wird schon alles passend sein.”. Gesagt mit Lächeln, ist es der Overload.
Dann muss ich sowas denken wie: “Vielleicht schlaf ich noch? <3”. Als Übersprungshandlung, weil Overload. Wohin mit all meiner Okayheit? Wie lange gilt mein Okaysein, als okay? Wie viel Nichtokaysein von mir wird geflissentlich übersprungen, kompensiert oder hobelt sich im Lauf der Zeit zu einem Huckel im Okaysein ab? Woran werde ich merken, wenn ich nicht mehr okay bin und mein Verhalten allen Konsens auf die Grundfesten reduziert und zu Gunsten einer Wunschvorstellung zwangsweise immer wieder neu belebt wird, wenn nicht durch Gewalt? Das ist doch woran ich immer und überall all mein Nichtokaysein merke! Absolut verlässlich und auf allen Ebenen.

Ich hätte es nicht ausgehalten, dort zu sein, wenn ich nicht den Workshop/Vortrag gemacht hätte. Ich brauchte meine innere Positionierung innerhalb einer Verwertungsgewaltendynamik (die nur vor mir selbst und einem nicht vorhandenen äußeren Beobachter von Belang und Bestand war!) um mir das Mehrsamsein in dieser großartigen neuen Form erlauben zu können.
Ich hätte nicht den Mut gehabt, nicht die innere Erlaubnis der Annahme zu vertrauen, dass sich jede/r* gut und hilfreich für die Gemeinschaft einbringen kann. Der Mut zur Überprüfung wäre nicht da gewesen.

Wieviel meiner Gewalt(en)sozialisierung ist umlernbar umerfahrbar überschreibbar durch Erfahrungen in konsensualen Miteinanders?
Ich reproduziere doch für mich selbst Gewalten bzw. Machtungleichgewichte, um mir diese Erfahrungen zu erlauben- sind sie dann noch purer Konsens oder eher das, was von meinem Eitersumpf übrig bleibt?

von Leidvergleichen und Alltagsgewalt

473731_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.deDer Punkt an dem ein therapeutisches Gespräch bei mir am meisten reinhaut ist der, wenn mir das Gegenüber so Dinge sagt wie: „Das war ganz schön schlimm für Sie, nicht wahr?“ oder: „Oh weh, das war sicher schmerzhaft…“

Puff! Wird mir mein Leiden unter einer Situation bewusst und/ oder bestätigt von jemandem, der nicht selbst dabei gewesen ist, sondern nur von mir davon erfahren hat. Und wie durch ein Wunder, fühle ich mich dann auf einer Ebene besser, als vorher.
So einfach geht das.

Wenn ich in Kliniken war, habe ich manches Mal gedacht, dass meine Mitmenschen, die dort ebenfalls zur Therapie waren, allesamt aus vollem Halse schreien würden, wären sie noch Babys oder Kleinkinder bzw. wäre dieser Ausdruck seiner Not für Erwachsene gesellschaftlich anerkannt, um genau diese Annahme und Bestätigung zu erfahren.
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Als erwachsene Gewaltüberlebende schreien sie auf viele andere Arten ihre Not heraus. Zum Beispiel in dem sie nicht mehr essen, sich Verletzungen zufügen, ihren Körper zum Sprachrohr machen (somatisieren) und so weiter.

Egal, was ihnen passiert ist, egal was für einen innerseelischen Konflikt sie da gerade mit sich ausfechten- sie leiden und es geht ihnen schlecht. Das anzuerkennen ist für mich selbstverständlich. Zum Einen, weil es nicht um mich dabei geht und zum Anderen, weil ich das Geschrei nur schwer ertragen kann und weiß, wie viel einfacher alles ist, wenn man dem Anderen schlicht seine Gefühle und Gedanken anerkennt und lässt, ohne sie auf sich zu beziehen (und damit: seine Gefühle mit meinen zu vermischen) und zu bewerten anhand meiner Schlimmskala.
Das ist meine Art des Selbstschutzes und auch der Versuch Gewalt in einer ihrer Maskeraden nicht weiter zu tragen.

Wenn ich in einer Klinik bin, rede ich nicht über meine Probleme und Diagnosen mit anderen Mitpatienten, sondern ausschließlich mit meinen BehandlerInnen. Ich bin diese Vergleicherei und Bewerterei einfach leid und habe für mich eine relativ gnadenlose Schiene entwickelt: Ich komme, mache und gehe wieder weg. Keine Patientenkontakte außerhalb der Angebote und nicht mehr Zeit als nötig in diesem Setting.

Kliniken sind Brutstätten für Leidvergleiche, weil es nur allzu oft, um die extrem begrenzte Ressource der Aufmerksamkeit und Bestätigung geht. Ich lasse mich von niemandem dazu missbrauchen sich besser oder schlechter zu fühlen, weil er an meinen Gefühlen oder meiner Geschichte seine Position zu sich und seinen Gefühlen und seiner Geschichte finden will.
Es gibt Menschen, die genau für die Arbeit der Hilfe zur Selbstpositionierung und Sortierung bezahlt werden: die Psychotherapeuten!

Damit sich Muster wie das einer Somatisierungsstörung oder einer Essstörung oder was auch immer entwickelt, braucht es jede Menge Nichtbeachtung, Relativierung, den Verlust der Berechtigung zur eigenen Wahrnehmung, Konflikte jeder Art- unterm Strich: Alltagsgewalt. Die fiesen kleinen Internalisierungen und Weitertragereien von Erniedrigung und Demütigung, die wir hier und da einfach mal so aufgenommen und in anderen Kanälen wieder heraus gelassen (in jemand anderen wieder hineingegeben) haben genauso, wie die großen Schicksalsschläge, die einfach so mal über einen kommen.

Es ist mir egal, warum und wieso jemand Symptom XY entwickelt hat, weil ich für mich klar habe, dass niemand unter seinem Anpassungsmuster bzw. seiner Überlebensstrategie krankt, weil er Geschichte AB erlebte oder Charaktertypus CD ist; sondern,weil genau dieses Muster bzw. diese Strategie plötzlich (oder auch schleichend) dysfunktional geworden ist. Entweder, weil sie nicht mehr gebraucht wird oder, weil sie allein nicht mehr ausreicht, um eine Balance für Alltagsfunktionalität zu halten.

Ich habe das schon einmal hier im Blog erwähnt: Ich leide nicht und habe nie darunter gelitten „Viele zu sein“- ich habe darunter gelitten, es plötzlich zu spüren bzw. plötzlich zu erfahren, warum mein Gehirn so vieles nicht assoziieren kann um ein kohärentes Selbst(bild) für mich zu ermöglichen.

Ich finde Leidvergleiche missbräuchlich, weil ich mich als Maßstab missbraucht fühle. Und im Zuge dessen sogar richtig misshandelt.
Das Wort Missbrauch enthält „brauch“ und deutet so eine Notwendigkeit- ein „etwas zu Brauchen“ an. Dies ist im Hinblick auf diese Art Missbrauch als Maßstab für andere Menschen meines Erachtens sehr passend, weil meiner Meinung nach, hinter diesem Verhalten eine Notwendigkeit- ein nötiges „etwas brauchen“ steht. Einfach so macht das niemand! Es wird für mein Gefühl danach geschrien eine Erlaubnis für seine Not zu haben. Eine Berechtigung generiert, sich um sich selbst zu kümmern.

Diese Erlaubnis kommt aber nicht dadurch zu Stande, dass ich mich als Maßstab hergebe, sondern dadurch dass das fiese Gewaltmuster im Kopf des anderen Menschen endlich Ruhe gibt, weil es mich gegenüber dem Empfinden des Anderen erniedrigen konnte!

Ich habe einen Seitenarm der Diskussion hier im Blog, gerade auch in meinem Privatforum, in dem ich mich mit anderen Menschen mit DIS austausche.
Dort merkte ich gestern einen Stich in mir, als jemand von seiner wachsenden Kenntnis über seine Biographie schrieb. Ich nannte es erst „Neid“- jetzt einen Tag und viele Gedanken später nenne ich es: „Oh- Achtung- du fängst an dich selbst zu erniedrigen und den anderen in eine Position über dir zu drücken. Du verletzt dich schon wieder selbst, indem du wiederholst, was dir viele schlechte Ärzte und Therapeuten angetan haben, nämlich dir zu sagen, dass du nie Fortschritte machst, weil du zu schwer gestört bist.“
Dahinter steht auch eine Not, nämlich der fiese Schmerz und die Angst die ich fühlte, als mir immer wieder gesagt wurde, ich sei ein hoffnungsloser Fall, der es nie aus der Massenverwahrungsanstalt mit Heileretikett- kurz: Psychiatrie- schaffen würde. Diese Demütigung trage ich bis heute in mir herum und finde sie in solchen Momenten bestätigt. Doch dies hat nichts im Kontakt mit dem anderen Betroffenen zu suchen. Durch meine Rückmeldung, fühlte das Gegenüber sich beschämt und entschuldigte sich bei mir, was ich so in der Form gar nicht erreichen wollte. Wir waren in den Napf der Alltagsgewalt gestapft, ohne es sofort merken.

In dem Forum weiß ich, dass die anderen Betroffenen offen für meine Reflektion sind. Wir können das in Ruhe diskutieren und uns beim nächsten Mal direkt warnen und einander auf diese Muster aufmerksam machen. So etwas funktioniert, wenn man einander schon länger kennt und weiß, dass jeder zur Reflektion und Entwicklung gewillt ist.

In Kliniken und offenen Selbsthilfeforen geht so etwas eher schwer.
Man kennt einander nicht, ist eventuell gerade komplett blind vor eigener Not und verletzt und erniedrigt permanent sich und andere Menschen, ohne es zu wollen oder reflektieren zu können.
Entsprechend nutze ich Selbsthilfeforen als Ort zum Sein, die ich mir wie kleine Inseln arrangiere:für dies Thema dieses, für die User A B C D E dieses und für in Ruhe auseinanderklabüstern und üben zu reflektieren und so weiter jenes…
Und Kliniken eben auch so. Ich gehe da hin, nutze die Angebote in denen ich gut sein und reflektieren und sortieren kann und lasse den Rest aus bzw. quäle mich durch die Gruppen, an denen man teilnehmen muss. Der Rest wird von mir ignoriert, um mich zu schützen und meine Therapieerfolge des Tages nicht kaputt zu machen.

Das ist eine bewusste Entscheidung von mir. Eine innere Haltung, die mich längst nicht überall beliebt macht und die mir vor allem nicht immer weiter hilft. Aber genau in diesen beiden Settings, habe ich es permanent mit Menschen zu tun, die ungewollt an mir Gewalt ausüben, um sich selbst zu verletzen (also an sich sich selbst Gewalt auszuüben) und das ist einfach nicht das, was ich will und mir gut tut.
Es gibt andere Settings und andere Menschen da draußen, die sich zum Einen anbieten mir zu helfen einen eigenen Maßstab für mich zu finden (meine Psychotherapeutin) und zum Anderen offen und reflektierend mit mir agieren und mir vorzuleben, wie sie mit ihren Konflikten umgehen, ohne ein Muster zu entwickeln unter dem man früher oder später krankt (meine Gemögten).

Es ist auch einfach eine Entscheidung wegzugehen, wenn ich merke, dass ich in einem Kontakt immer wieder versucht bin, mich zu vergleichen, um meine Gefühle und Impulse als „okay“ einstufen zu können.

Ich will mein eigener Maßstab für meine Gefühle, Gedanken und Impulse sein und halte es für absolut gerechtfertigt, wenn das jeder andere Mensch auch für sich will.