Hartzjahre

Unsere Betreuerin rief am Dienstag an, um uns zu sagen, dass es noch nichts Neues vom Jobcenter gibt.
Das ist, was sie uns seit August bei jedem unserer Termine sagt. “Ich habe den Antrag, die Anfrage, die Nachfrage, die Forderung geschickt – es gab noch keine Rückmeldung.”

So kennen wir das. Diese boden- wie himmellose Weite des Kontaktes mit der Behörde, die uns die Existenz finanziert. Das Gefühl, mit einer Maschine ohne Ohren zu sprechen. Der Eindruck von Haltlosigkeit, der zur Fassungslosigkeit wird, wann immer dann doch eine Antwort kommt, weil es darin nie um uns, sondern um das System Hartz 4 geht.

Wir beziehen seit bald 15 Jahren Hartz 4. Noch nie waren wir mit Untätigkeitsverhalten der Behörde konfrontiert. Der Schweigestrafe. Danach fühlt sich das für uns an und löst Erinnern an traumatische Erfahrungen aus. Die Bodenlosigkeit wird unendlich. Die Haltlosigkeit zu dissoziativem Erleben. Irgendwann geht es nicht mehr um das Geld, mit dem unsere Existenz finanziert wird, sondern um alles. Leben oder Tod.

Trotz der langen Bezugszeit leben wir nicht prekär. Wir sind arm, ja. Aber wir sind gebildet. Und wir kommen nicht aus der Armut. Unser Habitus ist bürgerlich, typisch für die Mittelklasse. Und wir sind weiß.
Unsere Hartzjahre sind für die meisten weißen Mittelklassenleute Unfairjahre. Realhorror. Boah-das-könnt-ich-nicht-Jahre. Und deshalb könnten unsere Hartzjahre gut in ein Buch passen, das im Feuilleton besprochen wird.

Wir Langzeitarbeitslosen, die dem Klischee vom dummen Ekelfaulenzer nicht entsprechen, sind oft diejenigen, die in Zeitungen zu sehen sind. Deshalb sind wir die, mit denen sich “die Leute” noch am ehesten identifizieren können.

Diese Identifikation stellt sich für uns als hinderlich dar.
Denn wir sind nicht durch einen unfairen Schicksalsschlag, durch Nichtanerkennung unserer ausländischen Bildungsabschlüsse oder bereits chancenlose Eltern im Leistungsbezug. Wir sind Opfer von Gewalt gewesen und schwerbehindert.

2005 waren wir 19 Jahre alt und noch 2 Jahre vom Ausstieg entfernt.
Wir wurden ausgebeutet und verletzt. Betreut, behandelt und so davor bewahrt, uns das Leben zu nehmen. Der Antrag auf Hartz 4 wurde nötig, weil Hartz 4 gerade eingeführt worden war. Wir waren noch in der Jugendhilfe, später in der Eingliederungshilfe. Dass wir kaum lebensfähig waren, das war so überdeutlich klar, aber dieses System hatte schon damals keinerlei andere Vorgänge für Leute wie mich, als den der permanenten Prüfung auf Arbeitsfähigkeit.

Immer wieder waren wir damit konfrontiert, keinerlei Wert für diese Behörde zu haben, weil wir keinerlei Arbeitsfähigkeit vorweisen konnten. “Sie arbeiten weiterhin an ihrer Stabilisierung”, sagten meine ständig wechselnden und dadurch zunehmend gesichtslos werdenden Sachbearbeiter_innen für die aktiven Leistungen.

Und wir stabilisierten uns. Stiegen aus. Begannen zu heilen. Wuchsen aus der Opferrolle in die Überlebendenrolle in die Selbstbestimmung hinein, die unsere Kontexte gewähren können.
Arbeitsfähigkeit war und ist immer ein Teil dessen, worauf wir hingearbeitet haben.
Wir erwarten von unserer Umwelt nicht, dass sie einfach alles für uns bezahlt. Dass wir in irgendeiner Form von der Gesellschaft, die zugelassen hat, dass unsere ersten 21 Lebensjahre so passieren konnten, wie sie es taten, aufgefangen und aus_gehalten werden. Wir empfangen keine Leistungen und danken dem Sozialstaat. Wir bekommen Geld und manchmal fühlt es sich wie damals an, als uns die Leute, die uns verletzten und benutzten Geld dafür auf den Tisch legten. “Mach damit was du willst, Fickstück.”

Unsere Hartzjahre waren noch nie wie in unserer Kindheit. Immer nur wie die Ausbeutungskontexte danach.
Einfach ins Leere zu fassen wie jetzt, ist ganz eindeutig Kindheitstrauma_wieder.er.leben. Keine Ansprechpartner_in zu haben, die irgendetwas verändern kann. Zuständig, ja sogar in der Pflicht ist, zu antworten und sich zu kümmern. Keine Macht zu haben, selbst etwas an der Lage zu verändern, weil die Abhängigkeit so groß ist. Und einzig die Wahl zu haben, sich vom Wohl und Wehe einer weiteren Instanz, nämlich der Justiz, abhängig zu machen, um eventuell vielleicht – mit ungewissem Ausgang, keinerlei Garantie und möglicherweise unangenehmen sozialen Folgen – zu erwirken, dass da etwas passiert.

Man sagt uns, dass das Eine nichts mit dem Anderen zu tun hat. Erinnert uns daran, dass wir betreut werden, dass wir versorgt sind, auch wenn die Behörde versagt. Versucht, uns die Unterschiede klar zu machen.
Aber darum geht es gar nicht. Das ist nie der Kern unserer Traumatisierungen gewesen. Es ging nie darum, dass uns Menschen verletzt haben oder passiert ist, was passiert ist.
Es geht immer um diese Stille. Diese Leere. Dieses Moment, in dem nichts mehr gespürt werden kann, weil es insgesamt zuviel zu spüren gibt.

Von “unseren Hartzjahren” zu sprechen, bedeutet auch von “unseren Jahren in struktureller Gewalt, die von allen gleichermaßen mitgemacht wird” zu sprechen.
Hartz 4 wird vom Staat finanziert. Wir alle bezahlen Hartz 4. Wir alle bezahlen für die Ausübung struktureller Gewalt durch Jobcenter, Sozial- und Versorgungsämter. Niemand ist unschuldig. Alle sind schuld daran.
Und es ist die gleiche Schuld, wie die an unserem Bluten als Kind, unserer Ausbeutung als Jugendliche_r, der Lebensgefahr, mit der wir bis heute umgehen.

Und, na klar, könnten wir das alles bequemer formulieren. Könnten die Gewalt an uns individualisieren und sagen, dass nur unsere Herkunftsfamilie und Fremde uns verletzt haben. Aber so war es einfach nicht. So ist es einfach nicht.
Gewalt wird gemacht. Auch durch stumme Zeug_innen, die glauben, sie hätten nichts damit zu tun, weil sie weder uns noch die, die an uns zu Täter_innen wurden, kennen.
Das zu benennen, haben wir uns zum Auftrag gemacht. Auch, weil die Menschen in unserem Leben nicht müde werden uns zu sagen, dass sie sehen, wie schlimm das alles ist. Wie unfassbar brutal und ängstigend.
Wir brauchen sie aber nicht nur als mitfühlende Zeug_innen. Die hatten wir schon als Kind. Als Jugendliche. Als junge Erwachsene. Als von-der-Gewalt-Übrige. Und es ist trotzdem passiert. Mit allen Schmerzen, allen körperlichen, wie seelischen Folgen.

Wir brauchen Unterstützer_innen. Brauchen politisches Handeln.
Brauchen, dass die Gewalt an sich anerkannt und in der Konsequenz beendet wird.
Und zwar nicht auf dem leichten Weg durch Reformen mit einem freundlichen Namen, sondern durch die harte, unnachgiebige Debatte um den Wert von Menschenleben, Würde und die Sicherstellung von bedingungsloser Versorgung aller Menschen, mit denen wir zusammenleben. Sei es in unserer Stadt, unserem Bundesland, unserem Land, unserem Staat, unserer Welt.

Wenn es uns wirklich ernst damit ist, niemanden verletzen, demütigen oder sterben lassen zu wollen, dann wird es Wege und Mittel geben, das auch ohne Gewalt zu schaffen. Wenn nicht, dann muss das Grundgesetz umgeschrieben werden. Dann muss sich von der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte distanziert werden. Dann braucht es das Bekenntnis zur Täter_innenschaft. Zur Gewalt, zur Zerstörung.

An dieser Stelle darf es kein Spektrum mehr geben, in dem man sich mit Feigenblatt und 3-Affen-Ignoranz positionieren kann. Denn aufgrund genau dieser Optionen entstehen Leben wie unseres. Erfahrungen und Kontexte, in denen normal ist, was wir überlebt haben und so viele andere Menschen Tag für Tag nicht überleben können. Aus genau diesem Umstand heraus, gibt es überhaupt nur die Chance zu glauben, es wäre genug, vor allem auch Langzeit-Hartz4-Überlebenden, zu sagen, dass man sieht und glaubt, wie schlimm das alles ist.
Dass es reicht Kinderschutzkonzepte zu etablieren. Dass es reicht, Seenotrettung nicht zu illegalisieren. Dass es reicht, sich daran zu erinnern, dass wir alle Menschen sind. Dass es reicht, wenn wir nicht die AfD wählen. Dass es reicht, ein Mal am Tag die Tagesschau zu gucken. Dass es reicht, ein absolut zu bewahrendes Existenzminimum für jede_n Einzelne_n zu definieren. Dass es reicht gegen Kapitalismus zu sein.

Das tut es nämlich einfach nicht.
Man muss sich fragen, was man statt der Gewalt will.
Wenn wir unsere Menschen fragen, was sie sich für uns statt Hartz 4 wünschen, dann antworten sie, dass sie uns einen Job wünschen. Geld. Sicherheit. Autonomie. Dass wir leben können wie sie.
Und wir fühlen uns schlecht dabei. Denn wir wollen Sicherheit und Autonomie – aber ohne jede Bedingung dafür erfüllen zu müssen. Wir wollen, was wir schon als Kind so unbedingt gewollt und gebraucht haben – was alle Kinder so unbedingt wollen und für ihr Überleben brauchen: bedingungsloses Miteinander. Fürsorge, Versorgung, Stimulation.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es das nicht gibt. In der alle jeden Tag in dem Wunsch nach Bedingungslosigkeit enttäuscht werden und manchmal so sehr, dass man sich über kleinste Stückchen davon so sehr freut, dass es eine Welt wird.
Wir finden das traurig. Denken, dass Menschen das besser hinkriegen könnten.
Wenn sie wollten.

Und wenn sie könnten, wie sie wollten.
Bedingungslosigkeit geht aber nur mit Bedingungslosigkeit.
Und genau die gibt es in unserer Kultur, unserem Miteinander gerade nicht.

Wir sind am Arsch.

Hello and thanks for coming to my TedTalk

von und mit Hartz 4 über.leben

Am 14. 3. 2018 fragte Zeit Online Menschen in Hartz 4, nach ihrer Lebensrealität.
Wir haben einen langen Text geschrieben.
Diesen langen Text haben wir noch einmal ergänzt.

 

Von und mit Hartz 4 überlebe ich seit seiner Einführung im Jahr 2005.
2005, da war ich 18/19 Jahre alt. Jugendhilfekind seit 3/4 Jahren. Betreut in der ersten eigenen Wohnung, aus Gründen, die etwas mit meinem Willen zum Überleben und der Entscheidung zum Leben selbst zu tun hatten.

Eine Wahl, ob ich Hartz 4 in Anspruch nehme oder nicht, hatte ich nie. Um in mein Leben als schwerbehinderte, durch Gewalt in der Familie komplex traumatisierte Person hineinzufinden, brauchte ich institutionelle Hilfen. Die bekommt man als Jugendliche_r nur dann, wenn man nichts hat und niemand sonst dafür aufkommt.

Mein Hilfebedarf und der strukturelle Ausschluss, den ich aufgrund meiner Behinderung erfahre, halten mich bis heute in Hartz 4.  Nach meinem Realschulabschluss an der Abendschule, für den ich aufgrund mehrerer Krankenhausaufenthalte länger brauchte als die Schüler_innen, mit denen ich den Bildungsgang begann,  folgten 10 Jahre Bewerbungsphase, Mangelmangament und ein Kampf um das eigene Leben, der weitestgehend unsichtbar für die Menschen in meinem Leben und vielleicht auch weite Teile der Gesellschaft war.

Bei Antragsstellung auf Hartz 4 konnte ich noch eine Erstausstattung für Möbel, Waschmaschine und Kühlschrank beantragen. 10 Jahre später sind die Pressspanmöbel, die ich von dem Geld im Möbeldiscounter kaufen konnte alle kaputt, denn umziehen kann man mit solchen Möbelstücken nicht besonders oft.
Steigende Mieten bei gleichbleibend niedrigen Wohngeld erforderten aber genau das.
Einen Antrag auf Ausstattung kann man nur einmal stellen. Wenn man später erneut große Anschaffung machen muss, muss man ein Darlehen beim Jobcenter beantragen. Das wird dann in Raten vom Existenzminimum abgezogen.

Heute wohne ich in einer überalterten Wohnung mit Dusche übern Gang und Durchlauferhitzern an allen Wasserhähnen. Und zahle immer noch mehr Miete, als es mein Wohngeldsatz abdeckt.
Warmwasser ist ein Luxusgut in meiner Wohnung. Jedes Jahr streite ich mit der Wohnungsbaugenossenschaft, ob eine Mieterhöhung angemessen ist, oder nicht. Sollte ich diesen Streit einmal verlieren, verliere ich wieder ein Zuhause.

Von der Erstausstattung damals habe ich heute nur noch den Kühlschrank und die Waschmaschine.
Was ich mache, wenn die kaputt gehen? Ich habe keine Ahnung.
Ob, und wenn ja, wie ich solche Gegenstände ersetzt bekomme, passiert in meinem Leben nach dem Zufallsprinzip, das viel mit damit zu tun hat, wie leicht ich meinen Stolz und das bisschen Verlangen nach Würde, das ich durchaus noch habe, hintan stellen kann – noch mehr jedoch mit schierem Glück.

Als mein Backofen kaputt ging, bot jemand bei Twitter an, mir einen neuen zu bezahlen. Die gleiche Person hat mir eine neue Matratze gekauft, als meine alte, die ich schon gebraucht hatte kaufen müssen, nach 8 Jahren nicht mehr nutzbar war. Ich vermeide es aktiv darüber nachzudenken, wie sich das für mich anfühlt. Weil ich weiß, dass es kein gutes Gefühl ist.

Wenn Freund_innen ihre Kleidung aussortieren, schicken sie mir das, was sie nicht mehr wollen.
Seit Jahren sehe ich also überwiegend aus, wie andere Leute nicht mehr aussehen wollen und was würde besser zu einem Menschen passen, der so lebt, wie andere Leute nicht leben wollen?

Jens Spahn meint, mit Hartz 4 müsse man nicht hungern und ich kann ihm darin zustimmen.
Mit Hartz 4 muss man nicht hungern. Man kann wählen, ob man hungern will oder lieber keinen Strom haben. Oder keinen Telefonanschluss. Oder keine Monatskarte für den ÖPNV. Oder keine Schulsachen. Oder keine kulturelle Teilhabe. Oder Möbel. Oder Kleidung.

Ich habe das “Glück” auch noch wählen zu können, ob ich hungere oder auf Medikamente verzichte.
Als die Politik die Praxisgebühren für eine gute Idee hielt, sparte ich an Hausarztbesuchen, um meine regelmäßig notwendigen Facharzttermine haben zu können. Denn Praxisgebühren zusammen mit Rezeptgebühren und den Kostenanteilen für Krankentransporte, übersteigen das Budget, das ich für Medikamente und medizinische Notfälle frei machen kann.

Natürlich gibt es die Möglichkeit von diesen Kosten befreit zu werden, aber natürlich ist auch das wieder an Bedingungen geknüpft. Es muss bereits ein Betrag gezahlt worden sein – den muss man aber erst einmal haben. Und dann muss diese Befreiung auch noch bei der Krankenkasse beantragt werden.
Für mich ist das ein weiterer bürokratischer Akt, der von mir Fähig- und Fertigkeiten abverlangt, die mir aufgrund der Behinderung mit der ich umgehe, nicht nur “nicht so einfach von der Hand gehen” , sondern auch immer wieder Auslöser für psychische Krisen bis hin zur Suizidalität werden.

Als Person im Hartz 4-System ist diese Art der strukturellen Hürden nur allzu bekannt für mich.
Deshalb habe ich mich nach Jahren der Einbrüche in die inzwischen als “Hartz fear” bekannten Ausnahmezustände, für eine freiwillige gesetzliche Betreuung entschieden.
Ein weiterer Punkt an dem meine Würde begrenzt wird. Eine weitere Instanz, die eine Akte über mich und mein Leben in einem Büro stehen hat.
Es ist eine zusätzliche Erinnerung daran, dass ich und mein Leben von gesichtslosen Instanzen verwaltet und bestimmt werden, statt von mir selbst.

Mein Über.Leben mit Hartz 4 halte ich heute nicht mehr unsichtbar.
2008 habe ich angefangen meine Er_Lebensrealität im Internet mitzuteilen. Immer wieder habe ich aufgeschrieben, wenn mir die Existenzangst den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Jede Ablehnung auf eine Bewerbung, jede verspätete Zahlung des Jobcenters, jedes Ringen um Anträge auf Hilfeleistungen, Darlehen und die Zweifel an meinem eigenen Wert als Mensch in dieser Gesellschaft, habe ich in mein Blog geschrieben und tue das noch heute.
Nicht, weil ich mein Leben für besonders exemplarisch halte, sondern, weil es noch viel zu wenig Menschen tun (können) und es so weiterhin als Ausnahme gilt.

Für mich war Hartz 4 nie der Lückenfüller zwischen zwei Jobs oder das, was ich haben kann, während ich etwas tue, was mich perspektivisch davon unabhängig macht.
Hartz 4 hat mich zu dem Problem gemacht, das ich heute für Teile der Gesellschaft bedeute.

Oder eben auch nicht. Es kann ja auch praktisch sein, eine Bevölkerungsgruppe in Armut zu halten, damit man eine Art nachwachsende Masse an Menschenlebensrealitäten hat, mit der man anderen Menschen genug Angst macht, damit diese immer mehr Ausbeutung mit sich machen lassen.

In eineinhalb Jahren werde ich meine Berufsausbildung beendet haben.
Dann bin ich 33 Jahre alt und habe Anlass zur Frage, ob und wenn ja wie Familiengründung und verantwortungsvolle, vielleicht auch autonome Zukunftsplanung für mich möglich sein können.

Als schwerbehinderte Person mit Kinderwunsch, ohne Familie im eigenen Unterstützerhintergrund, wird es in keinem Szenario leichter, einfacher, sicherer, weniger von Zufall und politischem Gusto abhängig, wie ich in Deutschland überleben können werde.

Das Einzige worauf ich mich verlassen kann, ist, dass es immer wieder Menschen geben wird, die versuchen das eigene Selbstbild Gewissen mit Wohlfahrtsgesten  auf zu polieren zu beruhigen. Es wird immer Menschen geben, die Mitleid und den Wunsch haben, die_r Retter_in für die armen, alten und kranken Menschen in der direkten und indirekten Umgebung zu sein. Und es wird immer Menschen geben, die diese Menschen einspannen, um Geschäftsmodelle zu realisieren und zu etablieren, die ihrerseits arme, kranke und alte Menschen in Not brauchen.

Ich selbst habe “die Tafeln” in den letzten 13 Jahren insgesamt 5x in Anspruch genommen.
3 x weil meine Stromkostennachzahlungen den Wert von 3 Wochen Lebensmittel hatten, 2 x, weil ich Winterjacke und –schuhe gegen Essen eintauschen musste.
Ich hätte auch Freund_innen um Geld bitten können. Sie hätten mir alle was gegeben. Doch diese 5 Male konnte ich das einfach nicht ertragen.  Diese 5 Male wollte ich vor meinen Freund_innen nicht die sein, die Geld für Essen erbetteln muss.

“Die Tafeln” haben sich gegründet, um der Lebensmittelverschwendung etwas entgegen zu setzen und sehen ihren Auftrag nicht darin eine Armenspeisung zu machen. Für mich zeigt sich in diesem Selbstverständnis die Ignoranz, die nur entwickeln kann, wer nie (über längere Zeit) auf Hartz 4 und Spenden angewiesen war.
Denn es sind und waren schon immer arme Menschen, die den Müll, den niemand sonst mehr will, im besten Fall geschenkt, in der Regel jedoch zu- und ausgeteilt bekommen.

In Deutschland gibt es meiner Meinung nach keine Sicht auf Spenden und Hilfen, die für die eigene Abschaffung sorgen. “Die Tafeln” sind ein gutes Beispiel dafür.
Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das verantwortungslose Verkäufer_innen verursachen. Anstatt nur so viel einzukaufen, wie auch wirklich verkauft wird, wird so viel eingekauft, das immer ein Überschuss bleibt, dessen Entsorgung durch Müllwirtschaft preisgünstig und einplanbar ist. “Die Tafeln” und andere Lebensmittelrettungsorganisationen kommen zu diesen Verkäufer_innen und nehmen ihnen diese Verantwortung auch noch ab.

Es ist eine Verwertungsschleife. Eine weitere Profitschleife.
Keine Maßnahme, die zu nachhaltigen Veränderungen am Grundproblem führt.
Das Schlimme daran ist nicht, dass das so ist – das absolut Schlimme daran ist, dass es das nie sein sollte: eine echte Veränderung eines Grundproblems.

Meiner Ansicht nach ist das Grundproblem das, überhaupt für Dinge bezahlen zu müssen, die die Grundbedürfnisse von Menschen sichern und befriedigen. In unserem Wirtschaftssystem muss man für das eigene (akute) Überleben ganz direkt bezahlen und hält das für normal.
Lassen Sie das vielleicht einmal richtig einsinken:
Wenn man nicht isst, dann stirbt man.
Wenn man nicht warmgehalten ist, dann stirbt man.
Wenn man krank ist und nicht versorgt wird, dann stirbt man.
Wenn man keinen sicheren Ort hat, dann stirbt man
Wenn man keine soziale und kulturelle Teilhabe hat, dann sieht man keinen Sinn mehr darin zu leben.

Damit man nicht stirbt, bezahlt man Geld. Und zwar immer wieder.
Das Leben selbst hat so in keinem Fall mehr einen “unschätzbaren Wert”.

Wir als Konsument_innen bezahlen nicht dafür, dass Bauer Heinze es sich leisten kann, seine Äcker so zu bewirtschaften, dass er ihn noch so lange nutzen kann, bis er nicht mehr will oder kann. Wir geben ihm Geld für einen Teil seines Ertrages plus den Profit, den der Verkauf einbringen soll.
Damit wir etwas zu Essen haben. Damit wir nicht sterben.

Hartz 4 hat mich lange in der Idee gehalten, immer möglichst viele Lebensmittel für so wenig Geld wie möglich einzukaufen. Dazu gehörte der Konsum von fertigen und durch staatliche Subventionen dauerbillig gehaltene Lebensmittel. Also vor allem Milch und Fleischprodukte, die mir, wie ich heute weiß, gesundheitlich massiv schaden und auf vielen anderen Ebenen hochproblematisch sind.

Ich habe mich lange nicht im wirtschaftlichen/produktiven Sinne gefragt: Wofür leb ich eigentlich?
Denn für mich ist die Antwort darauf schmerzhaft: Als Hartz 4-Empfänger_in (die mit Behinderungen lebt) ist mein Überleben vor allem als Konsument_in wichtig. Nicht als Produzent_in. Nicht als Mit_Gestalter_in. Nicht als Mit_Bestimmer_in.

Mir wird Geld gegeben, damit ich überleben kann, damit Bauer Heinze überleben kann, damit andere Profit machen können, damit alles immer verfügbar ist – egal wie, egal wie lange noch, egal mit welchen Auswirkungen auf die Mitwelt und all die Generationen nach uns.

Niemandem scheint es darum zu gehen, wie lebenswert das Leben ist, das mir genau jetzt mit Hartz 4 gesichert wird.
Niemanden scheint es zu interessieren, was ich und all die anderen Menschen in meiner Lage zu geben haben, wenn wir nicht 24/7 damit beschäftigt sind zu nehmen, um zu überleben.

Das ist kränkend und krank machend. Manchmal auch: krank haltend.
Vor allem, wenn Außenstehende meinen, sie könnten das in irgendeiner Form nachempfinden und besser machen.

 

Ich weiß – sie fragen in Ihrer Zeitung nur danach, wie ich so mit Hartz 4 lebe, aber ich will bei der Gelegenheit auch sagen, was ich mir anders wünsche und von der Regierung fordere

Ich wünsche mir die Möglichkeit als Hartz 4-Empfänger_in vom Jobcenter bei jeder Art von Aus- und Weiterbildung finanziell unterstützt zu werden.
Meine Ausbildung, als nicht mehr Minderjährige wird zum Beispiel finanziell nicht unterstützt, obwohl meine Chancen auf eine Berufstätigkeit mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung steigen wird. Und genau das doch ist, was mich angeblich aus dem System Hartz 4 herausbringen soll.

Ob ich studieren kann, hängt vom Bafög-Amt und dem Engagement für die Inklusion von schwerbehinderten Studierenden einer infrage kommenden Fachhochschule bzw. Universität ab.
Ob Ausbildung und Studium genügen, irgendwann selbst für mich und mein Leben aufzukommen, wird der Arbeitsmarkt und sein Grad an gelebter Inklusion dann zeigen.

Ich fordere von der Regierung die konsequente Inklusion und Entschädigungen für Personen wie mich, die in der Zeit zwischen Unterzeichnung der UN-Menschenrechtskonvention und der konkreten Umsetzung, wegen struktureller Diskriminierung aufgrund einer Behinderung keine andere Wahl hatten als abhängig, arm und ausgeschlossen zu sein.

Den emotionalen Schaden, den die Jahre in Hartz 4 (und damit in Armut, Ausgrenzung, permanentem Mangel und Perspektivlosigkeit) mir beigebracht haben, wird kein Geld der Welt jemals ausgleichen können.
Sich aber wenigstens für eine Weile nicht mehr zwischen der Erfüllung von Grundbedürfnissen entscheiden zu müssen und dadurch Zeit und Raum für Perspektivenentwicklung und Zukunftsabsicherung zu haben – das wäre nur gerecht und angemessen. Eine wahrhafte Grundsicherung.

An die Menschen mit Behinderung bzw. chronischer Krankheit hat man weder bei Konzeption noch Einführung von Hartz 4 jemals gedacht. Man denkt selbst in der Diskussion heute nicht an diese Personengruppe, sondern konzentriert sich auf all die Menschen, die kontinuierlich arbeitsfähig sein könnten, würde es Stellen für sie geben.

Das muss sich ändern.
Deshalb habe ich Ihnen all das hier aufgeschrieben.
Bitte sehr.

zum Thema Politik

Wir wurden von der örtlichen Selbsthilfegruppe für Menschen mit DIS ausgeschlossen.
Begründung: Wir sind zu politisch drauf.
Ja… neben der Kränkung meines Egos und den üblichen Kreisen, die so eine komplette Ablehnung und die absolut anmaßende Haltung “der Gruppe” bei uns lostreten, habe ich mir ernsthafte Gedanken zu meiner Politischkeit (ernsthaft- es gibt kein anerkanntes Nomen dazu!) gemacht. Und wieso sie ein Ausschlussgrund von der einzigen Gruppe in der gesamten Region, in der ich als Mensch mit Menschen in mir, sowas wie eine Insel gegen mindestens Einsamkeit inmitten meiner Vielfallt hätte erleben können, sein soll oder könnte.

Und nachwievor gibt es keinen Grund der mir so offensichtlich und logisch erscheint, dass ich mich vor einer Gedankenwegwahl sehe.
These a) sie haben schlicht keinen Bock aus ihrem lauschigen Plüschnest aus netten Kinderspielen und nebliger Alltagsschafferei heraus zu treten und wollen mit der Gruppe eine schöne kleine Insel haben
(oh huch- erwähnte ich nicht gerade irgendwie schon sowas wie ne Insel …?)
These b) in den letzten 3 Jahren (da waren wir nämlich auch schon da und sind nur gegangen, weil uns die ständige Unzuverlässigkeit zu dem Zeitpunkt nervte) haben alle Teilnehmer das Hellsehen gelernt und können meine Reaktionen, Gefühle, Gedanken und Meinungen inzwischen per Ferntelekinese vorhersagen
(Sowas gibts!- Gibt voll viele Leute, denen voll viele Leute glauben, dass die das können! Jajajaaaa!)
These c) Unser abartiger Schuld- Schande-Scheißedunst der uns aus allem Poren trieft hat ihre feinen Nasen erreicht und sie haben keinen Bock auf Dauerkotzen durch direkte Nähe…
These d) vielleicht sind sie auch einfach so arrogant und das Ganze hat nichts mit mir zu tun und die politischen Bestrebungen, die wir tatsächlich auch haben (neben vielem vielem Anderem, bei dem uns eine Gruppe von Menschen denen wir die Basis unserer Gefühle nicht großartig erklären müssten, wirklich als sehr hilfreich erscheinen würde!) sind ein feige vorgeschobener Grund

Hm…Ich habe mich für eine Mischform der Thesen a und d entschieden und frage mich, ob es
a) verboten ist eine politische Haltung einzunehmen, wenn man als direkt betroffener Mensch kein Bock mehr auf immer wieder aufgedrückte Ohnmacht und Hilflosigkeit hat
oder b) ganz grundsätzlich einfach nicht erwünscht ist, etwas verändern zu wollen.

Wenn ich die Zeitung aufschlage (mich also mit der “großen bösen Welt befasse und mein lauschiges Plüschnest verlasse”), könnte ich selbige in der Regel nach 5 Minuten als Serviette verwenden, um mir den Mund nach dem Kotzen abzuwischen. Und das geht mir bei fast allen Massenmedien so. Entweder wird mir graphische Gewalt angetan, in dem mir Fotos ins Gehirn gedrückt werden von zermalmten- zerbombten-tot misshandelten Menschenkörpern oder ich begegne einer Berichterstattung die alles sein kann- ausser sachlich, neutral und berichtend. Und das obendrauf noch über Zustände und Gegebenheiten die einfach nur stinken!
Und weil ich sowas einfach nicht leiden kann, mache ich den Mund auf.
Früher nannte man das “eine Eingabe” machen oder auch: “sich beschweren” (interessantes Wort, nicht wahr? “sich beschweren”- sich selbst, seiner Stimme, seiner Meinung, ein Gewicht verleihen…!). Heute sagt man: “meckern” oder “politisch drauf sein”.
Ja nett, dann bin ich eben ein Freizeit- Revolutionär- und zwar der egoistischste den es geben kann!

Ich bin politisch, damit es mir gut geht. Ich will etwas verändern, weil ich mich, um jetzt mal bei dem Beispiel wirklich furchtbaren Fotos in Zeitungen oder auch in Internetmagazinen zu bleiben, von Gewaltdarstellungen richtigehend ver-gewalt-igt fühle! 
Ich will Anteil an der Welt haben- ich will dazu gehören. Ich will wissen was passiert, wie es den Menschen auf der Welt geht. Ich will erfahren was mein Handeln, oder das Handeln, welches in meinem Namen passiert- jeder scheiß Panzer in Afghanistan trägt irgendwo meinen Namen!!!- für Auswirkungen hat! Und das was ich da sehe, gefällt mir schlicht nicht!
Selbst ich- die wirklich winzige Kreise um sich hat, spürt die Auswirkungen dessen, was in der Welt und in der Politik- die ja letztlich uns alle Menschen in Deutschland vertreten, schützen, organisieren und irgendwo versorgen und sichern soll- passiert.

Ich sehe an meiner kleinen Welt:
Keine Arbeit, weil es unsere Bundesregierung nicht schafft, Menschen mit (seelischer) Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Keine wirklich freie und sinnige Gesundheitsversorgung, weil weite Teile des Leistungskatalogs immer mehr privatisiert werden. Für jemanden ohne Arbeit und mit Hartz4 stellt sich tatsächlich dann auch so eine Frage: “Zahnfüllung oder Wocheneinkauf?” Natürlich entscheide ich immer wieder für den Wocheneinkauf!  Denn: Wenn ich hungern muss, um meinen neuen Zahn zu bezahlen wird es richtig düster! Denn:  alle meine Zähne sind schon deshalb so kaputt, weil ich unter der staatlich geförderten Fehlernährung und der Nichtfinanzierung der richtig echten Therapie meiner Essstörung leide! Spätestens im Oktober ist Obst und Gemüse- oder gar Fleisch- einfach nicht mehr zu bezahlen. Eine Ernährungstherapie bekommt man nur noch bezahlt, wenn man Muselmann ist… Lebensmittelgutscheine werden im nächsten Monat von Satz abgezogen… und so weiter und so weiter… Als gesund gilt, wer noch nicht tot ist- und dann entscheiden die alten Statuten von Anno tuck wann wer welche Hilfsmaßnahmen in Anspruch nehmen darf und wer eben noch zu gesund ist. Prävention und Vorsorge- zukunftsorientiertes (Be)Handeln steht dann nur noch als Kundenlockmittel und moralisch wichtiges Wort auf dem Flyer des Wirtschaftsunternehmens, dass wir Krankenversicherung oder auch staatliches Gesundheitssystem nennen.

Unsere Politik fährt einen “Pflaster drauf- gucken wir am D-Day drauf- wenn sie Schmerzen haben nehmen sie ne Droge”- Kurs! Und zwar durch die Bank weg in allen Bereichen- die alle- samt und sonders mindestens unser direktes Leben tangieren! Und jeder der einmal kurz darüber nachdenkt, was das für ihn im ganz ganz kleinen Rahmen, nur für sich allein in seinen 4 Wänden und seiner ganz eigenen Lebensrealität, bedeutet, müsste eigentlich sofort überlegen, wo er Plakatfarben, Karton und nen Knüppel herkriegt!

Aber wir haben ja so eine Angst. Wir sind ja nix (wir hören ja auch nichts anderes- ausser kurz vor der Wahl) und wir haben ja keinen Einfluss…die da oben… was bin ich dass…nutzt ja alles nix…
Fällt jemandem was auf?
Wir machen uns klein! Wir machen uns leicht- lassen uns und unsere Probleme, Forderungen und Ansprüche auf “die leichte Schulter” nehmen! Wir haben aufgehört uns zu be-schweren!

Ich bin sehr dankbar um diesen einen dicken fetten großen Resilienzfaktor in meiner Persönlichkeit. Ich habe kein Problem damit mich zu be-schweren und mich im letzten Schritt auch unbequem zu machen, wenn es darum geht etwas zu erreichen, dass mir Erleichterung, Ver-Sorgung, Ver-Pflegung verschafft. So habe ich mich schon einmal gerettet- so will ich mich nun auch retten.
Ich bin das, was man eigentlich mal sogar noch als sehr gefährlich betrachten kann, selbst wenn ich nie mit Steinen oder Molotowcocktails werfen oder Autos anzünden würde, um meine Forderungen anzubringen und vielleicht sogar durchzusetzen.
Ich habe nichts zu verlieren!
Ich habe die Hölle gesehen. Ich habe sie leben und überleben müssen.
Ich habe kein Ansehen, keine Würde und einfach ganz grundsätzlich rein gar nichts zu verlieren! (ausser mein Leben- was mir in dem Moment aber ja wurscht wäre, weil ich dann eh schon tot wäre…)

Und die vielen vielen anderen tausend Menschen da draussen, die auch Opfer sind, die auch unterversorgt sind, die auch nach Strich und Faden an der Nase herum geführt werden (entweder in die Psychiatrie oder ins Bestattungsunternehmen hinein) geht es ganz genauso!

Wir sind eine große Gefahr für das System, das hier gerade läuft. Sollten wir nicht wenigstens unsere Masse nutzen um uns zu „be-SCHWEREN”?!
Sollten wir uns nicht einfach nur schon dadurch, dass wir uns (völlig friedlich!) alle die wir da sind, auf einen Haufen setzen zu einer Stimme zusammen finden, auf das wir endlich von der leichten Schulter runter kommen?

JA! Sollten wir!

Und was machen wir statt dessen?
Wir schliessen einander schon von vornherein aus, weil es einzelne Punkte gibt die nicht besprochen, nicht ausgelotet oder ausbalanciert werden.
Das ist dann sowas wie mein Ausschluss aus der Selbsthilfegruppe, das ist die nicht erwünschte Teilnahme von Betroffenen bei Kongressen, die die Hilfen für selbige tangieren, das ist der Ausschluss von Professionellen, bei Vereinen oder Bewegungen der Opfer usw usw usw

Mit “Wir sind das Volk” haben wir Deutschen eine Mauer quer durchs Land fallen lassen können.
Wie muss der Slogan für diese bescheuerte Mauer quer durch die Köpfe der Menschen lauten?!

Sonnenscheintag 4 oder: Armut, Demut, Unmut

Wir haben den 16. des Monats und noch 22,43€ zur Verfügung.

Wir sind nicht drogensüchtig, haben kein Geld zum Fenster herausgeworfen und wurden auch nicht ausgeraubt. Wir haben einfach nur Rechnungen bezahlt und versucht auszusehen, wie ein normaler Mensch (was bedeutet: wir haben das Unsägliche getan und uns endlich Wäsche für 5 Tage in Größe 40 gekauft, statt immer noch weiter in Größe 48 herumzulaufen- zum unglaublichen frevelhaften Preis von 7,98€)

Tja, wat nu?

Entgegen der Meinung der Intelligenzbestien, die sich ihre Meinung zum Thema Hartz 4  mit Hilfe von RTL und Co zusammenschustern, ist es NICHT so, dass man als Mensch in so einer Situation wirklich und echt Hilfe bekommt die einfach und unkompliziert angenohmmen werden kann.

Zumindest nicht von uns. Ich habe jetzt einige Texte und Schilderungen zu dem Thema gelesen, aber noch niemand hat es aus der Sicht eines (früh)traumatisierten- allein stehenden- Menschen geschrieben. Also dann (man hilft ja wo man kann haha)

Was ist das Wichtigste? – Nahrung! (alles Andere hab ich ja schon bezahlt- deshalb ist ja nix mehr übrig)

Wo kann man Nahrung bekommen, wenn man sie nicht bezahlen kann? Bei der Armenspeisung. Weil es politisch korrekter ist, nennt man sie inzwischen “die Tafeln”, “der Lebensmittelkorb”, “der Tisch” und wer weiß wie  noch.

Okay. Alles klar- hier haben wir Problem und Lösung. Tadaaa!

So. Und jetzt komme ich mal mit meinen Problemen und allen laufenden Prozessen dazu.

Ich bin essgestört, leide unter dem Reizdarmsyndrom (ganz interessant: ca. 30% aller Reizdarmsyndrompatienten sind Missbrauchsopfer und die Mehrheit der Erkrankten sind Frauen… ), halte keine Menschenansammlungen aus, halte mich sowieso schon für den Dreck der noch unterm Abschaum aller anderen Menschen steht und bin durch die Unfähigkeit unseres Staates Kinder vernünftig vor Gewalt zu schützen und selbige als Erwachsene heilen zu lassen, arm und (zumindest derzeit) absolut ohne Perspektive, dass sich das schnell (je?!) ändert.

Grundsätzlich bin ich ein Freund davon verzehrbare Lebensmittel nicht einfach wegzuschmeißen und sie an jene kostenlos bzw. für reinen “Ranschaff/Zusammenraff und Verteil-Aufwandspreis” abzugeben, die sonst hungern müssten.

Aber ich komme mir vor wie ein Bittsteller. Und nicht wie jemand der keine direkte Schuld an seiner Not trägt und einfach davon profitiert, dass viel zu viel produziert wird.

Und es erinnert. Es ist ein Gleichnis “Du bist Dreck- Du bekommst nur Dreck- Du bekommst nur das was sonst keiner will und dafür hast du gefälligst dankbar zu sein- sonst musst du sterben (verhungern)”. Es ist das Gleiche. Es ist das Gleiche das Gleiche das Gleiche!

Und dabei soll und will ich doch richtig annehmen, dass ich mehr wert bin, als ich denke. Dieser Gedankengang begleitet mich also als Schleife. “Ich bin wertvoll ich bin wertvoll ich bin wertvoll- obwohl ich grad nicht wirklich so behandelt werde. Bitte Innenleben hör doch auf zu weinen. Es ist zwar das Gleiche- aber es gilt nicht als das Gleiche.” (Also- eigentlich verarsche ich mich, damit es nicht so weh tut.)

Kommen wir zur Verwaltung der Lebensmittelausgabe.

Hier läuft das so: Freitags um 10 Uhr werden Nummern verteilt (jaja wegen Datenschutz und so und weil ja jeder die gleiche Chance haben soll- nicht, dass der Erste das Beste bekommt und so weiter). Okay- kann man hinnehmen- wir sind in Deutschland- hier steht man auf Ordnung und verteilt dafür hübsch laminierte Karten mit einer Ziffer drauf.

Meine Ziffer beim letzten Mal war die 10. Und ich war total dankbar. Diese Dankbarkeit steigerte sich, als ich die Ziffer 132 bei einer Frau die dort ebenfalls wartete in der Hand aufblinken sah.

Um 13 Uhr beginnt die Ausgabe der Lebensmittel.

Solange sitzen viele der Menschen dort in der Kirche herum. (Gecheckt? In der Kirche. Für mich Horror. Schlicht und einfach. Allein die Panik (die noch nicht mal meine ist und die ich nur gedämpft durch zig innere Filter wahrnehme) dieses Gebäude zu betreten, ist etwas, dass mich normalerweise dazu brächte, gar nicht erst dort aufzutauchen. Allein dieser Umstand zieht unglaublich viel Kraft) Wir fahren dann immer nochmal wieder nach Hause (4km hin- 4km zurück bei jedem Wetter) um Kraft zu sparen und zu schöpfen- obwohl der Körper eigentlich nicht genug “Treibstoff” für zweimal 8km radeln und dann nachmittags noch die von NakNak* geforderten 7km laufen, bekommt.

Dann die Ausgabe. Inzwischen ist es richtig voll. Es wird gedrängelt und geredet, Einkauftrolleys und Bollerwagen nehmen noch zusätzlichen Platz weg. Alle Sprachen werden gesprochen- auch jene die mich triggert und direkt mal in einen Zustand jenseits von Gut und Böse befördert. Also stehe ich draussen herum, werde ein paar Mal fast umgerannt und krümme mich halb vor (alten) Schmerzen und spitze die Ohren um meine scheiß Nummer zu hören- die ich aber natürlich nicht höre- die Sprache die mich antriggert aber dafür um so besser.

Die Frau in der Ausgabe wird sich wohl gedacht haben: “Ach komm Scheiß auf Datenschutz- es muss vorwärts gehen” und schrieh meinen Namen über die Gespräche hinweg. Hmpf. Danke sehr.

Naja, also ich mich durchgekämpft. (Und ja: Ich hatte zwischen drin die Assoziation von mir im Camouflageanzug mitten in der Schlacht um Stalingrad bzw auch kurz von Aladin dem Meisterdieb der sich durch den Basar schlängelt)

Endlich angekommen bei der guten Frau. Ich habe zu dem Zeitpunkt schon den 4ten Tag in Folge nichts gegessen. Mir geht es richtig richtig dreckig und eigentlich ist zu diesem Zeitpunkt weder denken, noch mitdenken, noch planen, noch irgendwas anderes als das schiere Überleben wirklich möglich. Ich brauche, dass jetzt jemand einen Plan hat und weiß was er tut. Diesen Anspruch hat die Frau anscheinend leider nicht und zerrt mich von Station zu Station.

Vorbei an Bergen von Brot (das ich nicht mehr vertrage bei meinem Stresslevel in Kombination mit dem Reizdarm), an Kuuuuuchen (großes Heulen innen), an Nudeln (die ich auch nicht essen sollte- von denen ich aber doch ein Paket mitnehme, weil es sonst gar nichts Haltbareres zu geben scheint- was ich aber dann 4 Tage später bitter bereue, weil mich mein Bauch zu zerreissen droht) und dann zum Obst und Gemüse. Ich gehe hinaus mit

1 Paket Nudeln, 5 Möhren, 1 Blumenkohl, 3 Tomaten, 1 Gurke, 100gr Putenwurst, 1 Liter laktosefreier Milch (okay dafür war ich supermega oberdankbar- die ist so teuer), 1 Zitrone und 5 Kartoffeln.

Um um mehr zu bitten, bin ich zu diesem Zeitpunkt viel zu geschwächt (mal abgesehen davon ist hier für mich noch die Frage: Wann würde ICH jemals um Essen betteln? Wieder! Ich bzw. mein Innen kennt doch die Antwort längst: “Du bekommst nichts mehr!”. Mir tanzen Punkte vor den Augen, der Kopf dröhnt und Erinnerungen rütteln an ihren Käfigtüren. Mein Organismus belebt die alte Zeit wieder und niemand steht mir bei. Weder mein Geist, noch die Frau die mir doch an die Seite gestellt wurde, um mir zu helfen. Sieht sie denn nicht, wie wenig das ist?!

[Nein- das ist viel zu viel- du darfst das alles gar nicht haben! Ich krieg Ärger dafür! Legs weg- bitte gibts zurück!!!- Ja los legs zurück du fettes Schwein!- Du bist es nicht wert!- Ich bin es wert ich bin es wert ich bin es wert… ]

Ich sehe zu, dass ich verschwinde und komme irgendwie wieder nach Hause. Um mich dort angekommen ohrfeigen zu können. Wieder 7 Tage vor uns und praktisch nur für 2- vielleicht 3 Tage Essen zum satt werden. Und was machen wir? Wir denken, dass es uns nicht zusteht, doch noch die anderen Lebensmittelausgaben abzuklappern, um mehr abzugreifen. Wir strecken diese paar Sachen über 7 Tage hinweg. Und wundern uns dann, weshalb das System komplett in den reinen Überlebensmodus schaltet. Weshalb es uns so schlecht geht.

Jetzt gehts uns noch gut.  In 11 Tagen dürfen wir realistisch das Kindergeld erwarten. Heißt wir können pro Tag jetzt noch 2€ ausgeben um etwas zu essen zu kaufen. 1,60€ sind es, wenn wir Pech haben und das Geld erst am 29 sten bekommen. Von einer Ernährung die uns gut tut sind wir weit entfernt. Von Lebensumständen die uns heilen lassen könnten, fange ich gar nicht erst an zu reden.

Aber ich muss nicht zu dieser Armenspeisung gehen. Wenigstens in diesem Punkt darf und kann ich diesen Monat gut für mich sorgen.

[Wer weniger als umgerechnet 1,25$ pro Tag zum Leben hat, gilt als arm. 1,25$ sind 0,96484€. Man bin ich reich. Was stell ich mich eigentlich so an?]