der Arbeitsvertrag

Wann immer ich über Hartz fear und unser Leben in Armut geschrieben habe, schrieb ich auch über Gewalt. Über Endlosigkeit, über umfassende Ohnmacht. Darüber, dass wir etwas erleben, das uns persönlich niemand wünscht, aber für den eigenen Wohlstand braucht.

In den letzten 16 Jahren des Hartz 4-Bezuges habe ich mir oft gewünscht, gehört zu werden, obwohl ich wusste, dass gehört zu werden allein überhaupt nichts bedeutet. Vor allem nicht als arme Person. Und als die Anfragen dann kamen, musste ich ablehnen. Seit einiger Zeit bin ich nicht mehr arm, sondern Hartz 4-Kund_in mit Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit. Das bedeutet auf meinem Konto praktisch nichts, aber in Bezug auf Existenzängste alles. Und über die sollte meiner Ansicht nach berichtet werden. Die Öffentlichkeit soll es wissen. Niemand darf behaupten, sie_r hätte nichts gewusst. Aus den Berichten soll sie rausschreien. Die Panik, wenn kein Geld kommt, die Scham, wenn man Freund_innen, Bekannte, Fremde um Geld bittet, die Not, wenn man keine Medikamentenzuzahlung leisten kann, die Verzweiflung, wenn man merkt, wie niemand versteht, dass man sich in jedem Kontakt mit nicht armen Menschen fühlt wie der Schmierfilm unterm letzten Dreck.

Ich bin nicht mehr arm. Und ab dem 1. Juni auch nicht mehr arbeitslos.
Nach anderthalb Jahren hin und her, Untätigkeit des Jobcenters, mehreren Begutachtungen und bis zuletzt wenig Erwartungen an einen guten Ausgang, ist der Antrag bewilligt worden. Der Verlag erhält eine Arbeitgeberförderung, damit er mich einstellen kann, ich ein Jobcoaching, damit ich eingestellt bleibe.
Es ist also geschafft. Ich bin raus aus Hartz 4 und bewege mich nun im diffusen Bereich der „working poor“.

Ich habe mir keine Vorstellung davon gemacht, wie das wohl sein würde. Wie würde ich mich fühlen? Wie wäre das, einen Arbeitsvertrag in der Hand zu halten und zu wissen: „Ab jetzt ist es vorbei“?
Nun, es ist leise. Ein leiser Fall. Einer, in dem man noch nicht weiß, ob man zufällig Flügel oder einen Fallschirm auf dem Rücken hat, um einen tödlichen Aufprall zu verhindern.

Ich kenne das unkontrollierte, nicht von Behörden ge(maß)regelte Leben nicht. Dieses Endlospapierband aus Zwang und Existenzangst, das so lange etwas war, das mir passiert, weil und damit es mich gibt, das wird jetzt gekappt. Ab jetzt gehts allein_verantwortlich weiter.

In meinem Alltag wird sich nichts verändern, aber alles wird anders sein.

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Guck, so schnell geht das. 3 Jahre in Ausbildung, unterstützt und durch die Hintertür überhaupt nur in der Form möglich, weil ein paar Patroni die Adobe-Programme und Material finanzieren (Danke! as always Herz) und der Begleitermensch immer noch unter die Arme greift, so oft er kann.
3 Jahre in Bafög-Bezug und Wohngeldleistung und zack – gar nicht mitgekriegt, dass es jetzt da ist, das Teilhabechancengesetz.
Faszinierend ist, dass alles, was die Parteien dazu sagen, auch in uns vertreten ist. Alles. Ja, auch was die AfD sagt, so ehrlich muss man sein.

Ich bin gespannt, wie unser erster Jobcentertermin nach der Ausbildung wird.
Fallen wir durch die Ausbildung aus der 7, bzw. in unserem Fall wäre es die 5, Jahres –Regel raus oder werden die abgelittenen ~ 10 Jahre vorher anerkannt? Das fänd ich nur fair, das macht man bei Untersuchungshaft schließlich auch so. Und so abwegig ist dieser Knast-Bezug in meinem Kopf auch gar nicht.

Hartz 4, das ist ein Knast ohne Gitter. Eine Insel, von der man nicht mehr wegkommt, nachdem man jahrelang alles, was darauf zu finden ist, für vergebliche Versuche aufgebraucht hat. Jedenfalls für uns. “Hätte”, “Würde”, “Wenn”, die heiligen drei Selberschulds, haben wir natürlich auch auf unserer Insel. Die ist zwar abgelegen, doch zuweilen Zentrum stürmischer Debatten, die mehr Wunde, Narbe, Verlorenheitsgefühl zurücklässt, als sich so manche Leute vorstellen können.

Diese Inselmetapher könnte auch mein fast zwanghaftes “nicht aufhören können nach Möglichkeiten zu suchen”, erklären. Was hat Robinson Crusoe denn den ganzen Tag gemacht? Essen, trinken, kacken – den Horizont absuchen. Logisch. Selbstverständlich. Was denn sonst?
Stell dir mal vor du sitzt irgendwo fest und alles, was in regelmäßigen Abständen an dich herangetragen wird, sagt dir: “Hättste halt was anderes gelernt.”, “Würdest du dich für XY entscheiden…”, “Wenn du nur nicht so wärst, wie du bist.” – das Ding zwischen Himmel und Erde, wäre dein einziges Hoffnungsversprechen.

Ja “Hoffnungsversprechen”. Nicht: “Hoffnung”, sondern das Versprechen einer Hoffnung, das du dir selbst gibst. Jeden Tag aufs Neue. “Wenn du da hinguckst, dann kommt vielleicht etwas, dass dir Hoffnungsgefühle macht. Du darfst nur nicht aufhören zu suchen. Bestimmt kommt da gleich was. Gleich. Und wenns da ist, dann rennst du zum Strand, machst Feuer, schreist in allen Sprachen, die du kannst. Du trommelst und rappelst durch die Gegend bis dir neonfarbene Blitze aus dem Arsch geschossen kommen. Das wirst du tun und dann wirst du gesehen und dann gibt es Kontakt. Und dann ist sie da.

Die Hoffnung. Die darfst du haben. Ganz für dich allein.
Die Hoffnung ist der erste Sieg.
Denn du weißt: selbst, wenn du danach wieder nicht von der Insel runterkommst: Das Versprechen auf Hoffnung konntest du dir selbst gegenüber einhalten.

Die Hoffnung ist der erste Sieg.

von und mit Hartz 4 über.leben

Am 14. 3. 2018 fragte Zeit Online Menschen in Hartz 4, nach ihrer Lebensrealität.
Wir haben einen langen Text geschrieben.
Diesen langen Text haben wir noch einmal ergänzt.

 

Von und mit Hartz 4 überlebe ich seit seiner Einführung im Jahr 2005.
2005, da war ich 18/19 Jahre alt. Jugendhilfekind seit 3/4 Jahren. Betreut in der ersten eigenen Wohnung, aus Gründen, die etwas mit meinem Willen zum Überleben und der Entscheidung zum Leben selbst zu tun hatten.

Eine Wahl, ob ich Hartz 4 in Anspruch nehme oder nicht, hatte ich nie. Um in mein Leben als schwerbehinderte, durch Gewalt in der Familie komplex traumatisierte Person hineinzufinden, brauchte ich institutionelle Hilfen. Die bekommt man als Jugendliche_r nur dann, wenn man nichts hat und niemand sonst dafür aufkommt.

Mein Hilfebedarf und der strukturelle Ausschluss, den ich aufgrund meiner Behinderung erfahre, halten mich bis heute in Hartz 4.  Nach meinem Realschulabschluss an der Abendschule, für den ich aufgrund mehrerer Krankenhausaufenthalte länger brauchte als die Schüler_innen, mit denen ich den Bildungsgang begann,  folgten 10 Jahre Bewerbungsphase, Mangelmangament und ein Kampf um das eigene Leben, der weitestgehend unsichtbar für die Menschen in meinem Leben und vielleicht auch weite Teile der Gesellschaft war.

Bei Antragsstellung auf Hartz 4 konnte ich noch eine Erstausstattung für Möbel, Waschmaschine und Kühlschrank beantragen. 10 Jahre später sind die Pressspanmöbel, die ich von dem Geld im Möbeldiscounter kaufen konnte alle kaputt, denn umziehen kann man mit solchen Möbelstücken nicht besonders oft.
Steigende Mieten bei gleichbleibend niedrigen Wohngeld erforderten aber genau das.
Einen Antrag auf Ausstattung kann man nur einmal stellen. Wenn man später erneut große Anschaffung machen muss, muss man ein Darlehen beim Jobcenter beantragen. Das wird dann in Raten vom Existenzminimum abgezogen.

Heute wohne ich in einer überalterten Wohnung mit Dusche übern Gang und Durchlauferhitzern an allen Wasserhähnen. Und zahle immer noch mehr Miete, als es mein Wohngeldsatz abdeckt.
Warmwasser ist ein Luxusgut in meiner Wohnung. Jedes Jahr streite ich mit der Wohnungsbaugenossenschaft, ob eine Mieterhöhung angemessen ist, oder nicht. Sollte ich diesen Streit einmal verlieren, verliere ich wieder ein Zuhause.

Von der Erstausstattung damals habe ich heute nur noch den Kühlschrank und die Waschmaschine.
Was ich mache, wenn die kaputt gehen? Ich habe keine Ahnung.
Ob, und wenn ja, wie ich solche Gegenstände ersetzt bekomme, passiert in meinem Leben nach dem Zufallsprinzip, das viel mit damit zu tun hat, wie leicht ich meinen Stolz und das bisschen Verlangen nach Würde, das ich durchaus noch habe, hintan stellen kann – noch mehr jedoch mit schierem Glück.

Als mein Backofen kaputt ging, bot jemand bei Twitter an, mir einen neuen zu bezahlen. Die gleiche Person hat mir eine neue Matratze gekauft, als meine alte, die ich schon gebraucht hatte kaufen müssen, nach 8 Jahren nicht mehr nutzbar war. Ich vermeide es aktiv darüber nachzudenken, wie sich das für mich anfühlt. Weil ich weiß, dass es kein gutes Gefühl ist.

Wenn Freund_innen ihre Kleidung aussortieren, schicken sie mir das, was sie nicht mehr wollen.
Seit Jahren sehe ich also überwiegend aus, wie andere Leute nicht mehr aussehen wollen und was würde besser zu einem Menschen passen, der so lebt, wie andere Leute nicht leben wollen?

Jens Spahn meint, mit Hartz 4 müsse man nicht hungern und ich kann ihm darin zustimmen.
Mit Hartz 4 muss man nicht hungern. Man kann wählen, ob man hungern will oder lieber keinen Strom haben. Oder keinen Telefonanschluss. Oder keine Monatskarte für den ÖPNV. Oder keine Schulsachen. Oder keine kulturelle Teilhabe. Oder Möbel. Oder Kleidung.

Ich habe das “Glück” auch noch wählen zu können, ob ich hungere oder auf Medikamente verzichte.
Als die Politik die Praxisgebühren für eine gute Idee hielt, sparte ich an Hausarztbesuchen, um meine regelmäßig notwendigen Facharzttermine haben zu können. Denn Praxisgebühren zusammen mit Rezeptgebühren und den Kostenanteilen für Krankentransporte, übersteigen das Budget, das ich für Medikamente und medizinische Notfälle frei machen kann.

Natürlich gibt es die Möglichkeit von diesen Kosten befreit zu werden, aber natürlich ist auch das wieder an Bedingungen geknüpft. Es muss bereits ein Betrag gezahlt worden sein – den muss man aber erst einmal haben. Und dann muss diese Befreiung auch noch bei der Krankenkasse beantragt werden.
Für mich ist das ein weiterer bürokratischer Akt, der von mir Fähig- und Fertigkeiten abverlangt, die mir aufgrund der Behinderung mit der ich umgehe, nicht nur “nicht so einfach von der Hand gehen” , sondern auch immer wieder Auslöser für psychische Krisen bis hin zur Suizidalität werden.

Als Person im Hartz 4-System ist diese Art der strukturellen Hürden nur allzu bekannt für mich.
Deshalb habe ich mich nach Jahren der Einbrüche in die inzwischen als “Hartz fear” bekannten Ausnahmezustände, für eine freiwillige gesetzliche Betreuung entschieden.
Ein weiterer Punkt an dem meine Würde begrenzt wird. Eine weitere Instanz, die eine Akte über mich und mein Leben in einem Büro stehen hat.
Es ist eine zusätzliche Erinnerung daran, dass ich und mein Leben von gesichtslosen Instanzen verwaltet und bestimmt werden, statt von mir selbst.

Mein Über.Leben mit Hartz 4 halte ich heute nicht mehr unsichtbar.
2008 habe ich angefangen meine Er_Lebensrealität im Internet mitzuteilen. Immer wieder habe ich aufgeschrieben, wenn mir die Existenzangst den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Jede Ablehnung auf eine Bewerbung, jede verspätete Zahlung des Jobcenters, jedes Ringen um Anträge auf Hilfeleistungen, Darlehen und die Zweifel an meinem eigenen Wert als Mensch in dieser Gesellschaft, habe ich in mein Blog geschrieben und tue das noch heute.
Nicht, weil ich mein Leben für besonders exemplarisch halte, sondern, weil es noch viel zu wenig Menschen tun (können) und es so weiterhin als Ausnahme gilt.

Für mich war Hartz 4 nie der Lückenfüller zwischen zwei Jobs oder das, was ich haben kann, während ich etwas tue, was mich perspektivisch davon unabhängig macht.
Hartz 4 hat mich zu dem Problem gemacht, das ich heute für Teile der Gesellschaft bedeute.

Oder eben auch nicht. Es kann ja auch praktisch sein, eine Bevölkerungsgruppe in Armut zu halten, damit man eine Art nachwachsende Masse an Menschenlebensrealitäten hat, mit der man anderen Menschen genug Angst macht, damit diese immer mehr Ausbeutung mit sich machen lassen.

In eineinhalb Jahren werde ich meine Berufsausbildung beendet haben.
Dann bin ich 33 Jahre alt und habe Anlass zur Frage, ob und wenn ja wie Familiengründung und verantwortungsvolle, vielleicht auch autonome Zukunftsplanung für mich möglich sein können.

Als schwerbehinderte Person mit Kinderwunsch, ohne Familie im eigenen Unterstützerhintergrund, wird es in keinem Szenario leichter, einfacher, sicherer, weniger von Zufall und politischem Gusto abhängig, wie ich in Deutschland überleben können werde.

Das Einzige worauf ich mich verlassen kann, ist, dass es immer wieder Menschen geben wird, die versuchen das eigene Selbstbild Gewissen mit Wohlfahrtsgesten  auf zu polieren zu beruhigen. Es wird immer Menschen geben, die Mitleid und den Wunsch haben, die_r Retter_in für die armen, alten und kranken Menschen in der direkten und indirekten Umgebung zu sein. Und es wird immer Menschen geben, die diese Menschen einspannen, um Geschäftsmodelle zu realisieren und zu etablieren, die ihrerseits arme, kranke und alte Menschen in Not brauchen.

Ich selbst habe “die Tafeln” in den letzten 13 Jahren insgesamt 5x in Anspruch genommen.
3 x weil meine Stromkostennachzahlungen den Wert von 3 Wochen Lebensmittel hatten, 2 x, weil ich Winterjacke und –schuhe gegen Essen eintauschen musste.
Ich hätte auch Freund_innen um Geld bitten können. Sie hätten mir alle was gegeben. Doch diese 5 Male konnte ich das einfach nicht ertragen.  Diese 5 Male wollte ich vor meinen Freund_innen nicht die sein, die Geld für Essen erbetteln muss.

“Die Tafeln” haben sich gegründet, um der Lebensmittelverschwendung etwas entgegen zu setzen und sehen ihren Auftrag nicht darin eine Armenspeisung zu machen. Für mich zeigt sich in diesem Selbstverständnis die Ignoranz, die nur entwickeln kann, wer nie (über längere Zeit) auf Hartz 4 und Spenden angewiesen war.
Denn es sind und waren schon immer arme Menschen, die den Müll, den niemand sonst mehr will, im besten Fall geschenkt, in der Regel jedoch zu- und ausgeteilt bekommen.

In Deutschland gibt es meiner Meinung nach keine Sicht auf Spenden und Hilfen, die für die eigene Abschaffung sorgen. “Die Tafeln” sind ein gutes Beispiel dafür.
Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das verantwortungslose Verkäufer_innen verursachen. Anstatt nur so viel einzukaufen, wie auch wirklich verkauft wird, wird so viel eingekauft, das immer ein Überschuss bleibt, dessen Entsorgung durch Müllwirtschaft preisgünstig und einplanbar ist. “Die Tafeln” und andere Lebensmittelrettungsorganisationen kommen zu diesen Verkäufer_innen und nehmen ihnen diese Verantwortung auch noch ab.

Es ist eine Verwertungsschleife. Eine weitere Profitschleife.
Keine Maßnahme, die zu nachhaltigen Veränderungen am Grundproblem führt.
Das Schlimme daran ist nicht, dass das so ist – das absolut Schlimme daran ist, dass es das nie sein sollte: eine echte Veränderung eines Grundproblems.

Meiner Ansicht nach ist das Grundproblem das, überhaupt für Dinge bezahlen zu müssen, die die Grundbedürfnisse von Menschen sichern und befriedigen. In unserem Wirtschaftssystem muss man für das eigene (akute) Überleben ganz direkt bezahlen und hält das für normal.
Lassen Sie das vielleicht einmal richtig einsinken:
Wenn man nicht isst, dann stirbt man.
Wenn man nicht warmgehalten ist, dann stirbt man.
Wenn man krank ist und nicht versorgt wird, dann stirbt man.
Wenn man keinen sicheren Ort hat, dann stirbt man
Wenn man keine soziale und kulturelle Teilhabe hat, dann sieht man keinen Sinn mehr darin zu leben.

Damit man nicht stirbt, bezahlt man Geld. Und zwar immer wieder.
Das Leben selbst hat so in keinem Fall mehr einen “unschätzbaren Wert”.

Wir als Konsument_innen bezahlen nicht dafür, dass Bauer Heinze es sich leisten kann, seine Äcker so zu bewirtschaften, dass er ihn noch so lange nutzen kann, bis er nicht mehr will oder kann. Wir geben ihm Geld für einen Teil seines Ertrages plus den Profit, den der Verkauf einbringen soll.
Damit wir etwas zu Essen haben. Damit wir nicht sterben.

Hartz 4 hat mich lange in der Idee gehalten, immer möglichst viele Lebensmittel für so wenig Geld wie möglich einzukaufen. Dazu gehörte der Konsum von fertigen und durch staatliche Subventionen dauerbillig gehaltene Lebensmittel. Also vor allem Milch und Fleischprodukte, die mir, wie ich heute weiß, gesundheitlich massiv schaden und auf vielen anderen Ebenen hochproblematisch sind.

Ich habe mich lange nicht im wirtschaftlichen/produktiven Sinne gefragt: Wofür leb ich eigentlich?
Denn für mich ist die Antwort darauf schmerzhaft: Als Hartz 4-Empfänger_in (die mit Behinderungen lebt) ist mein Überleben vor allem als Konsument_in wichtig. Nicht als Produzent_in. Nicht als Mit_Gestalter_in. Nicht als Mit_Bestimmer_in.

Mir wird Geld gegeben, damit ich überleben kann, damit Bauer Heinze überleben kann, damit andere Profit machen können, damit alles immer verfügbar ist – egal wie, egal wie lange noch, egal mit welchen Auswirkungen auf die Mitwelt und all die Generationen nach uns.

Niemandem scheint es darum zu gehen, wie lebenswert das Leben ist, das mir genau jetzt mit Hartz 4 gesichert wird.
Niemanden scheint es zu interessieren, was ich und all die anderen Menschen in meiner Lage zu geben haben, wenn wir nicht 24/7 damit beschäftigt sind zu nehmen, um zu überleben.

Das ist kränkend und krank machend. Manchmal auch: krank haltend.
Vor allem, wenn Außenstehende meinen, sie könnten das in irgendeiner Form nachempfinden und besser machen.

 

Ich weiß – sie fragen in Ihrer Zeitung nur danach, wie ich so mit Hartz 4 lebe, aber ich will bei der Gelegenheit auch sagen, was ich mir anders wünsche und von der Regierung fordere

Ich wünsche mir die Möglichkeit als Hartz 4-Empfänger_in vom Jobcenter bei jeder Art von Aus- und Weiterbildung finanziell unterstützt zu werden.
Meine Ausbildung, als nicht mehr Minderjährige wird zum Beispiel finanziell nicht unterstützt, obwohl meine Chancen auf eine Berufstätigkeit mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung steigen wird. Und genau das doch ist, was mich angeblich aus dem System Hartz 4 herausbringen soll.

Ob ich studieren kann, hängt vom Bafög-Amt und dem Engagement für die Inklusion von schwerbehinderten Studierenden einer infrage kommenden Fachhochschule bzw. Universität ab.
Ob Ausbildung und Studium genügen, irgendwann selbst für mich und mein Leben aufzukommen, wird der Arbeitsmarkt und sein Grad an gelebter Inklusion dann zeigen.

Ich fordere von der Regierung die konsequente Inklusion und Entschädigungen für Personen wie mich, die in der Zeit zwischen Unterzeichnung der UN-Menschenrechtskonvention und der konkreten Umsetzung, wegen struktureller Diskriminierung aufgrund einer Behinderung keine andere Wahl hatten als abhängig, arm und ausgeschlossen zu sein.

Den emotionalen Schaden, den die Jahre in Hartz 4 (und damit in Armut, Ausgrenzung, permanentem Mangel und Perspektivlosigkeit) mir beigebracht haben, wird kein Geld der Welt jemals ausgleichen können.
Sich aber wenigstens für eine Weile nicht mehr zwischen der Erfüllung von Grundbedürfnissen entscheiden zu müssen und dadurch Zeit und Raum für Perspektivenentwicklung und Zukunftsabsicherung zu haben – das wäre nur gerecht und angemessen. Eine wahrhafte Grundsicherung.

An die Menschen mit Behinderung bzw. chronischer Krankheit hat man weder bei Konzeption noch Einführung von Hartz 4 jemals gedacht. Man denkt selbst in der Diskussion heute nicht an diese Personengruppe, sondern konzentriert sich auf all die Menschen, die kontinuierlich arbeitsfähig sein könnten, würde es Stellen für sie geben.

Das muss sich ändern.
Deshalb habe ich Ihnen all das hier aufgeschrieben.
Bitte sehr.