aus dem Leben von 8.38 Uhr bis 10.42 Uhr

Ziemlich genau abgepasst gleiten wir auf der Energiewelle des Schlafmangels.
Klingt komisch?
Ist aber so.
Inzwischen sind wir ca. 30 Stunden wach und jetzt ist die Kurve oben. Der Körper schaltete auf “sicheren Platz zur Ruhe suchen- JETZT”

Naja- wir trugen ihn jetzt erst mal zum Arbeitsamt.

Lief richtig gut- dafür, dass das erst der zweite Termin so ganz ohne Betreuungsrückenstärkung war. Wir haben uns vorbereitet und haben alles ansprechen und klären können. Coole Sache, wir werden also nicht verhungern müssen und gegen einen Besuch der Abendschule sprechen auch keine eventuellen Fallstricke in Richtung (dann) erneute ökonomische Abhängigkeit zu Menschen, von denen wir nicht mehr abhängig sein wollen.

Hach ja… so entschwebten wir dem großen Klotz inmitten der Schneeflockenwirbel.

Schnell noch ins Einwohnermeldeamt, beweisen, dass es uns gibt. Fragen, ob sie noch alle Latten am Zaun haben (oder sie lieber eine Hecke pflanzen möchten) und dann sollte es nur noch schnell…

Ja.
Mit schnell war dann erst mal nichts mehr. Wir wollten nur noch ein paar Bögen Papier kaufen. Dazu durchquert man am Einfachsten die Fußgängerzone.
Ich glaube, der Wegegänger mag dieses Wegstück, weil es Fahnen, spiegelnde Flächen, wackelnde Tischdecken, Markisen und symmetrisches Pflaster gibt. Er hat eine schräge Wahrnehmung und die Gefühle, die so spürbar sind, sind sehr “roh”- unbehauen sozusagen. Ohne Überlegung, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht.
Es ist ein bisschen, wie einem Kind beim Spielen zuzugucken für mich, wenn ich so in seiner Peripherie bin. Unbeschwert, wenn es Bewegungen gibt, denen er folgen kann- Musik in den Ohren die ihn schützt. Es freut mich für ihn, wenn es schneit. Denn für ihn ist es, denke ich mal, einfach wunderbar.

So traf mich sein Schmerz, als wir Zeugen wurden, wie ein Radfahrer eine Taube anfuhr- und einfach weiter radelte.

Wir haben so etwas nun schon drei Mal hier in dieser Stadt erlebt. Und auch schon mehrere Male118925_web_R_by_lanxam_pixelio.de totgefahrene oder einfach so gestorbene Tauben in der Fußgängerzone auf dem Weg liegen gesehen.
Wir können dann nicht einfach vorbei gehen.
Egal wie “krank und eh bald tot” und “eh zu niemandem gehörend” und “eh nur Ratten der Lüfte” sie sind, es gibt bei uns das dringende Wissen, dass kein Wesen auf der Welt allein sterben und dann so ungeschützt da liegen sollte. Egal warum, wann, wie und wo.

Da geht es nicht um Mitgefühl, Nächstenliebe, Menschlichkeit oder Tierliebe, Es ist nur dieses dringende Wissen.

Wir blieben als Einzige stehen und hoben das Tier auf. Es war klar ein Todeskampf und es dauerte auch nicht lang, bis es vorbei war. Aber sie war nicht allein.

Und wir auch nicht.

Es kam ein Mensch auf uns zu und fragte, wie es stünde. Naja- war ja nicht mehr viel zu stehen. Wir sagten ihm, dass sie nun gegangen sei und es vorbei ist.
Er fragte, was wir nun mit dem Körper anstellen würden. Ganz ehrlich: das “wir” in dem Satz, hatte uns mehr schockiert, als der Unfalltod des Vogels in unserer Hand.

Die anderen Male, wenn wir ein totes Tier sahen, griffen wir zu einer der Plastiktüten für NakNak*s Haufen und legen den Körper dann in einen Mülleimer der Stadtreinigung. Diesmal gaben wir einen unserer Stoffbeutel her.

Die Papierbögen haben wir nicht mehr gekauft. Wie der Mensch heißt, wissen wir nicht und ob wir ihn je wieder sehen werden, auch nicht. Aber es war ein furchtbar schön-schrecklicher Moment.

Als wir dann in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause saßen, dachte ich darüber nach, wohinein ich diese Episode einbetten könnte, wenn ich blogge. Wie der Titel sein könnte und was für eine Botschaft in ihm stecken würde.

Dann fiel mir ein, dass wir im “Lauf der Dinge” schreiben.

Das war der Lauf der Dinge.
Heute. Hier in dieser Stadt. Im Leben eines Menschen von 8.38 Uhr bis 10.42 Uhr.

Für sich eingetreten, für sich gekämpft, einer Taube beim Sterben beigestanden, ein Wir mit einem Fremden erlebt. Alles mit einer Tasse Kaffee im Bauch und hoffend, dass das Energietief auf den Schlafmangel, noch etwas auf sich warten lässt.

hilflose Helfer

Es gibt Tage, da kann man nicht gewinnen. Ist aber gezwungen weiterzuspielen.

So ist das Leben- es geht immer weiter und es geht um des Lebens selbst Willen.
An sich bin ich sehr dankbar für diese Einstellung des Lebens zu sich. Es ist wertbefreit und geht einfach nur darum prinzipiell existent zu sein. Ausgestaltung und Befindlichkeit ist sekundär.

Wenn es sich doch bitte nicht gleich immer so ganz fürchterlich anfühlen würde, wenn es mal “untoll” ist! Und wenn doch bitte auch nicht immer gleich meine ganze Welt wackeln würde.
Himmel noch eins!

Es geht uns nicht gut. Es geht uns überhaupt nicht gut, schon seit wir “den letzten Tanz “ getanzt hatten nicht. Diese riesengroßen Warum?´s haben nachwievor keine neue Bleibe. Sie wachsen und wachsen nachwievor und es gibt immernoch keine Antwort. Keine Sprache und keine Worte um zu erklären oder in Kommunikation zu kommen. Der schriftliche Ausdruck ist das einzige Ventil und dieses ist noch nicht einmal so entlastend wie sonst. Fast eher das Gegenteil.
Wir fühlen uns von dieser sonst so zuverlässigen Ressource verlassen. Und dieses Verlassenheitsgefühl ist noch wieder Nahrungsgrundlage für diese Warum?´s.

Aber wir sind ja nicht mehr klein und darauf angewiesen, dass andere uns sagen, dass wir uns Hilfe holen können und dürfen.
Wir haben versucht es in der Therapie zu besprechen und sind in eine Kette gerutscht. Total ärgerlich! Klar- sowas kann passieren und gerade wenn man neu anfängt mit jemandem und allgemein eher krisig ist- aber bei diesem Thema war es super mega scheiße, dass es passiert ist. Diese Stunde vor dem Urlaub im größten Teil mit Reorientierung zu vergeuden, war einfach nicht gut.
Und selbst an dem Punkt hielten wir uns vor: “Okay wir sind groß, wir haben viel gelernt- ja wir machen dies und das und dann das und das und dann nutzen wir dies und jenes…” Ja- eine Woche Therapeutenurlaub, bekommt man so auch noch hin. Davon geht die Welt nicht unter. Das Leben geht ja weiter- egal, ob man gewinnt oder nicht. Ob beschissene Feiertage, die noch wieder ganz andere Sachen in Wallung bringen, dazwischen liegen und man gleich mal noch DIE Sinnkrise ever dazwischen schiebt, oder nicht. Es lebt und lebt und lebt.
Wie dieses bekloppte Energizerhäschen (ehrlich- derjenige der sich diese Werbung ausgedacht hat, muss doch inzwischen reich sein, oder? Wann gabs die im Fernsehen? Und immernoch wirds als DER Vegleich für Langlebigkeit herangezogen.. Bombe!) gehts immer weiter- vielleicht auch in pink und plüschig mit irrem Grinsen?

Doch das Leben ist ja auch Entwicklung und Mutation. In unserem Fall haben sich mal eben die Warum?´s mit einem weiteren Aspekt, der gerne mal in Bezug auf überlebte Gewalt auftaucht, gepaart. Herausgekommen ist ein ekelhaft ohnmächtig machendes: “Ist das wirklich passiert?! WARUM hab ich dann kein Wort dafür?! Ich hab doch sonst immer Worte! Weil ich jetzt keins hab, kanns ja auch gar nicht passiert sein.”
Dieses fliederfarbene kratzig inkonsitente Ding legt alles lahm.

Und das ganz offensichtlich auch bei Helfern und Gemögten.
Es tauchte auf, nahm uns in Besitz und wir sind trotzdem immernoch groß und sorgen gut für uns- obwohl es sich inzwischen so anfühlt, als wäre es sowas von falsch und verboten (Weil: “Es ist ja nichts passiert- man kann es ja nicht benennen- also darf man auch keine Hilfsressourcen fressen”) und dann: Versagt das Hilfsnetzwerk.

Großartig.
Ja. Menschen dürfen krank sein. Ja. Menschen dürfen arbeiten. Ja. Menschen dürfen mich nicht verstehen. Ja. Niemand ist verpflichtet mir zu schreiben, mich anzurufen oder überhaupt Kontakt mit mir zu machen. Ja. Alles richtig und okay.
Aber ich brauche doch Hilfe!
Und jeder sagt mir doch, dass ich sie haben darf.
Und sogar wo ich sie bekommen kann.

Also riefen wir bei der Telefonseelsorge an. Und hatten eine Frau am Telefon die einerseits Verständis hatte und bemüht war zu helfen (“Wenn sie es nicht so sagen können, schreiben sie es doch auf und rufen mich nochmal an. So in einer Stunde. Vielleicht geht es dann”) aber andererseits absolut nicht in der Lage mehr zu tun, als uns zu sagen “Sie brauchen professionelle Hilfe”. Ja Sorry- aber auf diese Glanzidee waren wir auch schon gekommen?!
Also zweite Email an die Frauenberatungsstelle. Keine Antwort. “ Findet sie uns doch scheiße? Hat sie jetzt doch für sich erkannt, wie schlecht wir sind und sie will sich schützen?! Krankheit? Tod?! PC kaputt? Darf man nicht so fragen? Was hab ich falsch gemacht? G’tt- hat sie Ärger gekriegt?!” rasen die Ideen und Gedanken wie ein D-Zug durch Kopf und Seelen- obwohl man eigentlich weiß, dass das Meiste dieser Gedanken Quark ist.
Also bestimmt der 20ste Anruf an eine der Stellen an der wir unsere Gemögten vermuten. Handys angeklingelt. Keine Antwort.
Wie ein Krake die Arme ausgefahren.
Letzte Station: sozialpsychiatrischer Krisendienst. “Wo wohnen sie- ich denke es ist besser wenn sie jetzt nicht allein sind. Wir können uns über eine Krisenintervention in unserem Hause unterhalten” Prima!!! Jetzt gleich noch ein paar Klapsenerinnerungsflashs und ich denke:
“Maaaan- ich will eure Hilflosigkeit nicht sehen! Ich will jetzt einen der mir einfach nur ein Wort gibt! Ich will das jetzt hier einfach nur mit einem Stempel versehen können und nichts weiter als es so verpackt auf meine Müllkippe schmeißen! Jetzt zeigt mir doch nicht, dass ihr diesem schlimmen Ding auch so hilflos ausgeliefert seid wie ich! Ihr seid doch die Anderen! Ihr seid doch die, an die ich mich wenden soll, wenn ich Hilfe brauche! Ihr seid doch die, die Macht haben das alles ein bisschen von mir zu nehmen!”

Nein, das sind sie alles nicht. Keiner ist das. Mal wieder wackelt unser (total junges und mühsam ins Innen gebrachte!) Bild davon, dass man Hilfe bekommt, wenn man sie braucht. Mal wieder sind wir in einer Position, in der wir Innenkinder die ihre Gefühle von abgrundtiefer Einsamkeit, Verzweiflung, Ohnmacht, Hilflosigkeit und einem gewissen Ausgeliefert sein in sich tragen, nicht so einfach “ruhig” bekommen. Wo wir nichts aber auch gar nichts einbringen können um Entlastung, Linderung oder schlicht “Ja… ich bin da” erschaffen zu können.

Dann klingelte das Telefon und eine Gemögte war dran. Sie kennt uns. Sie weiß um unser sein. Und schafft es doch auch nur wieder noch weitere Risse reinzubringen.
So schaltet es um auf diesen “Ja ich nehme an was da ist und lasse sie nicht spüren, wie es in mir schreiht”- Modus.
Der beste Aspekt an dem Anruf ist noch, dass wir wissen, dass sie überhaupt noch lebt. Dass sie da ist- immerhin diese Angst kann man in dem Moment schon mal abhaken.

Und der Rest?
Es liegen jetzt etwa 165 einhalb Stunden vor uns, die wir irgendwie leben müssen.
Klein und schwach und verletzt- fühlend, obwohl wir doch groß sind. Und obwohl wir doch wissen, dass wir eigentlich Hilfe bekommen könnten. Und doch ist es einfach schlicht die falsche Hilfe.

Warum gibt es keine Telefonseelsorge für traumatisierte Menschen?
Warum werden die Menschen bei der Telefonseelsorge so schlecht auf solche Themen vorbereitet?
Warum sind sie Funktionen der öffentlichen und kostenlosen Beratungsmöglichkeiten so exakt auf: “Entweder sie kommen klar oder sie müssen in die Psychiatrie” ausgerichtet?

Warum sind denn alle so hilflos und gaukeln mir aber vor, sie wären es nicht?

Warum sitze ich hier jetzt allein in meiner Wohnung, hab Angst, fühl mich schlecht und keiner ist bei mir, wenn ich doch so groß bin und eigentlich alle Hilfe ranholen kann, die ich brauche? Ich muss doch nicht mehr allein sein. Ich kann doch jetzt für mich eintreten. Ich bin doch jetzt auch groß und mächtig!

Warum soll dann die einzige Hilfe ausgerechnet die sein, die mich klein und schwach macht?
Fühlen sich dann alle Helfer weniger hilflos?
Warum soll ich mich denn dafür opfern?

Ich hab euch doch nichts getan!