all the shades of “Schweigen”

Mit „Schweigen“ und „Opfer“ – „Schweigen“ und „sexueller Missbrauch“ kommen die Klicks. Damit kriegt man die Leute an die Inhalte zum Thema. Hier eine Broschüre mit Hilfeangeboten und Beratungsstellen, da ein bahnbrechend aufrüttelnder Film. Hier ein berührender „Roman“ und da ein „vom Mantel des Schweigens“ befreiter Skandal. „Die Opfer müssen ihr Schweigen brechen!“ – ein stetiger Imperativ, wo und wann auch immer es um Strafverfolgung und ihre Hindernisse geht.
Wie schwierig dieser Strudel ist, habe ich schon oft im Blog von Vielen beschrieben. Habe aufgezeigt, welcher Schuldspruch an die Opfer und zu Opfer gewordenen damit getragen wird. Habe formuliert, wie laut Opfer und zu Opfer gewordene sind, selbst, wenn sie keine Worte für das haben, was ihnen passiert ist.

Natürlich wird sich überall nach wie vor an allen Ecken und relevanten Stellen auf „das Schweigen der Opfer“ bezogen – und nicht darauf, wer was wo wie wann hören, aufnehmen, begreifen kann, will, muss.
Natürlich wird auch immer noch darüber gesprochen, wie man helfen kann, Wege und Mittel aus den Schweigegeboten, denen Opfer und zu Opfern gewordene unterliegen, zu finden.
Und natürlich steht daneben das Schweigen all derer, die durch diese Bemühungen mit etwas belastet werden, das mit ihnen selbst überhaupt nichts zu tun hat.

Wir berichtigen ‚unsere Menschen‘ nach wie vor, wenn sie uns einfach zu der Gruppe derer zählen, die mit Schweigegeboten zurechtkommen müssen.
Wir wurden nie einem Schweigegebot unterworfen. Wir wurden Redeverboten unterworfen.
Das ist etwas anderes und für uns ist es ein relevanter Schritt gewesen, das zu erkennen und zu begreifen, denn ein Verbot ist etwas anderes als ein Gebot.

Wir erleben die Auseinandersetzung mit Schweigen im Kontext von Gewalt einseitig täter_innen(willen)zentriert und nicht zuletzt, als immer wieder die konkret betroffenen Personen in ihren Handlungsoptionen normierend.
Es ist so selten, dass in einer Fachtagung, einem Kongress, einer breit wirksamen Veranstaltung darüber gesprochen wird, wie sich die Auffassung von Schweigen als Schutz allein und nicht auch als notwendiges gewaltkulturelles Fundament der Gesellschaft, auf das Anzeige- und Strafverfolgungs , so wie das -verurteilungssystem auswirken.

Man spricht so gern von Liese Müller, die schrecklich leidet, weil sie ein unfassbar furchtbares Geheimnis hat, das sie nicht teilen kann. Man beschreibt so gern den Käfig ihres Schweigens und nicht zuletzt natürlich den wahnsinnig inspirierenden Befreiungskampf daraus, was dann auch schnurstracks zu Heilung, Gerechtigkeit und Regenbogen überm Sonnenuntergang führt.

Der soziale Tod von Hilda Stein, ihrer Familie und ihrer Herkunftsfamilie – die Scham, die Not an jedem Wort und jeder Selbstwirksamkeit – das langjährige und dann gescheiterte OEG-Verfahren – die Jahre der Therapie und der Versuche irgendwie auf einen grünen Zweig zu kommen – ohne je in einen Zustand zu kommen, in dem sie mehr sagen konnte als: „Ich wurde von XY misshandelt“ – das fehlt.

Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass es kein „das Schweigen brechen“ ist, wenn man einen Oberbegriff für erfahrene Gewalt benutzt oder einfach eine_n Täter_in benennt (und anzeigt).
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, was eine Straftat ist, und was nicht.
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, wann genau man was nicht sagen soll.
Und das betrifft nicht nur das Sprechen über Gewalt und Opferschaftserfahrungen.
Das betrifft auch das Sprechen über Krankheiten, seelische Befindlichkeiten, Menstruation und die Beschaffenheit von Kinderwindelinhalten. Zum Beispiel.

Schweigen gebieten nicht nur Gewalttäter_innen. Schweigen gebietet auch und meist sogar noch vor denen, die den Schutz durch Schweigen von ihren Opfern einfordern, unsere Gesellschaft und die (Gewalt-)Kultur, die sie pflegt.

Ich formuliere es radikal und dadurch leicht misszuverstehen, wenn ich schreibe: „Ein Schweigen der Opfer gibt es nicht“ und bleibe dennoch dabei.
Denn es ist wichtig zu verstehen, dass das Verschweigen von Gewalt(ausübungs)- und Opferschaftserfahrungen (also auch: globalen Ohnmachtserfahrungen) nichts ist, was in irgendeiner Form für bestimmte Personengruppen reserviert sein darf.

Die Anerkennung einer eigenen Opferschaft wird dadurch erschwert, dass man sich durch das soziale Reglement, wer wann worüber wo und vor wem etwas zu sagen verpflichtet ist, oder nicht, wer sich wann wo wie und wem gegenüber einer Aussage entziehen darf und wer nicht, eine eigene Position suchen muss.
Es ist nicht immer und ausschließlich der Druck vor der Angst, eine Opferschaftserfahrung könnte nicht geglaubt werden oder die Angst vor einer Strafe durch eine_n Täter_in, die Menschen daran hindert, gemachte Opferschaftserfahrungen zu beworten. Noch allzu oft ist es auch das ganz klare Spüren der Unerwünschtheit dieses Themas oder das Bewusstsein um Ohnmachtserfahrungen als dem Leben in dieser Gesellschaft immanent.
Genauso wie heute nach wie vor der soziale Tod eintreten kann, wenn man sich nonkonform in Bezug auf die Regeln der thematischen Angemessenheit verhält.

Natürlich stehen daneben die Überlegungen: „Okay, wenn wir das nicht wollen – wenn wir dieses Reglement aufbrechen wollen, dann müssen wir darüber reden. Und zwar immer und überall – wir verschonen niemanden. Sich rausziehen und die Augen verschließen, das erlauben wir nicht. Niemand soll sagen dürfen, er kenne niemandem, dem SO ETWAS mal passiert ist.“.

Für uns ist das ein Ansatz, der an der falschen Stelle anfängt. Weil wir wissen, dass jeder Mensch in der Umgebung auf jeden Fall jemanden kennt, dem SO ETWAS mal passiert ist – es aber nicht immer unbedingt auch weiß. Und zwar aus Gründen, die in der Umgebung dieser Menschen und den Möglichkeiten des konkret betroffenen Menschen liegen.

Was nutzt es Ella Kranz, die den örtlichen Kindergarten leitet und schwere Medikamente einnimmt, um trotz massiver PTBS-Symptome weiter arbeiten zu können, wenn Hannah C. Rosenblatt in allen Einzelheiten über ihre ersten 21 Lebensjahre schreibt? Oder Ute Koch jede Sekunde ihrer erlittenen Vergewaltigung durch ein Mikrofon ins Fernsehen spricht?
Ella Kranz braucht das nicht. Niemand braucht das. Niemand, außer vielleicht Hannah C. Rosenblatt, Ute Koch und all die anderen, die irgendwann das Gefühl haben, dass es richtig ist, die Einzelheiten und Details auszusprechen, um sie eben überhaupt einmal ausgesprochen zu haben – weil man es konnte oder wollen konnte oder können wollte oder oder oder
Jedenfalls braucht sie das nicht, um zu erfahren, dass sie nicht allein ist und es Hilfe für sie geben kann, die ihr auch so solidarisch zur Seite steht, dass sie weder ihren Job noch ihre soziale Position verliert. Dafür braucht sie das ausdauernde Engagement von Helfer_innen, strukturelle Sicherheiten und das Zutrauen in sich, durch diese Zeit ihres eigenen Lebens gehen zu können – also eine Umgebung, in der sie schweigen und sprechen kann, aber nicht muss.

Ich möchte Menschen mit meinen Erfahrungen verschonen, um mich zu schonen. Ganz klar.
Ich komme nicht gut mit all diesem reflexhaft abgespulten Zeug zurecht, das Menschen von sich geben, wenn sie nicht wissen, was sie von sich geben sollen, könnten, wollen. Deshalb halte ich meine Opferschaftserfahrungen als Teil von mir, wie meine Hundehaltungserfahrungen, meine Bastelerfahrungen, meine Schreiberfahrungen, meine x anderen Lebenserfahrungen in Kontakte hinein und entbinde Menschen ganz grundsätzlich von einer Reaktion darauf.
Ich erlaube ihnen mit mir zusammen darüber zu schweigen und einfach gemeinsam zu sein in dem Wissen, dass diese Erfahrungen da sind.

Das ist meine Art der sozialen Selbstermächtigung in dieser unserer Gesellschaft, die sowohl mich als Person, die zum Opfer wurde und mein offizielles Verschweigen von Straftaten an mir, als auch all die Abwehr- und Selbstschutzmechanismen in meinen Mitmenschen geformt hat.
Ich bin kein „schweigendes Opfer“, weil mich die Polizei oder irgendein gewaltkultureller Opfermythos so braucht, um mir meinen Schmerz, mein Leiden und nicht zuletzt auch uns als Mensch, der viele ist, zuzugestehen und anzuerkennen.
Ich bin eine Person, die etwas verschweigt, weil sie es kann, nachdem es jahrelang aktiv von ihr zu können gefordert wurde, und zwar von jemanden, der sie ganz global beherrscht hat.

Heute ist es meine Entscheidung zu schweigen. Meine globalen Opferschaftserfahrungen sind vorbei und die Macht der Täter_innen ist auf einer Ebene in meinem Leben, die nicht mehr nur mit mir allein zu tun hat und sich deshalb auch nicht mehr auf mich allein konzentriert.

Mein Schweigen ist losgelöst von Schulddynamiken.
Mein Schweigen ist losgelöst von Errettungs- und Heilungsphantasien.
Mein Schweigen ist losgelöst von meiner früheren Opferschaft.

Mein Schweigen ist, was es ist: Schweigen, aus Gründen, die ich allein bestimme, auch dann oder sogar trotz dem, ich damit Täter_innenwillen oder Interessen von Täter_innen schütze, berücksichtige oder bewahre.
Mein Denken, Fühlen und Leben im heutigen Hier und Jetzt, will ich nicht so täter_innenzentriert passieren lassen.

Für mich ist es wichtig, dass sich um Opfer und zu Opfern gewordene gekümmert wird, weil sie zu Opfern wurden und das etwas mit ihnen macht bzw. gemacht hat. Und nicht, um Täter_innen zu drohen oder sie zu bestrafen oder zu beschämen.
Die Auseinandersetzung mit Straftäter_innen ist in unserer Gesellschaft ganz klar und strukturell geregelt. Wir haben Gesetze, die sie als Täter_innen definieren. Wir haben eine Justiz, die ihre Taten verurteilen und ihre Strafen bemessen soll und wir haben Gefängnisse, die sie genauso aus der Gesellschaft herausreißen, wie es die Gewalt- und Ohnmachtserfahrung ihrer Opfer zuweilen tut.

Für Opfer und zu Opfern gewordene fehlt etwas Vergleichbares.

Eine detaillierte Beschreibung meines früheren Leides wird solche Strukturen nicht entwickeln. Sehr wohl aber könnten sie dazu beitragen zu normieren, wer was erfahren haben muss, um welche Hilfen, wie wo vor wem einfordern zu dürfen.

Meiner Ansicht nach, muss man davon wegkommen, sich mit dem „Schweigen der Opfer (und zu Opfern gewordenen)“ auseinanderzusetzen und sich endlich mehr damit beschäftigen, wie man hört, was Opfer und zu Opfern gewordene sagen und wie man dann damit umgeht als Gesellschaft.
„Wir Opfer und zu Opfern gewordene™“ schweigen nämlich alle unterschiedlich und die Anerkennung dessen bleibt aus.

Genauso wie weiterhin darauf verzichtet wird, sich mit dem Schweigen der Täter_innen auseinanderzusetzen.
Ein einziges Mal will ich in einer Missbrauch-Trauma-Gewaltpräventionsverstaltung sitzen und hören, dass die Täter_innen ihr Schweigen brechen sollen und man sich etwas überlegt hat, wie man das wohl möglich machen könnte.

Es ist Zeit, sich dem Schweigen zu widmen, anstatt sein Ende einzufordern.

arm

Man kann uns über die Abwertung von Armut gut verletzen.
Das geht richtig tief. Rührt an Scham und Minderwertigkeitsgefühle, erinnert an die Verzweiflung, die mit unserem Kämpfen der letzten 10 Jahre um eine Berufsausbildung und bezahlte Jobs einhergehen.

Die Verletzung hat drei Stränge, die uns so bewusst sind, weil wir es uns in unserer Lebenslage nicht leisten können sie auszublenden, wie Menschen, die es für angemessen halten uns über die Abwertung unserer Armut zu verletzen.
Strang eins ist in der Person verortet, die uns damit verletzt. Da gibt es Gründe, da gibt es Willen zur Verletzung, Demütigung und Selbsterhebung, der nichts mit uns zu tun hat.
Strang zwei ist in dem Kontext, der unsere Armut begründet und aufrecht erhält, verankert und hat ebenfalls nichts mit uns als Person zu tun.
Strang drei ist in der Gesellschaft verankert, die in sich Strang eins und zwei vereint, ohne dies an sich zu reflektieren, weil die eigene Haut als bedroht eingestuft wird, wenn es um Armut geht. Da gibt es eine Ahnung vor der sich geschützt werden muss, da gibt es *ismen, die die Welt erklären und Menschenleben niedermähen, wie ein Kornfeld. Am Ende bin ich nur Teil der niedergemähten Masse. Wieder geht es nicht um mich.

An allen drei Strängen bin ich nicht konkret beteiligt, aufgrund meiner Armut. An allen drei Strängen kann ich allein nichts verändern, gerade weil ich allein nicht beteiligt bin. Und doch gibt es Menschen, die mir unterstellen, ich würde an meiner Lage nichts verändern wollen und deshalb nichts tun.
Ich nenne das “die Teilhabeblindheit”, die vor allem Menschen befällt, für die Teilhabe allein über einen Aspekt der ökonomischen Unabhängigkeit bzw. weniger stark eingegrenzten Möglichkeiten ein erfahrungsgemäß kleineres Problem darstellt (und etwas anderes, als Ignoranz (m)einer Lebensrealität ist).
Wer die Anschaffung eines Lexikons weniger als 3 Monate im Voraus planen muss, weil das Sparen auf ein Bildungsgut bedeutet, währenddessen und darüber hinaus an Kleidung, Kultur, Gaststättenleistungen, Instandhaltungskosten der Unterkunft und anderem ebenfalls zu sparen, der kann sich auch eher auf eine Weise vor dem Verlust an Teilhabe durch Bildung, durch Kultur, durch öffentliches Leben schützen, als ein Mensch, bei dem das nicht so ist.

Bei allen Diskriminierungen, die über Armut durch Hartz 4 bestehen, bin ich daneben dann doch auch froh, dass ich als davon betroffene Person auf eine Art sichtbar bin. Es gibt Menschen, die in Frührente gehen mussten, Menschen, die mit Krankengeld über die Runden kommen müssen, deren Armut noch überhaupt gar nicht diskutiert und sichtbar gemacht wurde. Diese Menschen müssen häufig Kosten stemmen, als wären sie nicht arm, haben aber Ende oft sogar noch weniger für ihren Lebensunterhalt als eine Person, die den vollen Hartz 4 Satz bekommt.

Die Sichtbarkeit, der Menschen, die auf Hartz 4 angewiesen sind, hat allerdings wiederum oft nicht benannte Negativeffekte.
Weil ich in meiner Armut sichtbar bin, bin ich leicht in frage zu stellen. “Sie hat ein Smartphone, sie ist nicht abgemagert, sie fährt in der Gegend herum, sie hat ein ausgefallenes (also teures) Hobby – dann kann die Armut ja nicht schlimm sein. Soll sie halt nicht so viel Scheiß kaufen/nicht aktiv sein/keine Hobbys haben – soll sie halt sparen. Soll sie sich halt zurücknehmen.  … Soll sie halt weggehen. Soll sie halt nicht da sein.”

Niemand meint das so. Aber alle sagen es mit ihrer Abwertung und das ist unreflektierte Gewaltausübung an unterdrückten Personen, die oft auch einen sadistischen Touch bekommt, wenn diesen Personen unterstellt wird, sie würden ihre Armut wählen, weil es bequemer ist Menschen um finanzielle Unterstützung zu bitten (statt sie sich anders selbst zu beschaffen).

Wir haben in 10 Jahren Hartz 4,  4 oder 5 Mal um Geld nur allein für uns gebeten. Das waren Situationen, in denen wir unsere Pfandflaschenvorräte schon getauscht haben, die Trockenvorräte aufgebraucht hatten, dem Hund das Fleisch hätten wegfressen müssen, während wir im Dunkeln sitzen, weil der Strom abgeschaltet wurde.
Was uns oft passiert ist, dass wir in Geldnot kommen, weil unsere Non-Budget – und Non –Profit – Projekte, wie jetzt zum Beispiel das Podcast oder auch das Nachwachshaus, oder Vorträge und Workshops, für die wir kein Honorar erhalten und für die wir die Fahrtkosten vorstrecken müssen, immer und immer an unserem Hartz 4 Budget fressen und auch durch regelmäßige Unterstützungen nicht abgemildert werden können.
Es gibt Menschen, die schütteln den Kopf darüber und fragen uns, warum wir das denn auch machen. Wieso lassen wir uns nicht immer für alles bezahlen. Wieso lassen wir uns denn so gnadenlos ausbeuten.

In solchen Momenten bin ich oft erst mal baff, weil es mir gleichsam nicht den Kopf will, wie man unsere Gründe denn einfach so übersehen kann. Wie kann man denn nicht sehen, wie isoliert wir zu leben gezwungen sind? Wie kann man denn nicht sehen, dass es exakt diesen Bereich der Selbstwirksamkeit gibt, den wir uns über unser Handeln erarbeiten. Wie kann man denn nicht sehen, was für einen großen Bereich von sozialer, intellektueller und kultureller Teilhabe wir uns über unsere Tätigkeiten selbst und so eigenständig, wie es in unserer Lage nur geht, erschlossen haben?

Was uns oft passiert ist, dass wir deshalb zu jemandem gemacht werden, der als eine Art “Ausnahmehartzi” betrachtet wird. Wir gelten nicht als faul, wir gelten nicht als hoffnungslos dumm/ungebildet/assi – wir gelten dann als jemand, der einfach Pech hatte oder als bedauerlicher Einzelfall, der in diesem System einfach keine Chance hat.
Für uns ist diese Haltung uns gegenüber ein Vermeidungstanz um Bedingungslosigkeit herum, die man uns zugestehen möchte – aber nicht allen anderen, die abhängig von Grundsicherung sind.

Bedingungslosigkeit gilt in manchen Kreisen als gefährlich und falsch. Dort muss sich der Mensch alles verdienen, sonst hat nichts mehr Wert.

Das ist nicht meine Logik, weil ich sie als menschenverachtend erlebe. Für mich muss sich niemand verdienen am Leben zu sein und dieses für sich zu sichern und zu gestalten. Ich kann nicht “Freiheit für alle” rufen und aber nur die meinen, die sich dieser Freiheit als verdient erwiesen haben.
Das ist widerwärtig und verabscheuungswürdig.

Arm zu sein ist keine Entscheidung. Für manche ist sie ein Schicksalsschlag. Für manche ist sie eine Notlösung für eine gewisse Zeit. Und für manche ist es einfach Realität, weil das Ende der Armut mit Bedingungen belegt wird, die (noch und vielleicht auch: für immer) unerfüllbar sind.

Arm und ohne Teilhabe (teilnahmslos) zu sein ist hingegen eine Entscheidung und diese stellt Bedingungen, die nur dann erfüllbar sind, wenn es zum Einen entsprechende Reflektion über die eigene Selbstunwirksamkeit gibt und zum Anderen, wenn man bereit ist, sich auf eine Art auch darum zu bemühen, den eigenen Begriff von Würde, Selbstwert und allgemeinen Werten zu definieren und in sich zu etablieren.

Mir macht es keinen Spaß um Geld für das Podcast zu bitten. Aber ich weiß, wofür wir das tun und wer, außer mir auch noch davon profitieren kann. Es ist für mich nicht würdelos und peinlich Menschen um Unterstützung für meine Projekte zu bitten.
Peinlich finde ich, privilegierten Menschen sagen zu müssen, dass sie gewaltvoll handeln, weil sie selbst es nicht bemerken. Würdelos erlebe ich Menschen, die mich erniedrigen müssen, um sich selbst zu spüren und ihrer selbst zu versichern.

Meine Armut hat nichts mit mir zu tun und das ist mir ein wichtiger Punkt in jeder Debatte um Hartz 4.
Meine Armut ist strukturell bedingt, gesamtgesellschaftlich benutzt und in der Folge irgendwo auch gebraucht.

Sagt mir also lieber nicht, ich solle lieber gar nicht da sein.
Denn wäre ich nicht, dann hättet ihr niemanden außer euch selbst, den ihr als letzten Dreck bezeichnen könntet.