arm

Man kann uns über die Abwertung von Armut gut verletzen.
Das geht richtig tief. Rührt an Scham und Minderwertigkeitsgefühle, erinnert an die Verzweiflung, die mit unserem Kämpfen der letzten 10 Jahre um eine Berufsausbildung und bezahlte Jobs einhergehen.

Die Verletzung hat drei Stränge, die uns so bewusst sind, weil wir es uns in unserer Lebenslage nicht leisten können sie auszublenden, wie Menschen, die es für angemessen halten uns über die Abwertung unserer Armut zu verletzen.
Strang eins ist in der Person verortet, die uns damit verletzt. Da gibt es Gründe, da gibt es Willen zur Verletzung, Demütigung und Selbsterhebung, der nichts mit uns zu tun hat.
Strang zwei ist in dem Kontext, der unsere Armut begründet und aufrecht erhält, verankert und hat ebenfalls nichts mit uns als Person zu tun.
Strang drei ist in der Gesellschaft verankert, die in sich Strang eins und zwei vereint, ohne dies an sich zu reflektieren, weil die eigene Haut als bedroht eingestuft wird, wenn es um Armut geht. Da gibt es eine Ahnung vor der sich geschützt werden muss, da gibt es *ismen, die die Welt erklären und Menschenleben niedermähen, wie ein Kornfeld. Am Ende bin ich nur Teil der niedergemähten Masse. Wieder geht es nicht um mich.

An allen drei Strängen bin ich nicht konkret beteiligt, aufgrund meiner Armut. An allen drei Strängen kann ich allein nichts verändern, gerade weil ich allein nicht beteiligt bin. Und doch gibt es Menschen, die mir unterstellen, ich würde an meiner Lage nichts verändern wollen und deshalb nichts tun.
Ich nenne das “die Teilhabeblindheit”, die vor allem Menschen befällt, für die Teilhabe allein über einen Aspekt der ökonomischen Unabhängigkeit bzw. weniger stark eingegrenzten Möglichkeiten ein erfahrungsgemäß kleineres Problem darstellt (und etwas anderes, als Ignoranz (m)einer Lebensrealität ist).
Wer die Anschaffung eines Lexikons weniger als 3 Monate im Voraus planen muss, weil das Sparen auf ein Bildungsgut bedeutet, währenddessen und darüber hinaus an Kleidung, Kultur, Gaststättenleistungen, Instandhaltungskosten der Unterkunft und anderem ebenfalls zu sparen, der kann sich auch eher auf eine Weise vor dem Verlust an Teilhabe durch Bildung, durch Kultur, durch öffentliches Leben schützen, als ein Mensch, bei dem das nicht so ist.

Bei allen Diskriminierungen, die über Armut durch Hartz 4 bestehen, bin ich daneben dann doch auch froh, dass ich als davon betroffene Person auf eine Art sichtbar bin. Es gibt Menschen, die in Frührente gehen mussten, Menschen, die mit Krankengeld über die Runden kommen müssen, deren Armut noch überhaupt gar nicht diskutiert und sichtbar gemacht wurde. Diese Menschen müssen häufig Kosten stemmen, als wären sie nicht arm, haben aber Ende oft sogar noch weniger für ihren Lebensunterhalt als eine Person, die den vollen Hartz 4 Satz bekommt.

Die Sichtbarkeit, der Menschen, die auf Hartz 4 angewiesen sind, hat allerdings wiederum oft nicht benannte Negativeffekte.
Weil ich in meiner Armut sichtbar bin, bin ich leicht in frage zu stellen. “Sie hat ein Smartphone, sie ist nicht abgemagert, sie fährt in der Gegend herum, sie hat ein ausgefallenes (also teures) Hobby – dann kann die Armut ja nicht schlimm sein. Soll sie halt nicht so viel Scheiß kaufen/nicht aktiv sein/keine Hobbys haben – soll sie halt sparen. Soll sie sich halt zurücknehmen.  … Soll sie halt weggehen. Soll sie halt nicht da sein.”

Niemand meint das so. Aber alle sagen es mit ihrer Abwertung und das ist unreflektierte Gewaltausübung an unterdrückten Personen, die oft auch einen sadistischen Touch bekommt, wenn diesen Personen unterstellt wird, sie würden ihre Armut wählen, weil es bequemer ist Menschen um finanzielle Unterstützung zu bitten (statt sie sich anders selbst zu beschaffen).

Wir haben in 10 Jahren Hartz 4,  4 oder 5 Mal um Geld nur allein für uns gebeten. Das waren Situationen, in denen wir unsere Pfandflaschenvorräte schon getauscht haben, die Trockenvorräte aufgebraucht hatten, dem Hund das Fleisch hätten wegfressen müssen, während wir im Dunkeln sitzen, weil der Strom abgeschaltet wurde.
Was uns oft passiert ist, dass wir in Geldnot kommen, weil unsere Non-Budget – und Non –Profit – Projekte, wie jetzt zum Beispiel das Podcast oder auch das Nachwachshaus, oder Vorträge und Workshops, für die wir kein Honorar erhalten und für die wir die Fahrtkosten vorstrecken müssen, immer und immer an unserem Hartz 4 Budget fressen und auch durch regelmäßige Unterstützungen nicht abgemildert werden können.
Es gibt Menschen, die schütteln den Kopf darüber und fragen uns, warum wir das denn auch machen. Wieso lassen wir uns nicht immer für alles bezahlen. Wieso lassen wir uns denn so gnadenlos ausbeuten.

In solchen Momenten bin ich oft erst mal baff, weil es mir gleichsam nicht den Kopf will, wie man unsere Gründe denn einfach so übersehen kann. Wie kann man denn nicht sehen, wie isoliert wir zu leben gezwungen sind? Wie kann man denn nicht sehen, dass es exakt diesen Bereich der Selbstwirksamkeit gibt, den wir uns über unser Handeln erarbeiten. Wie kann man denn nicht sehen, was für einen großen Bereich von sozialer, intellektueller und kultureller Teilhabe wir uns über unsere Tätigkeiten selbst und so eigenständig, wie es in unserer Lage nur geht, erschlossen haben?

Was uns oft passiert ist, dass wir deshalb zu jemandem gemacht werden, der als eine Art “Ausnahmehartzi” betrachtet wird. Wir gelten nicht als faul, wir gelten nicht als hoffnungslos dumm/ungebildet/assi – wir gelten dann als jemand, der einfach Pech hatte oder als bedauerlicher Einzelfall, der in diesem System einfach keine Chance hat.
Für uns ist diese Haltung uns gegenüber ein Vermeidungstanz um Bedingungslosigkeit herum, die man uns zugestehen möchte – aber nicht allen anderen, die abhängig von Grundsicherung sind.

Bedingungslosigkeit gilt in manchen Kreisen als gefährlich und falsch. Dort muss sich der Mensch alles verdienen, sonst hat nichts mehr Wert.

Das ist nicht meine Logik, weil ich sie als menschenverachtend erlebe. Für mich muss sich niemand verdienen am Leben zu sein und dieses für sich zu sichern und zu gestalten. Ich kann nicht “Freiheit für alle” rufen und aber nur die meinen, die sich dieser Freiheit als verdient erwiesen haben.
Das ist widerwärtig und verabscheuungswürdig.

Arm zu sein ist keine Entscheidung. Für manche ist sie ein Schicksalsschlag. Für manche ist sie eine Notlösung für eine gewisse Zeit. Und für manche ist es einfach Realität, weil das Ende der Armut mit Bedingungen belegt wird, die (noch und vielleicht auch: für immer) unerfüllbar sind.

Arm und ohne Teilhabe (teilnahmslos) zu sein ist hingegen eine Entscheidung und diese stellt Bedingungen, die nur dann erfüllbar sind, wenn es zum Einen entsprechende Reflektion über die eigene Selbstunwirksamkeit gibt und zum Anderen, wenn man bereit ist, sich auf eine Art auch darum zu bemühen, den eigenen Begriff von Würde, Selbstwert und allgemeinen Werten zu definieren und in sich zu etablieren.

Mir macht es keinen Spaß um Geld für das Podcast zu bitten. Aber ich weiß, wofür wir das tun und wer, außer mir auch noch davon profitieren kann. Es ist für mich nicht würdelos und peinlich Menschen um Unterstützung für meine Projekte zu bitten.
Peinlich finde ich, privilegierten Menschen sagen zu müssen, dass sie gewaltvoll handeln, weil sie selbst es nicht bemerken. Würdelos erlebe ich Menschen, die mich erniedrigen müssen, um sich selbst zu spüren und ihrer selbst zu versichern.

Meine Armut hat nichts mit mir zu tun und das ist mir ein wichtiger Punkt in jeder Debatte um Hartz 4.
Meine Armut ist strukturell bedingt, gesamtgesellschaftlich benutzt und in der Folge irgendwo auch gebraucht.

Sagt mir also lieber nicht, ich solle lieber gar nicht da sein.
Denn wäre ich nicht, dann hättet ihr niemanden außer euch selbst, den ihr als letzten Dreck bezeichnen könntet.

wo ich schon mal dabei bin…

“Das tut weh, ne?”. Sie lässt die Frage in mir aufsteigen, wie einen Drachen an der Schnur und hört sich mein grollendes Wutschnauben an, das sich hinter einem Klumpen Wortmasse gesammelt hat. “Es gibt einfach Menschen, die immer deine Punkte treffen wollen…”.

Ich drehe den Kopf weg.
Nein, ich will keine Erklärungen mehr dafür hören, warum mich Menschen verletzen. Ich will nicht mehr verstehen. Ich will nicht mehr durchatmen und schweigen, damit alle und alles so tun können, als wäre es kein Ding auf mir und meinen Grenzen herumzutreten. Es ist mir egal, welchen Anlass dieser Akt an mir hatte.

“K.?”.
– ”Was?”
”Wenn du weinen musst, ist das okay.”

Ich könnt ja ausrasten über sowas.
Aber bei ihr ist das was Anderes.
Ich brauche ihr nicht sagen, dass ich gerade wie der Wolf vor der Steinhütte der drei kleinen Schweinchen puste und puste, schnaube und schiebe, um in Worte und Rahmen hineinzufallen. Sie kennt meinen Anspruch an mich selbst. Weiß, in welche Kandaren ich mich gezurrt habe, seit es hieß, ich wäre immer* so aggressiv.
Ich will nicht weinen, weil ich diesen Triumph missgönne.

Weinen, das ist für mich wie eine Antiteilnahmeurkunde an den olympischen Spielen, die für andere Menschen der Alltag sind.
Das ist nicht “Schwäche” oder “Ausdruck von Verletzung”. Das ist “Wortkampf aufgeben”.

“Wieso habt ihr eigentlich nur das “Hartz 4 Still – Leben” veröffentlicht und nicht das “Papier_Leben”?”.
Ich höre wie das Scrollrädchen ihrer Maus tickert. Mein Blick folgt einem einzelnen gelben Birkenblatt, das vom Dach des Nachbarhauses heruntergleitet.
“Ich weiß nicht. Gab noch keinen Absturz über “14 Jahre- Akte- Sein”.”. Mein Grollen klirrt seltsam metallisch und schlitzt mir die Kehle von innen auf. “Es ist die Hälfte unseres Lebens.”.

Sie seufzt. “Ach, das ist alles ein Haufen Hundedurchfall!”.
Mein Ohr wird warm von dem Telefonhörer, durch den ich das Knarren ihres Stuhls höre. “Nein, nein- du verstehst das miss, Herzi- ich hab zu hohe Ansprüche! Ich brauche nur ein paar neue Ordner anlegen und alles, was mich hindert wird in seiner Nichtvorhandenheit auch für mich verschwinden.”. Die Säure der Worte ätzt mir die Schnitte im Hals auf. Ich verletze mich selbst mit den Worten von Menschen, die mich verletzen wollen.

Sie dehnt meinen Namen und zwirbelt einen Looping hinein. “Du brauchst dir das nicht annehmen.”.

Ich finde es wichtig, dass es mir weh tut. Ich finde es wichtig, dass sich diese Verletzung genauso einbrennt, wie jedes: “sei nicht frech”- “sei nicht so laut” – “sei nicht so neunmalklug” – “halt die Fresse” – “verpiss dich” – “red nicht so dummes Zeug” – “davon verstehst du nichts” – “du bist das Problem”, in der Vergangenheit.
Sonst finde ich keine Schublade dafür.

“Wie kommt ihr allgemein so zurecht?”.

Ich merke, wie sich mein Gesicht verspannt und die Kanäle um meine Augen herum anschwellen. Ich schaue nach oben und öffne den Mund.
Eine Kugel Heulrotz schiebt sich an meinen Wortwunden im Hals vorbei und bleibt wie Sahneschmelz kleben.
– “Ganz gut.”, ich atme ein und senke den Kopf zurück auf den Schreibtisch, auf dem sich Skizzen, Papier, Schokolade, Taschentücher und Eulenkillefit aneinanderdrängeln. “Wir haben ein Dings am Laufen.”.

”Noch ein Neues oder eins von denen, die ihr parallel habt?”
– “Noch ein Neues. Aber das ist toll.”, versichere ich und steche mir den Zirkel in den Daumen. “Es ist, was gerade noch am wenigsten Versagensangst macht. Und es ist eine Überraschung. Also Scheibenmischer Madame! Eigentlich haben sie noch gar nichts davon gehört!”, ich schicke ihr ein Lächeln durch die kleinen Löcher des Telefonmikrophons und beobachte, wie ein Tropfen aus meinem Kopf in der Fleecedecke auf meinem Schoß verschwindet.

“K.?”
– “Was?”
”Du kannst es loslassen.”
– “Nee.”
”Wieso nicht?”
– “Weil ichs doch sonst vergesse.”
”Was wirst du sonst vergessen?”
– “Dass gut behandelt zu werden nicht meine Entscheidung ist.”

Sie hört mir beim Hereinstottern der Atmenluft und Rausschnoddern meiner Körperflüssigkeiten zu. Das Telefon an meinem Kopf, wird zur Hand, die mich nicht verletzt.
Wir sagen nichts. Hören meinem Körper zu, wie er sich den Druck der letzten Wochen rausspült, Wundränder abschmirgelt und die Auffangbecken leert.

Ich atme tiefer und spüre, wie sich innen etwas zu mir hindreht, von dem ich dachte, dass ich es nie wieder fühlen könnte.
“Es ist dein Recht gut behandelt zu werden, mein Herz”.

Ich lege gleich mal noch eine Tränenflut obendrauf.
Wenn ich schon mal dabei bin…