Elternmord

Wir sitzen in der Küche und neben unserem Gespräch, hopst die Nacht unterm Fenster entlang.
Der Mensch sagt: “Man könnte es auseinanderklamüsern und einen Anfang finden.”. Seine Hände bewegen sich von einander weg. Eröffnen ein symbolisches Feld in das unsere Entwicklung und unsere familiäre Interaktion hineinpassen soll.

Das Inmitten pulsiert und vielleicht weine ich am Rand des Außen, weil es so herzzerreißend ist.
So ein Wunsch, ein Interesse – so ein Moment, in dem man doch nur eine Frage hat und die doch nur beantwortet haben möchte – so ein Moment, in dem man doch nur verstehen möchte, so ein Moment ist zu zart für das, worum es geht.

“Es geht ja nicht um Schuld. Hier wird niemand gerichtet.”, so etwas sagen Psycholog_innen in jedem Elterngespräch ums krankbeklopptkaputtgespielte Kind und in meiner Familie hat das nie funktioniert. Wie soll das generell auch funktionieren, wenn Eltern – egal, ob sie ihr Kind absichtlich oder aus eigener Unerfahrenheit, Not, Ohnmacht, Impulsivität, eigenen unverarbeiteten Traumatisierungen heraus misshandeln oder nicht – sich gar nicht im Wunsch nach Verstehen auf genau der Ebene der Objektivität bewegen können.
Der Anspruch nicht in Schuld-Unschuld- Dualismen zu agieren,  blendet innere Dynamiken und den sozialen Kontext in dem Menschen leben, aus.

Gespräche ums Selbst und Sein, passieren nicht in luftleeren Räumen.
Kein Gespräch ist ohne Bezug.

Es wäre spannend, wären Menschen Objekte, deren Entwicklung man anhand von Etappen und Ereignissen systematisieren kann.
Es wäre so praktisch, dass man es er/begreifen kann, könnte man menschliche Entwicklung innerhalb von Mikrokosmen beschreiben und analysieren, wie Schimmelwachstum in einer Petrischale.
Menschen sind aber nicht so. Schon gar nicht sind Familien so. Und Misshandlungsfamilien haben, zumindest ist das meine Idee, jeweils so spezifische Dynamiken zwischen und an jeder einzelnen Interaktion, das von einer systemischen Multiplizität gesprochen werden könnte. Dass man am Ende sagen könnte: Misshandlungsfamilien sind in einer rhizomatischen Dynamiken-Dynamik verhaftet, die zu beobachten nur dann überhaupt praktisch möglich ist, wenn man selbst in ihr lebt. Doch diese Beobachtungen daraus heraus zu formulieren wäre aufgrund ebenjener Beteiligung nicht mehr möglich, weil es Teil der Dynamik ist, genau dies nicht zu tun bzw. dazu nicht befähigt zu werden.

Das ist, was Schweigegebote und die Misshandlungsfamilie als abgeschlossenen Raum im Raum im Raum schwer bewortbar macht.
Das Ende der Äußerung kann sein einen Aspekt einer Dynamik zu transportieren: “Was zu Hause passiert, bleibt zu Hause.” – also ein Schweigegebot sichtbar zu machen. Dem Beobachter von außen bleibt aber der Weg zu dieser Dynamik verborgen und die Dynamiken, die genau dieses Ende benötigen, um das Gesamtsystem (den Raum mit seinen Dimensionen) aufrecht zu erhalten.
Die Reflektion tötet am Ende die Misshandlungsfamilie bzw. bringt sie in existenzielle Gefahren.  Am Ende gibt es Abstoßung.

Und irgendwann gibt es eine Person, die mit fast 29 Jahren in ihrer Küche sitzt und überlegt, ob das Gegenüber verstehen könnte, wenn sie sagt:
“Du kannst nicht mit meiner Familie sprechen, weil ich sie ermordet habe. Ermorden musste, damit ich über sie nachdenken konnte. Damit ich meiner Therapeutin überhaupt die Fetzen meiner Erinnerungen mitzuteilen wagen kann.”.
Es ist Teil des So-tun-als-ob-Spiels, das Teil einer inneren Dynamiken-Dynamik ist, die unsichtbar blieb, weil Abstoßung ein heimlicher Akt ist.

Aussteiger_innen sollen heroische Selbstretter_innen sein, die die Gewalt an sich erkannt haben und etwas Besseres für sich  wollen.
Sie sollen selbstbestimmt sein und eine Linie ziehen – eine Entscheidung treffen und diese verteidigen.
Aussteiger_innen morden nicht. Sie gehen einfach weg und korrigieren den Blick zurück von sich aus nach vorne.

Wäre Abstoßung nicht heimlich, gäbe es noch andere Stereotypen.

Ich habe meine Eltern getötet und halte bis heute ihre Leichen in meinen Armen.
Analysiere, seziere, bedenke etwas, das diese Welt schon längst verlassen hat und mich nicht mehr braucht, um sich am Leben zu erhalten.
Das ist nicht, was in den schlauen Büchern zu Ausstieg aus gewaltvollen Kontexten steht, aber es ist auch ein Aussteigen, dass es mir ermöglicht hat nicht zu verharren und meine Therapiemöglichkeiten zu nutzen.

Es ist die Maxime: “Es ist vorbei”, es ist die Erleichterung über die Wertung des eigenen Wortes, der eigenen Er-Lebensrealität – das So-tun-als-ob-Spiels der Psychologie, das einen Raum ohne Kontext ermöglichen will, um Probleme und ihre Lösungen zu erdenken.
In Bezug auf Gewalt funktioniert das nicht, weil Gewalt immer und immer und immer selbstbestätigend ist und eben auch in einem leeren Raum existiert, allein schon in dem Umstand, dass es den Raum gibt bzw. geben muss und kann.

Wenn man Gewalt in einen Raum steckt, steckt man Schuld, Scham, Schmerz automatisch mit dazu und muss zwangsläufig reduzieren, um etwas zu sehen, dem man sich soweit widmen kann, dass man es verstehen bis begreifen kann. Doch es wird – es muss – dann unvollständig sein und am Ende unbefriedigend, sinnlos, verrauchte Energie. Das Gefühl, den eigenen zarten Wunsch nach Verstehen unter etwas schwerem, großen – überforderndem Irgendwas erschlagen zu fühlen.

Als wir eine Jugendliche waren, sahen wir dieses überfordernde Ding, über viele Psycholog_innen in Elterngesprächen rollen und bekamen immer wieder zu spüren, dass “Abgrenzung” an der Stelle bedeutet, dieses Ding auf uns abzulegen, weil es ja sowieso schon mit uns zu tun hatte.
Und als Teil der Dynamiken-Dynamik sind wir darunter nicht dekompensiert, eben, weil wir ein Teil davon waren.

Heute wirft man mir gerne vor Sackgassen-Situationen zu kreieren.
Man mag es nicht, wenn ich Dynamiken innerhalb von Dynamiken aufzeige und zeige, dass Gewalt = Gewalt ist und nichts weiter.

Man möchte gerne glauben, da gäbe es Wege und Mittel, wenn nur der Raum frei genug ist.
Man möchte gerne glauben, dass dieses Moment des Verstehenwollens als harmlos gesehen werden kann.

Und ich lasse sie ihre Vermeidungstänze machen.
Weil ich weiß, wie wichtig sie sind, um sich am Leben und Glauben zu erhalten.


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