all the shades of “Schweigen”

Mit „Schweigen“ und „Opfer“ – „Schweigen“ und „sexueller Missbrauch“ kommen die Klicks. Damit kriegt man die Leute an die Inhalte zum Thema. Hier eine Broschüre mit Hilfeangeboten und Beratungsstellen, da ein bahnbrechend aufrüttelnder Film. Hier ein berührender „Roman“ und da ein „vom Mantel des Schweigens“ befreiter Skandal. „Die Opfer müssen ihr Schweigen brechen!“ – ein stetiger Imperativ, wo und wann auch immer es um Strafverfolgung und ihre Hindernisse geht.
Wie schwierig dieser Strudel ist, habe ich schon oft im Blog von Vielen beschrieben. Habe aufgezeigt, welcher Schuldspruch an die Opfer und zu Opfer gewordenen damit getragen wird. Habe formuliert, wie laut Opfer und zu Opfer gewordene sind, selbst, wenn sie keine Worte für das haben, was ihnen passiert ist.

Natürlich wird sich überall nach wie vor an allen Ecken und relevanten Stellen auf „das Schweigen der Opfer“ bezogen – und nicht darauf, wer was wo wie wann hören, aufnehmen, begreifen kann, will, muss.
Natürlich wird auch immer noch darüber gesprochen, wie man helfen kann, Wege und Mittel aus den Schweigegeboten, denen Opfer und zu Opfern gewordene unterliegen, zu finden.
Und natürlich steht daneben das Schweigen all derer, die durch diese Bemühungen mit etwas belastet werden, das mit ihnen selbst überhaupt nichts zu tun hat.

Wir berichtigen ‚unsere Menschen‘ nach wie vor, wenn sie uns einfach zu der Gruppe derer zählen, die mit Schweigegeboten zurechtkommen müssen.
Wir wurden nie einem Schweigegebot unterworfen. Wir wurden Redeverboten unterworfen.
Das ist etwas anderes und für uns ist es ein relevanter Schritt gewesen, das zu erkennen und zu begreifen, denn ein Verbot ist etwas anderes als ein Gebot.

Wir erleben die Auseinandersetzung mit Schweigen im Kontext von Gewalt einseitig täter_innen(willen)zentriert und nicht zuletzt, als immer wieder die konkret betroffenen Personen in ihren Handlungsoptionen normierend.
Es ist so selten, dass in einer Fachtagung, einem Kongress, einer breit wirksamen Veranstaltung darüber gesprochen wird, wie sich die Auffassung von Schweigen als Schutz allein und nicht auch als notwendiges gewaltkulturelles Fundament der Gesellschaft, auf das Anzeige- und Strafverfolgungs , so wie das -verurteilungssystem auswirken.

Man spricht so gern von Liese Müller, die schrecklich leidet, weil sie ein unfassbar furchtbares Geheimnis hat, das sie nicht teilen kann. Man beschreibt so gern den Käfig ihres Schweigens und nicht zuletzt natürlich den wahnsinnig inspirierenden Befreiungskampf daraus, was dann auch schnurstracks zu Heilung, Gerechtigkeit und Regenbogen überm Sonnenuntergang führt.

Der soziale Tod von Hilda Stein, ihrer Familie und ihrer Herkunftsfamilie – die Scham, die Not an jedem Wort und jeder Selbstwirksamkeit – das langjährige und dann gescheiterte OEG-Verfahren – die Jahre der Therapie und der Versuche irgendwie auf einen grünen Zweig zu kommen – ohne je in einen Zustand zu kommen, in dem sie mehr sagen konnte als: „Ich wurde von XY misshandelt“ – das fehlt.

Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass es kein „das Schweigen brechen“ ist, wenn man einen Oberbegriff für erfahrene Gewalt benutzt oder einfach eine_n Täter_in benennt (und anzeigt).
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, was eine Straftat ist, und was nicht.
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, wann genau man was nicht sagen soll.
Und das betrifft nicht nur das Sprechen über Gewalt und Opferschaftserfahrungen.
Das betrifft auch das Sprechen über Krankheiten, seelische Befindlichkeiten, Menstruation und die Beschaffenheit von Kinderwindelinhalten. Zum Beispiel.

Schweigen gebieten nicht nur Gewalttäter_innen. Schweigen gebietet auch und meist sogar noch vor denen, die den Schutz durch Schweigen von ihren Opfern einfordern, unsere Gesellschaft und die (Gewalt-)Kultur, die sie pflegt.

Ich formuliere es radikal und dadurch leicht misszuverstehen, wenn ich schreibe: „Ein Schweigen der Opfer gibt es nicht“ und bleibe dennoch dabei.
Denn es ist wichtig zu verstehen, dass das Verschweigen von Gewalt(ausübungs)- und Opferschaftserfahrungen (also auch: globalen Ohnmachtserfahrungen) nichts ist, was in irgendeiner Form für bestimmte Personengruppen reserviert sein darf.

Die Anerkennung einer eigenen Opferschaft wird dadurch erschwert, dass man sich durch das soziale Reglement, wer wann worüber wo und vor wem etwas zu sagen verpflichtet ist, oder nicht, wer sich wann wo wie und wem gegenüber einer Aussage entziehen darf und wer nicht, eine eigene Position suchen muss.
Es ist nicht immer und ausschließlich der Druck vor der Angst, eine Opferschaftserfahrung könnte nicht geglaubt werden oder die Angst vor einer Strafe durch eine_n Täter_in, die Menschen daran hindert, gemachte Opferschaftserfahrungen zu beworten. Noch allzu oft ist es auch das ganz klare Spüren der Unerwünschtheit dieses Themas oder das Bewusstsein um Ohnmachtserfahrungen als dem Leben in dieser Gesellschaft immanent.
Genauso wie heute nach wie vor der soziale Tod eintreten kann, wenn man sich nonkonform in Bezug auf die Regeln der thematischen Angemessenheit verhält.

Natürlich stehen daneben die Überlegungen: „Okay, wenn wir das nicht wollen – wenn wir dieses Reglement aufbrechen wollen, dann müssen wir darüber reden. Und zwar immer und überall – wir verschonen niemanden. Sich rausziehen und die Augen verschließen, das erlauben wir nicht. Niemand soll sagen dürfen, er kenne niemandem, dem SO ETWAS mal passiert ist.“.

Für uns ist das ein Ansatz, der an der falschen Stelle anfängt. Weil wir wissen, dass jeder Mensch in der Umgebung auf jeden Fall jemanden kennt, dem SO ETWAS mal passiert ist – es aber nicht immer unbedingt auch weiß. Und zwar aus Gründen, die in der Umgebung dieser Menschen und den Möglichkeiten des konkret betroffenen Menschen liegen.

Was nutzt es Ella Kranz, die den örtlichen Kindergarten leitet und schwere Medikamente einnimmt, um trotz massiver PTBS-Symptome weiter arbeiten zu können, wenn Hannah C. Rosenblatt in allen Einzelheiten über ihre ersten 21 Lebensjahre schreibt? Oder Ute Koch jede Sekunde ihrer erlittenen Vergewaltigung durch ein Mikrofon ins Fernsehen spricht?
Ella Kranz braucht das nicht. Niemand braucht das. Niemand, außer vielleicht Hannah C. Rosenblatt, Ute Koch und all die anderen, die irgendwann das Gefühl haben, dass es richtig ist, die Einzelheiten und Details auszusprechen, um sie eben überhaupt einmal ausgesprochen zu haben – weil man es konnte oder wollen konnte oder können wollte oder oder oder
Jedenfalls braucht sie das nicht, um zu erfahren, dass sie nicht allein ist und es Hilfe für sie geben kann, die ihr auch so solidarisch zur Seite steht, dass sie weder ihren Job noch ihre soziale Position verliert. Dafür braucht sie das ausdauernde Engagement von Helfer_innen, strukturelle Sicherheiten und das Zutrauen in sich, durch diese Zeit ihres eigenen Lebens gehen zu können – also eine Umgebung, in der sie schweigen und sprechen kann, aber nicht muss.

Ich möchte Menschen mit meinen Erfahrungen verschonen, um mich zu schonen. Ganz klar.
Ich komme nicht gut mit all diesem reflexhaft abgespulten Zeug zurecht, das Menschen von sich geben, wenn sie nicht wissen, was sie von sich geben sollen, könnten, wollen. Deshalb halte ich meine Opferschaftserfahrungen als Teil von mir, wie meine Hundehaltungserfahrungen, meine Bastelerfahrungen, meine Schreiberfahrungen, meine x anderen Lebenserfahrungen in Kontakte hinein und entbinde Menschen ganz grundsätzlich von einer Reaktion darauf.
Ich erlaube ihnen mit mir zusammen darüber zu schweigen und einfach gemeinsam zu sein in dem Wissen, dass diese Erfahrungen da sind.

Das ist meine Art der sozialen Selbstermächtigung in dieser unserer Gesellschaft, die sowohl mich als Person, die zum Opfer wurde und mein offizielles Verschweigen von Straftaten an mir, als auch all die Abwehr- und Selbstschutzmechanismen in meinen Mitmenschen geformt hat.
Ich bin kein „schweigendes Opfer“, weil mich die Polizei oder irgendein gewaltkultureller Opfermythos so braucht, um mir meinen Schmerz, mein Leiden und nicht zuletzt auch uns als Mensch, der viele ist, zuzugestehen und anzuerkennen.
Ich bin eine Person, die etwas verschweigt, weil sie es kann, nachdem es jahrelang aktiv von ihr zu können gefordert wurde, und zwar von jemanden, der sie ganz global beherrscht hat.

Heute ist es meine Entscheidung zu schweigen. Meine globalen Opferschaftserfahrungen sind vorbei und die Macht der Täter_innen ist auf einer Ebene in meinem Leben, die nicht mehr nur mit mir allein zu tun hat und sich deshalb auch nicht mehr auf mich allein konzentriert.

Mein Schweigen ist losgelöst von Schulddynamiken.
Mein Schweigen ist losgelöst von Errettungs- und Heilungsphantasien.
Mein Schweigen ist losgelöst von meiner früheren Opferschaft.

Mein Schweigen ist, was es ist: Schweigen, aus Gründen, die ich allein bestimme, auch dann oder sogar trotz dem, ich damit Täter_innenwillen oder Interessen von Täter_innen schütze, berücksichtige oder bewahre.
Mein Denken, Fühlen und Leben im heutigen Hier und Jetzt, will ich nicht so täter_innenzentriert passieren lassen.

Für mich ist es wichtig, dass sich um Opfer und zu Opfern gewordene gekümmert wird, weil sie zu Opfern wurden und das etwas mit ihnen macht bzw. gemacht hat. Und nicht, um Täter_innen zu drohen oder sie zu bestrafen oder zu beschämen.
Die Auseinandersetzung mit Straftäter_innen ist in unserer Gesellschaft ganz klar und strukturell geregelt. Wir haben Gesetze, die sie als Täter_innen definieren. Wir haben eine Justiz, die ihre Taten verurteilen und ihre Strafen bemessen soll und wir haben Gefängnisse, die sie genauso aus der Gesellschaft herausreißen, wie es die Gewalt- und Ohnmachtserfahrung ihrer Opfer zuweilen tut.

Für Opfer und zu Opfern gewordene fehlt etwas Vergleichbares.

Eine detaillierte Beschreibung meines früheren Leides wird solche Strukturen nicht entwickeln. Sehr wohl aber könnten sie dazu beitragen zu normieren, wer was erfahren haben muss, um welche Hilfen, wie wo vor wem einfordern zu dürfen.

Meiner Ansicht nach, muss man davon wegkommen, sich mit dem „Schweigen der Opfer (und zu Opfern gewordenen)“ auseinanderzusetzen und sich endlich mehr damit beschäftigen, wie man hört, was Opfer und zu Opfern gewordene sagen und wie man dann damit umgeht als Gesellschaft.
„Wir Opfer und zu Opfern gewordene™“ schweigen nämlich alle unterschiedlich und die Anerkennung dessen bleibt aus.

Genauso wie weiterhin darauf verzichtet wird, sich mit dem Schweigen der Täter_innen auseinanderzusetzen.
Ein einziges Mal will ich in einer Missbrauch-Trauma-Gewaltpräventionsverstaltung sitzen und hören, dass die Täter_innen ihr Schweigen brechen sollen und man sich etwas überlegt hat, wie man das wohl möglich machen könnte.

Es ist Zeit, sich dem Schweigen zu widmen, anstatt sein Ende einzufordern.

es gibt keine “Mauer des Schweigens”

“Hinter den Mauern des Schweigens, passieren grauenhafte Taten” und das Auge erfasst eine Mauer.

Nein.
Ich mache die Augen zu, weil da keine Mauer ist. Nie war.  Da waren grauenhafte Taten. Da war Schweigen. Ist. Aber da war keine Mauer. Ist keine Mauer.

Wer spricht verhält sich. Wer sich verhält ist wahrnehmbar. Auslösend. Agierend.

Ich wollte verstehen. Will verstehen, was da passierte. Ich will die Dynamik verstehen. Nicht, um sie zu verändern oder eine Schuld genau erfassen zu können.
Es ist vorbei- ich habe nichts vom Schuldbegriff. Nie gehabt.

Ob ich .wir. jemals gesagt habe: “Ich will das nicht. Lass das.”, weiß ich nicht.
Ich erinnere eine Szene, in der ich wählen sollte, wie er mich bestraft. Ich hatte in ein Stück Käse gebissen und es wieder zurück in den Kühlschrank gelegt. Er sagte: “Links oder rechts?” Und ich fing an zu weinen, weil ich “gar nicht” dachte und wusste, dass das nicht seine Frage war. Nicht die Wahl, die ich zu treffen hatte. Ich wusste das. Wusste, dass jedes Wort von mir ein Agieren .Verhalten. gewesen wäre. Mein Weinen und nichts sagen, waren meine einzigen Mittel auszudrücken, dass ich nicht auf dieser Basis mit ihm interagieren wollte.

Schweigen ist keine Mauer. Schweigen ist einfach nichts. Ein Nichts, das da ist und nicht weggeht. Aber auch nichts, das auf nichts zeigt oder eine Hürde darstellt.

Mein .unser. Schweigen war nie absolut. Es gab .gibt. immer Körpersprache, Kunst, Geschichten.
Menschenkörper sind keine luftdichten Gefäße für die Seele, für Schmerz, für die Folgen von Gewalt.

“Das Schweigen der Opfer” gibt es nicht.
Es gibt zu wenig Raum, in dem sich Menschen, die Opfer geworden waren, verhalten dürfen.

Zu wenig Raum, in dem ihre Worte nicht nackt und klamm unter tausend Augen stehen, bereit seziert, analysiert, ausgewertet zu werden.

Zu wenig was neben ihren Worten stehen kann. Um sie zu schützen. Um ihre Anwesenheit zu markieren.

Mein Sprechen und Beworten wurde von je her von einem Werkzeug mich zu verhalten, zu einem Werkzeug mich zu verletzen, mit Schuld zu beladen und in Todesangst zu halten gemacht.
Von Menschen.

Die geschützt werden von der Auffassung mein Schweigen, mein Tatschweigen, sei eine Mauer.
Letztlich ist es diese Auffassung, die eine Mauer bildet, hinter der diese Menschen Grauenhaftes tun können.
Von dieser Mauer kommen die Steine, die mit jedem “Wenn sie nichts sagen…” auf die Menschen, die Opfer waren, geworfen werden.

Klapse und Leute, die denken, sie hätten Erfahrung damit

Oh man… ob das jemals ein Ende nimmt?
Das Thema „Psychiatrie“ kommt auf und bumms!- kleben die Rosenblätter überall an der Decke verteilt.

Dieses blöde Kurz-vor-in-die-alte-Ohnmacht-kipp-Gefühl, dieser Wutstrudel, dieses Bedürfnis in die dumm labernden Gesichter reinzubrüllen, die Körper, auf denen die stecken, durchzuschütteln, nur um bloß nicht sofort in Tränen aufgelöst dahinzuschwinden, wie ein Schneemann im Juli.

Ich hab einen Spaziergang gemacht vorhin. Das hilft meistens. Heut ist Tag 1 vom wieder mit dem Rauchen aufhören und ich fand die Klapse als Stressgrund für doch wieder Kippen zu kaufen doppelt zu niedrig.
Und dabei hab ich gemerkt, dass mich (also mich jetzt als Einzelinnen von uns Rosenblättern) gar nicht mal die Psychiatrie so an sich aufregt, sondern so auch die Leute, die mir gegenüber so tun, als hätten sie Ahnung davon was „Psychiatrieerfahrung“ ist.

Die hatten meinethalben vielleicht mal ne erstes oder zweites Date mit dieser janusköpfigen Hybris. Waren mal 3 Tage bis 3 Wochen zur Krisenintervention oder Diagnostik in der psychiatrischen Abteilung ihres Kreiskrankenhauses, das ne Warteliste hat und vielleicht sogar 4-5 stationäre Therapieplätze. Haben vielleicht mal ne depressive Episode gehabt, oder mal n halbes Jahr nichts essen können oder was weiß ich. Den gings halt mal halbes Jahr richtig grottig und die sind dahin und die tollen Doktores haben sie fein wieder hingebogen.

Und deshalb stehen sie da und sülzen irgendeinen Mist von „Selbstbestimmung geht auch in der Psychiatrie“ oder zweifeln einfach, weil sies können, an dem was wir so für Erfahrungen gemacht haben.
Was ne arrogant-privilegierte Kackscheißenlaberei!

Ja nee- es ist keine Psychiatrie-Erfahrung, wenn man nicht fixiert wurde. Abknallende Medis nehmen musste, weils einem einer gesagt hat. Ist auch keine Psychiatrieerfahrung, wenn man nicht erlebt, wie das ist, wenn alle „Muh“ hören wollen- man selber, aber eben nur „Mäh“ kann und dafür seiner Freiheit beraubt wird- vor aller gesellschaftlicher Augen, die einfach nur nicht sehen wollen, wie es ist und einem immer wieder ne Wahl unterschieben wollen, die de facto nicht da ist.

Ja echt Sorry- wenn ihr das nicht erlebt habt, dann habt ihr eben nicht die volle Macht der Psychiatrie am eigenen Leib erlebt und dann habt ihr mir gegenüber einfach gefälligst die Fresse zu halten mit diesem Kackscheiß!

Keiner muss, wie wir als Jugendliche, eine Klinik nach der anderen durchgeeiert haben. Uns wollte keiner haben und „der Gesellschaft“ gehen wir bis heute am Arsch vorbei- ein Gefühl, das ich echt keinem gönne.

Aber ehrlich- nennt so ne kurzen Abstecher ins Land der Psychos und Abgründe der menschlichen Seele weder „Psychiatrie-Erfahrung“ noch „Ich weiß, wie du…“. Das ist ne Lüge und ne Ohrfeige, um die ich nicht gebeten hab.

Das Schweigen und die Sichtbarkeit

„Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen“.

Es ist der Titel eines Vortrages von Michaela Huber über organisierte Ausbeutung, rituelle Gewalt und dissoziative Störungen, den sie im März bei der Tagung gehalten hat. Der Titel schwirrt mir immer noch im Kopf herum, weil er so…

Es ist einer dieser Sätze, die man als Opfer, Zeuge oder auch Täter so und in vielen anderen Verpackungen immer wieder hört, wenn es um Gewalt geht. Einer von den Sätzen, bei denen es in meinem Kopf gleichzeitig „WAHR!“ und „FALSCH“ brüllt, noch während sich eine sachliche Sprecherin zur Lage der inneren Nationen räuspert und über biologische, soziale und politische Sachverhalte referiert. Die das Schweigen darlegt, anprangert und auch rechtfertigt.

Es gibt viele Arten des Schweigens.
Das Schweigen der Zeugen zum Beispiel.
Vor Kurzem wurde die Bloggerin „
Ragekamila“ von 5 anderen Menschen angegriffen. Es gingen viele Menschen an ihr vorbei, doch ihr begegnete Schweigen und Ignoranz. Sogar die Polizei verschwieg ihre Solidarität mit ihr als Opfer und vermittelte ihr stattdessen, selbst schuld an dem Angriff zu sein, weil sie einen kurzen Rock trug.
Unterm Strich: Rape Culture
und Schweigen.
Ich weiß nicht, was Menschen, die Zeugen von so einem Angriff werden, dazu bewegt zu schweigen. Hatten sie Angst, selbst auch angegriffen zu werden? Dachten sie: „Ach, sie wehrt sich ja schon- sie wird das auch allein packen“? Schätzten sie die Situation anders ein? Wir und vor allem aber „Ragekamila“ werden es nie wissen, denn ihr Schweigen hat sie unsichtbar gemacht.

Dann das Schweigen der Täter.
Wenn mein Vater mich verprügelt hat, dann sagte er ziemlich genau den gleichen Satz immer wieder vor dem ersten und nach dem letzten Hieb. Wie ein Startschuss in ein Nirwana aus Schmerzen und Schweigen. Ich denke, er wird während der Tat dissoziiert haben und selbst nicht in der Lage gewesen sein, mehr zu äußern. Wenn es tatsächlich so war, erklärt sich mir auch sein Schweigen im Anschluss. Vielleicht ist es für ihn nie passiert- was sagt man über etwas, das nie passiert ist?

Oder das Schweigen mit Worten.
Wenn meine Mutter mich misshandelt hat, sprach sie die ganze Zeit- ohne etwas zu sagen. Auch sie schwieg über ihre Gefühle und Gedanken. Ihre eigene Position in dieser Situation. Was auch immer sie angetrieben hat- es war eine Spirale, die sie selbst in ihrem Sein unsichtbar gemacht hat.

Und dann das Schweigen des Opfer.
Ich war das Opfer der Misshandlung durch meine Eltern. Beide waren während der Tat unsichtbar. Der eine geistig- der andere seelisch. Sichtbar waren, und sind bis heute, allein die Folgen ihrer Handlungen.
Selbst ich bin nicht immer da gewesen. Wurde der Schmerz, die Demütigung zu groß, habe ich mich verschwinden lassen, war gar nicht da- hab das alles wie Nebelschwaden an mir vorbei, durch mich hindurch ziehen lassen, hab mich unsichtbar gemacht.

So ein Satz: „Brich das Schweigen.“, bedeutet für mich: „Mach dich sichtbar- mach die Gewalt sichtbar“ … „Mach sichtbar, was niemand gesehen hat“ … „Mach DU es sichtbar- du warst doch dabei“.
Ich war es aber nie ganz.

Wir leben in einem System in dem nur verurteilt wird, was sichtbar ist.222295_web_R_K_by_Sonja Gräber_pixelio.de
Es
braucht handfeste Beweise, um Täter ihrer Strafe zuzuführen. Es braucht Sichtbarkeit, um wahrgenommen zu werden. Die Polizei braucht die Opfer, um die Täter sichtbar zu machen. Die Presse braucht das ganze Paket einer Situation, um darüber zu berichten und zum Sprachrohr zu werden. Doch ist nur sichtbar, wofür es Worte gibt.

Am Anfang war das Wort. Oh ja! Worte sind toll.
Sie sind, wenn es um Gewalt geht, wie das erste Kotzen bei einem Magen-Darminfekt; wie ein ausgedrückter Pickel der bereits tagelang schmerzte; wie Weinen, dass man schon seit Stunden in seinem Hals drücken spürte.
Sie geben Form, machen sichtbar und ermöglichen sowohl eine Verarbeitung des Geschehens als auch innerhalb unseres Miteinanders eine Bewertung.

Gewalt aber, spricht Teile des menschlichen Gehirns an, die weit weg von dem Teil ist, in dem sich unsere Sprache befindet. Das ist sinnvoll, denn bei Gewalt geht es potenziell immer um eine Gefährdung des eigenen Lebens. Sprache ist jünger als der in uns entwickelte Teil, der unser Überleben sichert.
Ich schrieb es bereits in anderen Artikeln: Das Leben allein besteht in der Fähigkeit zur Entwicklung der Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Es ist ein evolutionärer Kettenbrief, der allein für seine Weitergabe arbeitet.
Unser Sprachzentrum ist so etwas, wie das Ziel am Ende einer verschlammten, mit Geröll bespickten Landstraße- während der Teil, der unser Überleben sichert, eine fünfspurige Hightechsuperautobahn ist. Es gibt keine Sprache- aber hey- was gibt es auch zu sagen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind?!
Unserem Gehirn ist es scheiß egal, ob das, was da gerade passiert später noch sichtbar ist. Wer will ihm darum böse sein?

Es können nur jene sein, die das Privileg der Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit genießen oder jene, die genau deshalb (chronisch oder latent) im Überlebensmodus stecken und darunter leiden.

Das Wissen um die Vorteile von sozialem Miteinander ist eng mit der Sicherung des eigenen Überlebens in uns Menschen (und auch vielen Tieren) verknüpft. Die Abhängigkeit von unseren Versorgern ist uns Menschen direkt ab dem Zeitpunkt der Geburt mehr oder weniger klar bewusst. Wir werden absolut hilflos geboren und sind erst ab dem Moment der biologischen Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, halbwegs in der Lage eigenständig zu leben. Doch nun ist es so, dass wir in hier, in Deutschland, in einer Umgebung leben, in der das soziale Gefüge dem direkt widerspricht. Hier in unserer Kultur, würde niemand einem Teenager unter 18 Jahren einen eigenen Haushalt ganz ohne Unterstützung und Absicherung überlassen. Unsere Justiz staffelt noch bis ins 27ste Lebensjahr hinein das Maß von Strafen für diverse Taten. Das ist schön- untergräbt aber auch die Autarkie der Menschen. Im Guten, wie im Schlechten.

Es geht um Abhängigkeiten. Auch beim Schweigen.
Wir wurden in unserem früheren Abhängigkeitsverhältnis Schweigegeboten unterworfen.
Schweigegebote sind nicht so schlimm, wie man vielleicht glauben mag. Schlimmer sind die Redeverbote. Das Gleiche? Oh nein.
Gebote sind wie Spielregeln: Willst (Musst) du mitmachen, hältst du dich daran.
Verbote sind Grenzen: Übertrittst du sie, bist du ..? Na was? – Raus! Allein! Ausgeliefert! Schutzlos!
Ergo: potenziell tot.

Wer keinen Schutz außerhalb von (destruktiven) Abhängigkeitsverhältnissen hat, der kann nicht reden. Kann keine Worte finden. Kann nichts sichtbar machen. Kommt nicht in den Genuss der Privilegien, die das Leben mit seiner Fähigkeit dieses weiterzugeben braucht.

Und hier ist es- das Ding, dass das Schweigen nährt: Die Wahl zwischen Leben und Tod.
Welchen Weg wird unser Gehirn wohl nehmen, wenn wir Gewalt erfahren?
Und was passiert, wenn man Zeit seines Lebens immer wieder gezwungen ist, auf der Hightechsuperautobahn zu fahren? Man lernt, dass es sich lohnt und, dass es einfacher ist. Blicke nach links oder rechts sind Ressourcenverschwendung- wen interessiert die Landschaft, die man vom Fenster aus betrachten kann, wenn die rasante Fahrt immer wieder nötig ist, um die eigene Basis sicherzustellen?
Wie beschwerlich erscheint einem dann eine holprige Landstraße, wie fraglich ist das Ziel der Sprache und Sichtbarkeit für andere Menschen- ganz gleich wie dringlich sie es machen.

Es gibt keine Worte ohne Schutz.
Dieser Artikel hier, sowie auch der Artikel der Paulines, in dem sie über Zweifel, Fallstricke und Glaubhaftigkeit sprechen  ist ein Steinchen im Plädoyer für mehr Opferschutz.
Wer so privilegiert ist, Worte und damit Sichtbarkeit einzufordern, muss sein Privileg von Sicherheit durch Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit teilen!
Alles andere verschiebt die Verantwortlichkeiten rund um Gewalt in den Schoß derer, die nichts- aber auch gar nichts dafür tun können, um dem zu entsprechen.

Wir brauchen Opfersolidarität- und Schutz! Wir brauchen die Annahme der Not und der Mechanismen, die Gewalt in unserer Mitte auslöst! Wir brauchen die Akzeptanz des Schweigens, das tiefe verinnerlichte Verständnis um die Folgen, als etwas, das mit uns allen tun hat! Wir brauchen die Folgen der Gewalt gleichrangig bewertet, wie die Gewalt an sich!

Sonst gibt es keine Worte, die das Schweigen brechen.
Sonst bleibt unsichtbar, was töten kann.