Fundstücke #70

Ich habe einen amerikanischen DIS-Podcast im Podcatcher, in dessen Beschreibung steht, dass sie dissoziative Symptomatiken und Wechsel nicht rausschneiden. Für die Authentizität.
Das und anderes haben mich dazu gebracht, mich zu fragen, wie authentisch wir hier sind. Und ob das überhaupt geht – authentisch sein, ganz man selbst sein, wenn man gar nicht so recht weiß, wie man denn ist.

Wenn ich einen Podcast aufnehme, dann will ich ihn gut machen, denn ich mache das auch für andere. Und wenn ich etwas gut machen will, dann schneide ich raus, was mir ungut erscheint. Heulen zum Beispiel, weil ein Thema so unfassbar berührt und traurighilflos macht. Wechsel zu Innens, deren Emotionalität ein Thema in den Hintergrund drängen würden. Oder auch Wort- und Sprachlosigkeit, deren Stille zu einer großen Anstrengung für Hörer_innen werden würde.
Vermutlich bin ich also nicht authentisch in der Sache. Vielleicht ist dabei nur authentisch, dass ich das überhaupt mache und so viele andere Betroffene nicht. Denn irgendwie sind wir, bin ich, immer irgendwie die Person, die Dinge tut, obwohl und obwohl.

Das war auch Thema neulich.
Obwohl.
Bloggen, podcasten, workshoppen, für Geld monologisieren vortragen, ein Buch veröffentlichen, rausgehen und Dinge machen, Leute treffen – obwohl bei uns nicht alles gut ist. Obwohl wir auch Angst haben. Obwohl wir auch nicht von uns denken, dass wir die beste Person für das sind, was wir bewirken möchten. Obwohl es schwer ist.

Das sind keine Dinge, die uns abhalten etwas zu tun. Ehrlich gesagt sind das sogar Dinge, die so tief in mich hineingefräst sind, dass sie zu kompensieren ein Teil meines Ich, unseres Rosenblätter-Ich, sind.
Aber sie haben den gleichen Stellenwert wie den Ärger darüber, dass ich meine Schreibfehler in den Texten immer erst Stunden nach der Veröffentlichung sehe oder wie das Gefühl aus der DIS-Blog-Szene ausgeschlossen zu sein, weil mehr als “Gut gemacht”, “Danke” oder Quark von dem klar sein muss, dass wir ihn nicht freischalten, bei uns nicht kommentiert wird.

Es gibt so viele hätte würde könnte wenn’s in unserem Leben. Wir kommen nicht hinterher damit und die Konsequenz dieser Unübersichtlichkeit und unserer Unzulänglichkeit Dinge anders zu machen ist, die Dinge zu machen, die wir machen wollen und zwar so wie wir wollen.
Das ist die Authentizität, die wir leben. Glaube ich.
Dass wir Dinge tun, um sie zu tun, nachdem wir uns entschlossen haben sie zu tun. Nicht trotz oder obwohl da auch Angst, Unzulänglichkeits- und Isolationsgefühle sind, sondern, weil sich diese Gefühle nicht damit verändern, dass wir nichts tun.

Wir machen sie nicht (mehr), damit Dinge besser werden. Wir machen sie, um sie gut zu machen. So gut wir das eben hinkriegen.

Und ja, ich glaube unsere Flashback-Reaktionen aufzunehmen, emotionale Innens andere Leute anpöbeln zu lassen oder Kinderinnens an PC und Handy zu lassen, führt nicht dazu, dass wir etwas gut machen.

Ich glaube auch, dass viele Leute Authentizität mit Nahbarkeit verwechseln.
Viele bezeichnen Menschen authentisch, mit denen sie sich verbunden fühlen. In denen sie sich selbst irgendwie erkennen können. Wir erkennen uns selten in anderen Menschen, und wenn dann nur in Stückchen. Wir ver.binden uns bewusst und auf Grundlage von wohlüberlegten Entscheidungen. Gefühle haben dabei keine leitende Funktion, sondern eher eine beratende.
Wir haben noch nie einen Podcast oder ein Blog abonniert, weil wir authentische Leute lesen oder anhören wollen, sondern, weil wir gut präsentierte Inhalte lesen/anhören wollen.

Vielleicht macht uns das komisch und unnahbar. Vielleicht sind wir auch so.
Keine Ahnung.
Es ist auch nicht relevant.

Wir sind nicht, was wir machen.
Wir sind angstvoll, unzulänglich und oft einsam – und wir machen Dinge.
Gleichzeitigkeit zu leben ist authentisch.

Fundstücke #67

Das Jahr geht zu Ende und es fühlt sich nicht danach an.
Alles ist anders, neu, komisch, schön, anstrengend. 2018 hat viel mit sich gebracht. Vieles verändert. Auch mich. Uns.
Wir hatten zu wenig Zeit für uns allein, mit uns allein, um alles zu integrieren, alles zu er.fassen und zu halten. Und vielleicht ist das die Essenz von Reichtum.

Das nächste Jahr steht bereits zur Hälfte fest und so beruhigend wie das ist, so sehr setzt es uns unter Druck.
Es ist keine Planung, die uns strukturiert und vorbereitet, um weniger Angst zu haben. Es ist der Versuch zu greifen, was da kommt. Das ist etwas anderes als sonst und so schwer zu kommunizieren in seiner gesamten Belastung.

Wir bemühen uns darum glücklich zu sein, dankbar, demütig und merken doch: Glück und Zufriedenheit ist Arbeit und irgendwann ist man einfach müde. Denn Energie ist begrenzt und wir ziehen unsere Kraft nicht aus Glück und Zufriedenheit, sondern aus Schlaf, guter Ernährung, Sport, Alleinzeit, der Möglichkeit zu schreiben, um sich selbst zu verstehen, zu verorten, zu spüren.

Das müssen wir 2019 wieder mehr machen. Egal wie egoistisch das wirkt, egal, wer sich das anders wünscht und warum.
Das ist auch eine Erkenntnis, die bestätigt. Wir sind nicht selbstbezogen, weil wir daraus einen sozialen Vorteil haben. Wir sind es, weil es für uns der Weg zu anderen Menschen und dem Leben selbst ist.

Ich glaube, dass das etwas ist, das wir den Menschen in unserem Leben zumuten müssen. Glaube, dass wir uns in einem Zutrauen üben müssen, in dem wir annehmen, dass die Menschen uns vertrauen. Was merkwürdig ist, denn das haben wir noch nie gemacht: Geglaubt, dass man uns glaubt; darauf vertraut, dass man uns vertraut.

Mal sehen wie das wird.
Im Jahr 2019.

von Leidvergleichen und Alltagsgewalt

473731_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.deDer Punkt an dem ein therapeutisches Gespräch bei mir am meisten reinhaut ist der, wenn mir das Gegenüber so Dinge sagt wie: „Das war ganz schön schlimm für Sie, nicht wahr?“ oder: „Oh weh, das war sicher schmerzhaft…“

Puff! Wird mir mein Leiden unter einer Situation bewusst und/ oder bestätigt von jemandem, der nicht selbst dabei gewesen ist, sondern nur von mir davon erfahren hat. Und wie durch ein Wunder, fühle ich mich dann auf einer Ebene besser, als vorher.
So einfach geht das.

Wenn ich in Kliniken war, habe ich manches Mal gedacht, dass meine Mitmenschen, die dort ebenfalls zur Therapie waren, allesamt aus vollem Halse schreien würden, wären sie noch Babys oder Kleinkinder bzw. wäre dieser Ausdruck seiner Not für Erwachsene gesellschaftlich anerkannt, um genau diese Annahme und Bestätigung zu erfahren.
.
Als erwachsene Gewaltüberlebende schreien sie auf viele andere Arten ihre Not heraus. Zum Beispiel in dem sie nicht mehr essen, sich Verletzungen zufügen, ihren Körper zum Sprachrohr machen (somatisieren) und so weiter.

Egal, was ihnen passiert ist, egal was für einen innerseelischen Konflikt sie da gerade mit sich ausfechten- sie leiden und es geht ihnen schlecht. Das anzuerkennen ist für mich selbstverständlich. Zum Einen, weil es nicht um mich dabei geht und zum Anderen, weil ich das Geschrei nur schwer ertragen kann und weiß, wie viel einfacher alles ist, wenn man dem Anderen schlicht seine Gefühle und Gedanken anerkennt und lässt, ohne sie auf sich zu beziehen (und damit: seine Gefühle mit meinen zu vermischen) und zu bewerten anhand meiner Schlimmskala.
Das ist meine Art des Selbstschutzes und auch der Versuch Gewalt in einer ihrer Maskeraden nicht weiter zu tragen.

Wenn ich in einer Klinik bin, rede ich nicht über meine Probleme und Diagnosen mit anderen Mitpatienten, sondern ausschließlich mit meinen BehandlerInnen. Ich bin diese Vergleicherei und Bewerterei einfach leid und habe für mich eine relativ gnadenlose Schiene entwickelt: Ich komme, mache und gehe wieder weg. Keine Patientenkontakte außerhalb der Angebote und nicht mehr Zeit als nötig in diesem Setting.

Kliniken sind Brutstätten für Leidvergleiche, weil es nur allzu oft, um die extrem begrenzte Ressource der Aufmerksamkeit und Bestätigung geht. Ich lasse mich von niemandem dazu missbrauchen sich besser oder schlechter zu fühlen, weil er an meinen Gefühlen oder meiner Geschichte seine Position zu sich und seinen Gefühlen und seiner Geschichte finden will.
Es gibt Menschen, die genau für die Arbeit der Hilfe zur Selbstpositionierung und Sortierung bezahlt werden: die Psychotherapeuten!

Damit sich Muster wie das einer Somatisierungsstörung oder einer Essstörung oder was auch immer entwickelt, braucht es jede Menge Nichtbeachtung, Relativierung, den Verlust der Berechtigung zur eigenen Wahrnehmung, Konflikte jeder Art- unterm Strich: Alltagsgewalt. Die fiesen kleinen Internalisierungen und Weitertragereien von Erniedrigung und Demütigung, die wir hier und da einfach mal so aufgenommen und in anderen Kanälen wieder heraus gelassen (in jemand anderen wieder hineingegeben) haben genauso, wie die großen Schicksalsschläge, die einfach so mal über einen kommen.

Es ist mir egal, warum und wieso jemand Symptom XY entwickelt hat, weil ich für mich klar habe, dass niemand unter seinem Anpassungsmuster bzw. seiner Überlebensstrategie krankt, weil er Geschichte AB erlebte oder Charaktertypus CD ist; sondern,weil genau dieses Muster bzw. diese Strategie plötzlich (oder auch schleichend) dysfunktional geworden ist. Entweder, weil sie nicht mehr gebraucht wird oder, weil sie allein nicht mehr ausreicht, um eine Balance für Alltagsfunktionalität zu halten.

Ich habe das schon einmal hier im Blog erwähnt: Ich leide nicht und habe nie darunter gelitten „Viele zu sein“- ich habe darunter gelitten, es plötzlich zu spüren bzw. plötzlich zu erfahren, warum mein Gehirn so vieles nicht assoziieren kann um ein kohärentes Selbst(bild) für mich zu ermöglichen.

Ich finde Leidvergleiche missbräuchlich, weil ich mich als Maßstab missbraucht fühle. Und im Zuge dessen sogar richtig misshandelt.
Das Wort Missbrauch enthält „brauch“ und deutet so eine Notwendigkeit- ein „etwas zu Brauchen“ an. Dies ist im Hinblick auf diese Art Missbrauch als Maßstab für andere Menschen meines Erachtens sehr passend, weil meiner Meinung nach, hinter diesem Verhalten eine Notwendigkeit- ein nötiges „etwas brauchen“ steht. Einfach so macht das niemand! Es wird für mein Gefühl danach geschrien eine Erlaubnis für seine Not zu haben. Eine Berechtigung generiert, sich um sich selbst zu kümmern.

Diese Erlaubnis kommt aber nicht dadurch zu Stande, dass ich mich als Maßstab hergebe, sondern dadurch dass das fiese Gewaltmuster im Kopf des anderen Menschen endlich Ruhe gibt, weil es mich gegenüber dem Empfinden des Anderen erniedrigen konnte!

Ich habe einen Seitenarm der Diskussion hier im Blog, gerade auch in meinem Privatforum, in dem ich mich mit anderen Menschen mit DIS austausche.
Dort merkte ich gestern einen Stich in mir, als jemand von seiner wachsenden Kenntnis über seine Biographie schrieb. Ich nannte es erst „Neid“- jetzt einen Tag und viele Gedanken später nenne ich es: „Oh- Achtung- du fängst an dich selbst zu erniedrigen und den anderen in eine Position über dir zu drücken. Du verletzt dich schon wieder selbst, indem du wiederholst, was dir viele schlechte Ärzte und Therapeuten angetan haben, nämlich dir zu sagen, dass du nie Fortschritte machst, weil du zu schwer gestört bist.“
Dahinter steht auch eine Not, nämlich der fiese Schmerz und die Angst die ich fühlte, als mir immer wieder gesagt wurde, ich sei ein hoffnungsloser Fall, der es nie aus der Massenverwahrungsanstalt mit Heileretikett- kurz: Psychiatrie- schaffen würde. Diese Demütigung trage ich bis heute in mir herum und finde sie in solchen Momenten bestätigt. Doch dies hat nichts im Kontakt mit dem anderen Betroffenen zu suchen. Durch meine Rückmeldung, fühlte das Gegenüber sich beschämt und entschuldigte sich bei mir, was ich so in der Form gar nicht erreichen wollte. Wir waren in den Napf der Alltagsgewalt gestapft, ohne es sofort merken.

In dem Forum weiß ich, dass die anderen Betroffenen offen für meine Reflektion sind. Wir können das in Ruhe diskutieren und uns beim nächsten Mal direkt warnen und einander auf diese Muster aufmerksam machen. So etwas funktioniert, wenn man einander schon länger kennt und weiß, dass jeder zur Reflektion und Entwicklung gewillt ist.

In Kliniken und offenen Selbsthilfeforen geht so etwas eher schwer.
Man kennt einander nicht, ist eventuell gerade komplett blind vor eigener Not und verletzt und erniedrigt permanent sich und andere Menschen, ohne es zu wollen oder reflektieren zu können.
Entsprechend nutze ich Selbsthilfeforen als Ort zum Sein, die ich mir wie kleine Inseln arrangiere:für dies Thema dieses, für die User A B C D E dieses und für in Ruhe auseinanderklabüstern und üben zu reflektieren und so weiter jenes…
Und Kliniken eben auch so. Ich gehe da hin, nutze die Angebote in denen ich gut sein und reflektieren und sortieren kann und lasse den Rest aus bzw. quäle mich durch die Gruppen, an denen man teilnehmen muss. Der Rest wird von mir ignoriert, um mich zu schützen und meine Therapieerfolge des Tages nicht kaputt zu machen.

Das ist eine bewusste Entscheidung von mir. Eine innere Haltung, die mich längst nicht überall beliebt macht und die mir vor allem nicht immer weiter hilft. Aber genau in diesen beiden Settings, habe ich es permanent mit Menschen zu tun, die ungewollt an mir Gewalt ausüben, um sich selbst zu verletzen (also an sich sich selbst Gewalt auszuüben) und das ist einfach nicht das, was ich will und mir gut tut.
Es gibt andere Settings und andere Menschen da draußen, die sich zum Einen anbieten mir zu helfen einen eigenen Maßstab für mich zu finden (meine Psychotherapeutin) und zum Anderen offen und reflektierend mit mir agieren und mir vorzuleben, wie sie mit ihren Konflikten umgehen, ohne ein Muster zu entwickeln unter dem man früher oder später krankt (meine Gemögten).

Es ist auch einfach eine Entscheidung wegzugehen, wenn ich merke, dass ich in einem Kontakt immer wieder versucht bin, mich zu vergleichen, um meine Gefühle und Impulse als „okay“ einstufen zu können.

Ich will mein eigener Maßstab für meine Gefühle, Gedanken und Impulse sein und halte es für absolut gerechtfertigt, wenn das jeder andere Mensch auch für sich will.