das Stress-MRT

Später las ich im Aufklärungsbogen eines anderen Krankenhauses, dass es überhaupt nicht nötig ist, für so eine Untersuchung nüchtern zu sein. Wie kann das sein, dass die einen das so, die anderen so machen.
Für unseren Termin zum Stress-MRT des Herzens sollten wir nüchtern kommen. Um 14 Uhr 15.
Unsere Begleitperson durfte nicht mit im Raum sein.
Wenn man hungrig ist, ist alles schlimmer. Auch das. Und, dass wir warten mussten, dass uns Risiken genannt wurden, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten. Kardiologie und Krankenhaus ist immer kurz vor Vollkatastrophe, die Not- und Sonderfälle sind so groß im Raum, dass für Popelprofanitäten wie mein kleines Flatterherz mit Stolperneigung, kaum noch Raum ist. Alles ist rechtssicher abgeriegelt, überwacht und kontrolliert. So sehr, dass ich Angst bekomme, mir Sorgen mache, an Szenarien denke, die in meinem Fall sehr unwahrscheinlich sind.

Die Person im MRT ist sehr nett. Ruhig, klar, eindeutig lesbar. Sehr angenehm.
Ich stieg in ein Flügelhemd und aus den Schuhen, legte mich auf den Tisch des MRT. Hoffte, sie würde die Vene in der Hand wählen, war überrascht von dem Schmerz in der Armbeuge, wo schon während des Krankenhausaufenthalts letzte Woche eine Kanüle lag und zu nichts außer Schmerz führte.

Diese Gerätemedizin fasziniert mich. So ein riesen Ding, mit dem man in Körper gucken kann, hallo sowas muss man erstmal erfinden. Fantastisch.
Es ist kalt in dem Raum, ich zitterte ein wenig. Die Person bedeckte meine Füße, meinen Bauch, die EKG-Elektroden beklebte Brust. Mir fiel dabei auf, dass ich aus Fleisch gemacht bin, aber gerade keine Option hatte, mal mit dem Finger reinzupieken.
Die Nebelfelder an meinen Rändern waren dicht, ich versuchte gar nicht erst durch sie zu sehen. War froh, dass meine “dissoziative Störung” genau jetzt meine Wahrnehmung einschränkte. Alles rückte in die Ferne, da konnte es von mir aus auch bleiben.

Ich habe der Person meinen Gehörschutz gegeben, weil ich mir Sorgen über eventuell enthaltene Metallteile machte. Dummer Fehler. Ich habe sie später nicht zurück bekommen, muss heute nochmal hin.
Die Geräusche des Geräts waren auch nicht schlimm. Überhaupt war es nicht schlimm in der Röhre zu sein. Schlimm war, hineinzufahren und nicht zu wissen, ob es nicht vielleicht doch Metall in mir gibt. Die MRT-Person beruhigte mich, riet mir, die Augen zu schließen und zuzulassen bis ich drin bin. Das war gut.
In der Röhre selbst war es auch gut. Schön eng, um mich herum tiefenloses Weiß.

Es hat lange gedauert. Sie haben Bilder gemacht, es hat geklopft und gescheppert, wurde warm aufanin der Brust. Zwischendurch hatte ich Druck auf dem Sternum, mir schlief der linke Arm ein. Wäre es nicht so kalt gewesen und wäre das Anhalten des Atems nicht dann und wann nötig gewesen, hätte ich gut schlafen können. Gleichzeitigkeit ist eine merkwürdige Realität.

Und dann kam das Adenosin. Da der Arzt von mehreren Stufen gesprochen hatte, hatte ich mir Stufen in der Wirkung vorgestellt. Vielleicht sowas wie “etwas nervös”, “leicht beklemmt”, “aufgeregt sein”, “aufgeregt angestrengt sein”, “enorm aufgeregt sein”. Auf jeden Fall nicht, von jetzt auf gleich Angst zu haben, körperlich ziemlich genau an dem Punkt zu landen, wo meine Kontrolle über mich selbst zu behalten absolut überfordert, weil Automatismen greifen, die über mich hinausgehen. Die Blutdruckmanschette, die mir den Arm gequetscht hat, war es dann aber, die ein Kinderinnen rausgezogen hat. Nur kurz, nur bis 2 Millimeter unter die Haut, genug, um mir in die Hose zu machen und von irgendetwas anderem wieder weggedrückt zu werden.
Vermutlich, dem Zittern. Das wurde nämlich unkontrollierbar.

Ich konnte nichts dagegen machen. Und gleichzeitig: Wie witzig. Da haben wir uns seit 2002 in Selbstberuhigung und Atmung und trallala geübt und jetzt, sollte das alles so sein. Jetzt war da niemand, die_r uns aufforderte, uns zu beruhigen, zu entspannen oder keine Angst zu haben. Nicht mal die, die wir als quälende Abbilder im Innen haben. Die Grenze, an der wir da waren, war allen bewusst. Und endlich war da mal niemand, die_r mir sagte, ich sollte müsste, könnte doch, weil sonst…

Das hat sehr gut getan und macht mich heute, einen Tag später total traurig. Es sollte normaler sein, es sollte nicht nur Bestandteil von extremen Momenten sein, in Überforderung und Handlungsunfähigkeit gesehen und an.erkannt zu werden.
Meinem, unserem, Extremerleben sollte nicht dauernd mit “Ruhig bleiben”, “Ruhig sein”, “Beruhig dich” begegnet werden. Es macht mich zu Recht wütend, wenn mir Menschen so begegnen. Auch, wenn sie es gut meinen. Es ist nicht okay. Es ignoriert meine Ohnmacht und schiebt mir Verantwortung zu, die ich in dem Moment weder halten noch tragen kann. Es lässt mich allein. Das ist nicht okay.

Das Zittern ging schnell durch den ganzen Körper, hörte nicht auf. Es hat das EKG unlesbar und damit die Untersuchung unmöglich gemacht. Der Arzt brach ab, ging zum Teil mit Kontrastmitteln über. Das Zittern hörte so abrupt auf, wie es gekommen war. Mehr als muffigen Seifengeschmack im Mund hat das Kontrastmittel auch nicht mit mir gemacht.

Und dann ging alles ganz schnell, fast überfallartig.
Eine zweite Person, die sich nicht vorgestellt hatte, riss mir die EKG-Aufkleber ab, zog den Zugang, redete auf mich ein. Die andere Person nahm alles andere von mir weg. Das hätte besser laufen können, ich war noch gar nicht soweit zu verarbeiten, was gesagt und von mir verlangt wurde.

Jetzt noch ein EKG und dann könne ich gehen. Das EKG wurde geschrieben, der Arzt kam rein. Es war die erste Stufe gewesen, in der wir abbrechen mussten. Was für ein Versagen. Aber so ein Zittern ist eine Nebenwirkung in 5% aller Fälle. Es lag nicht an mir. Hatte nichts mit Vermeidungsverhalten, nichts mit Unwillen zum Durchziehen zu tun. Nichts mit meiner traumatisierten Psyche, nichts mit meiner autistischen Knallbirne. Null. Nada.
Wie fucking gut das tut, schlicht und einfach nicht schuld zu sein.

Draußen haben wir etwas gegessen. Ich war und bin irgendwie noch, stolz auf meinen Körper, dass er gezittert hat. So machen das normale Körper, wenn sie gestresst sind. Sie zittern die Anspannung raus, ermöglichen sich selbst, den Stress zu verarbeiten. Zittern bei nach unter Stress ist gut. Es ist nicht unsere Verantwortung, unsere Schuld, unsere Schwäche, dass Maschinenmedizin normale Körperfunktionen nicht kompensieren kann.
Es bedeutet auch nicht, dass wir nie erfahren werden, was unser Herz für eine gute Funktion braucht. Es gibt noch mehr Maschinen und Untersuchungsmöglichkeiten.

Welche, erfahren wir heute im Gespräch mit unserem Kardiologen.
Vielleicht erfahren wir heute überhaupt insgesamt mal mehr als, dass da was ist.

wenn was ist

Der Knopf an dem Beistelltisch ist rotorange und unter ihm ist eine androidhafte Gestalt mit Schwesternhaube abgebildet. Ich habe nichts zu tun. Liege hier rum, denke über die Tiefe dieser Grafik nach, höre den schnellen Gummisohlenquietscheschritten der Pfleger_innen über den Stationsboden zu.

Wenn was ist, soll ich mich melden.
Ich weiß nicht, was “was” hier bedeutet. Wenn mir der Puls im Hals flattert, wird er abgezählt und neben den aus meinem Arm gequetschten Blutdruckwert geschrieben. Dann werde ich wieder alleingelassen. Wenn es in meiner Brust wieder sticht, drückt, beengt und das Atmen schwer wird, dann wird der Puls abgezählt, der Blutdruck erquetscht und danach schließt sich die Tür wieder.
Mehr habe ich nicht. Nicht kommunizierbar und wenn, dann ist es innerlich. Psychisch, autistisch, traumatisch.

Ich traue meiner Wahrnehmung nicht. Weiß, dass ich weit über meine Kompensationsmöglichkeiten hinaus überreizt bin. Sensorisch wie geistig, wie psychisch. Ich, wir, haben nicht ein einziges Mal geweint, haben es nicht einmal versucht. Alle Geräusche der Welt sammeln sich in meinem Kopf und verdrängen jeden noch so kleinen Raum. Allein der Umstand, dass wir gerade nicht funktionieren müssen, verhindert einen explosiven Meltdown.
Was bleibt, bin ich. Der funktionale Shutdown.
Mein Sein ist das Schwingen. Vor und Zurück. Auf und Ab. Rein und Raus. Ich bin nicht durchlässig. Aber ich funktioniere so, als sei ich es.  Ich schwinge mit. Mit den Menschen, die mit mir sprechen und dem Innen, das sich unter meiner hauchdünnen Oberfläche zu einem undurchdringlichen Stein zusammengedrückt hat.
Dann und wann sickert Hannah bis zu mir und findet sich so normal wie lange nicht. Fühlt sich gut in dem Plauderkontakt mit der Mitzimmerbelebungsperson, badet in der Zeit mit dem Freund, C. und F., die zu Besuch kommen. Dass sie rausschwingt, was das Außen auf meine Oberfläche wirft, weiß sie nicht. Das merkt sie erst jetzt beim Lesen dieses Textes.

Wenn was ist, ist jemand da. Vielleicht ist man zu nichts anderem im Krankenhaus.
Dass man nicht alleine ist mit etwas, das man nicht so richtig versteht, das eigene Leben als bedroht empfinden lässt und manchmal auch mit Schmerzen einher geht.
Es ist so wie unser Da_Sein. Nur anders.

Dass was ist, erfahren wir, als wir entlassen werden.
Als etwas ist, da gibt es keinen Knopf zum Drücken.
Nur unser Da_Sein und die Freund_innen, die das aushalten.

Der Unterschied zwischen Derealisation und Verdrängung

„Übrigens wusstet ihr, dass Herzinfarkt-Brustschmerzen sich auch wie ein Baumpfahl durch Brust und Rücken anfühlen können? Und, dass Übelkeit, Erbrechen und Schwindel auch Herzinfarkt-Sympome sein können?“ – das habe ich gestern bei Twitter gefragt, denn ich wusste das nicht.

Heute, nach einem sehr langweiligen Krankenhaussonntag und einem anstrengend langweiligen Krankenhausmontag, weiß ich das und, dass ich ganz sicher keinen Herzinfarkt hatte. Was es war, wird sich vielleicht in den Untersuchungen morgen und übermorgen zeigen.

Ich habe nichts zu erzählen, denke wenig, fühle noch weniger.
Zwischendrin lehne ich mich an die Weichheit des neuen Namens, der überall steht und anzeigt, was zu mir gehört. Unsere Freund_innen versorgen NakNak*, ein Freund hat uns das Tabletlaptop, Süßigkeiten und Lesefutter gebracht. Morgen kommt der Freund.

In den Daten zu mir steht noch H. als Kontaktperson, wie ein letzter Versuch des alten schmerzenden Lebens in das heutige hineinzugreifen. Mit einem Ratsch hab ich die Zeile gestrichen. Es tat weh, blutete aber nicht. Mehr als eine Narbe ist es nicht mehr. Auch gut zu wissen.

Es ist kühl draußen, wir sind eine Runde im Park gelaufen, als die Person in unserem Zimmer etwas Zeit für sich und die Verarbeitung ihrer Diagnose brauchte. Es hat angestrengt und Brustschmerzen gemacht. Und obwohl ich nicht mehr heimlich denke, in einem Traum zu sein, wie das Samstagabend bis Sonntagnachmittag war, kann ich nicht glauben, dass da jetzt so richtig wirklich was ist.

Das ist er also, der Unterschied zwischen Derealisation und Verdrängung.

Herzensangelegenheiten #6

“Und das ist also Apparatemedizin”, denke ich, während ich meine Arme vor meinen nackten Oberkörper verschränke und warte.

“Ich bin ein Wellenbrecher”, denke ich. “Ein FlashFlashFlashwellenbrecher…”, ich lache beinahe, weil ich die Melodie von Flipper im Kopf habe. “Denn das ist ein Flää’ hääsch Flää’ hääsch ti didel di …”.

Die Krankenschwester, die mir sagte: “Machen Sie ihren Oberkörper ganz frei und legen die Sachen dorthin.”, steht mit dem Rücken zu mir und tippt in einen Computer.
“Können sie mir sagen, was jetzt gleich passiert bitte?”. Ich ärgere mich über das Bitte in dem Satz, weil – Hallo ich stehe halb nackt in einem Raum vor einer Fremden, in einem Raum mit 3 Türen, einer Liege, schwer einsehbaren Ecken und vielen Gerätschaften. Warum zum Teufel sage ich noch “Bitte”. Warum zum verdammten Mistdreckshenker muss ich darum betteln, mich orientieren und versichern zu können?

Ich denke: “Oh oh, wenn ich mich jetzt aufrege, dann verfälscht das die Werte.”. Und dann lache ich wirklich, weil ich schon seit 20 Minuten jenseits von cool bin und das auch weiß. “Scheiß auf die Werte”, denke ich.
Die Krankenschwester misst links und rechts den Blutdruck – warum ich dafür so ganz ausgezogen sein musste, verstehe ich nicht. Hinter mir brodelt es und ich zittere. Sie sagt nichts. Notiert die Werte.
Sie sagt, ich solle mich hinlegen. Ganz entspannt hinlegen. Und ich denke hochgradig ressourcengeimpft an eine Gitarre. Die ist auch immer gespannt, kann aber auch ruhig irgendwo herumstehen. “Das ist ein Fläää’ häsch Fläää’ häsch ti didel di…”

Ich weiß noch, dass ich früher immer irgendwie hart geworden bin und einfach nur hab machen lassen. N. der Wellenbrecher, der Stein in der Brandung.
Und jetzt liege ich da und auf meiner Brust saugen sich Elektroden fest. Ich lasse sie einfach machen. Lasse die Krankenschwester einfach machen. Ich bin ein Stein.
Ebenfalls sehr steinig ist die Ärztin, die in den Raum tritt. Sie schaut auf das Gerät, schaut auf die getippten Worte der Krankenschwester.
Fragt, ob ich rauchen würde. Ich hätte gern ein medizinisches Belohnungsbienchen dafür, dass wir vor inzwischen fast 3 Jahren aufgehört haben.

Sie fragt, weshalb wir da sind. “Zufallsbefund”, krächze ich.
Ich weiß, dass dieses Anamnesegespräch die einzige Chance für Patient_innen ist, sich irgendwie kurzfristig an ihre Behandler_innen zu binden. Kurz zu ermöglichen, miteinander durch die Untersuchung bzw. später auch die Behandlung zu gehen. Die ganzen Ziffern und Zahlen und Nummern und Werte schreddern uns das.
Die Ärztin fragt nur nach Zahlen und Werten, gibt Anweisungen zu atmen, während sie ihr Stethoskop auf meiner Brust umherschiebt.

Von innen kommt der Druck etwas zu sagen. Kontakt nach Außen zu machen, damit das Innen nicht so nah rückt. Ich weiß nicht mehr, welches Außen jetzt eigentlich das Richtige ist und bleibe still. Ich lasse machen und es ist egal. Wellenbrecher-N. ein Stück Fleisch unförmig, bleich, zerstört. Egal.

Ich soll mich auf die Seite legen während die Ärztin meine Lunge behorcht und dann einen Ultraschall vom Herzen macht.
Mein Herz ist schön.
Es hat kleine flatternde Klappen und bewegt sich in aller Ruhe.

“Na, die Aufregung geht jetzt langsam?”, fragt die Krankenschwester und ich würde sie gerne hauen. Wenn sie doch gemerkt hat, dass ich “aufgeregt” war, wieso zum – naja – hat sie nicht mit mir geredet?
Aber mein Herz wackelt noch immer so schön auf dem Monitor herum. Wir hören uns die Klappengeräusche an. Verfolgen den Blutfluss. Betrachten das Gewebe. Irgendwo innen lacht es, dass man das irgendwie auch Selbstberuhigung nennen könnte: das eigene Herz angucken.

Schade, dass sie nichts erzählt hat. Sie musste Zahlen aufsagen und Tasten auf dem Gerät anschlagen.
Ich denke, diese Gerätemedizin macht erstaunlich wenig Spaß, wenn die Menschen, sie nur benutzen, aber nichts von ihr haben. Also Spaß an der Nutzung oder Faszination oder so.
Ich bin hingerissen.

Und dann soll ich Fahrrad fahren und darf mich schon wieder nicht anziehen. Ich habe eine Jacke, die hätte offen bleiben können. Aber nein. Mich streift ein Kinderinnen und ich lasse es in den Wogen, die sich an mir brechen ertrinken.
Ich trete mechanisch auf eine Mechanik ein und die Untersuchungsmaschinistin aka Krankenschwester tippt auf ihren Computer ein. Die Ärztin bespricht ein Diktiergerät. Ich soll mich auf eine Zahl konzentrieren und diese halten. Die Nummer 60 und ich werden Untersuchungsbegleiter.

“Ihr Herz funktioniert gut soweit. Was sie da haben, haben viele andere auch und können gut damit leben. Es ist wie Sommersprossen. Niemand weiß woher man das bekommt und es geht nie wieder weg.”, sagt die Ärztin, als sie mir zum ersten Mal konkret gegenüber sitzt.
Auf einem Zettel, den sie mir reicht steht, was wir machen können, um unser Herz zu entlasten.

“Sie werden nicht sterben” von jemandem zu hören, steht nicht auf diesem Zettel.