ping ping ping

Ich hatte gerade einen Ping- Moment und ja, der hat etwas damit zu tun, dass wir uns im Februar – wie alle anderen Menschen auch – um einen Ausbildungsplatz in einem Berufskolleg bewerben können.

[Hier ist ist ein bisschen Platz für ihre Mitfreude.
Das Konfetti dann bitte morgen früh selber wegfegen. Danke. ]

Mein Ping kam von der Erkenntnis, dass es in dem Gespräch gerade nicht einen Moment darum ging, dass wir viele sind und Traumafolgen und Gewalt und all der Horrorschwabbel, den wir in den ganzen letzten Jahren nie ganz aus Vorstellungen unserer Person jeder Art heraushalten konnten.
Wir mussten bis jetzt noch keinen Lebenslauf vorzeigen und standen nicht vor der Frage: “Und wie kam das, dass Sie ihren Realschulabschluß mit 4 Jahren Verspätung gemacht haben?” und auch nicht vor der Frage: “Warum haben sie weder Praktika noch Jobs gehabt, die Würdigungszettel zur Folge hatten?”.

Das Ping ist: “Privatsphäre im direkten Kontakt”.
Das Ping ist: “Oh wait – ich musste mich gerade nicht komplett entblößen, um mich zu erklären, um wiederum eine Chance wie alle anderen Menschen auch zu bekommen.”
Das Ping ist: “Es ging um die Sache und uns hier und jetzt und heute und nichts weiter.”

Da uns die meisten Menschen schriftlich erleben, gibt es oft auch die Annahme wir wären im analogen Kontakt gleichermaßen eloquent, offensiv und laut. Wenn wir einen Lauf haben und uns in bekannten Gefilden mit bekannten Menschen befinden, sind wir das auch.
In 95% der anderen Umgebungen des Alltags sind wir das nicht. Zum Einen, weil wir nur selten in anderen Gefilden des Alltags sind und zum Anderen, weil es Kraft zieht eloquent, offensiv und laut zu sein.

Die wenigsten Menschen haben im Bild von uns, dass man uns immer eher vorwerfen könnte nur uns selbst zu beachten oder nur um uns selbst zu kreisen, als dass man uns als jemanden bezeichnen könnte, der sich überwiegend mit sich befasst, um anderen Menschen irgendwas zu beweisen oder vor ihnen irgendwas darzustellen. Außenwirkung ist so etwas, das ziemlich weit neben uns steht und nur dann Thema wird, wenn klar ist, dass wir angeguckt werden.
Üblicherweise geikeln wir also immer ein bisschen awkward und so wie wir halt immer so geikeln, wenn wir uns mit unseren Wahrnehmungen befassen herum und kriegen dafür dann entsprechende Rückmeldungen oder Bewertungen unserer Gesamtperson, wenn wir nicht merken, dass wir angeguckt werden oder schlicht keine Kraft oder allgemeine Kapazität dafür haben einem “angeguckt werden” entsprechend zu agieren.

Mein Ping-Moment ist deshalb so groß, weil mir gerade aufgefallen ist, dass keine Bewertung passiert ist – obwohl wir angeguckt wurden und einfach so auf uns und das, was wir wollen bezogen waren, wie wir das in 95% unseres Alltags sind. Neben den reaktiv aufgebrachten Kraftschüben, als es darum ging zu vermitteln, was wir uns zu lernen wünschen und was wir brauchen, um das dort zu können.
Es ging um eine Ebene von “die Rosenblätter und die Welt”, in der wir als Rosenblätter – also als Füllung eines Einsmenschen – weder versteckt noch bewortet sein mussten und das war grandios.
Überraschend grandios, denn in den letzten Jahren seit der Diagnosestellung ging es bei so ziemlich allem, was wir brauchten und wollten darum, dass wir ein special Mensch sind, weil wir ein Einsmensch mit Füllung und Problemen sind. Da ging es darum, dass wir das Problem sind und man ein Umfeld stricken muss, das das aushalten kann. Will. Sich held_innenhaft/selbstlos/menschenfreundlich/altruistisch bereit erklärt uns auszuhalten und zu unterrichten/betreuen/behandeln.

Außer in Bezug auf unsere Therapeutin. Der sind wir nämlich ähnlich egozentrisch und offensiv in die Praxis getorkelt, wie wir in den letzten Jahren Bewerbungen um Ausbildungsplätze abgeschickt haben.

Es ist jetzt natürlich nicht die Art Privatsphäre gewesen, die andere Menschen hätten haben können. Jetzt sind wir da zwar nicht als Person, die von Straftäter_innen psychisch und physisch kaputt gespielt wurde bekannt, aber als Person, die Krampfanfälle hat, Autistin ist und deshalb auf ihre Assistenzhündin angewiesen ist.
Das bedeutet schon, dass von uns eine große Portion dessen, was zu uns gehört schon bekannt und offen für alle ist, aber es ist eine Portion, die weniger nah an dem ist, was uns zu einem uns hat werden lassen.
Das ist ziemlich entlastend ehrlich gesagt und lässt mich ein bisschen hoffen, dass die Spaltung zwischen Schule und Alltag vielleicht ein bisschen mehr zusammen kommt, weil die Schule dann auch Alltag ist.

Alltag ist, wo es nicht ums viele sein geht.
Ums viele sein geht es in der Therapie, im Blog, im Podcast, in Gesprächen mit anderen Menschen, die viele sind oder diese begleiten, weil es dort um uns und unsere Er-Lebensrealität – und –Erfahrungen geht.

Es gibt “Berufsmultis”, die von morgens bis abends nichts und niemand weiter sind und sein können, als jemand, der viele ist. Wir haben solche Zeiten auch gehabt und fanden das wichtig, weil es um uns herum niemand wichtig fand und uns damit hat immer wieder so unwichtig werden lassen, dass wir keinen Schutz, keine Unterstützung und auch keine sichere Versorgung hatten.
Niemand ist “Berufsmulti”, weil si_er sich das überlegt hat. Sowas ist eine Art Überlebensmechanismus – aber kein Alltag.
Was uns damals getrieben hat war die Idee, dass, wenn alle Menschen wissen was viele sein ist, es nicht mehr so furchtbar anstrengend sein würde, die eigenen Wünsche und Bedürftigkeiten verstanden, anerkannt und gewährt zu bekommen.
Man muss sich vorstellen, was für eine hohe Selbstaufgabe dort passiert, wenn das Erste, was ein Mensch, der viele ist, über sich sagt ist, dass er viele ist/multipel ist/eine DIS hat. Das ist die quasi ultimative Aufgabe von Selbstschutz und Privatsphäre, nur um so etwas wabbelig ungreifbares wie Verstehen zu erhalten.
Die wenigsten “Berufsmultis”, die ich kenne, werden verstanden und erhalten entsprechende Hilfen. Und das ist ein Problem.

Ich freue mich deshalb sehr auf eine Bewerbung um einen Schul- und Lernalltag, der es uns ermöglichen kann auch als etwas von außen Strukturierendes dazu beizutragen, dass wir nicht immer zwischen “Blogartikel schreiben”, “Emails mit Betreff “viele sein” beantworten”, “Podcast zum viele sein machen” und “Kunstschule und Fotografie” als Einziges, was nichts damit zu tun hat zu pendeln und dazwischen so kleine Inseln freischippen zu müssen, in denen es um Selbst-Wahrnehmung und Selbst-Regulierung gehen kann.
Klar hören wir damit nicht auf – wir machen hier ja nichts, was wir nicht selbst auch wollen und gut und wichtig finden, aber ach … wir haben halt nicht jeden Tag Kunstschule und so vergehen oft Tage, die dann thematisch sehr oft nur “viele sein” (oder related Sozialpolitik oder related andere Bereiche) sind, obwohl wir selbst gar nicht mehr diese Anerkennungsnot nach außen haben.

Um den Faden zum Ende zu bringen – da war ein Ping und zwar ein “Privilegien-Ping”.
– Ich bin gerade so gut aufgestellt, dass ich es schaffe einen empfindlichen Teil von mir und meinem Leben zu schützen, ohne dafür etwas aufgeben zu müssen.
– Ich bin gerade so gut versorgt, dass mir nichts verloren geht, werden mir bestimmte Dinge nicht gewährt.
– Ich bin gerade von so hilfreichen Menschen umgeben, dass ich selbst für mich und meine Bedürfnisse sprechen kann, ohne, dass das zu 100% perfekt gut gehen muss, sonst “verkackt für immer und immer und ewig”.

(Auch so ein Privilegien-Ping: Da gibt es, wenn man angenommen wird, ein Gespräch zu dem auch viele Eltern kommen. Bevor es im Innen heulen konnte, weil wir keine Eltern haben, die wir dabei haben wollen würden, kamen die Ideen, wen man darum bitten könnte mitzukommen. Auch ein Arghneinichwillnichtsoabhängigsein-Ping – aber naja – erst mal angenommen werden, dann können wir noch genug über unsere Abhängigkeitsissues abzappeln)

Naja.
Jetzt hats ganz schön viel gepingt.

Am Ende das Durchatmen und wissen: Wir können uns bewerben wie alle anderen Menschen auch. Assistenzhund und andere Bedarfe sind kein Ablehnungsgrund. Zum ersten Mal nach über 150 Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz geht es nur darum, was wir können.

Trickfilmgrafik, ein Mensch und ein Hund tanzen lächelnd vor hellblauem Grund


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