weiter nichts

BlattimBach2 Ich spüre ganz genau diesen vertrauten Schmerz.

Wie sie sich von mir abtrennt, meine Haut vom Sein reißt, sich in die Ränder einwickelt und Schleifen an die Ecken bindet.

Wie sie meine Muskeln bluten lässt, mit jedem erbarmungslosem Schritt diesen Berg hinauf, hinunter, die Kilometer unter sich ablaufend.
Durch die Sonne, mit dem Wind, in Gedanken, die keine sind.

“Dann sag ich nichts mehr dazu. Dann ist das so. Egalegalegal…”. Mit jedem Schritt ein Egal mehr. Ein Wollen weniger.

JoggerInnen, FahrradfahrerInnen, andere SpaziergängerInnen sprengen die Blase um sie herum und lassen das tragende Stakkato in ihrem Kopf zittern, wie Gräser in der Brise.

Sie setzt sich an das Rinnsal, das ihre Stadt an Wasser zu bieten hat.
Schluckt, atmet, streicht dem Hund Insekten aus dem Gesicht.
”Alles ist gut”, kreist es in dem Raum den ihre Schädelknochen bilden.

Weiter nichts.

Bis die Sonne untergeht.

Bis die Tränen ins Nimmermeer fließen und mein Sein wieder bekleiden.

toter Hund

TraumImmer wieder mal träume ich davon, wieder bei meiner Familie zu leben und meistens sind es anstrengende Träume. Ich bewege mich viel im Schlaf und spanne meine Muskeln an. Manchmal wache ich im Weinen auf und der Unterschied der Umstände erscheint mir doppelt traurig.

Einmal träumte ich, dass ich von irgendwo herunter fiel, direkt vor die Füße meiner Eltern, die beide ein Eis in der Hand hatten. Der Aufprall hatte unglaublich geschmerzt und ich hatte versucht nach den Beinen von einem von beiden zu greifen. Eis war auf meine Hand getropft und die Beine hatten sich entfernt.
Da war ich aufgewacht und weinte, weil es weder im Traum noch in meiner Lebensrealität jemanden gab, der mich tröstete.

Heute Nacht träumte ich, dass ich allein mit meinen Eltern und NakNak* lebte.
Sie waren lieb zu mir, sagten Dinge, wie sie meine Twittertimeline und Gemögten normalerweise sagen bzw. schreiben. Und dann fiel NakNak* von irgendwo herunter und verletzte sich schwer.
Ich sah sie vor mir, wie
Edna, die kleine Welpin. So starr zur Seite fallend und der Fang von Stressfalten umrahmt. Sie gab keinen Ton von sich, hatte die Augen aufgerissen, um so weit wie möglich mit mir zu verschmelzen.
Sie lebte, bewegte sich und versuchte ihren Vorderlauf zu kontrollieren, was nicht ging, weil ihr Ober“arm“knochen blank wie Milchglas aus der Haut herausschaute.

Ich nahm sie auf und trug sie ins Wohnzimmer meiner Eltern. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit auf mich und fragten fast gleichzeitig, was passiert sei. Ich sagte, dass wir zum Tierarzt müssten. Sofort.
Im Kopf überschlug ich die Behandlungsmöglichkeiten, während ich sah, dass mein Hund unter den Händen meiner Eltern zappelte und sich den Knochen des Beins immer weiter denormalisierte.

Ich wischte ihre Hände von NakNak*, schickte meine Mutter ans Telefon: „Ruf beim Doktor an und sag ihm, wir kommen!“ und drehte ich mich zu meinem Vater um ihm zu sagen, er solle uns jetzt sofort da hinfahren.

Ich träumte Ednas Sterben mit NakNak* in der Hauptrolle.
Die kleine Labradorwelpin war auf der Fahrt zum Tierarzt bereits den Hirntod gestorben und ich hatte trotzdem noch versucht jede Kurve und Unebenheit in der Straße mit meinem Körper abzufangen. Sie hatte sich noch bewegt und geatmet, doch ihr Schädelknochen war unter den Hufen des Pferdes zerstört worden.

In dem Traum war mein eigener Hund plötzlich knapp 13 Wochen alt. Der hilflose Mensch, der sich an sein Lenkrad krallte, war nicht der eigentlich fremde Besitzer, sondern mein Vater.
Wir fuhren immer langsamer und ich verstand erst wieso, als ich sah, dass mein Vater eigentlich ein Kleinkind
, das schrecklich weinte, am Steuer des Autos war.

Ich weiß noch, dass ich dachte: „Ich kann das hier nicht“ und dann aufwachte.

So in meinem Bett liegend dachte ich darüber nach, ob ich weinen wollte; wo NakNak* sei und, dass mir das Kind irgendwie vertraut war.
NakNak* robbte sich gerade vom Fußende an mein Gesicht hoch und schnaufte ihre Morgenmüdigkeit an meine Stirn. Da und ganz heil, drückte sie ihren Rücken in meinen Bauch und seufzte.

Ich dachte, dass es schön wäre, wenn jemand hereinkäme und mir über den Kopf streichelte, damit ich auch so tief ausatmen könnte.
Da kam aber niemand.

Wer sollte auch kommen?
Meine Mutter hab ich ja weggeschickt um den Tierarzt anzurufen.

7 Erwachsene

Sie sucht herum und weiß nicht wohin. Sucht das Heute von Gestern und findet nur noch freie Fläche. Ihre Geschichte wird Stück für Stück gefressen von der Karies am Zahn der Zeit.

Stumm ist sie gezwungen zu sehen, dass ihre Schulen und sogar Kindergärten und Heime abgerissen wurden. Es ist nur noch ein leerer Platz, dort wo ihre Worte hallten und in niemandes Kopf zu dringen vermochten.

„Wo ist mein Gesagtes jetzt?“.
Sie steht da und wartet noch immer auf eine Antwort, dreht und wendet ihre Worte wie Steine in ihrem Mund herum. Ab und an beißt sie darauf, um ihre Festigkeit zu prüfen. Sich zu versichern, dass es noch die Gleichen sind wie vor 19 Jahren. Um dem kleinen Herzen, das in ihren Haaren wohnt, sagen zu können, dass sie gewappnet sei, falls doch die Erzieherin wiederkäme und sie nochmal fragte.

Sie steht noch immer an dem mehrschichtig lackiertem Karussell. Versucht zu ergründen, wieviele Farbschichten es bedecken und pult mit ihrem abkauten Fingernagel daran herum. 316455_web_R_K_B_by_mondstein_pixelio.de

„Hier sind wir lang gelaufen. Es war Sommer mit 37°C und sie haben Wasserschläuche hier hingelegt mit Löchern drin. Da konnte man nackig durchlaufen und es war so schön. Es gab Capri- Eis zum Mittag.“

Jetzt ist nichts mehr davon da.
Der Ort an dem die Not aus Versehen sichtbar wurde, existiert nicht mehr.
Es ist, als sei die Chance nun noch endgültiger als damals vergangen.

Das Heute hat das Gestern gefressen.
Was bleibt ist das Mädchen, das erzählte, dass es Monster gibt, die Kinder schlagen und auseinanderreißen.

Das Mädchen, das noch immer da steht und sich fragt, wo sein Gesagtes jetzt ist.

Im Schnitt muss ein (sexuell) misshandeltes Kind, 7 Erwachsene ansprechen, bis es gehört wird

erwachsenes Waisenkind

Es gibt diese Verlassenheit unter Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen. Vielleicht ist es das Waisenkindsein, das einem niemand mehr zugesteht in dem Alter.

Ich weiß noch, dass ich damals dachte, meine Eltern wollten mich nicht mehr haben. Ich wusste nicht, was uns letztlich ins erste Heim brachte.
Ja ich nenne es Heim. Ich finde viele der Einrichtungen für Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, wollten Heim genannt werden. Und sie selbst, sollten sich als Waisen betrachten dürfen.

Warum auch immer, dachte ich, ich wäre einfach rahmenlos. Weder hier, noch dort hingehörend. Der Gedanke: “Keiner hat mich lieb, keiner will mich haben”, mündete für mich in einem bizarren Selbstverkauf.
Hier schau was ich kann- schau was ich mache- schau wie wichtig ich für dich sein kann- schau was ich leisten kann- bedien dich- nimm mich… Will mich doch bitte haben.

Vor ein paar Jahren dachte ich, es wäre vieles anders gekommen, wenn wir statt in eine473755_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.de Einrichtung, in einer Pflegefamilie untergekommen wären.
Nun denke ich, dass wir vielleicht einfach auf einer Art Warteliste gestanden haben.

Und jetzt ein erwachsenes Waisenkind sind.
Meine Eltern leben noch. Sie werden noch sehr lange leben. Aber sie sind auch nicht mehr da.
Sie wollen mich nicht mehr. Weil ich kaputt bin.

Weil ich vielleicht zu heil werde.

Weil ich vielleicht die Warteliste geschafft habe und jetzt Eltern im Geist habe, die ein bisschen auf mich aufpassen und mir helfen. Menschen, die mich nicht geboren haben, die aber bei der Geburt von mir- uns in diesem neuen Leben dabei sind. Mich durch die Wehen meiner Selbstgeburt begleiten, mich schützen, nähren, tragen, halten…

Einfach so.
Auch ohne Blutsbande und Hilfeplan.