“Wir sind Viele” ~ Teil 6 ~

Immergrün Herbst 2008
“multiple Persönlichkeit… das ist doch dieses Ding mit den Satanisten. Bist du eine von denen?”, er schaute mich groß an.

Ich hatte keine Ahnung, wo ich mit dem Erklären anfangen sollte.
Also begann ich von meinem Leben zu schreiben. Damals noch in Form eines “Internet- Tagebuches”. Ich hatte zwei Follower und verwandte den Großteil meiner Kraft darauf, überhaupt dort hinein zu schreiben, das Geschriebene stehen zu lassen und nicht weiter darüber nachzudenken, was das, was ich schreibe irgendwo anders als bei meinem damaligen Freund bewirken könnte.
Die Beziehung endete, das Blog nicht.

Als ich Jahre später in einem anderen Kontext als Autorin des Blogs geoutet und dann wegen des multipel seins massiv verletzt und bloßgestellt wurde, löschte ich das alte Blog und nahm mir vor, besser aufzuklären.
Ich war fest davon überzeugt, dass mich keine/r der damals 15 verschiedenen AutorInnen der Hass- und Pöbelmails genau so auch angemacht hätten, hätten sie ein vernünftiges Verständnis von DIS und Gewalt, neben dem, was Filme wie “Höllenleben” und Bücher wie “Vater unser in der Hölle” hinterlassen können, wenn man sich ansonsten gar nicht mit der Thematik befasst.

Ich zog zu WordPress und krempelte die Ärmel hoch.
Wir schrieben 2012.

Wir sind Viele und schreiben in einem System, das ich nach der Lektüre des “Rhizom” im letzten Jahr auch endlich sicher benennen kann: das System der Vielheit.
Hier gilt nicht “Wie kriege ich meine Vielheit in ein System?” sondern: “die Vielheit ist das System”.
Das ist alles andere als einfach zu lesen- aber mein Leben wird eben nicht einfach gelebt und die Gewalt früher wurde auch nicht einfach überlebt. Und – Knüller – meine Lebensrealität ist kein Einzelfall.
Gewalt passiert vielen, Gewalt hat viele Formen, Gewalt hat vielfältige Folgen. Viele werden Viele, viele brauchen viel Hilfe und so vieles muss noch passieren, bis das auch wirklich möglich ist.
So wurde aus dem Wortspiel “ein Blog von Vielen” nicht nur ein Titel, sondern auch ein Leitbild, das so viel mehr bereits im Titel sagt, als es ein einzelner Artikel kann.

Wir schrieben also los und begannen nach und nach Ebenen hinzuzufügen und in den Strang des Blogs einzuflechten, um sowohl für uns herauszufinden, wie viele Innens ein Blog, ein Beschreiben, ein Erzählen über unsere Lebensrealität überhaupt verträgt und wo die meisten Reibungspunkte in der Auseinandersetzung sind. Irgendwann hatte unser Schreiben hier mehr Konsistenz, als ein Tagebuch und die Reichweite nahm zu.
Trotzdem ist der “Blog von Vielen” ein sogenannter Nischenblog.

Die Texte sind nichts, was ohne Mitdenken zu konsumieren ist und wir sind als Person niemand, den man sich einfach nehmen kann (um ihn in irgendeine Schublade zu stecken).
Nun ist es aber so, dass wir genau das doch eigentlich wollen: Verstanden werden und die eigenen Themen in die Welt hinaus tragen, um Diskussionen anzuregen, die am Ende vielleicht Blüten und Früchte in Veränderungen zu einem Umgang mit Gewalt treiben, die eine Überlebensgeschichte wie unsere, verhindert.

Als wir lasen, dass es bei der Tagung einen Workshop mit dem Titel “sadistische Gewalt in der Berichterstattung” geben würde, waren wir natürlich Feuer und Flamme
– und erst einmal enttäuscht, als sich herausstellte, dass es sich um einen Vortrag über Berichterstattung im Fernsehen und – badabumms – Satanismus* im Thema handelte.

Fernsehen funktioniert anders als das Bloggen.
Bloggen funktioniert ja auch anders, als Bücher schreiben und Bücher zu schreiben, ist auch wieder etwas anderes als Printmedien zu füllen. Bisher ist das Blog das einzige Medium, das ich kenne, in dem meine Vielheit nicht stört, sondern eher als Bereicherung wahrgenommen wird.
Aber, es hat schon seinen Grund, weshalb mir die LiteraturagentInnen alle durch die Bank zu einer Autobiographie raten werden, Filme über meine Lebensrealität alle etwa gleich aussehen würden und auch Zeitschriftenartikel mit dem Thema DIS alle fast gleich (unrund) wirken – es geht um Einfachheit.
Einfach gemacht = einfach verkauft = einfaches Bild in den Köpfen der Menschen = nicht einfache Themen und mit ihnen die Menschen, die Viele sind bleiben unsichtbar = Einfalt als Norm

Ich empfand den Workshop dann aber doch als interessant und auch hilfreich für mein Verständnis der Medien ™ zu denen ich mein Blog nicht zähle.
Die Referentin Claudia Fischer schilderte, wie es ihr gelang ein krasses Thema, wie das der rituellen Gewalt in die WDR Lokalzeit zu bringen.
Wir schauen schon seit inzwischen fast 10 Jahren kein Fernsehen mehr und wussten nicht, dass die Überlebende “Nickis” vom WDR nach der Ausstrahlung von “Höllenleben” begleitet wurde und immer wieder eine Berichterstattung passierte. Um so beeindruckender finde ich es, dass dieses Thema inmitten von Entenfamilie im Glück und Kuchenwettessen im Altersheim platziert wurde.

Es fasziniert mich, dass die Probleme in der Berichterstattung selbst; die Fragen um Jugendschutz; die Frage nach der Verantwortung für das, was man dort produziert; die Schwierigkeiten mit Ohnmacht an verschiedenen Stellen und auch die Problematik um die Rezeption des Publikums, ziemlich genau die Gleichen, wie bei mir sind- obwohl das Medium unterschiedlich ist.

Im Zuhören, dachte ich ein paar Mal, dass ich verdammt froh darum bin, alles hier in Eigenregie zu machen. Auch wenn es mich frustriert, dass ich für meine Arbeit nicht bezahlt werde, nicht von denen wahrgenommen werde, von denen ich mir das wünschen würde und so manches Mal hinter den Blogkulissen sitze und überfordert bin, weil einfach wirklich alles allein an mir/ uns hängt und auch getragen werden will.
Von ekelhaften Hassmails bis verzweifelten Hilferufen aus dem Ausland, ist schon alles in meinem Mailpostfach angekommen und ich habe weder immer den realen Beistand, der meine Tränen trocknet, noch die professionelle Ausbildung, die mich in meiner Reaktion auf die Not fremder Menschen versichert.
Aber ich muss meine Arbeit nicht von anderen absegnen lassen. Ob ich mitten in der Nacht veröffentliche oder mitten am Tag; egal, wo der Schwerpunkt des Textes liegt; ob eine direkte, indirekte oder nur schwach beleuchtete Intension erkennbar ist- oder überhaupt von mir assoziiert ist, oder nicht; ob ich Kommentare freischalte, lösche, bearbeite oder auch LeserInnenmails beantworte oder nicht: ich brauche das nur vor dem Gesetz, das für alle gleich gilt, zu rechtfertigen.
Meine LeserInnenschaft wird mir schon zurückmelden, ob sie etwas (ver)stört oder nicht und sei es mit einem dezenten Abwandern in Blogs anderer BloggerInnen.

Als ich mich in die Kantine setzte um zu Abend zu essen, tastete ich das Namensschild an meiner Brust erneut ab.
Hannah Rosenblatt

… freie …

Autorin

“Schmeckt schon süß, wa?”.
Wir grinsten uns an und bissen in unser Butterbrot.

hidden track- hidden message- hidden thoughts

Phu!
Ich habs geschafft! Ich hab mir diesen viel besprochenen Song der Herren Naidoo und Savas angehört.

Ich sags schonmal vorweg: zu Gewalt fühle ich mich nicht aufgerufen!
Eigentlich hab ich nur den Eindruck mit dem Song vor eine Art von hilflos um sich schlagender Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit und… ja  unendlicher Trauer gestellt zu werden.
Was im weiteren Schritt auf mich auch ein Stück wie Gewalt wirkt.
Sagt es doch: “Hier! Guck! Aushalten! Zieh dir das rein! Wie schlimm das is und wie schlimm ich das find! Mir egal was du denkst. Mir egal, ob ich deine Grenzen damit niederwalz`-  ich will, dass du das jetzt checkst! BadaBÄÄÄM!”

Dass ich persönlich nen Klatsch weg habe, was diesen Punkt der Betroffenheit Aussenstehender über sexuelle Misshandlung, Ausbeutung und den Themenkreis der (pädo)kriminellen Machenschaften, die sich hinter dem Begriff des (satanisch/ okkulten/ sexualmagisch/ oder auch allgemein “kult-mäßig” aufgezogenen) rituellen Missbrauchs versteckt,  angeht, weiß ich und die meisten meiner Leser hier, werden das für sich auch schon gemerkt haben.
Ich kann mit solchen Gefühlen einfach wirklich nicht umgehen und suche entsprechend immer den sachlichen Weg der Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gut, das ist mein Weg. Andere Betroffene (von (sexueller) Misshandlung), so wie Herr Naidoo, finden ihr Ventil offensichtlich in viel karikativer Tätigkeit, ihrer Musik und vielleicht eben auch in dieser Art Gegengewalt.

Ich bin ein Freund davon, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens einsetzen und sich als Sprachrohr für viele Menschen anbieten. Das ist wirklich eine großartige Sache! Gerade beim Thema der sexuellen Misshandlung bzw der sexualisierten Gewalt spielen Scham und die große schlimme Sprachlosigkeit eine entscheidende Rolle.
Wie schön, wenn jemand seine Stimme und seine Kommunikationsfähigkeit für andere hergibt! Was für ein riesen Ding! Was für eine Hoffnung so etwas produzieren kann!

Wenn man sich offen hinstellt und spricht!

Eine Frage die sich mir stellt bei diesem “hidden Track”: Wieso wurde er versteckt? Es ging doch darum auf etwas aufmerksam zu machen- warum also eine dunkle Ecke auf der CD?
Wieso so ein Gleichnis?
Es (das große unbenannte ES) passiert in einer Nische- mitten drin- doch unentdeckt, wenn nicht durch Zufall oder Hören-sagen jemand davon erfährt.
Es sollte doch etwas verändert werden- Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt werden! Wenn dem so ist, dann erwarte ich so einen Song mitten in der Playlist!

Es ging darum auf rituellen Missbrauch aufmerksam zu machen. Aha. Das Wort taucht gar nicht auf in dem Song. Warum nicht? Steht eine Definition im Booklet? Neben den Anlaufstellen für die Opfer die durch Song angetriggert werden und in die Dekompensation rutschen?

Das Thema des rituellen Missbrauchs ist wirklich ein Schweres und Komplexes!
Es ist zu groß für einen Song!
Und mir stellt sich ernsthaft die Frage, ob wir es hier mit einer Affektabfuhr (die sicherlich irgendwo gerechtfertigt und wichtig für die Küntler sein wird!)  zu tun haben oder, ob es um die ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt, die täglich passiert und die nachwievor nur allzugern in den Bereich der (Opfer-)Fantasie geschubst wird, geht.

Die Art wie der Text von Perspektive zu Perspektive hopst, erinnert mich an unsere ersten Versuche erlebte Gewaltsituationen aufzuschreiben: Mal von aussen und direktiv an jemanden (aussen) gerichtet, mal von aussen und frei von Emotion, mal von oben drauf, mal ganz heraus und geistig weiter spinnend und mal auch mitten im Schmerz/ der Wut/ der Verachtung welche weder Ende noch Anfang im Aussen hat.
Für mich ist das normal- so setzt sich nicht nur mein Erinnern an erlebte Gewalt zusammen, sondern auch mein Alltagsempfinden- das ist nun einmal DIS. Entsprechend kann ich mir dieses Gestückel und Gespringe recht gut einordnen. Doch wenn ich mir ansehe wie Aussenstehende auf sowas- schon aus meinem ganz normalen Alltagskampf heraus, reagieren, nämlich: mit kompletten Unverständnis, Ratlosigkeit und Ungläubigkeit…ja.. hm was wundert mich dann eigentlich noch der Wirbel um den Song?

Es war ein mutiger Versuch!
Es ist eine große Sache, auch wenn die Massenmedien “das Ganze” schon wieder unter den von der Gesellschaft (mit)hochgehaltenen Teppich kehren wollen.
Mir zeigt es: das Thema/ die Sache/ “das große böse ES” erreicht manche Menschen und diese Menschen haben Gefühle dazu. Und diese Gefühle haben sie tranportiert.
Sie meinten es gut und wollten, dass viele andere Menschen Anteil nehmen- entweder an dem worüber sie “singen” oder an dem was der Inhalt mit den Künstlern macht.

Einzig die Art ist es, die mir aufstößt und mich fragen lässt, ob es nicht unterm Strich sogar sie sein wird, die uns Betroffenen dieser Form von Gewalt, nicht vielleicht doch sogar eher schadet.

Auf der Internetseite von Xavier Naidoo ist eine kleine “Stellungnahme” zu dem Song zu lesen. Wie so oft in dem Zusammenhang mit rituellem Missbrauch, mit einem Hinweis auf den Film “Höllenleben”. Auch diesen Film halte ich für ein Transportmittel von Wut und Trauer- nicht für ein aufklärendes, verständnisförderndes “Werk”. Jetzt wird sich der Film wieder zig mal angeguckt, ohne die Frau, um die es darin geht, daneben, um direkt Fragen und Eindrücke loszuwerden. Erklärt zu bekommen. Das Bild zu vervollständigen. Schon wieder!
Schade!

Schade um die Chance!
Schade darum, dass die Scherben wieder jene zusammenkehren, die eigentlich nicht die Kapazitäten dafür haben, neben ihrem Elend durch Betroffenheit auch noch um Glaubwürdigkeit und Verständnis zu kämpfen!