Brich das Schweigen- Mach dich sichtbar (4)

So ein Satz: “Brich das Schweigen.”, bedeutet für mich: “Mach dich sichtbar- mach die Gewalt sichtbar” … “Mach sichtbar, was niemand gesehen hat” … “Mach DU es sichtbar- du warst doch dabei”.

Wir leben in einem System in dem nur verurteilt wird, was sichtbar ist.
Es braucht handfeste Beweise, um Täter ihrer Strafe zuzuführen. Es braucht Sichtbarkeit, um wahrgenommen zu werden. Die Polizei braucht die Opfer, um die Täter sichtbar zu machen. Die Presse braucht das ganze Paket einer Situation, um darüber zu berichten und zum Sprachrohr zu werden. Doch ist nur sichtbar, wofür es Worte gibt.

Am Anfang war das Wort. Oh ja! Worte sind toll.
Sie sind, wenn es um Gewalt geht, wie das erste Kotzen bei einem Magen-Darminfekt; wie ein ausgedrückter Pickel der bereits tagelang schmerzte; wie Weinen, das man schon seit Stunden in seinem Hals drücken spürte.
Sie geben Form, machen sichtbar und ermöglichen sowohl eine Verarbeitung des Geschehens als auch innerhalb unseres Miteinanders eine Bewertung.

Gewalt aber, spricht Teile des menschlichen Gehirns an, die weit weg von dem Teil ist, in dem sich unsere Sprache befindet. Das ist sinnvoll, denn bei Gewalt geht es potenziell immer um eine Gefährdung des eigenen Lebens. Sprache ist jünger als der in uns entwickelte Teil, der unser Überleben sichert.
Ich schrieb es bereits in anderen Artikeln: Das Leben allein besteht in der Fähigkeit zur Entwicklung der Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Es ist ein evolutionärer Kettenbrief, der allein für seine Weitergabe arbeitet.
Unser Sprachzentrum ist so etwas, wie das Ziel am Ende einer verschlammten, mit Geröll bespickten Landstraße- während der Teil, der unser Überleben sichert, eine fünfspurige Hightechsuperautobahn ist. Es gibt keine Sprache- aber hey- was gibt es auch zu sagen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind?!
Unserem Gehirn ist es scheiß egal, ob das, was da gerade passiert später noch sichtbar ist. Wer will ihm darum böse sein?

Es können nur jene sein, die das Privileg der Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit genießen oder jene, die genau deshalb (chronisch oder latent) im Überlebensmodus stecken und darunter leiden.

Das Wissen um die Vorteile von sozialem Miteinander ist eng mit der Sicherung des eigenen Überlebens in uns Menschen (und auch vielen Tieren) verknüpft. Die Abhängigkeit von unseren Versorgern ist uns Menschen direkt ab dem Zeitpunkt der Geburt mehr oder weniger klar bewusst. Wir werden absolut hilflos geboren und sind erst ab dem Moment der biologischen Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, halbwegs in der Lage eigenständig zu leben. Doch nun ist es so, dass wir in hier, in Deutschland, in einer Umgebung leben, in der das soziale Gefüge dem direkt widerspricht. Hier in unserer Kultur, würde niemand einem Teenager unter 18 Jahren einen eigenen Haushalt ganz ohne Unterstützung und juristische Absicherung überlassen. Unsere Justiz staffelt noch bis ins 27ste Lebensjahr hinein das Maß von Strafen für diverse Taten. Das ist schön- untergräbt aber auch die Autarkie der Menschen. Im Guten, wie im Schlechten.

Es geht um Abhängigkeiten. Auch beim Schweigen.
Wir wurden in unserem früheren Abhängigkeitsverhältnis Schweigegeboten unterworfen.
Schweigegebote sind nicht so schlimm, wie man vielleicht glauben mag. Schlimmer sind die Redeverbote. Das Gleiche? Oh nein.
Gebote sind wie Spielregeln: Willst (Musst) du mitmachen, hältst du dich daran.
Verbote sind Grenzen: Übertrittst du sie, bist du ..? Na was? – Raus! Allein! Ausgeliefert! Schutzlos!
Ergo: potenziell tot.

Wer keinen Schutz außerhalb von (destruktiven) Abhängigkeitsverhältnissen hat, der kann nicht reden. Kann keine Worte finden. Kann nichts sichtbar machen. Kommt nicht in den Genuss der Privilegien, die das Leben mit seiner Fähigkeit dieses weiterzugeben braucht.

Und hier ist es- das Ding, dass das Schweigen nährt: Die Wahl zwischen Leben und Tod.
Welchen Weg wird unser Gehirn wohl nehmen, wenn wir Gewalt erfahren?
Und was passiert, wenn man Zeit seines Lebens immer wieder gezwungen ist, auf der Hightechsuperautobahn zu fahren? Man lernt, dass es sich lohnt und, dass es einfacher ist. Blicke nach links oder rechts sind Ressourcenverschwendung- wen interessiert die Landschaft, die man vom Fenster aus betrachten kann, wenn die rasante Fahrt immer wieder nötig ist, um die eigene Basis sicherzustellen?
Wie beschwerlich erscheint einem dann eine holprige Landstraße, wie fraglich ist das Ziel der Sprache und Sichtbarkeit für andere Menschen- ganz gleich wie dringlich sie es machen.

Es gibt keine Worte ohne Schutz.
Dieser Artikel hier ist ein Steinchen im Plädoyer für mehr Opferschutz.
Wer so privilegiert ist, Worte und damit Sichtbarkeit einzufordern, muss sein Privileg von Sicherheit durch Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit teilen!
Alles andere verschiebt die Verantwortlichkeiten rund um Gewalt in den Schoß derer, die nichts- aber auch gar nichts dafür tun können, um dem zu entsprechen.

Wir brauchen Opfersolidarität- und Schutz! Wir brauchen die Annahme der Not und der Mechanismen, die Gewalt in unserer Mitte auslöst! Wir brauchen die Akzeptanz des Schweigens, das tiefe verinnerlichte Verständnis um die Folgen, als etwas, das mit uns allen tun hat! Wir brauchen die Folgen der Gewalt gleichrangig bewertet, wie die Gewalt an sich!

Sonst gibt es keine Worte, die das Schweigen brechen.
Sonst bleibt unsichtbar, was töten kann.

übers Schweigen schweigen (3)

P1010047Sprache, Sichtbarkeit und Schweigebruch sind Privilegien.
Ich habe nicht mehr viel zu verlieren und die Aussichten auf das, was ich gewinnen kann, rechnen mein Ableben mit ein. Wenn jemand aufhören könnte zu schweigen, dann bin das wohl ich.

Und dann kann ich es nicht, weil Privilegien auch Verantwortungen mit sich ziehen.
Ich schreibe als Betroffene. Schreibe, was andere betroffene Menschen (noch) nicht schreiben (können/ wollen).
Menschen lesen hier und bekommen einen Einblick. Manche basteln sich daraus eine Schablone und versuchen sie auf sich, ihre Mitmenschen oder das Leben zu übertragen.

Manche verstehen meine Sprache auch nicht.
Suchen in dieser Artikelreihe etwas, das mit Absicht gar nicht da ist.
Suchen in mir etwas, das mit Absicht nicht gezeigt ist.
Übergehen das, was sie eigentlich anspringt, weil es das Übliche ist.

Ohne „das Übliche“ als genau das zu sehen, was Schweigen bricht und sichtbar macht.
Übers Schweigen schweigen heißt: Nicht zu sagen, was andere Menschen nicht sagen.

Fortsetzung folgt

übers Schweigen schweigen (2)

Himmel1Ich habe, seit ich den Blog schreibe, oft als Rückmeldung bekommen, dass es gut ist, das Schweigen zu brechen.
Nie traute ich mich zurückzufragen, welches Schweigen denn gebrochen wurde, denn nichts worüber ich hier schreibe, würde ich woanders verschweigen. Gemeint ist oft „das Schweigen der Opfer“, was vermutlich auch der Grund ist, weshalb ich mich nie sofort angesprochen fühle.

Es ist etwas, das definitiv zu allen körperlichen und psychischen Folgeproblemen noch hinzukommt und für mein Empfinden immer wieder unhinterfragt passiert: die Art wie direkt von Gewalt betroffene Menschen betrachtet werden.
Bis eben noch war ich die C. Rosenblatt, die halt so da ist.
Und dann kommt der Moment, in dem ich geoutet werde. In den Köpfen zum Opfer schrumpfe.
Kernkompetenz: Überleben
Skills: Leiden hinter sich lassen

– und das ist noch der günstigste Fall. So kampuschmäßig: Boa- guck, was die (wahrscheinlich eventuell man weiß es nicht genau- aber irgendwann rückt sie bestimmt noch damit raus) überlebt hat und wie sie trotzdem noch macht und tut. DASS DIE NOCH ATMET! Guck mal- so STARK.

Dieses „Dass du noch lebst ist so beachtlich“- Opfermodell, begegnet mir recht oft, seit ich blogge und nicht mehr krampfhaft versuche meinen katastrophalen Lebenslauf schönzureden.
Gerade für Menschen, die selbst nicht direkt von Gewalt betroffen waren oder sind, scheint es unfassbar, wie viel Anschlussverwendung mein Leben noch findet und wie viel Weiterverwertungpotenzial noch in mir steckt.

Ich will mich eigentlich auch nicht darüber beschweren. Ja, ich finde es nett, dass mein Überleben gewürdigt wird. Finde es gut, dass Menschen wahrnehmen und für gut, wertvoll und wichtig einschätzen, was ich (er)schaffe.
Das alles passiert aber nicht OBWOHL ich im juristischen Sinne als Opfer zu bezeichnen bin, sondern einfach so. Auch wenn ich keine Gewalt erfahren hätte, hätte ich irgendwas geschafft, das Wahrnehmung und Würdigung verdient hätte. Auch wenn ich verhätschelt und durchs Leben getragen worden wäre, hätte es sicher etwas gegeben, das ich gesehen und anerkannt gewollt hätte.

Es fühlt sich nach Spagat an, denn es heißt auch, dass ich immer stark- überlebend- unopferig sein muss, um nicht als „so ein Opfer“ oder (wenn schon) als eines der „Opfer, die nicht anstrengend sind“, wahrgenommen zu werden. Was wiederum heißt, dass ich Momente, in denen ich mich sterbend fühle, oder schwach, oder hilflos oder ohnmächtig, oder ausgeliefert- eben wie Opfer- wieder verschweigen muss.

Das Gift an Gewalt ist das Schweigen, das sie gebiert.
Ich schweige so routiniert das eine Schweigen, wie ich das andere Schweigen breche.

Fortsetzung folgt

übers Schweigen schweigen

P1010037Will ich über mein Schweigen schweigen?

Da war so ein Moment im Kontakt mit der Therapeutin und fast wäre ich über meine selbst gehaltene Klinge gegangen. Sie fragt in letzter Zeit so oft, ob jemand etwas erzählen will.
Es ist also eine Willensfrage- keine Frage bestehender Privilegien wie Sicherheit, Ruhe, Zutrauen und die Fähigkeit die Echtwerdung des Gesagten sowohl ertragen als auch aushalten zu können.
Ist das so?

Wenn ja- ist das nicht der Moment, in dem ich gepflegt unter der Decke kleben und meine abgefressenen Fingernägel auf den Boden herunterrieseln lassen kann?!

Wenn nein- kommt der Moment dann jemals?

Ich fühle mich ein bisschen entkernt durch diese Nachfrage. Sehe mich wie eine Art Horrorgeschichtenbehältnis. Biologisch abbaubar mit integriertem Verschluss und Abtropfschwämmchen. Selbstreinigend mit Konservierungseigenschaften.

Was habe ich schon zu erzählen?

Vielleicht bin ich das Schweigen selbst.

Fortsetzung folgt

Das Schweigen und die Sichtbarkeit

„Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen“.

Es ist der Titel eines Vortrages von Michaela Huber über organisierte Ausbeutung, rituelle Gewalt und dissoziative Störungen, den sie im März bei der Tagung gehalten hat. Der Titel schwirrt mir immer noch im Kopf herum, weil er so…

Es ist einer dieser Sätze, die man als Opfer, Zeuge oder auch Täter so und in vielen anderen Verpackungen immer wieder hört, wenn es um Gewalt geht. Einer von den Sätzen, bei denen es in meinem Kopf gleichzeitig „WAHR!“ und „FALSCH“ brüllt, noch während sich eine sachliche Sprecherin zur Lage der inneren Nationen räuspert und über biologische, soziale und politische Sachverhalte referiert. Die das Schweigen darlegt, anprangert und auch rechtfertigt.

Es gibt viele Arten des Schweigens.
Das Schweigen der Zeugen zum Beispiel.
Vor Kurzem wurde die Bloggerin „
Ragekamila“ von 5 anderen Menschen angegriffen. Es gingen viele Menschen an ihr vorbei, doch ihr begegnete Schweigen und Ignoranz. Sogar die Polizei verschwieg ihre Solidarität mit ihr als Opfer und vermittelte ihr stattdessen, selbst schuld an dem Angriff zu sein, weil sie einen kurzen Rock trug.
Unterm Strich: Rape Culture
und Schweigen.
Ich weiß nicht, was Menschen, die Zeugen von so einem Angriff werden, dazu bewegt zu schweigen. Hatten sie Angst, selbst auch angegriffen zu werden? Dachten sie: „Ach, sie wehrt sich ja schon- sie wird das auch allein packen“? Schätzten sie die Situation anders ein? Wir und vor allem aber „Ragekamila“ werden es nie wissen, denn ihr Schweigen hat sie unsichtbar gemacht.

Dann das Schweigen der Täter.
Wenn mein Vater mich verprügelt hat, dann sagte er ziemlich genau den gleichen Satz immer wieder vor dem ersten und nach dem letzten Hieb. Wie ein Startschuss in ein Nirwana aus Schmerzen und Schweigen. Ich denke, er wird während der Tat dissoziiert haben und selbst nicht in der Lage gewesen sein, mehr zu äußern. Wenn es tatsächlich so war, erklärt sich mir auch sein Schweigen im Anschluss. Vielleicht ist es für ihn nie passiert- was sagt man über etwas, das nie passiert ist?

Oder das Schweigen mit Worten.
Wenn meine Mutter mich misshandelt hat, sprach sie die ganze Zeit- ohne etwas zu sagen. Auch sie schwieg über ihre Gefühle und Gedanken. Ihre eigene Position in dieser Situation. Was auch immer sie angetrieben hat- es war eine Spirale, die sie selbst in ihrem Sein unsichtbar gemacht hat.

Und dann das Schweigen des Opfer.
Ich war das Opfer der Misshandlung durch meine Eltern. Beide waren während der Tat unsichtbar. Der eine geistig- der andere seelisch. Sichtbar waren, und sind bis heute, allein die Folgen ihrer Handlungen.
Selbst ich bin nicht immer da gewesen. Wurde der Schmerz, die Demütigung zu groß, habe ich mich verschwinden lassen, war gar nicht da- hab das alles wie Nebelschwaden an mir vorbei, durch mich hindurch ziehen lassen, hab mich unsichtbar gemacht.

So ein Satz: „Brich das Schweigen.“, bedeutet für mich: „Mach dich sichtbar- mach die Gewalt sichtbar“ … „Mach sichtbar, was niemand gesehen hat“ … „Mach DU es sichtbar- du warst doch dabei“.
Ich war es aber nie ganz.

Wir leben in einem System in dem nur verurteilt wird, was sichtbar ist.222295_web_R_K_by_Sonja Gräber_pixelio.de
Es
braucht handfeste Beweise, um Täter ihrer Strafe zuzuführen. Es braucht Sichtbarkeit, um wahrgenommen zu werden. Die Polizei braucht die Opfer, um die Täter sichtbar zu machen. Die Presse braucht das ganze Paket einer Situation, um darüber zu berichten und zum Sprachrohr zu werden. Doch ist nur sichtbar, wofür es Worte gibt.

Am Anfang war das Wort. Oh ja! Worte sind toll.
Sie sind, wenn es um Gewalt geht, wie das erste Kotzen bei einem Magen-Darminfekt; wie ein ausgedrückter Pickel der bereits tagelang schmerzte; wie Weinen, dass man schon seit Stunden in seinem Hals drücken spürte.
Sie geben Form, machen sichtbar und ermöglichen sowohl eine Verarbeitung des Geschehens als auch innerhalb unseres Miteinanders eine Bewertung.

Gewalt aber, spricht Teile des menschlichen Gehirns an, die weit weg von dem Teil ist, in dem sich unsere Sprache befindet. Das ist sinnvoll, denn bei Gewalt geht es potenziell immer um eine Gefährdung des eigenen Lebens. Sprache ist jünger als der in uns entwickelte Teil, der unser Überleben sichert.
Ich schrieb es bereits in anderen Artikeln: Das Leben allein besteht in der Fähigkeit zur Entwicklung der Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Es ist ein evolutionärer Kettenbrief, der allein für seine Weitergabe arbeitet.
Unser Sprachzentrum ist so etwas, wie das Ziel am Ende einer verschlammten, mit Geröll bespickten Landstraße- während der Teil, der unser Überleben sichert, eine fünfspurige Hightechsuperautobahn ist. Es gibt keine Sprache- aber hey- was gibt es auch zu sagen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind?!
Unserem Gehirn ist es scheiß egal, ob das, was da gerade passiert später noch sichtbar ist. Wer will ihm darum böse sein?

Es können nur jene sein, die das Privileg der Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit genießen oder jene, die genau deshalb (chronisch oder latent) im Überlebensmodus stecken und darunter leiden.

Das Wissen um die Vorteile von sozialem Miteinander ist eng mit der Sicherung des eigenen Überlebens in uns Menschen (und auch vielen Tieren) verknüpft. Die Abhängigkeit von unseren Versorgern ist uns Menschen direkt ab dem Zeitpunkt der Geburt mehr oder weniger klar bewusst. Wir werden absolut hilflos geboren und sind erst ab dem Moment der biologischen Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, halbwegs in der Lage eigenständig zu leben. Doch nun ist es so, dass wir in hier, in Deutschland, in einer Umgebung leben, in der das soziale Gefüge dem direkt widerspricht. Hier in unserer Kultur, würde niemand einem Teenager unter 18 Jahren einen eigenen Haushalt ganz ohne Unterstützung und Absicherung überlassen. Unsere Justiz staffelt noch bis ins 27ste Lebensjahr hinein das Maß von Strafen für diverse Taten. Das ist schön- untergräbt aber auch die Autarkie der Menschen. Im Guten, wie im Schlechten.

Es geht um Abhängigkeiten. Auch beim Schweigen.
Wir wurden in unserem früheren Abhängigkeitsverhältnis Schweigegeboten unterworfen.
Schweigegebote sind nicht so schlimm, wie man vielleicht glauben mag. Schlimmer sind die Redeverbote. Das Gleiche? Oh nein.
Gebote sind wie Spielregeln: Willst (Musst) du mitmachen, hältst du dich daran.
Verbote sind Grenzen: Übertrittst du sie, bist du ..? Na was? – Raus! Allein! Ausgeliefert! Schutzlos!
Ergo: potenziell tot.

Wer keinen Schutz außerhalb von (destruktiven) Abhängigkeitsverhältnissen hat, der kann nicht reden. Kann keine Worte finden. Kann nichts sichtbar machen. Kommt nicht in den Genuss der Privilegien, die das Leben mit seiner Fähigkeit dieses weiterzugeben braucht.

Und hier ist es- das Ding, dass das Schweigen nährt: Die Wahl zwischen Leben und Tod.
Welchen Weg wird unser Gehirn wohl nehmen, wenn wir Gewalt erfahren?
Und was passiert, wenn man Zeit seines Lebens immer wieder gezwungen ist, auf der Hightechsuperautobahn zu fahren? Man lernt, dass es sich lohnt und, dass es einfacher ist. Blicke nach links oder rechts sind Ressourcenverschwendung- wen interessiert die Landschaft, die man vom Fenster aus betrachten kann, wenn die rasante Fahrt immer wieder nötig ist, um die eigene Basis sicherzustellen?
Wie beschwerlich erscheint einem dann eine holprige Landstraße, wie fraglich ist das Ziel der Sprache und Sichtbarkeit für andere Menschen- ganz gleich wie dringlich sie es machen.

Es gibt keine Worte ohne Schutz.
Dieser Artikel hier, sowie auch der Artikel der Paulines, in dem sie über Zweifel, Fallstricke und Glaubhaftigkeit sprechen  ist ein Steinchen im Plädoyer für mehr Opferschutz.
Wer so privilegiert ist, Worte und damit Sichtbarkeit einzufordern, muss sein Privileg von Sicherheit durch Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit teilen!
Alles andere verschiebt die Verantwortlichkeiten rund um Gewalt in den Schoß derer, die nichts- aber auch gar nichts dafür tun können, um dem zu entsprechen.

Wir brauchen Opfersolidarität- und Schutz! Wir brauchen die Annahme der Not und der Mechanismen, die Gewalt in unserer Mitte auslöst! Wir brauchen die Akzeptanz des Schweigens, das tiefe verinnerlichte Verständnis um die Folgen, als etwas, das mit uns allen tun hat! Wir brauchen die Folgen der Gewalt gleichrangig bewertet, wie die Gewalt an sich!

Sonst gibt es keine Worte, die das Schweigen brechen.
Sonst bleibt unsichtbar, was töten kann.

am Fenster sitzen

Es gab zu Hause diese großen Platten als Straßen, die mit einer dicken Teerwurst an den Rändern zusammengekittet waren. Wenn es sehr heiß war klebten manchmal Schlieren von dem Zeug am Schuh.319280_web_R_K_B_by_knipseline_pixelio.de

In mir herrschen gerade hochgekochte Celsionen. Meine Platten schmelzen auseinander, sind keine Straße mehr. Ich kann nichts tun, sie treiben auf meinem magmatischen Kernschmelzenwabbel herum, wie die Kalkplättchen auf dem alten Wasserkocherwasser.
Ich wachse, steuere direkt auf einen Knall zu- und weiß doch, dass er nicht kommen wird. Er kommt nie dann, wenn er eigentlich passen würde. So jetzt zum Beispiel.
Eigentlich haben wir uns schon zu viel Selbstzerstörung genommen. Wir hätten uns Manches mal erhalten sollen. Seit Tagen will ich mir eine Kippe nach der anderen in den Hals drücken, zum Beispiel.

Ach das war so schön… damals
Im Wintergarten des Notdienstes für Kinder und Jugendliche, die nicht zu Hause sein können. Da hab ich gesessen, konnte Zeitung lesen, rausgucken, Kaffee trinken und Eine nach der Anderen rauchen. Keiner hat mir wehgetan und wenn ich gewollt hätte, hätte ichs jemand erzählen können. Aber ich wollte nicht. Ich hatte Schiss und es hat eh und sowieso noch voll wehgetan.

Und heute?
Rauche ich nicht mehr. Klucke den ganzen Tag am Fenster und gucke in den Himmel. Tu so, als ob ich im Wintergarten säße. Heute bin ich eine Erwachsene und keiner sagt mir mehr, dass ich einfach losreden kann, wenn ich will. Heute bin ich nicht mehr so verletzt und blute nicht mehr. Das ist als wäre es unsichtbar. Unter den immer mickriger werdenden Platten versteckt. Geschützt und gleichzeitig ausgesperrt.

Damals, in dem Wintergarten, hab ich die Bilder aus der Fensterluke im Dach gepustet. Heute gibts nichts mehr zu pusten. Ich müsste eine ganze Filmreihe auspusten. Für einmal kurz Rausatmen reicht meine Luft nicht.

Fällt eigentlich niemandem auf, dass alle über Vergewaltigung oder Missbrauch reden oder schreiben, aber keiner sagt was das ist? Dass, jeder helfen will, aber keiner einfach sagt, dass er sich hinsetzt und man einfach losreden kann, egal, ob man sich an dem Bilderfilmband verschluckt oder es ein bisschen ratterig aushusten muss? Und egal, wie lange das dauert? Sie sagen es ist schlimm und Unrecht und man soll nicht schweigen, aber gleichzeitig machen sie alles fürs unsichtbar halten mit Schweigen.

Manchmal denke ich auch, dass ich das Kotzen auf Kommando vielleicht auch nicht hätte verlernen sollen. Ich glaub so ein Knall wäre jetzt gut. Ein Bilderbandkotzen auf Kommando nur von mir. Einfach so raus ohne, dass ein anderer das vorher stoppen kann.
Vielleicht das Ganze, was heiß ist, rausspucken, damit das Magmawabbel am Rand kalt wird und zu einem neuen Panzerplattenschutzgehäuse wird.

Voll bekloppt nur zu wünschen. Das ist genauso schlau, wie am Fenster sitzen und nicht rauchen. Oder genauso schlau wie die da, wo man anrufen und angeblich einfach losreden kann. Lügnerleute.
Pustekuchen.
Bilderband-nicht-raus-puste-und-innerlich-verkokel-Kuchen.

Vielleicht ändere ich meinen Namen in Merapi Rosenblatt.