übers Schweigen reden (5)

Es war ein Zufall.
Mein dummes Gestammel am Telefon mit der Therapeutin mit dem aus Versehen- Schlafrealitätsgeständnis, ihrer Nachfrage und dann die Email mit dem Glückwunsch zum Schweigenbrechen.

Hatte ich mein Schweigen kaputt gemacht, als ich etwas zugab, das ich sonst wie ein kleines Privatgeheimnis mit mir herumtrug?
Wann ist ein Schweigen kaputt? Wann ist ein Schweigen gebrochen?
Wer bestimmt wann ein Schweigen beendet ist und wann nicht?

Weil für jemand anderen meine Nichtverleugnung mit Offenheit gleichgesetzt ist- ist dann schon ein Schweigen gebrochen?
Weil ich für einen Moment über eine Schamgrenze gestolpert bin- ist dann schon mein Schweigen beendet?

Muss ich jetzt reden, weil ich sage, dass ich etwas verschweige?
Muss ich mein Schweigen verschweigen, damit es nie zerbrochen werden kann?

Fortsetzung folgt

Brich das Schweigen- Mach dich sichtbar (4)

So ein Satz: “Brich das Schweigen.”, bedeutet für mich: “Mach dich sichtbar- mach die Gewalt sichtbar” … “Mach sichtbar, was niemand gesehen hat” … “Mach DU es sichtbar- du warst doch dabei”.

Wir leben in einem System in dem nur verurteilt wird, was sichtbar ist.
Es braucht handfeste Beweise, um Täter ihrer Strafe zuzuführen. Es braucht Sichtbarkeit, um wahrgenommen zu werden. Die Polizei braucht die Opfer, um die Täter sichtbar zu machen. Die Presse braucht das ganze Paket einer Situation, um darüber zu berichten und zum Sprachrohr zu werden. Doch ist nur sichtbar, wofür es Worte gibt.

Am Anfang war das Wort. Oh ja! Worte sind toll.
Sie sind, wenn es um Gewalt geht, wie das erste Kotzen bei einem Magen-Darminfekt; wie ein ausgedrückter Pickel der bereits tagelang schmerzte; wie Weinen, das man schon seit Stunden in seinem Hals drücken spürte.
Sie geben Form, machen sichtbar und ermöglichen sowohl eine Verarbeitung des Geschehens als auch innerhalb unseres Miteinanders eine Bewertung.

Gewalt aber, spricht Teile des menschlichen Gehirns an, die weit weg von dem Teil ist, in dem sich unsere Sprache befindet. Das ist sinnvoll, denn bei Gewalt geht es potenziell immer um eine Gefährdung des eigenen Lebens. Sprache ist jünger als der in uns entwickelte Teil, der unser Überleben sichert.
Ich schrieb es bereits in anderen Artikeln: Das Leben allein besteht in der Fähigkeit zur Entwicklung der Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Es ist ein evolutionärer Kettenbrief, der allein für seine Weitergabe arbeitet.
Unser Sprachzentrum ist so etwas, wie das Ziel am Ende einer verschlammten, mit Geröll bespickten Landstraße- während der Teil, der unser Überleben sichert, eine fünfspurige Hightechsuperautobahn ist. Es gibt keine Sprache- aber hey- was gibt es auch zu sagen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind?!
Unserem Gehirn ist es scheiß egal, ob das, was da gerade passiert später noch sichtbar ist. Wer will ihm darum böse sein?

Es können nur jene sein, die das Privileg der Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit genießen oder jene, die genau deshalb (chronisch oder latent) im Überlebensmodus stecken und darunter leiden.

Das Wissen um die Vorteile von sozialem Miteinander ist eng mit der Sicherung des eigenen Überlebens in uns Menschen (und auch vielen Tieren) verknüpft. Die Abhängigkeit von unseren Versorgern ist uns Menschen direkt ab dem Zeitpunkt der Geburt mehr oder weniger klar bewusst. Wir werden absolut hilflos geboren und sind erst ab dem Moment der biologischen Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, halbwegs in der Lage eigenständig zu leben. Doch nun ist es so, dass wir in hier, in Deutschland, in einer Umgebung leben, in der das soziale Gefüge dem direkt widerspricht. Hier in unserer Kultur, würde niemand einem Teenager unter 18 Jahren einen eigenen Haushalt ganz ohne Unterstützung und juristische Absicherung überlassen. Unsere Justiz staffelt noch bis ins 27ste Lebensjahr hinein das Maß von Strafen für diverse Taten. Das ist schön- untergräbt aber auch die Autarkie der Menschen. Im Guten, wie im Schlechten.

Es geht um Abhängigkeiten. Auch beim Schweigen.
Wir wurden in unserem früheren Abhängigkeitsverhältnis Schweigegeboten unterworfen.
Schweigegebote sind nicht so schlimm, wie man vielleicht glauben mag. Schlimmer sind die Redeverbote. Das Gleiche? Oh nein.
Gebote sind wie Spielregeln: Willst (Musst) du mitmachen, hältst du dich daran.
Verbote sind Grenzen: Übertrittst du sie, bist du ..? Na was? – Raus! Allein! Ausgeliefert! Schutzlos!
Ergo: potenziell tot.

Wer keinen Schutz außerhalb von (destruktiven) Abhängigkeitsverhältnissen hat, der kann nicht reden. Kann keine Worte finden. Kann nichts sichtbar machen. Kommt nicht in den Genuss der Privilegien, die das Leben mit seiner Fähigkeit dieses weiterzugeben braucht.

Und hier ist es- das Ding, dass das Schweigen nährt: Die Wahl zwischen Leben und Tod.
Welchen Weg wird unser Gehirn wohl nehmen, wenn wir Gewalt erfahren?
Und was passiert, wenn man Zeit seines Lebens immer wieder gezwungen ist, auf der Hightechsuperautobahn zu fahren? Man lernt, dass es sich lohnt und, dass es einfacher ist. Blicke nach links oder rechts sind Ressourcenverschwendung- wen interessiert die Landschaft, die man vom Fenster aus betrachten kann, wenn die rasante Fahrt immer wieder nötig ist, um die eigene Basis sicherzustellen?
Wie beschwerlich erscheint einem dann eine holprige Landstraße, wie fraglich ist das Ziel der Sprache und Sichtbarkeit für andere Menschen- ganz gleich wie dringlich sie es machen.

Es gibt keine Worte ohne Schutz.
Dieser Artikel hier ist ein Steinchen im Plädoyer für mehr Opferschutz.
Wer so privilegiert ist, Worte und damit Sichtbarkeit einzufordern, muss sein Privileg von Sicherheit durch Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit teilen!
Alles andere verschiebt die Verantwortlichkeiten rund um Gewalt in den Schoß derer, die nichts- aber auch gar nichts dafür tun können, um dem zu entsprechen.

Wir brauchen Opfersolidarität- und Schutz! Wir brauchen die Annahme der Not und der Mechanismen, die Gewalt in unserer Mitte auslöst! Wir brauchen die Akzeptanz des Schweigens, das tiefe verinnerlichte Verständnis um die Folgen, als etwas, das mit uns allen tun hat! Wir brauchen die Folgen der Gewalt gleichrangig bewertet, wie die Gewalt an sich!

Sonst gibt es keine Worte, die das Schweigen brechen.
Sonst bleibt unsichtbar, was töten kann.

übers Schweigen schweigen (3)

P1010047Sprache, Sichtbarkeit und Schweigebruch sind Privilegien.
Ich habe nicht mehr viel zu verlieren und die Aussichten auf das, was ich gewinnen kann, rechnen mein Ableben mit ein. Wenn jemand aufhören könnte zu schweigen, dann bin das wohl ich.

Und dann kann ich es nicht, weil Privilegien auch Verantwortungen mit sich ziehen.
Ich schreibe als Betroffene. Schreibe, was andere betroffene Menschen (noch) nicht schreiben (können/ wollen).
Menschen lesen hier und bekommen einen Einblick. Manche basteln sich daraus eine Schablone und versuchen sie auf sich, ihre Mitmenschen oder das Leben zu übertragen.

Manche verstehen meine Sprache auch nicht.
Suchen in dieser Artikelreihe etwas, das mit Absicht gar nicht da ist.
Suchen in mir etwas, das mit Absicht nicht gezeigt ist.
Übergehen das, was sie eigentlich anspringt, weil es das Übliche ist.

Ohne „das Übliche“ als genau das zu sehen, was Schweigen bricht und sichtbar macht.
Übers Schweigen schweigen heißt: Nicht zu sagen, was andere Menschen nicht sagen.

Fortsetzung folgt

übers Schweigen schweigen (2)

Himmel1Ich habe, seit ich den Blog schreibe, oft als Rückmeldung bekommen, dass es gut ist, das Schweigen zu brechen.
Nie traute ich mich zurückzufragen, welches Schweigen denn gebrochen wurde, denn nichts worüber ich hier schreibe, würde ich woanders verschweigen. Gemeint ist oft „das Schweigen der Opfer“, was vermutlich auch der Grund ist, weshalb ich mich nie sofort angesprochen fühle.

Es ist etwas, das definitiv zu allen körperlichen und psychischen Folgeproblemen noch hinzukommt und für mein Empfinden immer wieder unhinterfragt passiert: die Art wie direkt von Gewalt betroffene Menschen betrachtet werden.
Bis eben noch war ich die C. Rosenblatt, die halt so da ist.
Und dann kommt der Moment, in dem ich geoutet werde. In den Köpfen zum Opfer schrumpfe.
Kernkompetenz: Überleben
Skills: Leiden hinter sich lassen

– und das ist noch der günstigste Fall. So kampuschmäßig: Boa- guck, was die (wahrscheinlich eventuell man weiß es nicht genau- aber irgendwann rückt sie bestimmt noch damit raus) überlebt hat und wie sie trotzdem noch macht und tut. DASS DIE NOCH ATMET! Guck mal- so STARK.

Dieses „Dass du noch lebst ist so beachtlich“- Opfermodell, begegnet mir recht oft, seit ich blogge und nicht mehr krampfhaft versuche meinen katastrophalen Lebenslauf schönzureden.
Gerade für Menschen, die selbst nicht direkt von Gewalt betroffen waren oder sind, scheint es unfassbar, wie viel Anschlussverwendung mein Leben noch findet und wie viel Weiterverwertungpotenzial noch in mir steckt.

Ich will mich eigentlich auch nicht darüber beschweren. Ja, ich finde es nett, dass mein Überleben gewürdigt wird. Finde es gut, dass Menschen wahrnehmen und für gut, wertvoll und wichtig einschätzen, was ich (er)schaffe.
Das alles passiert aber nicht OBWOHL ich im juristischen Sinne als Opfer zu bezeichnen bin, sondern einfach so. Auch wenn ich keine Gewalt erfahren hätte, hätte ich irgendwas geschafft, das Wahrnehmung und Würdigung verdient hätte. Auch wenn ich verhätschelt und durchs Leben getragen worden wäre, hätte es sicher etwas gegeben, das ich gesehen und anerkannt gewollt hätte.

Es fühlt sich nach Spagat an, denn es heißt auch, dass ich immer stark- überlebend- unopferig sein muss, um nicht als „so ein Opfer“ oder (wenn schon) als eines der „Opfer, die nicht anstrengend sind“, wahrgenommen zu werden. Was wiederum heißt, dass ich Momente, in denen ich mich sterbend fühle, oder schwach, oder hilflos oder ohnmächtig, oder ausgeliefert- eben wie Opfer- wieder verschweigen muss.

Das Gift an Gewalt ist das Schweigen, das sie gebiert.
Ich schweige so routiniert das eine Schweigen, wie ich das andere Schweigen breche.

Fortsetzung folgt

übers Schweigen schweigen

P1010037Will ich über mein Schweigen schweigen?

Da war so ein Moment im Kontakt mit der Therapeutin und fast wäre ich über meine selbst gehaltene Klinge gegangen. Sie fragt in letzter Zeit so oft, ob jemand etwas erzählen will.
Es ist also eine Willensfrage- keine Frage bestehender Privilegien wie Sicherheit, Ruhe, Zutrauen und die Fähigkeit die Echtwerdung des Gesagten sowohl ertragen als auch aushalten zu können.
Ist das so?

Wenn ja- ist das nicht der Moment, in dem ich gepflegt unter der Decke kleben und meine abgefressenen Fingernägel auf den Boden herunterrieseln lassen kann?!

Wenn nein- kommt der Moment dann jemals?

Ich fühle mich ein bisschen entkernt durch diese Nachfrage. Sehe mich wie eine Art Horrorgeschichtenbehältnis. Biologisch abbaubar mit integriertem Verschluss und Abtropfschwämmchen. Selbstreinigend mit Konservierungseigenschaften.

Was habe ich schon zu erzählen?

Vielleicht bin ich das Schweigen selbst.

Fortsetzung folgt