der neue Lebenstag

Vor einem Jahr hat die Standesbeamtin unsere Namensurkunde erstellt. Diesen Tag feiern wir nun als unseren Geburtstag.

Man kann eine Geburt an vielem festmachen und vielleicht ist es merkwürdig, einen bürokratischen Akt damit zu verbinden, doch ist es die Bürokratie, die uns immer wieder an die Herkunftsfamilie gebunden hat und immer wieder zu binden versucht.
Seit einem Jahr haben wir unsere Geburtsurkunde, haben wir eine Namensänderungsurkunde. Den Grundstock für das eigene bürokratische Ich, das erste Blatt im eigenen Familienstammbuch.
Jetzt gibt es nicht mehr die Person, die von den Eltern benannt wurde, sondern uns, die wir uns selber benennen, die ihre Kinder benennt, die ihren Ehestatus beurkundet, die irgendwann stirbt und dann vielleicht noch jemanden hat, die_r die Sterbeurkunde dazuheftet. Es ist nicht die Scheidung von der Familie, die wir für uns wollen und vom Staat fordern, aber immerhin ein signifikanter Abbruch vom Familien°stammbaum. Ein Ableger, der sich die Umgebung zur Weiterentwicklung selbst ausgesucht hat.

Manchmal kommt mir das auch wie ein Verrat an dem Kind der Eltern vor. Als hätten wir es verlassen und aufgegeben. Wir versuchen gar nicht erst, uns dieses Empfinden zu beruhigen oder wegzumachen. Es stimmt ja. Es ist ja ganz real nie eine echte Lösung aus und von dem, was unseren Geburtsnamen so problematisch für uns (ge)macht (hat) gewesen, sondern ein Kompromiss, eine Möglichkeit, für die wir uns entscheiden konnten, um die Lösungs- und Er_Lebenswege zu erschließen, die sich ergeben, wenn man sich nicht mit jeder Ansprache direkt in Verbotsdruck oder dem Gefühl der absoluten Grenzübertretung befindet.

Wir sind heute nicht frank und frei, glücklich und zufrieden mit allem, was die Namensänderung bedeutet. Aber franker und freier, glücklicher und zufriedener als wir es vorher waren.
Wir haben das Gefühl, eine Entwicklung angestoßen zu haben, die vorher nicht möglich war. Das Begreifen, dass wir nichts mehr für das Kind tun können, sondern nur noch für die erwachsene Person, die es geworden ist.

note on: Namensänderung

Ich hab in den letzten Wochen viel geweint. Meistens, weil ich glücklich war, mehr jedoch, weil mich der unangenehme Stress in unserem Leben mein Glück hat weder fassen noch halten lassen.
Um etwas dagegen zu tun, tun wir die Dinge, die zu tun sind.
Zum Beispiel Grenzen setzen, wo viel zu lange keine gesetzt wurden. Pausen einfordern, wo sie nötig sind. Atmen. Spazierengehen. Hausaufgaben. Pausen, wann immer der erste Gedanke daran aufkommt. Dinge passieren lassen, obwohl das Gefühl, dass sie fern ab neben mir herlaufen, genauso unerträglich ist, wie die Zeit, in der alles so schön ist, dass mit alles aus dem Gesicht läuft.

Wir sind im Stress, seit Wochen “an” und ach, ich weiß doch, was uns hilft. Trotzdem habe ich die “mentale To-Do-Liste” erst jetzt so langsam wieder auf einem überschaubaren Level.
Abhaken ist nie schöner als dann, wenn die eigenen Haken im Leben auszugehen drohen.
So waren wir am Montag im Standesamt und machten den ersten Schritt auf den Antrag zur Vor- und Nachnamensänderung.
Von dem ganzen Termin habe ich, neben einem seltsamen Erleichterungsgefühl um Kostensorgen und Erlaubnis solcher Anträge, einen Zettel mit Notizen eines anderen Innen und einen Kommentar einer Sachbearbeiterin mitgenommen.

Nämlich den, dass man triftige Gründe dafür haben muss und diese sehr genau geprüft werden.
Sie schaute mich an, als suchte sie an oder vielleicht auch in mir nach dieser Triftigkeit und das wars dann schon wieder für mich. Jetzt im Nachhinein weiß ich das. Es ist “mein Trigger”. Andere Menschen die Triftigkeit meiner Gründe, die Hintergründe meines So-Seins, So-Handelns, die Wahrheit meiner Worte, aus mir rauswühlen zu spüren. Ich verliere dabei meine Haut, fühle mich schwach, rechtlos und ohnmächtig – selbst dann, wenn die Frage, die Suche, ja von mir aus auch das Wühlen eine wie auch immer gelagerte Notwendigkeit haben.

Vielleicht ist es noch nicht meine Zeit, meine Haut über den neuen Namen – vielleicht überhaupt den Wunsch danach – mit Menschen zu sprechen, wer weiß.
Aber schreiben kann ich darüber. Auch die Begründung für den Antrag kann ich schreiben.

Das ist nun ein neuer Punkt auf der Liste. Aber einer, dessen Auswirkungen schon bekannt sind.
Die Gedankenkreisel um die Realität der Gewalterfahrung. Die Kreisel darum, ob und wie es ist, so viel von sich abzutrennen, um anders weitermachen zu können. Vermutlich nicht viel freier, sicher aber befreiter.
Daneben das Wissen, dass es nie der eigene Name war und nie werden wird, denn die Zeit hat bereits jemand anderen aus uns gemacht. Egal, ob die Gewalt wirklich war oder nicht. Egal egal egal was – wir heißen für niemanden mehr so, wie es in unserem Ausweis steht. Seit Jahren nicht und für alle Jahre, die wir noch haben, soll das so bleiben.

Die Aussicht auf ein Leben ohne dieses eine Erbe, das Eltern ihren Kindern mitgeben, obwohl sie noch nicht tot sind, das macht mich glücklich. Nicht Heuli-glücklich, aber doch schon nah dran.
Wir haben einen ausgesucht, der passt und nicht schon von weitem schreit “Hallo ich bin ein Schutzname!!!”. Das war uns wichtig. Normalität. Obwohl nichts daran normal ist, den eigenen Namen komplett zu ändern.
Obwohl – wer weiß. ES passiert jeden Tag. Hinterlässt jeden Tag Spuren in Seelen, Leben, Identitäten. Vielleicht ist die Notwendigkeit einer Begründung, einer Prüfung auf Triftigkeit eines Wunsches, der letztlich doch auch wieder nur ein Akt der Selbstbestimmung ist, einmal mehr das, was eigentlich unnormal ist.

Denn um mehr geht es nicht.
Selbst.bestimmung.