das Gespräch

Was ich immer wieder auch spannend finde – und ja tatsächlich auf die Art spannend, wie sie zum Streichen eines langen weißen Bartes Anlass gäbe, besäße ich einen solchen – ist die Art Beschämung oder auch peinlich berührt seins von Menschen, denen ich von meiner Behinderung erzähle, mit der Intension gemeinsam zu einem Umgang zu kommen, der weder für mich erniedrigend und schlicht nicht hinnehmbar ist (wie etwa die Notwendigkeit sich auf den Boden eines Schulklos legen zu müssen, weil sich auf die Schnelle kein anderer Ort finden lässt, an dem es einem einigermaßen privat grottenschlecht gehen kann) noch für andere Personen mit Überforderung oder auch dem Eindruck verbunden ist, irgendwie benachteiligt oder gestört zu werden.

Dass ich mit dem Lehrer, dessen Verhalten am Vortag massiv dazu beigetragen hatte, nicht zu sagen: “Äh – du ich kriege gleich einen Krampfanfall – wo ist bitte ein ruhiger Raum/eine stille Ecke/ eine Möglichkeit das hier nicht zu einem riesen Ding werden zu lassen?” , noch nicht gleich reden konnte, war mir klar. Vielleicht, werde ich das erst nächste Woche können, oder in zwei Monaten. Mir ist das erst einmal egal, weil ich weder den Lehrer noch den Kurs im Moment als etwas erlebe, das ich akut wirklich brauche. (Letztlich brauche ich ihn natürlich doch, weil meine Mappe auch solche Sachen, wie die, die wir da machen können, braucht.)
Wichtig war mir einen “Verbündeten” zu finden, dem ich sagen kann: “Hör mal – ich lebe mit diesen Krampfanfällen und ich brauche einen Landeplatz, an den ich gehen kann, wenn ich merke, dass einer anrauscht und ich brauche eine Person, die davon weiß, damit es im Fall, dass ich es mal nicht mehr dorthin schaffe – ja sorry diese Möglichkeit gibts auch – jemanden gibt, der anderen Leuten sagen kann, was los ist.”
Ich habe also versucht eine Ver-Bindung herzustellen und ich glaube, wie schwer so etwas Personen fällt, denen genau das immer wieder zum (lebensbedrohlichen) Verhängnis wurde, kann man sich ein bisschen vorstellen.

Ich habe mir am Abend nochmal durchgelesen, was das schlaue Buch zu gewaltfreier* Kommunikation so rät, habe im Internet nach Texten und Foreneinträgen gesucht, in denen es darum geht, mit Menschen, die nicht mit der gleichen Behinderung wie man selbst leben, über solche Dinge zu reden.
Selbstverständlich habe ich das noch am gleichen Abend gemacht, obwohl mir jeder Muskel wehgetan hat und ich eigentlich Dinge wie menschliche Nähe und Wärme, Trost und das Gefühl von aufgehoben und nicht verlassen sein, gebraucht hätte.
Aber hey, man kann ja nicht alles haben. Das Leben hart und die Welt ist kalt – nach 8 Jahren Herzischaukeln im Kuschelparadies ohne Lohnarbeit oder Bildungsmaßnahmen unter anderen Menschen, darf man sich auch nicht so verhätscheln. (Ja – mein Kopf denkt solche Sachen wirklich, lacht sich aber gleichzeitig auch aus dafür, weil klar ist, was das für ein Schwachfug ist)

Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren, hätte nicht wieder in die Schule gehen können. Sie hätte vielleicht im Sekretariat angerufen, den Bildungsvertrag gekündigt und sich auf unbestimmte Zeit mit Dingen wie hungern, fressen, sich aufschneiden, Medikamente überdosieren oder 24/7 Deals mit Täter_Innen eingelassen und sehr wahrscheinlich an keiner Stelle etwas von ihren Gefühlen und Gedanken abgestellt.
Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren hätte schlicht keine gehabt.

Heute weiß ich, wie auch politisch mein Re-Agieren in solchen Situationen ist. Für mich ist es keine persönliche Agenda, die sich um meine Flauschgefühle dreht, wenn ich an einen Ort gehe, an dem ich mich einige Zeit am Tag bewege und schaue, wie dieser mit meiner Behinderung nutzbar ist.
Zu einer persönlichen Sache gemacht, erlebte ich aber meine Formulierung dessen, als ich dann vor dem Leiter des Fachbereichs stand und ihm zuhörte.
Ich weiß jetzt nach ein paar Gesprächen und Austauschen und auch eigener Reflektion, dass ich alles richtig gemacht habe, aber vor einer Person stand, die mir zum Einen nicht den gleichen Respekt entgegenbringt, wie ich ihr und zum Anderen, vermutlich noch nie bewusst und aktiv mit der Behinderung eines anderen Menschen umgegangen ist, weil sie es nie musste.

Ich stand in diesem Büro, gestählt aus tausend Gesprächen dieser Art in der Jugendhilfe, den Hilfen für junge Erwachsene, der Psychiatrie, jeder – wirklich jeder – “Diskussion” im Internet und dieser etwa 25 Jahre ältere Mann fängt an, mir eine Vermeidungstanzrevue vorzumachen, die den Titel “ein Kessel Buntes” sehr gut tragen könnte.
Erst die Leugnung eines Problems über Derailing, dann der Apell an mich “dramatisier mal nicht”, dann die Individualisierung des Leidens unter der Situation, dann der oberpeinliche Versuch mir ein Vorbild und Role-Model zu sein “ich würde an deiner Stelle…” und dabei zu vergessen, dass ich diejenige mit den Anfällen bin und nicht er, dann kommt der Höhepunkt über den Versuch mich mit völlig unangebrachten Komplimenten zum Schweigen zu bringen “Hannah du hast Talent und du bist ein toller Mensch – echt jetzt”, die ich – 10 Jahre Psychotherapie olé! – mit einem schlichten “Ja, weiß ich, danke.” beantwortete, was er dann wiederrum scheiße finden musste, damit er mich darauf hin als borniert in die Situation stellen kann und seinen Vermeidungstanz mit einem lösungsbefreitem Schweigevorhang beenden konnte.

Ich glaube, es war ihm peinlich und wirklich unangenehm sich von mir angesprochen zu sehen. Vielleicht hätte ich ihn noch mehr flauschen müssen in der Situation, aber ehrlich gesagt halte ich es für falsch, mir solche Dinge, wie einen ruhigen sauberen Ort zum Krampfen bzw. zum gegen das Krampfen anarbeiten und ein Miteinander in dem meine Behinderung wenigstens bekannt ist, quasi zu erschleichen oder zu ermanipulieren. Mal abgesehen davon, dass einfach nicht gut darin bin, Menschen zu manipulieren oder “mir zurecht zu biegen” oder sowas. 

Es ärgert mich, dass das Gespräch so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, weil ich jetzt zwar weiß, dass es einen ruhigen Raum gibt, aber noch immer keinen Notfallkontakt unter der Lehrer_Innenschaft habe und also im Fall des Falls immer noch genug Kraft und (neurologische) Fähigkeit haben muss, um Personen, die keine Ahnung haben und vor denen ich vielleicht in dem Moment auch ein bisschen Angst habe oder so, zu sagen: “Bitte schließ mir den Raum auf, ich darf da sein.”.
Ich fühle mich allein gelassen mit etwas, das nicht nur mit mir allein zu tun hat, aber nur so betrachtet werden will.

Und ich kann das verstehen.
Wenn man mit Menschen mit Behinderungen immer wieder so umgeht, als sei das Leben mit einer Behinderung eine Privatsache, die ganz eigentlich ergo im öffentlichen Leben keine Rede wert sein darf, dann sind solche Haltungen wie von dem Fachbereichsleiter logisch und üblich.
Ich habe gemerkt, dass ich ihn mit meiner Festigkeit im Thema irritiere und überfordere. Dass ihn meine Forderung nach Würdigung meiner Gefühle von auch Demütigung und nach einem Umgang mit solchen Situationen, der ihn mit einbezieht, auch erschreckt, weil plötzlich Grenzen (Barrieren) für ihn sichtbar wurden, die lange nicht sichtbar waren.
Deshalb habe ich ihn letztlich auch in Ruhe gelassen, obwohl ich genau weiß, dass es nur einen Krampfanfall die Treppen runter dauert, bis er seinen Bezug zu meiner Behinderung unumgänglich fühlt, weil ihm dann nämlich Versicherung und Schulleitung aufs Dach steigen und Schuld ein Thema wird, das dann wieder zu mir wandern muss und letztlich wieder für mich einen Bildungsweg verunmöglicht.

Ich bin 28 Jahre alt und dort, weil das die einzige zeitlich flexible Vorbildungsoption für mich ist um meinen Lebenslauf aufzumotzen, um mich irgendwo zu bewerben, wo man mich am Ende mit 100€ im Monat entlohnt, wo andere Menschen etwa 1.200€ erhalten.
Mein Leben ist kein Ding in dem ich mir den flauschigsten Ort für mich suchen kann, weil es ja so wahnsinnig viele Optionen gibt.

Ich weiß, dass ich von Menschen, die ihr Leben lang nie so massive Abhängigkeiten gefühlt haben, wie ich, nicht erwarten kann zu verstehen, wie groß der Druck für mich ist, mich zurecht zu finden und freiwillig am Leben zu bleiben.
Aber ich weiß auch, dass es keine falsche Forderung an diese Menschen ist, meine Behinderung als Teil eines gemeinsam verlebten Tagesgeschehens zu sehen, die einen bestimmten Umgang miteinander erfordert.

Wie es jetzt weiter geht, weiß ich noch nicht.
Aber das weiß ich im Moment ja sowieso in Bezug auf nichts in meinem Leben und vielleicht muss ich das jetzt einfach aushalten.
Das Leben ist hart und die Welt ist kalt.

K.r.ämpfe

Es ist eine Autoritätsperson, die ihr etwas beibringen soll.
Sie möchte das. Fragt an dem Kloß im Hals vorbei. Wird losgeschickt. Ohne Zielangabe. Um der Erfahrung Willen. Natürlich. Wozu auch sagen, was auf sie zu kommt? Wozu auch vorbereiten – das Leben fragt auch nicht.
Die schwarze klebrige Farbe schwemmt Ekel hoch. Sie soll sie auf der Platte verteilen, mit Gaze in die Rillen drücken und vom Rest abwischen. Sie reibt und schiebt gegen das Erbrechen an. Ist still, wie die Jugendlichen um sie herum.
Es redet ein Junge im Kumpelton. Unter Kumpels ekelhaftes Zeugs anfassen, nicht wissen worum es geht – irgendwo wird nach Wörtern gejagt, um Luft gekämpft.
“Oh G’tt heute wurde so viel um irgendwas zum Festhalten, um Klarheit, um ein Später gekämpft.”. Die Welten krachen kreischend ineinander.

Es wird immer mehr ekelerregende klebrige Schwärze. Sie schaut hoch. Sieht in ein leeres Gesicht, das sie betrachtet. Erschrickt. Macht ihr verqueres Lächelgesicht. Reibt weiter. Die Autorität guckt. “Ich glaub, ich hab zu viel Farbe genommen – kann ich was tun, um…?” – “Ja ist gut, dass du zuviel genommen hast- das ist ne Erfahrung. Ohne gehts nicht.” umgeht er ihre Frage. Sie reibt. Kann sich wieder nicht durchsetzen.
Der Lehrer geht durch den Raum und redet von der Wichtigkeit von Fehlern. Alle wissen, dass es um sie geht. Niemand sagt etwas. Niemand sagt ihr etwas.

Sie steht auf. Sucht den Wasserhahn. Er steht vor ihr, breitet die Arme aus, versperrt ihr den Weg. “Nee jetzt nich Hände waschen, mach doch weiter – das ist doch…”

“Ja blöd ist das. Total blöd. So blöd. Ich bin so blöd. Ja ich bin so blöd. Ich bin so blöd, dass ich dachte, du bringst mir was bei. Ich bin so blöd. Wieso bin ich immer so blöd. Wieso gehe ich auch hier hin?”. Sie sagt: “N… kann nich.”.
Im Inmitten hat es zu schreien angefangen. Ein erster Krampf in der linken Hand bahnt sich seinen Weg.

Sie zieht sich an. Zittert, haspelt, stolpert mit ihren Lauten durch den Raum. Will was sagen und kann nur wurtscheln. Ein Kumpeljunge lacht. Ein zweiter stimmt ein. Kein Beistand. Keine Beruhigung. Kein Raum. Keine Luft. “Wieso bin ich so blöd Wieso bin ich immer so blöd Wieso bin ich hier hingegangen Wieso hab ich was gesagt”

Ein Zucken, das im Krampf endet. Lichtblitze. Rauschen im Kopf.
Wieso bin ich so blöd Ich habe vergessen, nach einem ruhigen Raum zu fragen Ich habe vergessen, mir einen Notfallkontakt unter den Lehrer_Innen zu besorgen Ich habe vergessen, mir ein Netz für solche Fälle zu machen Ich habe vergessen, nicht nur okay gefunden werden zu wollen

Ich habe vergessen, jemandem von meiner Behinderung zu erzählen
Ich habe vergessen mein Lernumfeld barrierenärmer für mich zu machen
Ich wollte hier nichts von “diesem DAS DA” haben

und liege kurze Zeit später auf dem Boden eines stinkenden Schulkos.
Hoffe, dass niemand – keines der gefühlten tausend Kinder und Jugendlichen, die im Schulgebäude herumlaufen – reinkommt und mich so sieht.

Ich weine ein bisschen, schaue der anderen beim Erdungstwittern zu, bemerke, wie andere überlegen, ob sie einfach in einen anderen Kurs gehen. Höre Gedanken zu einem Projekt, zu einer Gemochten, die wie ein weißes Rauschen schon den ganzen Tag begleiten. Das Inmitten ist still. Weint statt mir weiter. In meinem Innen herrscht Ebbe mit Springsinflut.
Die Erde dreht sich weiter.
Das unwillkürliche Zucken bleibt.
“Ich muss endlich einen Termin bei diesem special Neurologen machen”, raunzt es neben mir. Jemand wechselt Strumpfhose und Unterwäsche. Tastet den Kopf ab. Es ist so eine erbärmliche Krisenroutine. Oder erbarmungswürdig. So richtig weiß ich nicht, was ich dazu fühle.

Der Lehrer ist so einer, der sich vielleicht entschuldigt, aber nicht nachfragt, was schwierig ist. Er ist einer, der gesagt bekommen will und nicht begreift, was für ein Umfeld manches zu Sagendes braucht. Vielleicht lieber von Empfindlich- und Befindlichkeiten ausgeht, als von echten, komplexen Problemen, die auch irgendwie mit ihm, seiner sozialen Rolle, seinem Status zu tun haben, obwohl es mein Körper, mein Gehirn, mein einfach von Traumata schief und krumm verwurschteltes Ich ist, das quer schießt.

Als ich nach Hause gehe, höre ich Jugendliche einander “voll behindert” an den Kopf werfen.

Die Welt guckt komisch und die Erde dreht sich weiter.
Und heute nachittag werde ich ein Gespräch einleiten mit “Es tut mir leid, dass ich gestern aus dem Kontakt gegangen bin. Ich hätte dir sagen müssen, dass …”

Nichtbehinderte Menschen finden es meistens geil, wenn die Menschen, die Rücksicht auf ihre Behinderungen einfordern, so reden, als hätten sie eigentlich überhaupt nichts damit zu tun.
Als wären sie kein Teil der Barrieren.
Kein Teil des Lebens mit Behinderung eines anderen Menschen.

Sie finden es geil, wenn die Leute, die ein Problem haben, sich alleine drum kümmern. Sie finden es geil, weil sie dann denken können “Ach, dieses Inklusionsding ist ja total einfach.”. Sie findens geil, wenn sie nichts weiter wissen müssen. Sie findens geil, wenn die Behinderung etwas ist, was sie nicht stört.
Eigentlich wollen die meisten nur wissen, was sie potenziell stören könnte an meiner Behinderung.
Sie wissen ja nicht, dass ich weiß, dass ihnen das Herz einmal durchs Hosenbein rutscht, wenn ich irgendwo nahe einer der Altbautreppen hinfalle und einen Krampfanfall habe. Sie wissen ja nicht, wie das ist, kleinen Kindern zu erklären, “was die Frau da hatte”. Sie wissen ja nicht, wie mich Sanitäter_Innen und so ein Massenauflauf nach einem Anfall nur noch mehr stresst und meine Sprache ganz weg geht. Sie haben ja keine Vorstellung davon, was für eine innere Hölle Krankenhäuser in mir aufmachen. Sie wissen ja nicht, dass ich kein flexibles Notfallnetz mehr habe.

Beziehungsweise: Ich weiß, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass sie es wissen.
Die Mehrheit der Menschen lebt eben nicht mit dissoziativen Krampfanfällen nach komplexer Traumatisierung.

Die Mehrheit kann einfach mal losziehen und ihre Erfahrungen machen.