weites Feld

„Stressmagen“ Das Wort poltert in meinem Kopfmund herum, als ich die Praxis meiner Hausärztin verlasse. Ich habe schon wieder eine Magenschleimhautentzündung, der Stress ist schuld. Und das Ibuprofen, obwohl ich es gar nicht mehr täglich und auch schon lange nicht mehr chronisch überdosiert nehme.
Mein Schmerzproblem bleibt. „Das ist ein weites Feld“, sagt meine Hausärztin, „Das ist zu unkonkret“ mein Partner. Das stresst mich, denn es fühlt sich an, als läge dieses weite, unkonkrete Feld zwischen uns. Als müsse ich akzeptieren, dass es ist, wie es ist und nie anders sein wird.

Seit einem halben Jahr habe ich die Webseite einer Schmerzambulanz in den Lesezeichen meines Browsers und genauso lange demotiviere ich mich selbst, mich dort vorzustellen.
Sehr viele Gewaltopfer leben mit chronischen Schmerzen; sehr viele Menschen mit Uterus durchleben die zyklischen hormonellen Veränderungen in ihrem Körper mit Schmerzphänomen; Stress ist ein Gift, dem viel zu viele Menschen jeden Tag über lange Zeit ihres Lebens ausgesetzt werden – m.eine (Er.)Lösung zu finden, wird sich in einem Aufwendigkeitsbereich bewegen, der nicht zu rechtfertigen ist. Ich bin in Traumatherapie, möchte meine Möglichkeiten Kinder zu gebären nicht verlieren und lebe nicht in einer Welt, in der ich irgendetwas ohne Stress machen kann.

Am nächsten Tag ziehe ich meine Bahnen im neuen Schwimmbad. Mein Magen tut weh, meine Oberschenkelknochen, meine Hüften, der untere Rücken tun weh, meine Muskulatur fühlt sich an, als versuche sie, sich von meiner Wirbelsäule abzulösen. Ich kämpfe mich ins High, werde warm und könnte heulen vor Selbstmitleid. Was ist das für eine beschissene Gesamtscheiße. Warum bin ich immer noch so trapped in Schmerz. Warum hört es nicht endlich auf.
Nach einer Stunde ist mir egal, dass mir alles weh tut. Alles ist wattiert, summt, ist lebendig und beweglich. Ich trinke einen Kaffee im Auto und höre dem frühen Vogelzwitschern zu. Mein Tag ist wieder ziemlich voll. Mit schönem, gewollten, mit sehr frei gewählten Projekten und Arbeiten. Lieben Kontakten, spannenden Themen, schaffbaren Aufgaben. Und keine 2 Millimeter dahinter eine grenzenlose Qual, die so diffus ist, so unkonkret, so viel NICHTS.

Jetzt versuchen wir ein anderes Schmerzmittel. Eine am Tag, immer um 10.
Es kommt mir vor, als würde ich eine Lüge schlucken, weil mir klar ist, dass mein Schmerz auch etwas mit Erinnerung zu tun hat. Aber wie genau, weiß ich nicht.
Auch das ist ein weites Feld.


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