flight

Später denke ich kurz, dass ich wie ein Kleinkind funktioniere. Irgendetwas ist schwierig, aber wenn sich mir etwas Neues zeigt, dann fühle ich mich gut. Ich sinke in diese neue Sache ein und weil ich Dinge richtig fertig haben muss, bevor ich sie beende, werden es immer mehr Dinge in meinem Leben. Und irgendwann sind „die Feiertage“ während denen die meisten meiner losen und engeren Kontakte halb oder ganz abgeschmiert sind, sich ausruhen oder in der Familie gegenseitig auf den Keks gehen und ich … arbeite. Weiter. An einem der vielen Dinge in meinem Leben.

Ich bin nicht taub für das, was in mir vorgeht. Das ist keine Betäubungsstrategie oder ein un.bewusst ausgenutzter Trigger für Alltagsdissoziation. Es geht einfach. Also mach ichs. Mit allem Spaß, allem Interesse, aller Neugier und Freude. Aller Bereicherung und Selbstbestimmung, die man sich wünschen kann. Einfach so. Immer weiter und weiter.

Gestern war ich dann endlich mit der Überarbeitung von vielesein.de fertig. Die war nötig geworden, weil meine Projekte endlich mal einen Knotenpunkt brauchten. Die Community-Workshops, die „Vielzimmerwohnung“, „Viele-Sein“ und die Interviewreihe „Viele Leben“ – mit allen Spendenoptionen und Episoden einzeln und trallalala.
Und weil ich ernst machen will. Mit meiner Positionierung als arbeitend in diesen Projekten. Auch tragend arbeitend. Relevant, in echt und tatsächlich verantwortlich für den ganzen Bumms, arbeitend. Vor meiner Arbeitszeit im Verlag und danach. Am Wochenende. Im Urlaub. Immer, wenn es geht. Wenn andere Projekte gerade keine Arbeit von mir brauchen.
Daraus ist in den letzten Monaten oft ein Obwohl geworden. Ich habe an diesen Projekten gearbeitet, obwohl ich auch zusätzlich Geld verdienen musste, um die Lektorin für mein Buch bezahlen zu können. Obwohl ich auch mein Cover, meine Werbetexte und die Anträge für Projektzuschüsse fertigkriegen musste. Das kam dann einfach danach. Mit Stressmagenschmerzen, mit Kopfschmerzen, mit nachlassender Kraft dafür, im Kontakt mit anderen Menschen auf ihre Gefühle zu achten, ihre Perspektive anzunehmen, nach ihren Wünschen zu fragen und zu prüfen, ob ich sie erfüllen kann, ohne meine Grenzen zu übergehen.

Ich hatte meinem Partner davon erzählt, dass mir Projekte gegen die Angst helfen. Immer wenn sich etwas auftut, das schwierig ist, ist es gut für mich schnell lösbare Probleme zu bearbeiten. Das verschafft mir Zeit und Selbstbewusstsein für das Problem, das mir Angst gemacht hat und oft löst es sich auch ohne mich. Nur offensiv abgrenzen musste ich mich dann nicht. Aufdecken, dass mir etwas Angst macht und damit andere verunsichern. Andere, die sich auf mich verlassen. Die darauf setzen, dass ich den Überblick habe, dass ich weiß, was zu tun ist, dass ich weiß, wann wirklich Grund zur Sorge, Furcht, Angst, Panik ist.
Niemand erfährt überhaupt davon, dass ich das alles – alles das hier, wie in meinem analogen Leben – mit so viel Angst mache und meine gesamte Funktionalität darauf beruht, dass ich, Hannah, einfach keinen „Freezemodus“ habe, sondern einen „Flightmodus“. Kein depressives Erstarren und alles aufschieben, sondern adrenalingetriebenes Machen und Verbrennen.
Das hat nichts mit „funktionalem Vielesein“ zu tun oder damit, dass meine Therapie mich schon so weit gebracht hat, dass ich jetzt endlich mehr kann als leiden oder dissen. Es hat nur mit Angst zu tun, die ich in ihrem Kern nach wie vor nicht erfasst kriege. Nicht verstehe, ja oft noch nicht einmal direkt bemerke, weil ich mich schneller vor dem Gefühl schütze, als ich es überhaupt begreife.
Im Scherz mit dem Partner entstand ein Kreisel. „Aha und was machst du, wenn dir das Angst macht?“ – „Dann arbeite ich an X“ – „Und wenn das schwer wird?“ – „Dann y.“ – „Aha und das reicht?“ – „Nein“ – „Und dann machst du was?“ – „Dann z.“ – „Ach nee komm, das kann doch nicht sein.“ – „Ja, deswegen mache ich ja dann a.“
Dann sagte er, dass ich bald damit aufhören muss. Ich stimmte zu.

Ohne eine Idee, was ich denn stattdessen tun würde.
Heute versuche ich es mal mit ein paar Stunden Sims. Und morgen auch.


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6 thoughts on “flight

  1. Oh wow.
    Es geht mir ganz ganz ähnlich (glaub ich) ab Flightmodus. Flucht oder Kampf. Liegen lassen geht nicht macht nur mehr Angst. Machen, machen, machen, rennen, abarbeiten, kümmern. Alles. Alles sofort. Sonst ist es „zu spät“ Stress bis zum abwinken. Aber in „Ruhe“ (oder Starre) zu gehen, ist zu gefährlich.
    Für uns nennen wir das sogar Funktionsmodus, aber ja, es ist weit davon entfernt. Oder sagen wir „drüber „….
    Danke fürs Erzählen. Fühlen uns weniger allein damit grade

  2. Nicht wirklich gleich aber ähnlich ist es bei mir. Nur war es mir bis eben gar nicht bewusst. Danke fürs Erzählen, nicht nur wegen meines Aha-Erlebnisses eben. (Bei mir kommt es von Trauma/Angststörung plus ADS.)

  3. Ohja, hui, danke für die schöne Beschreibung samt herrlich ambivalenten Begriff Flightmodus!
    Wir kennen so etwas auch!
    Wir haben für uns festgestellt, dass dieses freudige Anpacken und Umsetzen so vieler Projekte auch der Herstellung von Geborgenheit dient. Wir umringen uns quasi selber mit unserem Tun :-). Im Sinne von: Wenn die Projekte personifiziert waeren, wären wir der Mittelpunkt einer wunderbar kreativen Mini-Welt und Gemeinschaft.
    Auch bei uns steht in der Mitte dieses Tuns allerdings eine diffuse Angst. Wir haben die Angst Mal als „Angst davor, an die Wand gestellt und erschossen zu werden“ zu fassen bekommen. Ala: Wenn wir dies und jenes nicht auch noch schnell auf die Reihe kriegen, werden wir an die Wand gestellt und erschossen. Wir müssen also immer viel tun/ leisten/können, damit wir wert genug sind, am Leben sein zu dürfen.
    Trotz aller Freude, allen Selbstwertgefühls, die dieses viele Tun, Wuppen, Gelingen und Fliegen mit sich bringt, haben wir es für uns als ein Getriebenes Tun erkannt. Eben weil es sich aus der Angst speist. Aus der Angst speist sich auch
    die beeindruckende Energie, mit der wir in jedem Projekt alles genau strukturieren, organisieren, durchziehen, möglichst perfekt umsetzen.
    Unsere Erfahrung ist leider, dass sich diese Form des Energie-Produktivitaets-Systems, so gut wie sie sich auch anfühlt, auf Dauer nicht selbst trägt, sondern Substanz zehrt.
    Dementsprechend mündet es in ein Ausbrennen.
    Deshalb: Ein Hurra auf eure Sims-Strategie!
    (Und für uns, die wir krankheitsbedingt unser getriebenes Tun nicht mehr ausüben können: Lasst uns unsere Kräfte für uns sammeln und mutig werden, damit wir mit dem Taeterintrojekt arbeiten können!)
    Danke fürs Aufschreiben und Teilen!

  4. Oha, ich fühle mich viel viel mehr „ertappt“ als ich mag.
    Da trifft so viel von zu und wenn ich ehrlich bin, wird hier schon lange (länger) versucht etwas daran zu verändern.
    Aber „einfach nur weniger machen/damit aufhören“ geht -oh Wunder- absolut überhaupt nicht.
    Und tatsächlich stand Sims auf der „damit könnte mans mal versuchen“ Liste. Und da schreib Ichs jetzt auch nochmal… wieder.. drauf.
    Danke fürs aufschreiben.

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