Multimythen Teil 1: “Wir können alle unterschiedlich krank sein”

BläschenverkleinertVor ein paar Wochen trug ich mich in eine Mailingliste von und für Menschen mit DIS ein.

Natürlich ist es das Internet. Natürlich weiß ich nie, was für ein Mensch mit welchen Intensionen am anderen Ende sitzt und Dinge ins Internet reinschreibt… lalilalialaaa
Mir war das egal.
Die örtliche Selbsthilfegruppe in real hat mich ausgeschlossen, mein Selbsthilfeforum hats auf vielen Ebenen durchgerüttelt und mein eigenes Forum stirbt seit Jahren einen mehr oder weniger quälenden Tod- nun denn- irgendwann muss auch ich mich irgendwo mal austauschen, ohne, dass Teile meines Kopfinneren einen Kontakt bereits okkupiert oder vergiftet haben.

Weshalb ich das schreibe ist, dass mir manche Themen gehäuft auftretend auffallen und ich mal in Ruhe aufschreiben will, was mir dazu einfällt.
Also dann.

Thema 1: “Wir können alle unterschiedlich krank sein.”

Manchmal, wenn ich so etwas lese, schwanke ich zwischen:
Hand-> Stirn
Buch “Grundlagen der (Mikro)Biologie/ Stressphysiologie/ Psychotraumatologie” –> Stirn des Menschen
und
“OrrrkönntihrmalaufhöreneuchsoblödeauszudrückenwassollenLeutedenkendiekeineAhnunghaben?!” mitten reinblöken

Ganz früher, als die Diagnose bei mir noch frisch war, hatte ich einen Text vor der Nase, in dem ein ähnlich unscharfer Nebensatz zu unterschiedlichen Krankheiten bei unterschiedlichen Innens stand.
Mir hat das damals richtig Angst gemacht.
Immerhin war ich gerade in der Pubertät- ALLES an diesem blöden Körper hatte sich dauernd irgendwie anders angefühlt- obwohl ich immer ich bin und niemals ein anderes Innen. Ich konnte und kann bis heute nur schwer artikulieren, wenn sich Körpergefühle verändern und vielen Innens geht das genauso.

Es gibt einen Grund, weshalb sich auch viel aus meinem Innenleben immer wieder so metaphorisch ausdrückt- meistens geht es darum, zu kompensieren, dass Worte/ Begriffe oder Empfindungsvergleiche fehlen.
Woher soll ich wissen, wie sich mein Kopf ohne Kopfschmerzen anfühlt, wenn ich das Gefühl dazu dissoziiere, ohne es zu merken bzw.. mir nie jemand die Chance gab Worte zu finden oder Bespiele zur Vergleichsfindung nannte?
Mein erstes Mal “eigene Kopfschmerzen”: ich dachte, ich hätte einen Tumor (= einen Fremdkörper) hinter “meinem Sehen” (meinem Sichtfeld = mein Kopf).
Ich hatte Schmerzen und aufgrund der Unsicherheit, ob der Lokalisation auch noch Angst (ohne es bewusst als “Angst” einzustufen)
„DingDingDingDing!“, macht das Triggerradar

Und genau an der Stelle hätte ich einen (man made trauma-) kompetenten Hausarzt gebraucht.
Der hätte nämlich auf Zack sein und meine Angstphysiologie auch als solche einstufen können- genauso wie meine Schwierigkeiten klare Angaben zu machen.
Und damit meine ich keine Unfähigkeit, auf die Frage: “Wo tuts weh?” antworten zu können, sondern meine Unfähigkeit vor einer Autoritätsperson klare Angaben über ein mich ängstiges Gefühl zu machen, das ich nicht anders als schwammig benennen konnte.
Triggerschwelle überstiegen- bäng- Wechsel- bäng Kopfschmerzen “weg”.
“Is nix Doc- ich weiß nicht mal wieso ich überhaupt gekommen bin. Schicke Krawatte, tolle neue Blume. Tschuldigung fürs Zeitfressen schönen Tag noch!”, lächeln beim Rausgehen.

Für meinen damaligen Arzt war ich (vermute ich) eine der Patientinnen, die aus psychischer Intension immer wieder zu ihm kam, ohne ernstlich etwas “zu haben” und immer wieder fast zu spät vorstellig wurde, wenn sie “richtig ernsthaft etwas hat”.
Es ist kein großes Können, eine Wundinfektion so richtig zu verschlüren, wenn einem die Stelle, an der sie sitzt, sowieso ständig und aus unterschiedlichen Gründen (die alle nichts mit Wunden zu tun haben) wehtut und am besten eh noch irgendwie peinlich/ Trauma belegt oder “einfach so” verdisst ist.
Das heißt auf einer Ebene aber auch, dass er Umgang von Innen zu Innen damit unterschiedlich ist.

Wir hatten letztes Jahr eine potenziell bedrohliche Infektion.
Fieber? Schmerzen? Irgendwelche Krankheitsgefühle?
Ich habe nichts davon gespürt und hätte ich es nicht gewusst, hätte ich jedem gesagt, dass ich nichts habe. Das heißt aber nicht, dass ich eine andere Krankheit hatte oder kein Fieber oder Schmerzen oder Schwäche. Es bedeutet nur, dass ich die Wahrnehmung dessen dissoziierte.
Andere Innens haben einen anderen Körperbezug und reagieren anders.
Sie sind aber auch anders gestrickt und interagieren anders mit ihrer Umwelt.

Sie spüren vielleicht Fieber und Schmerzen, können es aber nicht benennen, oder mit Viren, Bakterien oder einer Verletzung (von heute) in Verbindung bringen, oder mit Menschen interagieren, ohne sich zu unterwerfen o. Ä.
Sie fühlen die Schwäche und siechen vielleicht ewig vor sich hin, alleine, in unserer Wohnung, bis der nächste Termin ansteht, der wiederum für sich so einen Trigger hat, dass es Innens wie mich hochditscht, die den Körper schlicht nicht spüren.

Wir sind dann nicht unterschiedlich krank- wir nehmen nur unterschiedlich wahr, benennen unterschiedlich, haben unterschiedliche Strategien.

Heute, wo mein Körper den Zenit der Zwanziger überschritten hat und das mit der Pubertät vorbei ist, gibt es eine gewisse Kontinuität für mich was das Gefühl angeht.
Wenn ich dran denke und es mir gut geht, versuche ich zwischendurch mal meinen Körper zu fühlen, um mir ein Gespür für “gesund”/ “heil”/ “normal”/ “nicht akut” zu geben. Das klappt ganz gut- immerhin ist es auch eine Übung in “Assoziation statt Dissoziation”, neben “Konzentration statt Diffusion” und “Los-lassen statt Kontrolle”. (Zum Nachmachen: Anleitungen zu Autogenem Training umwandeln oder div.. Imaginationsübungen)

Es ist dieser Multimythos, der mich an diese Geschichte mit den “unterschiedlichen Krankheiten” stört.
”Der eine hat eine fiebrig eitrige Infektion- der andere nicht”
”Der eine hat Masern- der andere nicht”
”Der eine hat ein gebrochenes Bein- der andere nicht”

Keine Frage- irgendwie wird man schon zu der Formulierung gekommen sein und die Gefühle oder Gedanken des Moments- das jeweilige subjektive Empfinden dazu, will ich gar nicht absprechen. Wie oft ich völlig beschwerdefrei bei irgendeinem Arzt saß, um dann 2 Stunden später und kurz vor knapp von einem anderen Innen getragen in die Notaufnahme zu torkeln, beweist ja einfach auch, wie überzeugend die Vermittlung der subjektiven Wahrnehmung in alle Richtungen wirken kann.

Das Ding ist:
Eine Infektion ist eine Infektion
und ein Körper ist ein Körper
und ein psychophysischer Zustand ist ein psychophysischer Zustand

Wenn ein Keim auf eine offene Wunde trifft, wird von einer Infektion gesprochen und der Körper wird darauf reagieren- das tut jeder Körper und immer- es sei denn, er ist tot.
Wenn sich ein Körper in einem immunsupprimiertem Zustand befindet- etwa aufgrund einer Autoimmunerkrankung, (chronischem) (Trauma bedingtem) Stress (der, und das ist schon das ganze “Geheimnis” hinter dem Wechsel von Innens- bei uns einfach richtig schnell auszulösen ist) dann ist die Reaktion auf Infektionen natürlich auch unterschiedlich.
Nachgewiesen wurde bereits sogar klinisch, dass Stress einen  gewaltigen Hebel stellt, wenn es um das Immunsystem geht.

So heilen Wunden schlechter, wenn man die PatientInnen stresst und kann positiv auf die Genesung eingewirkt werden, wenn man die PatientInnen ausruhen lässt.

Stress ist für Menschen mit DIS/ Traumafolgestörungen allgemein etwas, das etwas komplexer ist als: “Boa heute war aber viel los.”
Ein Trauma geht mit toxischem Stress einher, an den sich angepasst wird und der – je öfter, je länger… etc.. nicht zu bewältigen/ verarbeiten ist und ergo auch immer wieder getriggert werden kann.
Als ich das erste Mal ein wissenschaftlicheres Buch über Traumafolgen las, empfand ich das noch unglaublich defizitär und war richtiggehend gekränkt, als ich mich da so als “Zustand” beschrieben sah. Doch es hat mir einfach viel erklärt und einen sehr viel logischeren Schlüssel zum Verständnis des Problems “krank sein”/ “etwas haben” gegeben, als diese seltsam waberige Formulierung: “Du bist viele- du bist nicht krank- aber jemand anders von dir.”.

Ich war auch krank- es ist auch mein Körper. Wenn Innen XY Fieberschwäche spürt, Schmerzen hat und nach Schonung bettelt, dann muss ich dem nachkommen und eben auch wissen, dass ich genau das nicht fühle, weil mein Gehirn gerade aus irgendeinem Grund so in den Stress(überlebens)modus geschaltet hat, dass ich überhaupt “da” bin.
Irgendwas ist dann gerade als gefährlich und von mir (über)lebbar und zwingend vor der Genesung von einer Krankheit zu erledigen, eingestuft.

Inzwischen habe ich mit meinen Übungen den Körper zu fühlen und auch dem Wissen darum, wie das Wechseln- zumindest in der wissenschaftlichen Theorie- funktioniert, die Klarheit: “Ah- in meinem Tagebuch steht irgendwas von krank und hier steht ich habe einen Termin.
Nee nee ist schon okay. Ja- alle anderen Menschen sind größer/ stärker/ besser/ haben Macht über mich und irgendwas in mir denkt, wir werden einen qualvollen Tod sterben müssen, wenn wir dem nicht nachkommen. So läuft das aber nicht mehr. Heute ist heute…”.
Ich verwende meine Überlebensstressanpassungskraft, die aus der Todesangst vor Nichtentsprechung herauskommt, nicht mehr in Entsprechung in solchen Momenten, sondern in den Umgang. Heißt also, statt mich stumpf und körperlos zu einem Termin zu begeben und den einfach irgendwie durchzuziehen (mich am Besten noch fertig zu machen, weil ich “irgendwie nicht in die Gänge komme”), rufe ich an und sage ab.
Krank ist krank.
Und nein- entgegen Krankenkassenhaltung und vorgegebenem Raum für Erkrankungen von ArbeitgeberInnen, gibt es kein echtes Limit fürs Krankseindürfen. Es hat auch nichts mit genetischer oder natürlicher Abartigkeit oder Schlechtigkeit oder Nichtswertigkeit zu tun. Oder damit dann auch gar nichts mehr können zu müssen oder dürfen, eben weil man ja “Krankenstatus” hat.
Diesen Reigen von Internalisierungen musste ich klar kriegen- muss ich bis heute immer wieder dekonstruieren in dem Moment. Aber als Dank, als Ergebnis merke ich nach einer Zeit selbst auch, wie das Körpergefühl dann ist und kriege mich selbst aus diesem Stresslevel heraus.

Klar, Krankgefühle sind nicht toll. Das sind nicht die Empfindungen, um die ich mich reiße. Aber sie sind Teil des Heilens.

Mit “wir sind alle unterschiedlich- also auch unterschiedlich krank”, wird getrennt und getrennt gehalten.
Das ist in meinen Augen nicht konstruktiv.
Eigentlich sollten wir Kranksein feiern, weil es uns beweist, dass wir weder tot noch so gestresst sind, dass unser Körper denkt, es ginge um Leben und Tod.

Ich denke manchmal, dass dieser Satz oder diese Trennung darin auch ein Ding von Selbstbetrug zur Selbstberuhigung ist.
“Jaja- ich weiß ein anderes Innen ist krank- aber guck mal wie stark ich bin- immer noch!- Ich bin nicht krank. Ich kann trotzdem dieses und jenes tun! Ich bin Supermulti- total kaputt aber immer noch leistungsfähig.”
Und das ist das Moment in dem sich meine Handinnenfläche mit meiner Stirn zum Abklatschen trifft. Denn es ist diese Art “Knapp daneben ist auch vorbei”, auf die eigentlich auch hingewiesen werden könnte.

Doch in meiner Mailingliste passiert das nicht.

der Witz, der keiner ist

… geht so:
Kommt ein multipler Mensch in ein Selbsthilfeforum für Menschen mit Gewalterfahrungen: „Und dann… muahahaha… dann musst du, um der beste Multiple von allen zu sein, dies und das und jenes tun. Nur so wirst du überall akzeptiert und du bekommst was willst- auch wenn du nicht wirklich multipel bist.“
Kommt ein anderer multipler Mensch dazu und …

keine Pointe.
Obwohl der Saal zu brüllen scheint.

Humor kennt keine Grenze- schon gar nicht die des guten Geschmacks, die des Anstands, die der Empathie zu jenen Menschen, die irgendwo mitgemeint sind oder sich als mitgemeint empfinden müssen. Nun ja- darum geht es bei manch bissigem Humor vielleicht auch. So sind satirische Abhandlungen zwar immer wieder der Anstoß in kontroverse Debatten und formen immer wieder den Umgang mit gewissen Themenbereichen und sind damit letztlich eigentlich ein sehr gutes Mittel zu thematisieren und lösend zu debattieren, doch ist dafür, meiner Meinung nach, eine mehr oder weniger neutrale Umgebung notwendig.

Witze bzw. ihre Positionierung und ihr Inhalt sind, meiner Meinung nach, auch ein Herrschafts- und Machtinstrument.

Das Typische „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ zum Beispiel in der N-Wortdebatte, wie in der Z-Wortdebatte, wie eben überall dort, wo sich gegen eine Fremdbezeichnung verwehrt wird, kommt immer- immer!- von jenen, die darum gebeten werden, das Privileg der Verletzung und/ oder Diskriminierung (also eine Art der Gewaltausübung) anderen Menschen gegenüber aufzugeben.
Und genau diese Menschen sind es, die einen Witz auch dann noch für einen Witz halten, wenn das N-Wort darinnen ist oder die Pointe des Witzes purer Rassismus ist.

Genau diese Menschen, sagen den Menschen, die sie verletzen und auf etwas reduzieren das deren Menschlichkeit bewertet und jenen, die es genau so sehen und empfinden, dass ihre Empfindungen „humorlos“ sind. „Ach- is doch nicht so gemeint- ist doch nur ein Witz- stell dich mal nicht so an.“.
Ganz großartig ja auch, wenn dann noch jemand meint auf diesem momentanen Deutungshoheitenhochwasser mitfahren zu müssen und so Perlen wie: „Ich bin ja selbst auch irgendwie gemeint/könnte gemeint sein und finds total witzig. Und jeder Mensch, der das nicht so sieht, ist humorlos und hat hier eh nichts zu suchen.“ kommen.

Im Grunde läuft es darauf hinaus: Auf eine Gewaltanwendung, die genau das tut: Sie definiert, wer sich wie zu welchem Thema äußern darf und wer eben nicht.
Außerdem passiert Folgendes: Aufgrund solcher Äußerungen werden Wahrheiten produziert, die ausschließlich bestimmten Menschen dienen und bestehende Probleme im Miteinander noch weiter unterfüttern.

So wie jeder Witz diverse Rollen braucht, so zementiert er sie mit jeder Wiederholung.
Ich will keine Judenwitze mehr hören, weil ich sehr klar im Kopf habe, welche Kackscheiße gemeint ist.
Ich will keine Blondinenwitze mehr hören, weil mit jeder Entwertung nicht nur blonde Menschen, sondern weibliche Menschen gemeint sind und so weiter und so weiter.

So will ich eben auch keine witzigen Textchen über Menschen mit DIS oder solchen, die nur so tun als hätten sie eine DIS, lesen, weil eben bestehendes Faken, Vorurteile und Klischees, denen ich hier im Blog und auch sonst, wenn ich irgendwo offen als Menschen mit DIS lesbar bin, ausgesetzt bin, immer wieder aufs Tapet gebracht werden und wieder in irgendjemandes Kopf eine Schneise fahren, wo sonst gar keine weitere Schneise zum Thema DIS ist.

Solche „Nicht-Witze“ machen es sowohl mir, als auch anderen Menschen mit DIS, immer wieder schwer so wahrgenommen zu werden, wie wir sind- unabhängig von irgendwelchen Möglichkeiten und Klischees. Auch vor Menschen, die ebenfalls diese Diagnose erhalten haben, ist so kein unbelasteter Austausch mehr möglich.

Immer wieder kommt es so zu einem „Kampf“ um die Deutungsmacht über mich und mein Verhalten als Mensch mit Stempel: „Ist sie echt oder ein Faker?“- „Ist sie nur ein bisschen multipel oder ganz doll?“.

Ich finde es zum Kotzen überall dort, wo ich mich als multipel oute – vor allem in Selbsthilfeforen/ Selbsthilfegruppen- immer wieder und wieder durch dieses so called „Selbstschutzradar“ gejagt zu sehen, obwohl ich niemandem etwas getan habe und auch keine Verantwortung für die Verletzung durch andere Menschen trage.
Ich finde es zum Kotzen, dass ich mich inzwischen nicht einmal mehr in Schutzräumen wirklich traue offen zu sein, weil es genau solche Sprüche, Texte und „satirische Einwürfe“ gibt.
Ich finde es zum Kotzen, dass das Machtverlangen- das Kontrollbedürfnis- anderer Menschen über andere Menschen als legitimes Verhalten nach Verletzung gilt und ohne Widerrede erlaubt wird.
Undiskutierbar, weil jedes Aufbegehren zum Rütteln am Thron wird und damit ja eh schon etwas ist, was nur bedeuten kann, eben außerhalb der Gruppe zu sein, die geschlossen definiert was lustig ist und was nicht- was verbindend ist und was nicht- was wo von wem wie gefunden wird oder nicht. Innerhalb der Gruppe muss ja nicht gerüttelt werden- da ist ja alles klar.

Ich finde es bitter genau das jetzt gerade in einem – ja doch trotz allem- Schutzraum erleben zu müssen.
Feststellen zu müssen: „Oh ja, ist doch ganz gut, dass ich nicht sofort und offen als multipel lesbar bin.“, „Gut, dass ich von diesen Menschen nicht so abhängig bin, wie es sich durch ihr Verhalten manchmal anfühlt.“.

Dort ist nicht die Frage was Humor darf- dort ist die Frage, ob es sich überhaupt um Humor als Kommunikationsmittel und Anstoß einer (kontroversen) Debatte handelt, wenn die Auswirkungen solcher Texte/ „Nicht-Witze“ in anderen Bereichen (zum Beispiel eben dieser Selbsthilfeforen- eben jenen Freiräumen, in denen eine Abwesenheit solcher Inhalte als nötig und normal betrachtet werden sollte), diskutiert, beweint und beschimpft werden (müssen).

Ich habe hier im Blog mal ein „Ave Multipla“ veröffentlicht.
Als mir klar wurde, welche Art Diskurs ich damit verhinderte- nämlich den, in dem es um einen konstruktiven Austausch, Anerkennung der Menschen als Menschen, die sie sind- nicht als die Menschen, zu denen ich sie mit meinem Labeling mache- und die Möglichkeiten einander respektvoll zu begegnen, stellte ich ihn als „nicht mehr sichtbar“ ein.
Ja, ich habe auch meine Vorurteile- meine Klischees- sehe diverse Strukturen, die sich wiederholen.
Aber ich will sie immer wieder hinterfragen und tue das auch. Bei jedem Menschen neu.

Wer das nicht tut oder tun will (meistens hingegen: nicht tun muss), der nennt Kackscheiße einen Witz und jene, die nicht lachen humorlos.
Letztlich geht es dabei darum, sich über andere zu stellen, was eine schwierige Haltung ist. Denn wer sich nicht hinterfragt, ist in meinen Augen nicht derjenige Mensch an den ich mich halten oder mit dem ich mich austauschen möchte, wenn es um die Definition einer Situation oder (soziale Werte-) Konstellation geht.

rotesBlattIch möchte den Menschen offen begegnen.
Empfinde es als emanzipatorisch mir erlauben zu können, keine generalisierte Angst vor Menschen haben zu wollen und mich bei jeder Begegnung aufs Neue von dem was mir im Kontakt begegnet, beeinflussen zu lassen.
Das hat sich bisher als unglaublich wertvoll für mich herausgestellt.
So wertvoll, dass ich Nicht-Witze dann eben auch als solche benenne.

Manch ein „Witz“ ist eben keiner.
Egal, wie viele lachen.

Ausweis Beweis Nachweis Hinweis

Tag der Weisungen…

Bei der Spaßkasse war der Automat ausser Betrieb und es wurde eine Schalterauszahlung gemacht. “Ihren Personalausweis bitte?”
Unser Personalausweis ist seit den Wahlen futsch- der Vorläufige schon ewig abgelaufen. Ein neuer mit biometrischem Hässlichfoto kostet 28,45€ + 10€ für neue Fotos.
“Der ist aber gelaufen- haben sie etwas anderes da?”
“Ja- äh… mich?! Ich bin nicht abgelaufen”, charmantes Lächeln…
Die nette Frau “lässt sich mal drauf ein- immerhin will der Automat ja auch nie einen Ausweis sehen”.

Ich bin erleichtert. Nichts erklären.
Mich nicht beweisen. Mich nicht ausweislich beweisen. Nicht nachweisen, dass ich echt bin. Nicht noch ein Kampf um meine Existenz (und damit leicht implizit: mein Sein.)

Ich fühle diesen Kampf im Moment sehr oft und rutsche immer wieder fast in den Zustand vom letzten Wochenende. Aus einer Erklärung meiner Worte, meiner Wortwahl wird eine Kontrolle meines Seins, meines Echt-Seins. Und in mir artet es aus, in verzweifeltes Flehen um Gnade, ob meiner Unfähigkeit mich verständlich zu machen. Als würde genau jetzt in diesem Moment etwas wer weiß was Furchtbares mit mir passieren, wenn ich es nicht schaffe mich- etwas aus mir kommendes, verständlich zu machen und damit zu rechtfertigen.

Es hat sich viel verändert seitdem. Und wir haben unsere Umgebung verändert.
Wir haben beschlossen, aus der “Internet- Austausch-Multiszene” auszusteigen. Unser Forum ist inzwischen privatisiert, diverse Accounts von uns, sind gelöscht bzw warten auf ihre Überprüfung und wir werden auch nicht mehr jeden Blog, jede Homepage oder sonstwie geartete Selbsthilfeseite lesen und aktiv unterstützen. (Etwas das wir bis jetzt immer, absolut bedingungslos und gern taten, weil wir denken, dass jeder Betroffene von uns ganz selbstverständlich mindestens Solidarität kriegen muss, weil diese Webseiten extrem viel Mut erfordern, den wir prinzipiell immer unterstützen wollen).

Aber nun wollen uns schlicht nicht mehr rechtfertigen!
Es ist jetzt genug.
Wir erkennen tiefes Misstrauen von Betroffenen an, gar keine Frage. Wir haben Verständnis für diverse Forderungen und auch sogar für Grenzverletzungen an uns, um uns zu prüfen.
Aber wir werden uns nicht mehr erklären und als echt und wirklich real von Gewalt betroffener Mensch ausweisen!
Das sind wir niemandem schuldig und wir sind es leid, dass es in der Selbsthilfeszene inzwischen Usus ist, quasi einen “stilles leidenes Opfer”- Ausweis bei sich führen zu müssen, um anerkannt und in seiner Art und Sprache akzeptiert zu werden.

Nein, wir sind nicht mehr verhuscht und kriegen den Mund nicht auf.
Nein, wir scheuen keine Konflikte mehr und kritisieren auch mal.
Ja wir sprechen über Sex und Pornos und hängen deshalb nicht mehr gleich weggetriggert in der nächsten Ecke- stell dir vor manche von uns haben sogar richtig Spaß damit und erleben genussvoll Sexualität mit diesem Körper!
Ja, wir schlucken keine Medis mehr- und stell dir vor, wir tun das nicht, weil es uns so super toll oberprima geht, sondern weil sie uns in unserem Sein verstümmeln und Nebenwirkungen haben.
Ja, wir gehen zur Therapie um Veränderungen bei uns zu schaffen und nicht um eine Mami nachzuerleben!
Ja, wir haben keine wochenlangen Amnesieen- stell dir vor- sowas geht nach 10 Jahren Therapie!
Nein echt, wir haben nur die Sachen im Kleiderschrank, die wir als Gesamtperson ausgesucht haben.
Nein, mir ist noch nie bei der Arbeit ein kindliches Innen (oder sonst eines, das dort nichts verloren hat) “rausgefallen”, obwohl es sie echt in mir gibt.
Nein, wirklich ja wir waren im Fernsehen zu sehen mit unserem Realnamen, obwohl wir einen organisierten Verbrechenshintergrund haben und anonym leben.
Ja, echt ich weiß was Suizid bedeutet. Könntest du meinen Körper real sehen, würde dir diese Frage im Hals stecken bleiben.
Ja, wir sind multipel und sprechen trotzdem in der Regel in der Ich-Form.
Ja, wir haben Spaß.
Ja, wir lachen sogar ab und an, obwohl wir noch keine Traumabearbeitung gemacht haben.
Ja, wir weinen auch mal so, weil uns was anrührt- ganz ohne dramatische Erinnerungen dahinter.

Ja verdammt- wir sind ein multiples Opfer, dass nicht nur betroffen-leidend ist 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr-möglichst noch lebenslang, um auch ja für immer und ewig im Kreise anderer Betroffener weilen zu dürfen.
Ich benutze eine möglichst klare Sprache und will, dass die ganze Welt die gleichen Worte für die selben Dinge benutzt und nicht reserviert für bestimmte Personengruppen. Ich finde Frauenberatungsstellen und Vereine für Missbrauchsopfer toll und hilfreich ohne Ende- kritisiere aber trotzdem offen, dass man auch dort einem gewissen Gefälle ausgesetzt ist und das mögliche Miteinander verhindert wird.
Ich kritisiere Therapiekonzepte und Kliniken und weiß aber gleichzeitig, dass sie auch hilfreich sein können.

Und trotz alle dem und alle dem, sind wir ein Opfer von Gewalt.
Wir wollen kein schwarz weiß- kein “gut” und “böse”, kein “betroffen” und “nicht betroffen” mehr in unserem Leben.
Wir wollen es bunt, lautleise, wildzahm und völlig frei von alten Zwängen und Kontrolle durch Fremde. Wir wollen auch ohne Beweis unserer Gewaltvergangenheit anerkannt werden und mit allem anderen, was uns ausmacht ebenso- völlig ohne Erklärungszwang.

Der Grund weshalb wir uns Selbsthilfeforen im Internet gesucht haben, war die Seltenheit der Diagnose.
Wenn nur eine von 100 von Gewalt so wie wir betroffenen Frauen, genau meine Probleme hat, ist völlig logisch, dass die Wahrscheinlichkeit von Austausch und Kontakt im Realleben und in meiner Stadt minimal ist. Und wenn man dort wo der Austausch ginge,  auch noch einer Szene/Clique entsprechen muss… tsss- das ist als käme man Freitagnacht zu Türsteher Heinzel und hätte ein hässliches Outfit an.
Der Club ist exklusiv sozusagen. Wer die falsche Uniform trägt, wer das falsche Leiden hat- oder nur so wirkt, weil er sich noch nicht ausdrücken kann- oder sich auch nicht ausdrücken will, wie alle anderen, der bleibt eben draussen.

Wer nicht reinkommt ist auf eine Art einsam, wie man es niemandem wünschen sollte.
Gerade wenn man selbst doch ein real betroffener Mensch ist.

Für mich ist die Form von Ausschluss durch aufgedrücktes Beweisen des- ausschliesslich beim Kontrolleur so wahrgenohmmenen!- echten Opferseins, eine Art der Gewalt, wie ich sie nicht mehr aushalten und in letzter Konsequenz auch nicht mehr selbst ausüben will, indem ich als Administratorin in meinem Forum aktiv bin.

Und so, erlebe ich es also wieder einmal.
(Gewalt)Freiheit macht unglaublich einsam bzw. birgt das extrem hohe Risiko von Einsamkeit.

Aber:
Wer frei ist, muss sich nicht erklären und rechtfertigen.
Auch schön.
Entspricht der Wegweisung, die wir für unsere persönliche Freiheit angenohmmen haben.