Kein Schicksal, keine Herzensgüte

„Haben Sie sich gestritten?“, fragt meine Neurologin auf der Suche nach einem Grund für das Ende der Therapie. „Nein, gar nicht“, antworte ich, „Das ist ja das schlimme. Das wär ja einfach.“
Weiter hinten tobt es. Ist wütend, obwohl es überhaupt keinen Sinn hat.

Zwei Tage vorher hatten wir mit der Therapeutin telefoniert. Das war so verabredet, weil ich mit der Wut nicht zurechtkam. Fürchtete, an einem nicht vorhersehbaren Punkt, die Ohnmacht hinter der Wut als unaushaltbar zu empfinden. Weiß, dass ich mich kümmern muss. Verantwortung übernehmen muss. Was in meinem Fall bedeutet, genau nicht zu tun, was das bindungszerstörte Innere will: Dissoziation, Trennung, Vernichtung bis (es) nicht.s mehr ist.
Sie hatte eine lange E-Mail von uns bekommen und war nicht darauf vorbereitet, dass ich mich damit befasst haben würde. Dass ich nicht zulassen würde, dass wir darüber reden. Dass ich ihr keinen Raum für eine Verdrehung unserer Beziehung geben würde – und uns keinen für eine Reinszenierung.

Ich sagte ihr, dass ich glaube, dass sie uns das, was die Inneren sich, uns, von der Auseinandersetzung wünschen, nicht geben kann, selbst wenn sie wollte, weil sie noch zu nah dran ist und ich, Hannah, die funktionale Helfertraumaschale, gar nicht nah genug dran bin. Und dass wir nichts von einer Auf.arbeit.ung mit ihr haben, wenn sie nicht mehr mit uns arbeiten will.
Therapie ist Beziehung, Beziehung ist Arbeit, Arbeit war die Grundlage unseres Kontaktes. Sie hat uns genauso wenig wie viel einen Gefallen damit getan, mit uns zu arbeiten, wie es mir, uns, Kraft gekostet hat, mit ihr zu arbeiten. Es ist ihr Job und meine Existenz. Kein Schicksal, keine Herzensgüte – mein Versuch unser AmLebensein aushaltbar zu machen und all die Unterstützung und Begleitung, die sie bieten konnte. Nicht mehr, nicht weniger und davon vieles, was ich als Erfahrungswissen nie verlieren möchte, gerade weil es kein Geschenk von ihr, sondern das Ergebnis meiner, unserer, Arbeit, unseres Mutes, unserer Anstrengungen ist.

Um einen Rahmen zu spannen, schlug ich vor, in einem halben Jahr einen Termin für einen Abschied zu vereinbaren. Wir sollen sie anrufen, um ihn zu vereinbaren und sind damit wieder die Person, von der alles ausgeht, die vorgeblich alles in der Hand hat, obwohl völlig klar ist, dass das nicht stimmt.

Ich glaube nicht, dass ich diejenige sein werde, die sie in 6 Monaten anruft.


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9 thoughts on “Kein Schicksal, keine Herzensgüte

  1. Wäre ja auch eine Idee, dass die Therapeutin noch mal reflektiert und bearbeitet und sich dann in sechs Monaten bei Euch meldet… oder habe ich da verdrehte Vorstellungen?!

      1. Empfindest du das auch als sehr verletzend, so wie ich das empfinden würde- oder ist da eine Sachlichkeit und ein “Ist halt so“ in Bezug auf die Rollenverteilung “Therapeutin/Klientin“?

        1. Verletzend nein, aber bitter, weil es so viel altes von den jüngeren bestätigt und ich es überhaupt nicht orientieren kann. Sie haben ja Recht.
          Und gleichzeitig ist es eben auch wirklich so. Es ist ja auch diese Rollenverteilung. Es ist auch nicht fair, von ihr zu verlangen, dass sie die verlässt.

  2. Es gibt in diesem Blog nicht so häufig wertschätzende Worte über Therapeut_innen – dafür umso mehr Worte über die enttäuschten Erwartungen an sie und all die anderen Menschen.
    Die inneren Grenzen, die Grenzverletzungen, wie Trauma erzeugen, lassen manchmal wünschen, das Gegenüber möge um so grenzenloser sein, was dessen Vorsicht, Rücksicht, Verständnis und Empathie betrifft.
    Aber wohin man sieht, immer nur Menschen.
    Alle mit ihrer Geschichte. Alle mit ihren ganz individuellen Möglichkeiten.
    Manche auch traumatisiert.
    Lediglich fortgesetzte Gleichgültigkeit, Boshaftigkeit, willentliche oder unwillentliche Destruktivität sind furchtbar zu ertragen.
    Habt Ihr das Gefühl, etwas in dieser Art im Rahmen des Therapieendes erlebt zu haben?

    Viel Kraft für Euch

    1. Zu Beginn würde ich gern festhalten, dass wir in diesem Blog weder wertschätzend noch abschätzend über Therapeut_innen schreiben. Wir können und wollen Menschen nicht bewerten, aber ihre Wirkung bzw. die Wirkung ihres Handelns zu verstehen versuchen. Etwas anderes wollten wir hier ausdrücken oder verstanden wissen.

      Deshalb schreiben wir jetzt auch hier: Nein, wir empfinden es nicht so, dass sie absichtlich bösartig ist.
      Das haben wir noch nie bei irgendwem geglaubt. Aber genau das ist das Problem.
      Haben wir ja auch schon tausend Mal aufgeschrieben. Schade, dass du das als „umso mehr Worte über die enttäuschten Erwartungen“ gelesen zu haben scheinst.

      Wir halten Leute nicht für unsere Feinde, Versager oder wertlos nur weil sie nicht sind wer oder wie wir sie brauchen, wollen oder möchten. Und es reichlich krass uns das anzutragen.

  3. Lieb, dass Ihr geantwortet habt, auch wenn die Antwort selbst etwas wütend klingt.
    Ich freue mich, dass Euch weder Gleichgültigkeit, noch Boshaftigkeit oder Destruktivität begegnet sind. So ist das Geschehene auch eine Chance zu wachsen.

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