Warum es als Viele nicht unsolidarisch ist, bei sich selbst sogenannte „false memories“ anzunehmen.

Als aktivistisch agierende_r Üb.erlebende_r von Gewalt hört man immer wieder, dass „die Opfer“ doch wenigstens untereinander solidarisch sein sollen, weil sich sonst nie etwas ändert.
Das hatten wir während der Produktion der 8. Vielzimmerwohnung ständig im Hinterkopf.
In dieser Episode sprechen wir über „falsche Gedächtnisinhalte“, die False Memory-Foundation, die False Memory-Bewegung und wissenschaftliche Daten zur Thematik. Für manche Menschen heißt das übersetzt, dass wir über den Feind gesprochen haben. Den gemeinsamen Feind, der nichts anderes im Sinn hat, als Menschen wie uns zu diskreditieren, uns der Lüge zu bezichtigen, uns unser Leid abzusprechen und als Gewinner aus dem Ring zu gehen.
Eine total schwierige Episode.

Auch, weil unsere Solidarität mit anderen Menschen, die Gewalt üb.erlebt haben, weder bedingungs- noch grenzenlos ist. Dies aber oft von uns erwartet wird.
Wir sind schon lange genug dabei um zu wissen, dass man von früheren Gewaltopfern vor allem deshalb Solidarität fordert, weil man annimmt, dass Opferschaft in irgendeiner Form homogen sei und man entsprechend als Personengruppe funktionieren könne – und eben dies auch sein müsste, um gesellschaftlich wie gesellschaftspolitisch etwas zu bewegen.
Gleichzeitig reden und schreiben wir auch schon lange genug, warum das eine falsche Annahme ist und Gewalt als in unsere Gesellschaft hinein funktionalisiert ignoriert. Meine Gewalterfahrungen als weißes Kind sind ganz profund und ohne jeden Raum für auch nur ein einziges „Ja, aber“ andere, als die eines schwarzen Kindes oder die eines behinderten Schwarzen Kindes oder die eines Kindes aus der Oberschicht. Diese Unterschiede – diese Achsen, auf denen Menschen leben, von Gewalt betroffen werden und sind – definieren maßgeblich ihre Perspektiven auf die Gewalt und auch ihre politischen wie gesellschaftlichen Forderungen diese zu verfolgen, zu bestrafen, zu verhindern, zu transformieren. Dies zu vereinheitlichen und einen Konsens zur Bedingung für Veränderungen zu machen, ist Gewalt. Zum einen auf der abstrakten Ebene, weil es dem Machterhalt derer dient, die davon profitieren und zum anderen auf der konkreten Ebene, weil es extrem begrenzt, was wer wie wann und an welcher Stelle fordern, aber auch bewirken kann.

Wir sind solidarisch mit Menschen, die zu Opfern wurden, weil wir Gewalt für Unrecht halten. Nicht, weil sie Opfer waren oder sind.
Denn: Wann ist ein Opfer ein Opfer? – Wenn ein_e Richter_in das juristisch anerkennt? Wenn man der Erzählung einer Geschichte glaubt? Wenn man etwas erlebt hat, das global ohnmächtig gemacht hat? Wer bestimmt, wann wer wieso global ohnmächtig war oder sich so wahrgenommen hat? Opferschaft hat so viele Definitionen, so viele soziale wie politische Implikationen – man macht unfassbar viele Aussagen über einen Menschen, wenn man ihn als Opfer bezeichnet, aber nicht alle treffen zu. Nicht alle sind angemessen. Viele widersprechen einander sogar oder sind gänzlich fiktional und/oder basieren ausschließlich auf Konstrukten, die man sich aus vielen Quellen, sowohl bewusst als auch unbewusst kreiert hat.

Dies erscheint vielen Menschen, die sich als Opfer einordnen, als Verrat. Als würden wir ihnen ihre Leiden nicht glauben oder vertreten, es gäbe bestimmte Gewaltformen gar nicht. Oder als würden wir Opfer unserer Solidarität nicht für würdig halten.
Das trifft aber nicht zu.
Was wir sagen ist, dass Gewalt nicht nur ist, wenn Täter_innen Menschen zu Opfern machen, sondern dass Gewalt etwas ist, das alle Menschen immer machen und also alle Menschen immer Täter_in und Opfer sind. Und zwar auf so vielen Achsen, dass es unlogisch ist, Opferschaft ausschließlich auf einer Ebene zu definieren und auch nur auf dieser Solidarität zu üben.
Das ist überhaupt niemals eine Aussage darüber, wie unfassbar schlimm oder nicht, egal oder nicht, real oder nicht die Gewalterfahrungen und -taten einzelner Menschen waren oder sind. Es ist lediglich eine Aussage darüber, dass Gewalt alle Menschen immer betrifft.

Dieser Annahme folgen wir konsequent, indem wir Solidarität von allen Menschen fordern und uns in erster Linie auf Gewalt als Instrument der Macht und Macht als stets und ständig umkämpfte Grundressource unserer Gesellschaft konzentrieren.

An der Stelle endet in der Regel jede Diskussion, jede Auseinandersetzung, die wir in der aktivistischen Community führen können. Denn da geht es meistens um ganz konkrete Fragen der Versorgung, der Gesetzgebung, der Strafe, der Anerkennung, der Wiedergutmachung und Entschädigung – und zwar wieder in einem Gewaltkontext, der als solcher niemals angepackt wird, weil man einfach nicht anerkennen will, dass man mit diesen Instrumenten von Gewalt profitiert. Man will das einfach nicht so sehen. Man will Recht und Gesetz, Verwaltung und staatliche, soziale, politische Ordnung für naturgegeben und also unproblematisch halten.
Das ist sie aber nicht. Sie ist das Ergebnis von Macht durch Gewalt und nichts daran ist unproblematisch. Es ist nur für eine Mehrheit der Menschen nicht zum Nachteil, was keine Aussage über die Richtigkeit ist.

Wir haben nach der Veröffentlichung der Podcastepisode auch die Rückmeldung bekommen, dass es erstaunt, dass wir in Bezug auf unsere Erinnerungen unter anderem auch sogenannte „false memories“ annehmen. Diese Haltung hat sich ebenfalls aus dieser Annahme herausentwickelt.
Wir müssten extrem ablehnen, dass wir in den letzten 18 Jahren möglicherweise nicht nur gut und richtig, sondern auch falsch behandelt wurden, dass wir Erlebtes falsch erinnern, aber auch Falsches als erlebt erinnern, wären wir darauf angewiesen, objektiv und zu absolut 100 % Opfer geworden zu sein. Das sind wir aber nicht.
Wir beziehen kein OEG, wir werden zu keinem Zeitpunkt jemanden anzeigen und beim FSM konnten wir alles darlegen, was wir wissen und annehmen und glauben und die Entscheidung über die Glaubhaftigkeit dessen abgeben. Wenn wir uns also täuschen oder getäuscht wurden oder in 20 Jahren erforscht würde, wie man unser Störungsbild auch ohne Trauma durch Gewalterfahrung entwickeln kann, dann haben wir uns weder allein getäuscht noch in irgendeiner Form von einem Status profitiert, der uns nicht zusteht.
Für uns ist das in Ordnung so. Für uns, ganz individuell, ist das entlastend. Wir können uns so ermöglichen, uns ganz auf uns zu konzentrieren. Wir können uns anschauen, was uns belastet und warum und wie genau. Und dann können wir daran arbeiten, es zu verändern. Sogenannte „false memories“ sind keine absichtlich vorgetragene Lügen oder Zeichen für böse Absichten und wir finden es wichtig, dass das endlich auch mal in der Community ankommt.

So viele Viele zerreißen sich oft jahrelang darüber, was von ihrer Erinnerung wahr ist und was nicht. Oft für Autoritäten, die sich für sie als Individuen überhaupt nicht interessieren oder aus einer internalisierten Abwehrhaltung den Annahmen gegenüber, die sie selbst in Bezug auf Opfer haben. Und das ist ein so kraftraubender, so unnötiger Nebenschauplatz.

Es gibt im Leben viele Dinge, die man als wahr oder unwahr einordnen kann. Die Anwesenheit dieser beiden Größen schließt allerdings weder Widerspruch noch Unbeweisbarkeit aus. Es gibt Dinge über die wir heute, hier und jetzt in unserer Lebenszeit nur sagen können, dass es sie gibt und vielleicht noch was sie auszeichnet, aber nicht, ob sie wahr sind oder nicht. Zudem muss man manchmal auch einfach genug Demut aufbringen, sich einzugestehen, dass kein System über sich selbst hinaus wahre Aussagen treffen kann, weil jedes System Wahrheit für sich selbst – und auch nur für sich selbst funktional – definiert.
Welchen Wert und welche Funktionen hat Wahrheit also für uns? Für uns als System „Individuum“, für unser direktes Umfeld und jenes, das uns verwaltet, weil es die Macht dazu hat?

Wir haben festgestellt, dass wir für uns allein, für unser Leben als Individuum, keine objektive Wahrheit brauchen, sondern Strategien nicht unter unseren Wahrheiten zu leiden. Das schließt die Akzeptanz der Möglichkeit, sogenannte „false memories“ zu haben zwingend mit ein und hat uns ermöglicht, diesen unerträglichen Nebenschauplatz zu verlassen.
Eine Strategie, der sich alle berauben, die sich der Thematik verweigern, nur weil sie vom „Feind“ kommt bzw. von ihm missbraucht wird, um Gewalt auszuüben oder zu legitimieren oder zu leugnen.


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25 thoughts on “Warum es als Viele nicht unsolidarisch ist, bei sich selbst sogenannte „false memories“ anzunehmen.

  1. Ich finde es als Opfer von Gewalt nur zu legititim die eigenen Erinnerungen immer wieder zu hinterfragen. Tatsächlich tun das ja sehr viele Betroffene und wir halten das für den eigenen Aufarbeitungsprozess auch wertvoll. Dennoch finde ich es problematisch diesen Vorgang mit einem so geprägten Begriff wie den „False Memorys“ sprachlich in einen Topf zu werfen. Du magst für dich etwas anderes darunter verstehen oder eine für dich legitime Definition davon anwenden, aber er ist in seinen Ursprüngen nunmal durch Propaganda gegen Opfer geprägt. Vertreter_innen der Opferinteressen haben vehement in den letzten Jahrzehnten dagegen ankämpfen müssen, um die Glaubwürdigkeit der Betroffenen zu erhalten und sich frei von pauschaler Diskreditierung zu machen. Noch heute haben Betroffene es bei den Strafverfolgungsbehörden schwer nicht im Glaubwürdigkeitsgutachten mit „False Memorys“ abgeschmettert zu werden. Man darf ja im Grunde nach einer derartigen Gewalttat nicht mehr links und rechts geschaut haben, um überhaupt noch Chance auf eine gerichtsverwertbare Aussage zu haben. Wehe dem ein Therapeut half bei der Verarbeitung! Entsprechend verspüre ich in mir den starken Wunsch eine ergebnisoffene Auseinadersetzung mit den eigenen Erinnerungen von diesen Begrifflichkeiten wie „Falsche Erinnerung“ deutlich zu trennen!

    1. Das ist total nachvollziehbar, erfordert im Zuge dessen dann aber auch eine differenzierte Herangehensweise an alles, was du beispielhaft hier angebracht hast.
      Zum Beispiel gibt es so etwas wie „Glaubwürdigkeitsgutachten“ nicht – es geht immer im Glaubhaftigkeit. Unterschied.
      Und dann der Fokus auf Dinge für Gerichte relevant sind – sie sind für ein Gericht relevant, ja und was dort geurteilt wird ist wichtig, aber was ist mit dir selber? Was brauchst du? Brauchst du für dich ganz allein das gleiche wie ein Gericht?
      Und was genau arbeitet man denn auf? Arbeitet man auf, dass es passiert ist oder was im Einzelnen passiert ist oder was es für 1 selbst bedeutet hat?
      Und woran genau zweifelt man, wenn man sagt, man zweifelt an den eigenen Erinnerungen? Ist es das Was oder das Wer oder das Warum?
      Sogenannte „false memories“ berühren davon nur einen kleinen Teil und der wird sowohl von Betroffenen und ihren Verbündeten als auch von Vertreter_innen des Phantasie-Modell meiner Ansicht nach überhöht.
      Und was du hier machst, nämlich meine Aussage so darzustellen als würde ich negieren, dass „false memories“ von Menschen missbraucht werden um Gewalt auszuüben, ist nicht in Ordnung.
      Dass wir das nicht tun, zeigt der letzte Satz dieses Textes und auch alle anderen hier im Blog von Vielen.

      1. Ich habe nicht den Eindruck, dass du das negierst – weder hier noch im Podcast und es war keinesfalls mein Ansinnen euch irgendwie darzustellen. Offensichtlich fühlst du dich angegriffen. Mir war es lediglich ein Anliegen mein Bedürfnis nach deutlicher, sprachlicher Differenzierung auszudrücken und meine Sicht auch zu begründen. Der Begriff „False Memory“ ist aus meiner Sicht aufgrund seiner Geschichte schon so besetzt, dass ich ihn für die sinnvolle Auseinandersetzung im Kontext von Gewaltbetroffenen schlicht nicht mehr geeignet finde.

        Ob nun Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit – das Kernproblem meiner Aussage bleibt. Ich gehe davon aus, dass das jeder Normalsterbliche beim Lesen verstehen konnte, wenn er denn wollte: Strafverfolgung nach sexualisierter Gewalt scheitert nicht zuletzt oftmals aufgrund der Glaubhaftigkeitsfrage. Entsprechend sensibel sehe ich das Thema.
        Und ja, ich habe tatsächlich für meine Aufarbeitung schon den Anspruch letztlich zu wissen, was tatsächlich geschehen ist und was nicht. Solange ich das nicht tue, halte ich zu den Inhalten außerhalb meiner Therapie schlicht und ergreifend den Mund und zwar nicht nur gegenüber Strafverfolgungsbehörden oder dem Opferentschädigungsgesetz, sondern vor allem auch in der Öffentlichkeitsarbeit und auf Fachtagungen. Entweder ich bin Betroffene von DIS und ritueller Gewalt und zeige mich damit oder ich weiß noch nicht, ob oder was daran so ist, dann lasse ich aber auch das Eintreten zu der Thematik, in der Form wie du es tust, bleiben. Das widerspricht nämlich deiner im Beitrag angeführten ethisch unproblematischen Auseinandersetzung im stillen Kämmerlein für dich alleine, gegen die tatsächlich niemand was haben kann. An dieser Stelle stimmt für mich deine Haltung nicht mehr. Du bist hier keine Betroffene, die auf ihrem Blog lediglich über ihre kleine private Auseinandersetzung mit allen Höhen und Tiefen schreibt, sondern bewegst dich in Fachgremien. Damit beziehst du eben nicht nur für dich Stellung sondern agierst in gewisser Weise als Interessensvertreterin für eine Personengruppe von Überlebenden extremer Gewaltformen, obwohl du noch nicht einmal für dich weißt, bzw. dich klar benennen traust, was an deiner Geschichte wahr ist. Das scheint mir mehr als suboptimal und ethisch fragwürdig.

        1. Wir bewegen uns nicht in Fachgremien. Wir sind Selbstvertreter_in. Wir sprechen niemals allein als H. C. Rosenblatt für andere und machen bei jedem Workshop, jedem Vortrag klar, dass wir für uns allein sprechen.
          Interessant, dass du uns dennoch so liest, denn damit erklärt sich ja auch, woher dein Anspruch an meine Haltung und was ich von mir öffentlich teile, herrührt.
          Vielleicht gibt es Raum, dies auf Angemessenheit zu prüfen, bevor Bewertungmaßstäbe an uns persönlich und unsere Arbeit angelegt werden, die unpassend sind.

          Du hältst es für wichtig und nötig sich selbst zu offenbaren und zum Beweisobjekt zu werden bzw. als solches behandelt zu werden. Wir nicht. Entsprechend unterschiedlich sind unsere Perspektiven. Das steht übrigens auch in dem Text. Genau das habe ich damit gemeint.
          Für dich_euch ist wichtig Beweise zu haben, um euch sicher/legitimiert/mit Recht? in der Öffentlichkeit dazu zu äußern, was Gewaltbetroffene brauchen und wollen. Okay.
          Für mich ist das anmaßend zum einen und eine Bereitschaft zur behördlichen Gewaltanwendung an sich – zum Beispiel mit entwürdigenden und verletzenden Glaubhaftigkeitsbegutachtungen – signalisierend. Beides Dinge, zu denen wir nicht bereit sind, was wir sowohl bei uns als auch bei jedem anderen Menschen legitim finden.
          Du musst das nicht legitim finden, aber es zu respektieren und nicht als Grund zu Abwertung zu benutzen, weil du es anders machst, willst und siehst, sollte grundlegend drin sein.

          Unsere Auseinandersetzung hier ist eine private, die öffentlich dokumentiert wird. Wenn sich daraus jemand etwas für sich ziehen kann: Wunderbar. – Aber nicht das primäre Ziel.

          1. Für mich und mein Gehirn geht da tatsächlich etwas nicht zusammen. Natürlich muss man sich der Frage der Glaubhaftigkeit nicht stellen. Das steht jeder Person für sich frei zu entscheiden und für die eigene Aufarbeitung muss man sich und anderen gar nichts beweisen. Soweit kann ich das gut mitgehen. Was man von den Strukturen der Begutachtung hält, steht für mich nochmal auf einem ganz anderen Blatt. Darin liegt Gewalt. Das war hier für mich aber gar nicht das Thema.

            In dem Moment, indem man Workshops und Vorträge als Betroffene hält, finde ich eine gewisse Sicherheit, von was man betroffen ist, durchaus wichtig. Wenn man bei Fachinitiativen und -tagungen mitredet, sehe ich das als Fachgremien. Ich habe deine Beiträge dazu tatsächlich nicht so verstanden, als würdest du dich hinstellen und sagen: „Ich weiß noch gar nicht, ob und wie weit ich von der Thematik betroffen bin, aber ich rede schonmal so mit, als ob.“ Dafür wirst du vermutlich auch nicht eingeladen. Als du den Fonds selbst beantragt hast, wirst du vermutlich auch eher nicht angegeben haben, dass du noch gar nicht weißt, ob deine Geschichte so war. Da beziehst du öffentliche Gelder, die für einen ganz bestimmten Zweck zur Verfügung stehen. Nur, weil die Hürde dort weniger hoch ist, sollte man trotzdem wissen, ob man zu der angesprochen Personengruppe gehört oder nicht. Auch hier bist du eben nicht mehr bei rein privater Aufarbeitung. Bei keiner anderen Erkrankung oder Thematik käme man auf die Idee Erfahrungswissen über den Umgang weiter zu geben ohne mit der Diagnose sicher zu sein oder zu wissen, ob man überhaupt wirklich Erfahrungen mit bestimmten Ereignissen hat. Grade weil rituelle Gewalt einen derart schwierigen Stand in der Gesellschaft hat, finde ich das doppelt wichtig. Mir scheint es in der öffentlichen Diskussion oft so, dass es gerade zu en vogue ist, Zweifel offen zu lassen, wie viel an den Erinnerungen letztlich stimmt. Persönlich wünsche ich mir an der Stelle mehr Menschen, die sich hinstellen und sagen können: „Das Erinnere ich. Ich bin mir sicher, dass das so war. Punkt.“ Dabei geht’s mir nicht um Details, sondern um grundsätzliche Tatsachen. Wenn du schreibst, dass du irgendwann unter Umständen auch ganz andere Erklärungen haben könntest, fehlt es mir da an Sicherheit. Privat ist das völlig legitim, in der Öffentlichkeitsarbeit sehe ich das kritisch. Da ist mir die Gefahr zu groß, dass es läuft wie bei Monika Kreusel, die sich Jahrelang als Betroffene von ritueller Gewalt stark gemacht hat, dann für sich herausgefunden hat, dass ihre Geschichte doch anders war und als Freundin von Lydia Benecke nun andere Betroffene pauschal mit in die Unglaubwürdigkeit zieht.

            Mir steht es fern, dich mit abzuwerten. Das steht mir nicht zu. Zudem kenne ich dich auch viel zu wenig, um mir ein Urteil zu erlauben. Ich sehe für mich lediglich diesen Artikel kritisch.

          2. Ah, okay. Danke, dass du das nochmal so ausgeschrieben hast. Jetzt verstehe ich deinen Punkt besser. 👍

            Wir sagen, dass wir annehmen, von organisierter Gewalt betroffen zu sein, dass wir traumatisiert sind und dass wir eine DIS haben.
            Unsere Selbstdarstellung ist nicht: Wir haben organisierte Rituelle Gewalt mit Folter, Mind Control und … erlebt, deshalb sind wir traumatisiert und deshalb haben wir eine DIS.
            Sondern: Wir sind komplex traumatisiert, unsere Diagnosen sind DIS und ASS, weshalb wir keine so sicheren Angaben über den Hintergrund machen können, wie wir gerne wollen. Wir nehmen aufgrund dessen, was wir erinnern an, das wir organisierte Gewalt erfahren haben.

            Ja, ich kann mir vorstellen, dass das nicht den gleichen Wumms hat, den man sich wünscht, wenn man sich ganz sicher ist, dass man das erlebt hat und von mir erwartet in Vorträgen und Workshops als Stellvertreter_in zu sprechen.

            Beim Antrag auf Gelder aus dem Fonds haben wir das so geschrieben und auch, was das mit uns macht. Also, dass wir Grund zur Annahme dessen haben, aber keine objektiven Beweise.

            Und wir haben diesen selbstsicherer Drive, den du dir wünschst einfach nicht. Wir können sicher sagen, dass wir traumatisiert sind, dass wir miterleben, wie schlecht die Versorgung traumatisierter Menschen ist und damit eben auch Menschen, die Gewalt erlebt haben. Und, dass wir das anders wollen, weil wir es für Unrecht halten.
            Mit dem Artikel schreiben wir nicht, dass das Phantasie-Modell richtig ist. Wir schreiben auch nicht, dass es Rituelle Gewalt nicht gibt oder das man sich nie sicher über den Wahrheitsgehalt der meisten eigenen Erinnerungen sein kann. Wir schreiben, dass „falsche Erinnerungen“ keine Aussage über alle anderen Erinnerungen treffen, dass niemand lügt, die_r welche hat und dass man sich etwas nimmt, wenn man sich nicht eingesteht, dass man selbst welche haben könnte, nur weil Vertreter_innen des Phantasie-Modells sie für gewaltvolle Angriffe missbrauchen.

            Danke, dass du dir die Zeit nimmst und die Kraft aufbringst, das auszudiskutieren.

          3. Der Dank geht auch zurück!

            Ich verstehe nach diesem Kommentar langsam besser, worum es dir geht. Tatsächlich hatte ich da bislang einige geteilte Informationen anders eingeordnet.

            Ich stelle fest, dass ich mit dem Begriff „falsche Erinnerungen“ einfach ein Problem habe und entsprechend auch innerlich reagiere. Der ist für mich so negativ besetzt, dass er mir im Bezug auf Betroffene nicht über die Lippen will. Dazu kommt, dass wir bei der Thematik schlicht der Meinung sind, dass sie in der Form für Traumaerinnerungen nicht existiert und bislang auch mit keiner einzigen Studie wirklich bewiesen ist.

            Auch wenn ich euere Ansicht an dieser Stelle nicht teilen kann, kann ich sie zumindest akzeptieren. Danke für deine Einblicke und Erklärungen und die Bereitschaft zu dieser Diskussion!

            Ein gesundes neues Jahr und liebe Grüße,
            Sofie

  2. Hallo Zusammen,
    ich finde die Auseinandersetzung darüber grundsätzlich gut, denke aber das wir uns dabei nicht gegenseitig derart zerfleischen müssen. Für mich ist es so, dass Erinnerungen auch von „Gesunden“ immer eine Rekonstruktion sind und nie ganz der damaligen Realität entsprechen. Das schwierige bei frühen Traumatisierungen ist ja dass Erinnerungen an traumatische Erlebnisse teilweise vollständig weg dissoziiert werden. Teilweise werden diese ja sogar ersetzt durch heile Welt Erinnerungen und Fantasievorstellungen, weil die echten Erinnerungen so unerträglich wären. „False memories“ können also auch die positiven , heile Welt Erinnerungen sein…Bei mir ist es so dass ich erst nach über 20 Jahren und infolge einer Phase in der ich selbst beinahe (es war knapp, aber ich konnte es zum Glück verhindern) zur Täterin geworden wäre , erkannt habe, dass ich schwer traumatisiert wurde in meiner Kindheit. Die Amnesien sind ein Anzeichen dafür, die schlimmen ich–dystonen Impulse mit denen ich meine Liebsten und mich hätte ganz schlimm schädigen können. Starke emotionale und körperliche Reaktionen….Körperliche Reaktionen finde ich noch ziemlich „ehrlich“, aber auch die kann man komplett wegdissoziieren, wie ich jetzt feststelle. Dann spürt man einfach seinen Körper gar nicht mehr. Das ist ja die Krux mit diesen dissoziativen Störungen, dass man Erinnerungen wegdissoziiert, um weiterleben zu könne. Es ist ja im Grunde eine Gedächtnisstörung, die mir hilft zu überleben, trotz schlimmster Erlebnisse. Deshalb haben es manche Täter so leicht ganz straflos und ungeschoren davon zukommen. Die Opfer übernehmen ja nur zu gerne die Schuld auf die eigenen Schultern, um in ihrer eigenen Erinnerung nicht das hilflose Opfer sein zu müssen-false schuldgefühle quasi-die hatte ich zuhauf…..Manche Täterkreise produzieren ja geradezu absichtlich dissoziative Störungen, um sich diese Gedächtnislücken zu nutze zu machen.
    Wir sollten darüber diskutieren und es verstehen, damit wir uns gegen diese „false memories“-nutzenden Täter wehren können. Zumindest jetzt wenn wir nach und nach das Dissoziationsschutzschild ablegen können und nicht mehr so klein und hilflos sind….

    1. Oh in die Heile Welt-Richtung hab ich noch gar nicht gedacht, danke!
      Kannst du das im Nachinein noch konkret benennen? Also, hast du einfach gedacht „Ach war schon alles gut“ oder hattest du Erinnerungen, die gut waren?

      Und, wie könnte so eine Diskussion passieren? Hast du Ideen für einen passenden Rahmen?
      Wir würden das gerne machen, aber ich glaube, es braucht viel gute Moderation dafür, gerade weil es, wie Sofie ja schon schrieb, so sehr so tief negativ belegt ist.

  3. Erst mal möchte ich noch schreiben, dass es ich es gut und wichtig finde sich „öffentlich“ zu äussern, auch wenn die eigenen Erinnerungen noch nicht ganz klar und eindeutig sind. Ich denke diese Möglichkeit der genauen Erinnerung bleibt gerade Schwersttraumatisierten häufig versagt. Wir dürfen uns auch nur vage und ungenau erinnern und dies kundtun und reflektieren und öffentlich machen….Ich finde das ist Teil eines Verarbeitungsprozess der jedem Opfer zu steht und der wichtig ist. Ich glaube es ist wichtig, dass wir mit Allem was in uns ist und uns bewegt eine Stimme bekommen, die hoffentlich gehört wird.
    Zu diesen „heile Welt“ Erinnerungen. Ich erinnere mich als Kind oft den Eindruck gehabt zu haben in einer ganz tollen Familie zu leben und sehr glücklich zu sein. Dazu hatte ich wohl auch sehr viele positive Phantasien entwickelt. Eigene Tiergeschichten in denen ich gelebt habe z.B. . Fetzen von solchen Erinnerungen kommen jetzt im Verarbeitungsprozess immer wieder zu Tage sind teilweise schwer fassbar, oft Stimmungen. Oft habe ich kurze Bildersequenzen vor Augen , manchmal kurze sehr angenehme Stimmungen in die ich plötzlich rein gerate. Manchmal gingen die Bildergeschichten während dem Wachbewusstsein auch länger , über 10 min in denen ich paralell zur Realität im Hintergrund eine andere Welt mit einem bestimmten System erlebte. Parallel sprach ich gerade mit einer Kollegin auf der Arbeit. Ich fand das verstörend aber auch sehr spannend-bin ein sehr neugieriger Mensch. Ich denke diese Fähigkeit schöne Phantasiewelten aufzubauen hat mich damals gerettet. Meine Schwester, die sich das Leben nahm,, hat viel früher Missbrauch und Traumatisierungen benannt und angeklagt und wurde nictht ernst genommen und als psychotisch abgetan. Falsche Erinnerungen können einen guten Schutz bedeuten,,,,,,Von R. Kluft habe ich übrigens Einiges zu diesen Phantasiewelten bei Traumatisierten gelesen. Das können sehr phantastische eigene Parallelwelten sein. Kein Wunder wird dies von Tätern genutzt , um uns zu diskreditieren und als Lügner darzustellen. Es bietet ja geradezu eine Steilvorlage…..
    Ich mache mir mal Gedanken wie eine solche Diskussion geführt werden kann.

  4. Diese Diskussion verfolgt mich gerade etwas….Typische Symptome einer DIS sind wie J. Gysi in seinem neuen Werk zur Diagnostik von Traumafolgestörungen schreibt , ja sogar Anosognosie also eine fehlende Störungswahrnehmung und auch eine Amnesie für die Amnesie. Unsicherheit und Gedächtnislücken hinsichtlich der eigenen Erkrankung sind ein Symptom der Erkrg und können auch dazu dienen sie von einer „simulierten DIS“ zu unterscheiden. Verdeckte Gewalt führt zu verdeckten Symptomen schreibt er….

    1. Kennen wir auch – Problem: Irgendwann ist man sich bewusst und hat auch keine ganz umfassende biografische Amnesie mehr.
      Da sind wir gerade.
      Wir sind nicht soweit wie Sophie, dass wir alles (vieles, das meiste) fest als selbst erinnert benennen können, aber auch nicht mehr so blank, dass wir es sicher ausschließen können.

      Was hat dich verfolgt an der Diskussion? Ist es die Rolle des Erinnerns an sich oder noch etwas anderes?

  5. Nur kurz: ich glaube verfolgt hat mich die Verwendung von Phantasien und „Falscherinnerungen“ gegen die traumatisierte Person, der sie doch zum Überleben gedient hat. Und auch das Mundtot- machen der Betroffenen, wenn sie sich nicht ganz sicher und überzeugt präsentieren-denn diese Unsicherheit hinsichtlich, Gedächtnis, Identität und Selbstwert ist ja eine immanente Folge der Traumatisierung. Ich habe schon mutistische Phasen infolge der Traumatisierung erlebt-ich wehre mich dagegen , wenn mir dies von Aussen in irgendeiner Form wieder nahe gelegt wird, den Mund zu halten , weil ich nicht ganz sicher bin und mich nicht ganz eindeutig erinnern kann. (Da bin ich wohl im Prozess an einer ähnlichen Stelle wie Du….)

  6. Nachdem ich nun noch mal die besagte Vielzimmerwohnung-episode angehört habe, kann ich meine Bedenken in der Diskussion noch etwas klarer zuordnen. Ich denke es ist sehr schwer , mutig und heroisch eine Traumatherapie bis zu dem Punkt durchzustehen, dass man sich wieder an zuvor weg dissoziierte Erlebnisse bei denen man Opfer schweren Missbrauchs wurde erinnern kann und darüber einen Prozess führen kann, um Täter zu bestrafen. Das passiert sicher viel zu selten, gerade weil es so schwer ist und die Gefahr der Retraumatisierung und Verbitterung hoch ist. Umso wertvoller ist es zu bewerten, wenn ein ehemaliges Opfer dies durchsteht im Sinne aller anderen Traumatisierten und dem Verhindern weiterer Straftaten durch Täter.
    Die meisten aller frühtraumatisierten Opfer werden ab nicht dorthin kommen und haben aus meiner Sicht dennoch eine Recht und sollen sogar ihre Erfahrungen veröffentlichen . Dazu gehören auch oft Fehlerinnerungen und Gedächtnisstörungen , Phantasiewelten . Ich persönlich glaube viel häufger bei Traumatisierten sind die false Erinnerungen in Form von Heile Welt (als die false Erinnerungen an Missbrauchserlebnisse)- die ja dann auch kein Problem für Täterkreise darstellen, da sie ja durchaus ihren Interessen dienen.
    Ich glaube wir sollten das eine nicht gegen das andere aufwiegen oder ausspielen.
    Ich persönlich bin sehr froh über meine Kreativität und Phantasiebegabung, denn sie hat mich trotz schwerer Traumatisierung sehr weit gebracht (Studium, Arbeit, Familie, Malerei, Humor….) und mir beim Überleben geholfen. Erst dadurch dass ich soweit gekommen bin, bin ich jetzt überhaupt in der Lag,e mir meiner traumatisierten Anteile und ihrer schlimmen Erinnerungen gewahr zu werden und mich um sie zu kümmern. So das wars jetzt aber im alten Jahr :).

  7. Ich hab mit dem Begriff auch bislang keinen neuen Sinn verknüpft, weil die Folgen der Gewalt werden zum Beweis verkehrt, dass diese Gewalt nicht stattgefunden haben. Insofern ist false memory für mich eher eine juristische Diagnose bzw. Methode. Erinnern ist immer dynamisch. Bei jedem Gespräch über Vergangenheit ändert sich was. Das OEG ist problematisch weil die Begutachtungspraxis oft nicht auf richtigen aktuellen Erkenntnissen der Psychotraumatologie beruht. Hoffentlich ist das irgendwann überholt. Hannah bewegt sich seit Jahren schreibend und aufklärend mit dem Ziel Rechte einzufordern und die Texte lesen sich nicht so als ob DIS und Autismus profitabel Erkrankungen sind!

  8. Hi
    mir scheint es auch nochmal wichtig zu klären, dass ich an einer partiellen DIs, komplexen PTBS und Bindungsstörung leide. Ich gehe nicht davon aus rituelle Gewalt erlebt zu haben, aber bin mir wohl auch nicht aller kindlichen Traumatisierungen bewusst. Als junge Erwachsene habe ich in Beziehungen sehr schlimme Retraumatisierungen erlebt, deren ich mir immer bewusst war. Ich gehe davon aus, dass es neben ritueller Gewalt sehr viele andere Traumatisierungen in der Kindheit gibt, die zu einer DIS und kPTBS führen können. Das sollten wir nicht gegeneinander ausspielen. Unsicherheiten hinsichtlich Gedächtnis, Erinnerungen usw. darf man aus meiner Sicht auch als Betroffene öffentlich machen. Ich glaube nicht das man damit der Glaubhaftigkeit anderer Betroffener per se schadet. Eine kritische Auseinandersetzung damit finde ich wichtig, auch dem „Gegner“ mutig ins Gesicht schauen….

    1. Sehr interessante Diskussion hier, gerade weil ich mich aktuell mit dem Thema „(falsche) Erinnerungen“ auseinandersetzen, nachdem ich in den letzten Wochen Anfälle entwickelt habe, die Körpererinnerungen darstellen könnten. Könnten. Die Unsicherheit wird wohl solange bleiben, wie eindeutige Erinnerungen fehlen. Wenn man traumatisiert ist und immer wieder erfahren hat, dass die eigenen Empfindungen als falsch und illegitim beurteilt wurden, ist man ohnehin unsicher in Bezug auf sich selbst und den eigenen Gefühlen. Eine Frage hätte ich jetzt aber noch: was bedeutet „partielle DIS“? Mehrere Ich-Zustände, die man zumindest teilweise als solche differenziert erlebt, können meiner noch unvollständigen Recherche nach Teil einer komplexen PTBS sein. Wie ist denn dann die Abgrenzung zu eine partiellen DIS (- nur aus Interesse, da ich nicht denke, an einer (partiellen) DIS zu leiden)? Ich habe inzwischen herausarbeiten können, dass ich neben mehreren „Kleinen“ auch mehrere Erwachsenenpersönlichkeiten habe, wobei mir häufig, aber nicht immer bewusst ist, wenn ich in einen anderen Ego-Zustand wechsle. Und verschiedene emotionale Anteile innerhalb dessen gibt es ja auch. Manchmal spreche ich daher inzwischen von „wir“, üblicherweise aber nicht. Ich fühle mich stark fragmentiert, aber auch das ist ja bereits Folge der komplexen PTBS.

      1. Hey PICO,
        die partielle DIS ist erst seit kurzem offiziell beschrieben. Schau mal hier: https://www.jangysi.ch/.cm4all/uproc.php/0/Trauma%20%26%20Dissoziation%20im%20ICD-11_1.pdf?_=16732f1706b&cdp=a, da ist sie ganz gut beschrieben und wir werden in der Vielzimmerwohnung noch darüber sprechen. Mehr wissen wir dazu auch nicht.

        Zur Unsicherheit: Ja, vielleicht speist sich viel auch aus solchen Erfahrungen. Vielleicht ist das auch etwas, was man orientieren/enttraumatisieren muss.

        1. Hallo Hannah, danke für eure schnelle Rückmeldung. Der Artikel war sehr interessant. Aus aktuellem Anlass stellt sich mir noch eine weitere Frage. Ist es möglich, dass sich echte Erinnerungsfragmente eines dissoziierten frühen Traumas in einem Traum mischen, sodass dessen Bedeutung wahr sein kann, auch wenn einzelne Aspekte nicht mit der Realität übereinstimmen können? (Wobei es mehr potenzielle Hinweise als diesen Traum gibt, bspw. besagte Anfälle, die Körpererinnerungen darstellen könnten – gleicher übergeordneter Kontext wie der Traum). Prinzipiell kann ich euren Ansatz, auch im eigenen Fall falsche Erinnerungen nicht auszuschließen, sowie eure Betonung der Subjektivität der Wahrheit nachvollziehen; ich halte es in der Praxis ähnlich wie ihr und schließe falsche Erinnerungen in meine Überlegungen mit ein. Allerdings verstehe ich auch die „Gegenseite“ und spüre auch den Wunsch, Klarheit zu haben.

          1. Kurz: keine Ahnung
            Lang: Was Menschen als Traum erinnern können, ist immer ihre Interpretation von Reizwahrnehmung in einem Zustand, den sie nicht so einordnen und prüfen können, wie sie alles andere einordnen und prüfen können. Und man weiß bis heute nicht, wie Träume entstehen, welche Funktion sie haben und warum manches aus der Realität im Traum wiederkehrt und anderes nie.
            Entsprechend: Ja, logisch kommen Traumaelemente im Traum vor, sie sind ja ein Reizeindruck, den man hatte. Allerdings ist jede Wahrnehmung ein Reiz. Entsprechend auch hier wieder: Schwierig daraus über Realität, Wahrheit oder „eigentliche Bedeutung“ zurück zu schlussfolgern.
            Was sicher ist: Wenn man etwas geträumt hat, das man für einen Traumainhalt hält, hat man ein Gerüst, innerhalb dessen man darüber reden kann. Und das ist manchmal mehr als man vorher hat.

  9. Ein in dieser Hinsicht interessantes Thema wäre hier auch der Zusammenhang von Bindungsstörungen insbesondere der desorganisierten Bindung mit der Ausbildung dissoziativer Störungen. Das wird auch als ursächlich für eine DiS angenommen, ohne das schwerwiegende anderweitige Traumatisierungen stattgefunden haben müssen. Z.B, die frühkindliche Bindung an eine Mutter mit einer nicht therapierten PTBS und dissoziativen Störung kann zu einer solchen Bindungsstörung beim Kind führen. Z.B. Liotti hat hierzu geforscht. Ich habe mich mit diesem Thema intensiver auseinandergesetzt, da ich nach der Geburt meiner ersten Tochter eine dissoziative Psychose entwickelt habe. Glücklicherweise konnte mein Mann mich als Bindungsfigur ersetzen.

    1. Danke für den Input dazu, Sirene.
      Dieser Aspekt wird in der psychologischen Ursachenbeschreibung der DIS oft miterwähnt, aber oft noch nicht weiter ausgeführt.

  10. Hi nochmal kurz meine Quintessenz aus dieser Diskussion:
    „False Memories“ im ursprünglichen Sinn sind eine natürliche Folge frühkindlicher Traumatisierung und können auch ohne Traumatisierung bei Gesunden unter bestimmten Umständen völlig „natürlich“ auftreten, da Erinnerungen immer eine Rekonstruktion der Wirklichkeit sind und nicht der Wirklichkeit 1:1 entsprechen. Deshalb finde ich es grundsätzlich legitim von false memories zu sprechen. Das dieser Begriff auch verwendet wurde, von gewissen Täterkreisen/-Bewegungen, um Opfer zu diffamieren und unglaubwürdig zu machen , ist schlimm und sollte kritisch auseinandergenommen werden. Wir müssen und können jetzt auch aus der Opferposition hervortreten und unsere Sicht kritisch verteidigen. False memories im Sinne von Gedächtnisstörungen sind bei Erkg wie DIS aufgrund dem traumatischen Einfluss auf das Gedächtnissystem in (früh)kindlichen Lebensphasen quasi „störungs-„/prozess-immanent und betreffen beide “ Heile Welt“ Erinnerungen und Phantasien sowie auch Fehlerinnerungen an Missbrauchserfahrungen oder Verzerrungen hinsichtlich der Missbrauchserinnerungen. Aussagen von Opfern werden aus meiner Sicht nicht glaubhafter dadurch, dass man diese Symptomatik unterschlägt sondern ( auch vor dem Hintergrund psychologischer Theorien zur Glaubhaftig/würdigkeit und Traumafolgestörungen) eigentlich eher weniger glaubhaft. Diese wissenschaftliche psychologische Hintergrund spielt leider in vielen Strafprozesssen eine untergeordnete Rolle und man kann sich auch sicher nicht darauf verlassen, dass psychologische/psychiatrische Gutachter nach diesem Prinzip immer gut arbeiten……Umso kritischer , ehrlicher, mutiger und differenzierte sollten wir ehemaligen Opfer uns mit dem Thema auch öffentlich auseinandersetzen, um eine Stimme und Relevanz zu bekommen. Ich war schon immer eine Verfechterin des „mündigen“ Patienten in der Medizin/Psychiatrie. Stehe einer Diskussion und Beteilgung meinerseits, also weiterhin offen gegenüber….

    1. Ich habe mich gestern noch gefragt, ob es in Verteidigungsdebatten oder in Streits, in denen uns Verrat oder Misstrauen angetragen wird, weil wir mit einer nicht umfassenden Ablehnung den Täter_innen in die Hände spielen würden, nicht auch um die Idee geht, dass man als Mensch, der mit oder von dieser Argumentation verletzt oder gedemütigt wurde, auf Wiedergutmachung hofft. Oder Reparation. Also, dass Leute glauben, dass ihnen das Unrecht nicht anerkannt wird (und also auch keine Wiedergutmachung passiert), wenn man den Gegenstand mit dem es getan wurde, als bloßen Gegenstand bezeichnet.

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