die Leben der Anderen

Ich habe eine Suchanfrage auf meinen Blog gesehen, die da lautete:
Wie ist das Leben als multiple Persönlichkeit?
Ob der Mensch, hier bei mir, eine Antwort auf die Frage bekommen hat, weiß ich natürlich nicht, aber ich fand die Frage irgendwie schön- stelle ich sie mir doch auch öfter mal.

Wie ist mein Leben denn so? Was führe ich für ein Leben- und was für ein Leben führt mein Innenleben, während es so tut, als wäre es ihres?
Ich glaube, manche (auch in meiner direkten Umgebung) denken, es wäre mehr oder weniger gleichförmig: aufstehen, überleben, Hund, Gemögte volljammern, zwischendurch mal was aufs Papier bringen, hinlegen.

Nun, für mich ist es auch so. Das ist mein Leben. Das ist was ich erinnere.
Ich weiß, dass ich aufstehe, weil ich mich in meinem Bett befinde und aufstehe, bevor ich auf die Bewegung meiner Hündin sofort wieder nach innen wegkippe.
Das Jammern kommt mit dem Kontakt und irgendwann finde ich mich dann am Laptop wieder und sehe meinen Händen zu, wie sie über die Tastatur tanzen, schreibend von dem Leben und Gedanken der anderen. Ich stehe auf und gehe zu meinem Bett und weiß, dass ich wieder überlebt habe.

Alles andere ist nicht meins.
Ich sehe Vorlesungsverzeichnisse, Notizen, Bücherwünsche und verzweifelte Dialoge über Dummheit, Unfähigkeit, quälenden Wissensdurst und Ohnmacht sich nicht richtig satt zu bekommen.
Manchmal stolpere ich über Gemälde und Stoffcollagen, um sie Tage später als verkokeltes Knäul im Müll wiederzufinden, weil der Auftraggeber unzufrieden war. Ähnliches bei Handarbeiten und gebauten Volieren und Käfigen.
Plötzlich habe ich Geld auf dem Konto vom Verlag einer Zeitschrift für einen Artikel der bald erscheinen soll. Ich suche nach ihm in meinen Unterlagen und entdecke dabei, welche Ausmaße mein Manuskript für das Buch inzwischen hat- obwohl ich nicht einen Tastenschlag gemacht habe. Finde Flyer, Plakate und Demotermine von Umweltaktivisten, Freizeitrevolutionären, Feministen, Maskulinisten, Bilder die unglaubliche brutale Gewalt darstellen und dazwischen zuckrig pinke Krickelbilder von Feen und Elfen.
Wenn ich mal das Glück habe, einen Spaziergang mit dem Hund ganz zu erleben, grüßt mich jeder dritte Spaziergänger, weil ich schon mal für ihn gearbeitet habe. Ich kenne keinen einzigen von ihnen.

Und über allem und allem schwebt Angst. Mein Leben ist das, was andere den “Zustand zwischen Angst die sich beruhigt und Angst die sich langsam wieder aufbaut bis zum Point of no return” nennen. Es passiert nichts, wenn ich da bin, weil nichts in mir passiert. Ich kann nichts und bin nur da, um die Lücke zu füllen mit meinem Nichtssein.

Auf die gleiche Frage antwortet mein Innenleben ganz anders.
Ihr Leben ist bunt. Sie schaffen richtig fast freundschaftliche Kontakte, könnten fast ein richtiges Studentenleben führen hätten sie nicht so viele Amnesien, jemand malt und gestaltet auf Auftrag unter seinem Innennamen- wird geschätzt für seine Arbeit und hat doch nichts davon, weil er genau wie ich wieder nach innen wegbricht, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Da sind die Handwerker, die auch im Winter auf Dachstühlen herumklettern, weil sie den Zimmerern beim Arbeiten zugucken, um zu lernen. Da gibt es so viele Möglichkeiten und Optionen, so volle Tage. Niemals ist es wirklich so, dass der Körper einfach nur in der Gegend herumsitzt und Depressionen oder Schlaflosigkeit ausbrütet, weil er keinen Input oder Sonne bekommt. Alles das könnte, wenn es nicht multipliziert auseinandergerissen und autark nebenaneinander her laufen würde, sogar das sein, dass uns ein Auskommen ohne Hartz4 zu bescheren in der Lage wäre.

Und doch ist das alles nichts, was ich angeben kann, wenn mich jemand fragt, was für ein Leben ich so führe. Es ist nicht meins.
Es ist das Leben der Anderen, in meinem Leben drin.

Ihre Leben sind ewig ungesehen, unerwähnt, nicht geschätzt. Unsichtbar, wie sie selbst, wenn ich mich wie die Rinde eines Baumes um sie lege.

All ihr Können zählt nicht, weil es ausgestanzt und entfernt von Offizialität und den nahen Kontakten aufblüht.
Wir haben keine Berufsausbildung, haben nie mehr geschafft, als einen Realschulabschluss an der Abendschule. Sie sind nicht in der Lage ihr Leben durchgängig zu leben und es mit meinem zu verbinden.

Ihres ist gestückelt wie meins.
Universum in Universum in Universum.
Menschenleben in Menschenleben in Gesellschaft in der nur zählt, was durchgängig, ewig gleichförmig, so wie eins-dimensional gelebt wird.


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11 thoughts on “die Leben der Anderen

  1. Hey hab grad wieder per Mail Deinen Blog gelesen, und dieser heute ist einfach so extrem für mich weil ich es genauso auch täglich erlebe. Danke für Eure Beiträge, sie helfen mir uns besser zu verstehen oder auch einfach in Gedanken jemanden zu haben, der jetzt genau so fühlt wie wir…danke

  2. Du schreibst ein Buch? Wow. Gute Idee!

    Und wie das ist, so zu leben…. Vielleicht erahnen? Oder ist das schon zuviel gesagt? Hatte früher mal viel zum Thema gelesen, eigentlich fast jedes Buch, dass auf Deutsch dazu erhältlich war. Aber Buch ist Buch und Leben ist Leben.

    Ganz liebe Grüsse

    1. Man hat es selten so bewusst wie hier aufgeschrieben.
      Ja so ist es vielleicht mehr ahnen als stetiges Wissen. Auch wenn man dieses Leben selbst lebt.

      Das Meiste von dem was hier steht, ist im Moment des Geschehens nicht so deutlich und klar.

      Viele Grüße dir und danke für deine Besuche hier 🙂

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