Rezension: „Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ von May-Lo

Buchcover von Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden von May-Lonah dran

Einen Erfahrungsbericht einer Person mit DIS, während einer pädagogischen Ausbildung – das hat es so noch nicht gegeben.
May-Lo nimmt die Lesenden mit in ihre Auseinandersetzung, die von einer Fortbildung zur Traumapädagogin ausgelöst wurde. Vom Erkennen des Wieder_Erinnerns zur Re_orientierung in einer Gegenwart als Mutter, Begleitende, Funktionierende nach organisierter Ritueller Gewalt, stellt die Autorin viel Nähe her.

diffuse Prozesse – klare Worte

Eine klare Sprache inmitten uneindeutiger Kontexte, unverbundener Bindungen und zuweilen scheinbar ziellosem Vorwärts, trägt hier über 168 Seiten. Es gibt keine nachgezeichnete Struktur dessen, was die Autorin prozessiert. Was sie zu halten scheint und als einzige Richtschnur der Leser_innen dient, ist die Gegenwart. Das Jetzt und der nächstmögliche Schritt.
Ein intensives Er_Leben nach Erfahrungen, die markiert durch eine kleine Grafik, immer wieder gleichsam und umfassend intensiv wirken.

Sein und Werden

Das Ende ist ein Anfang. Ein neuer, ein alter, man erfährt es nicht.
Geht es um eine Befreiung? Haben wir hier die Story mit dem Weg ins Licht, die Freiheit, der Opferschaft weit hinter sich und Ruhe in Frieden zum Greifen nah? – Das bleibt offen und ist meiner Meinung nach das Beste am ganzen Buch.
Denn definitiv gibt es keine Selbstabwertung aufgrund der eigenen Erfahrungen, der Ängste, der Kämpfe, der Belastungen. Es gibt einen berechtigten Stolz auf geschafftes und angeeignetes und eine wie freiwillig auch immer hergestellte Anerkennung dessen was ist. Sowohl des eigenen Seins jetzt als auch des Werdens in Zukunft.

Alles das macht „Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ zu einem Buch, das den Blick auf Menschen mit DIS erweitern, die eigenen Vor_Urteile und Ideen von Traumaarbeit jedoch auch konfrontieren kann.
Hier sehe ich die Rahmung des Manuskripts vom Verlag einigermaßen misslungen. Da konkrete methodische Struktur und Einordnung fehlt, ist dieses Buch kaum Menschen zu empfehlen, die noch keine Vorkenntnisse über dissoziatives Erleben und/oder organisierte Rituelle Gewalt haben. Auch ist fraglich, ob es der Intention der Autorin gerecht wird, wenn man ihre Erzählung als etwas hernimmt, um „die traurige Realität“ von sexualisierter Gewalt sichtbar zu machen.

Für Betroffene, die erfahren wollen, wie eine andere Person mit DIS mit sich arbeitet, um an sich arbeiten zu können, ist es hingegen von besonderem Wert.

„Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ von May-Lo ist am 1. April im Asanger Verlag erschienen und kostet 19,80 €.
Die Autorin twittert unter dem Handle @kurzvorlila