die Vorschau

Cover des Buches "Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt" von H. C. Rosenblatt, mit dem Logo der edition assemblage in pink und der Mitte des "Fußteils". Der Hintergrund ist sehr dunkelrot (fast schwarz), im Vordergrund in der Mitte ist eine unendliche Figur, in Regenbogenfarben, die ineinander laufen und mit Punkt und Kreismustern gefüllt sind. Die Schriftfarbe ist in warmen Orange gehalten.

Und dann erhalte ich das letzte Ultraschallbild meines Buchbabys.
In der Druckfahne der Vorschau sehe ich das Cover und da ist der Ankündigungstext. Es hat schon eine ISBN und eine WG-Nummer, niedlich.

Ich betrachte es in einem Moment so neutral wie Tonpapier und suche nach Gefühlen in mir.
Da ist Zufriedenheit und Erschöpfung. Wissen, dass noch viel Arbeit vor mir liegt. Nicht nur am Buch, sondern auch darum herum. Zuschüsse, Lesungen, eine Feier zur Veröffentlichung – das Vor/Nach/Mitwort muss übersetzt werden, ich muss das noch durchrechnen – der Satz, habe ich eigentlich Zeit dafür im Januar?

Ich würde es gern als etwas spüren, das auch ist, wenn ich nicht bin, aber so funktioniert das alles nicht.
Mit Literatur ist man lange schwanger. Und wenn man sie sich in einer monate-, vielleicht sogar jahrelangen Kopfgeburt herausgearbeitet hat, dann ist sie immer noch kein Buch, sondern nur ein Manuskript, das absolut auf die Fähigkeiten von Lektor_innen, Buchsetzer_innen und Gestalter_innen angewiesen ist, um eine Chance auf Buchwerdung zu erhalten. In dieser Phase beginnt die Wertschöpfung. Die Arbeit nach der Arbeit, das Werden nach dem Sein.

In gewisser Weise beginnt für mich als Autor_in damit auch die Zeit der Reflexion. Erneut. Denn während des ersten Aufschreibens wusste ich ja nur, wie es werden sollte. Aber nicht, ob es das auch werden würde.
„Worum es geht“ behandelt Autismus, Trauma und Gewalt. Die Triage, die mein Leben so umfassend definiert, dass ich kein ganz und gar objektiv gehaltenes Sachbuch schreiben kann. Und selbst wenn – objektive Sachbücher sind oft nichts weiter als Golems recycelter Sachbücher. Einfach noch mal sagen, was andere schon gesagt haben – nur besser, richtiger, neuer, leichter verständlich vielleicht, nein, das ist wirklich nicht meins.
Meins, und zwar ganz allein meins, ist die Erfahrung mit dem Inhalt. Die Auseinandersetzung, das Lernen, der Weg zum Verstehen. Die objektive Wissenschaft hat dabei geholfen, deshalb kommt sie auch drin vor. Und weil der ganze Studienbumms mich nicht braucht, um zu funktionieren. Das ist eine große Entlastung. Und ein schönes Schutzschild vor allen, denen auch mein zweites Buchbaby zu viel Lebensschnodder aus der Nase tropft.
Es wird wieder ein typisch autistisches Buch. Eine Mischform, die an ihren Rändern zerdrückt werden muss, um in Genre und Verwertungslogiken zu passen. Aber Kunst muss ich es diesmal nicht nennen.
Auch das eine Erleichterung.
Eine große.

Rezension: „Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ von May-Lo

Buchcover von Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden von May-Lonah dran

Einen Erfahrungsbericht einer Person mit DIS, während einer pädagogischen Ausbildung – das hat es so noch nicht gegeben.
May-Lo nimmt die Lesenden mit in ihre Auseinandersetzung, die von einer Fortbildung zur Traumapädagogin ausgelöst wurde. Vom Erkennen des Wieder_Erinnerns zur Re_orientierung in einer Gegenwart als Mutter, Begleitende, Funktionierende nach organisierter Ritueller Gewalt, stellt die Autorin viel Nähe her.

diffuse Prozesse – klare Worte

Eine klare Sprache inmitten uneindeutiger Kontexte, unverbundener Bindungen und zuweilen scheinbar ziellosem Vorwärts, trägt hier über 168 Seiten. Es gibt keine nachgezeichnete Struktur dessen, was die Autorin prozessiert. Was sie zu halten scheint und als einzige Richtschnur der Leser_innen dient, ist die Gegenwart. Das Jetzt und der nächstmögliche Schritt.
Ein intensives Er_Leben nach Erfahrungen, die markiert durch eine kleine Grafik, immer wieder gleichsam und umfassend intensiv wirken.

Sein und Werden

Das Ende ist ein Anfang. Ein neuer, ein alter, man erfährt es nicht.
Geht es um eine Befreiung? Haben wir hier die Story mit dem Weg ins Licht, die Freiheit, der Opferschaft weit hinter sich und Ruhe in Frieden zum Greifen nah? – Das bleibt offen und ist meiner Meinung nach das Beste am ganzen Buch.
Denn definitiv gibt es keine Selbstabwertung aufgrund der eigenen Erfahrungen, der Ängste, der Kämpfe, der Belastungen. Es gibt einen berechtigten Stolz auf geschafftes und angeeignetes und eine wie freiwillig auch immer hergestellte Anerkennung dessen was ist. Sowohl des eigenen Seins jetzt als auch des Werdens in Zukunft.

Alles das macht „Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ zu einem Buch, das den Blick auf Menschen mit DIS erweitern, die eigenen Vor_Urteile und Ideen von Traumaarbeit jedoch auch konfrontieren kann.
Hier sehe ich die Rahmung des Manuskripts vom Verlag einigermaßen misslungen. Da konkrete methodische Struktur und Einordnung fehlt, ist dieses Buch kaum Menschen zu empfehlen, die noch keine Vorkenntnisse über dissoziatives Erleben und/oder organisierte Rituelle Gewalt haben. Auch ist fraglich, ob es der Intention der Autorin gerecht wird, wenn man ihre Erzählung als etwas hernimmt, um „die traurige Realität“ von sexualisierter Gewalt sichtbar zu machen.

Für Betroffene, die erfahren wollen, wie eine andere Person mit DIS mit sich arbeitet, um an sich arbeiten zu können, ist es hingegen von besonderem Wert.

„Mit dissoziativer Identität leben und Traumapädagogin werden“ von May-Lo ist am 1. April im Asanger Verlag erschienen und kostet 19,80 €.
Die Autorin twittert unter dem Handle @kurzvorlila