so ein_e Autor_in sein

500 €. Das sollen Autor_innen für eine Lesung verlangen. Sagt ver.di.
Als ich das lese, trabt eine Frankfurter Bahnhofstaube an meinem Rucksack vorbei. Es regnet, ist grau. Mein Zug hat Verspätung, meine Laune Tataros-Niveau. Tataros, das ist die Unterwelt der Unterwelt. Sisyphus ist da mit seinem Stein beschäftigt. Noch weiter runter und wir sind in den Eingeweiden von Gäa, aber darauf kann ich verzichten.

Ich verkneife mir ein Statement zum ver.di-Post auf Instagram. Denke daran, dass ich gleich 3 Stunden im Zug sitze, den Laptop eh rausfummle und dabei fürchterlich umständlich knistere, während irgendeine Gisela durchs Abteil gackert. Deutsche im ICE, wir sind schon schöne Scherenschnitte.

Nein, ich verlange keine 500 € für meine Autor*innenlesungen. Ich verlange nicht mal Reisekosten. Ich bin froh, wenn sich jemand auf meine Anfrage für eine Lesung zurückmeldet. So läuft das bei mir und meistens ich bin zufrieden damit.
Heute erfüllt es mich mit Grummeligkeit, weil die letzten beide Tage einfach enorm überanstrengend waren. Zugausfall, unterwegs-Meltdowns, Hotelfail, Organisationspleite bei einer Arbeitssituation auf der Buchmesse – good soup for when you are burning. Und gekostet hat es mich ca. 900 €. Weil ich spontan ein anderes Hotel brauchte. In Frankfurt, während der Buchmesse.
Honorar gibt es keins, Fahrkosten, Unterkunftskosten, Verpflegungskosten auch nicht.
Ich bin froh, wenn ich meinen Menstruationsblut rauskrampfenden Körper heute nach Hause gewuchtet bekomme. Wenn ich der Stille in meinem Kopf nachlauschen und Bubi durch die Nadelbaumplantage in unserer Nachbarschaft folgen kann. Wenn ich aufhöre zu denken, ich könnte so ein_e Autor_in werden. So eine_r für die_n Lesungen organisiert werden. Die_r gar nicht fragen oder verlangen muss, sondern angeboten bekommt.

In 11,6 gelaufenen Buchmessekilometern entstehen solche Ideen einfach. Solche völlig überzogenen Selbstbilder. Mein Buch bei einem Riesenverlag, mein Manuskript verhandelt in einer dieser kleinen Buchten mit einer international agierenden Verlagsgruppe. Meine Kopfgeburt fruchtwassernass glänzend in den Regalen von Thalia. Meine literarischen Perlen, gefressen mit Messer und Gabel.
So etwas ist utopisch. Absolut out of reach. Und eigentlich, so wie Buchmarkt und Literaturverwertung heute funktioniert, auch gar nicht erstrebenswert.
Aber ja, so wie ich hier sitze, neben mir ein Businesskasper, vorne tatsächlich eine Gisela, da wäre ich gern nicht Hannah, die ein Buch geschrieben hat, sondern Autor_in nach zwei Arbeitstagen. Die_r jetzt auch ausruhen darf.
Aber nein. So eine Autor_in bin ich nicht. Und für das, was das Schreiben mir bedeutet, ist das auch gut so.

die Vorschau

Cover des Buches "Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt" von H. C. Rosenblatt, mit dem Logo der edition assemblage in pink und der Mitte des "Fußteils". Der Hintergrund ist sehr dunkelrot (fast schwarz), im Vordergrund in der Mitte ist eine unendliche Figur, in Regenbogenfarben, die ineinander laufen und mit Punkt und Kreismustern gefüllt sind. Die Schriftfarbe ist in warmen Orange gehalten.

Und dann erhalte ich das letzte Ultraschallbild meines Buchbabys.
In der Druckfahne der Vorschau sehe ich das Cover und da ist der Ankündigungstext. Es hat schon eine ISBN und eine WG-Nummer, niedlich.

Ich betrachte es in einem Moment so neutral wie Tonpapier und suche nach Gefühlen in mir.
Da ist Zufriedenheit und Erschöpfung. Wissen, dass noch viel Arbeit vor mir liegt. Nicht nur am Buch, sondern auch darum herum. Zuschüsse, Lesungen, eine Feier zur Veröffentlichung – das Vor/Nach/Mitwort muss übersetzt werden, ich muss das noch durchrechnen – der Satz, habe ich eigentlich Zeit dafür im Januar?

Ich würde es gern als etwas spüren, das auch ist, wenn ich nicht bin, aber so funktioniert das alles nicht.
Mit Literatur ist man lange schwanger. Und wenn man sie sich in einer monate-, vielleicht sogar jahrelangen Kopfgeburt herausgearbeitet hat, dann ist sie immer noch kein Buch, sondern nur ein Manuskript, das absolut auf die Fähigkeiten von Lektor_innen, Buchsetzer_innen und Gestalter_innen angewiesen ist, um eine Chance auf Buchwerdung zu erhalten. In dieser Phase beginnt die Wertschöpfung. Die Arbeit nach der Arbeit, das Werden nach dem Sein.

In gewisser Weise beginnt für mich als Autor_in damit auch die Zeit der Reflexion. Erneut. Denn während des ersten Aufschreibens wusste ich ja nur, wie es werden sollte. Aber nicht, ob es das auch werden würde.
„Worum es geht“ behandelt Autismus, Trauma und Gewalt. Die Triage, die mein Leben so umfassend definiert, dass ich kein ganz und gar objektiv gehaltenes Sachbuch schreiben kann. Und selbst wenn – objektive Sachbücher sind oft nichts weiter als Golems recycelter Sachbücher. Einfach noch mal sagen, was andere schon gesagt haben – nur besser, richtiger, neuer, leichter verständlich vielleicht, nein, das ist wirklich nicht meins.
Meins, und zwar ganz allein meins, ist die Erfahrung mit dem Inhalt. Die Auseinandersetzung, das Lernen, der Weg zum Verstehen. Die objektive Wissenschaft hat dabei geholfen, deshalb kommt sie auch drin vor. Und weil der ganze Studienbumms mich nicht braucht, um zu funktionieren. Das ist eine große Entlastung. Und ein schönes Schutzschild vor allen, denen auch mein zweites Buchbaby zu viel Lebensschnodder aus der Nase tropft.
Es wird wieder ein typisch autistisches Buch. Eine Mischform, die an ihren Rändern zerdrückt werden muss, um in Genre und Verwertungslogiken zu passen. Aber Kunst muss ich es diesmal nicht nennen.
Auch das eine Erleichterung.
Eine große.