und in 10 Jahren? #Inklusion2025

Die „Aktion Mensch“ hat eine Blogparade ausgerufen, in der es heißt: “Mit unserer Blogparade #INKLUSION2025 suchen wir … Ihre Ideen dazu, wie unsere Welt in zehn Jahren aussehen wird und was nötig ist, damit daraus eine inklusivere Gesellschaft wird.”.

„Was sollte sich ändern?“, fragst du “Aktion Mensch”
Ich denke: Vielleicht muss man aufhören eine Rederunde nach der anderen zur der Frage “Was muss sich verändern?” zu machen. Vielleicht muss man aufhören so zu tun, als müssten wir jedes Jahr neu darüber nachdenken und verhandeln “Ist das Mensch oder kann das weg?”, sondern loslegen, alle bisher aufgebrachten Vorschläge und Ideen, auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. In Testläufen, kleinen und größeren Projekten, mit Freiwilligen, mit Lernenden, mit Wachsenden, die unser 2025 mitbestimmen werden.
Was war denn mit dem Zukunftsdialog 2012 – was passiert in jeder Vereinigung, jedem Verband, jeder Mitarbeiter_Innenversammlung, jeder Interessenvertretung, jeder sozialen Einrichtung, die sich um Menschen kümmert bzw. diese im Fokus hat, die mit Behinderungen jeder Art leben?
Jedes Jahr gibt es neue Ideen, jede Woche wird überall geäußert, was sich ändern müsste, damit Inklusion gelingt.

Die Umsetzung scheitert an der Inklusion des Themas “Inklusion” als etwas, das die Gesellschaft angeht. Das auch und immer mehr die Unternehmer_Innen angeht. Das auch Europa angeht.
Inklusion meint nicht nur, dass Lisa ohne Gehör überall ihr Abi machen kann, oder, dass Turgut ohne Beine uns bei den Paralympics vertreten kann.
Es geht nicht nur um die Höhen, die Möglichkeiten, die erreicht werden könnten, würde wäre wenn
Es geht auch darum, inklusives Denken zu ermöglichen und als selbstverständlich zu etablieren.

Dazu gehört sich Zeit für Barrieren und ihren Abbau nehmen zu können.
Dazu gehört Barrieren in erster Linie in sich zu finden – nicht nur in der Treppe, wo eine Rampe sein könnte.

Dazu gehört die Erfassung der Lebens – und Seinsform “Mensch” in all seinen Facetten, ohne Interessen, die von Diskriminierungsdynamiken geleitet werden.

 

Ich schaue nicht nur verheißungsvoll in Richtung 2025.
Meine Zukunft. Meine Zukunft in 10 Jahren.
Oh Baby, wenn wir alt sind…

2025, da werden viele soziale Systeme zusammengebrochen sein. Und von Privatunternehmen als “im Wandel” bezeichnet. Während die Einnahmen natürlich steigen.
Kapitalismus – oh Baby, der wird auch dann noch da sein und Menschenrechte mit Knebelverträgen und Abhängigkeiten untergraben.
Keine Illusionen Baby, das wird uns auch dann noch beschäftigen. Vielleicht auch auf die Straßen gehen lassen.

Wenn ich 38 bin, bin ich für den ersten, zweiten, dritten… Arbeitsmarkt vermutlich tot. Nicht mehr nur wertlos wie jetzt, sondern tot.
Ich werde nebenher laufen in einem anderen Gewand. Im besten Fall: als Selbstständige. Natürlich unterbezahlt, natürlich immer in Sorge: Wann kommt die nächste dürre Zeit? Immer auf der Suche, wie ein Tier auf der Jagd, nach dem nächsten großen Auftrag.

Vielleicht,
ich hoffe und wünsche mir das
begleiten mich Menschen und wirken therapeutisch auf mich ein. Die einen als Profis, die anderen einfach so.
Vielleicht kann ich wirklich heilen. Was auch immer “Heilung” bedeutet.
Vielleicht habe ich bis 2025 ein Level erreicht, auf dem mich so eine Arbeitsjagd nicht mehr an den Rand bringt oder davon herunter schubst.
Ich hoffe, den Krankenkassen wird bis 2025 verboten, Hilfeleistungen nach Wirtschaftlichkeit zu bemessen. Denn das ist ein Verstoß gegen Menschenrechte.

In 10 Jahren habe ich mir vielleicht meinen eigenen Arbeitsplatz geschaffen.
Das Nachwachshaus™  für Menschen, die komplexe Traumatisierungen erfuhren, könnte in 10 Jahren vielleicht schon stehen. Vielleicht sitze ich in 10 Jahren in einem Wintergarten neben jemandem, der eine Zigarette nach der anderen raucht, so wie ich gut 20 Jahre vor ihm allein in einem Wintergarten saß und eine Zigarette nach der anderen rauchte, weil das alles war, was ich noch sicher konnte. Ohne Angst.

Wir, unsere Gemögten und unsere Unterstützer_Innen haben einen Verein gegründet, unsere Fehler zum Lernen gemacht, uns gestritten und versöhnt, geweint, geächzt und gejodelt bei jeder weiteren geschaffen Etappe und könnten 2025 irgendwo sitzen und uns wundern, dass es geklappt hat. Ich könnte dort sitzen und Pastme sagen: “Gucke mal”.
Oh Baby, das wär sowas von krass.

Vielleicht lebe ich als 38 jährige ein Leben, in dem ich wählen kann, ob ich die Kleidung, die Möbel, die ungewollten Produkte anderer Menschen nutze oder mir selbst welche kaufe. Vielleicht lebe ich in einer Gesellschaft, in der nicht mehr zur Debatte steht, ob ich einen Fahrdienst nutzen darf, obwohl ich doch zwei Monate vorher gut ohne klar kam und quer durchs Land reisen konnte.
Oh Baby, wie cool wäre es, wenn in 2025, die konkret betroffenen Menschen definieren und bestimmen, was wann wie nötig ist, ohne sich an der Norm, die niemand eigenständig definierte, orientieren zu müssen.

In 10 Jahren, da werde ich Mode sehen, die fragt, ob man einen Rollstuhl nutzt, viel liegt, viel sitzt. Die auch bequem und passend tragbar ist, wenn man nur ein Bein hat. Oder gar keine. Oder…
Vielleicht wird es eine Modenschau geben oder gar ganz viele, die ganz anders aussehen, als die die heute … in Mode … sind.
Vielleicht meine ich 2025 mit dem Begriff “normschön” etwas völlig anderes, als jetzt.
Oh Baby, ich glaube bald sind Designer_Innen und Modemacher_Innen mutig genug dafür.

Vielleicht bin ich in 10 Jahren Mutter? Oh ich würde dann gern Mutter sein.
Oh Baby, bevor ich zu alt bin um ohne “RISIKOSCHWANGERSCHAFT Faktor eine Zillion” – Stempel im Mutterpass, schwanger, gebärend, wochengebettet sein zu können.

Aber vielleicht gibt’s in 10 Jahren eh keine Hebammen mehr und ich kann das mit der guten Begleitung und weniger Sorgen zu Vereinbarkeit von seelischer Behinderung und Schwangerschaft, Muttersein und allem schon in der Planung vergessen.
Und ach, wahrscheinlich sind Lesben, Schwule, Queers und alle Nichtheteros und “Behinderten” allgemein, dann eh auch noch immer gar keine richtig echt liebenden Menschen vor Gesetz und sogenannter „Mitte der Gesellschaft“ und mögliche Eltern, so, dass echte Ehe, Sperma- und/oder Eizellenspenden oder ähnliche Luxuswege zum eigenen Kind, einfach und legal ohne Nachteile für die Beteiligten funktionieren.

10 Jahre reichen nicht für Gesetzesänderungen und schon gar nicht für so grundlegende Wandlungen in den Köpfen der Gesellschaftsvertragspartner_Innen ™ , wir sehen’s ja jetzt.
ARD Themenwoche.
Oh Baby, wir müssen alt werden, um den Jungen die Rückendeckung zu geben, die wir* heute nicht erhalten.

Vielleicht ist es 2025 nicht mehr außergewöhnlich sich für Inklusion und Solidarität stark zu machen und der Brauch des stellvertretend für alle ™ Sprechens, ist endlich verbrannt.
Vielleicht sind wir 2025 damit beschäftigt uns zusammenzufinden und unsere bisher gesammelten Ideen und Pläne umzusetzen, zu überarbeiten, miteinander abzustimmen.

Oh Baby, vielleicht muss 2025 niemand mehr fragen: “Was muss passieren, damit unsere Gesellschaft inklusiver wird?”
Sondern nur noch fragen, wie inklusives Denken, Teil unserer üblichen Alltagskultur sein und bleiben kann.

Kinderbücher mit Behinderung

Ich kann es so gut verstehen, wenn Kinder und ihre Eltern sich mehr Vielfalt in Büchern wünschen, wie Mareike das bei sich im Blog tut.

Für mich fängt es schon bei den Namen, der Hautfarbe und spezifischen Kultur- und/oder Religionseinflüssen in verschiedenen Alltagen an, die mir oft fehlen, aber natürlich fehlen auch die Leben von Kindern, die mit zum Beispiel Down Syndrom und und und und auf die Welt gekommen sind, in aller Regel in Kinderbüchern.
Für meine Eulengeschichte suche ich noch immer einen Verlag und arbeite nebenbei als kleines Ausruh-Eskapismus-Novemberüberstehdings an einer anderen Kindergeschichte. Deshalb stecke meine Nase gerade verstärkt in diese Szene und mir fallen da ein paar Dinge auf, die mitverantwortlich für wenig Diversität in Kinderbüchern sein könnten.

Meine Eulengeschichte ist so ein typisches Stück in Sachen “ein Kind bekommt etwas von einem Erwachsenen erklärt”. Davon gibt es ziemlich viele Kinderbücher, finde ich. Eigentlich kommt kaum ein Kind in Geschichten ohne elterliche/erwachsene Erklärung weg, was auf adultistischen Gesellschaftsstrukturen beruht. Erwachsene denken (und bekommen immer wieder von allen Seiten präsentiert), dass Kinder absolut hilflos sind und Dinge nicht verstehen oder nicht richtig verstehen und immer alles erklärt haben müssen.
Sicher ist das nicht nur falsch – aber in der Repräsentation schlägt es sich dann eben doch auch in Kinderbüchern nieder, in denen es so läuft, wie in meiner Eulengeschichte. Eltern wie Kinder finden sich darin wieder und kaufen solche Geschichten entsprechend (Überraschung- der Kreis ist geschlossen).

Die Eulengeschichte ist allerdings etwas philosophisch und sprachknickerig angehaucht. Da geht es um den Grat zwischen “ausgewachsen” und “erwachsen” sein – um Reife, die manchmal zu vermitteln schwierig ist. Für Kinder, die genau in dem Alter sind, in dem sie lieber stundenlang allein ein Treppenhaus hochklettern wollen, als wie “als sie noch klein waren” getragen zu werden, ist meine Geschichte vielleicht noch nichts. Für Jugendliche, die Dinge tun wollen, die den Handlungen von erwachsenen Personen nahekommen, ist der physische Aspekt des “Auswachsens” vielleicht nicht mehr so greifbar.
Das sind bis jetzt jedenfalls so die Rückmeldungen, die ich mit den Absagen erhalten habe. Es sind die Einschätzungen Erwachsener über die Rezeption von Kindern und Jugendlichen, die sicherlich auch begründet sind, keine Frage. Aber es sind eben nicht die Einschätzungen von den Personen, für die ich die Geschichte geschrieben habe und dieser Aspekt von Perspektive ist es, der eine Rolle spielt und den ich in der Geschichte, die ich jetzt angefangen habe, auch an mir selbst bemerke.

Es geht in der Geschichte um ein Kind, das sich etwas fragt und in einem Traum dann die Lösung findet.
Ich habe bemerkt, dass ich beim Schreiben und Zeichnen immer wieder mich selbst zum Vorbild nehme – obwohl es a) ein Kind ist, das b) einen Rollstuhl benutzt und, das c) in einer Familie (also nicht allein) lebt.
Meine Figur ist weit von meinem (Er-) Leben entfernt und ich sehe die Auswirkungen davon auf meine Ideen. Zum Beispiel wollte ich das Kind im Traum laufen lassen, weil es ja ein Traum ist und ein schöner Traum sein soll. In solchen Momenten bin ich dann froh darum, dass ich so viele Menschen, die Rollis und andere Hilfsmittel nutzen, direkt übers Internet erleben kann, sonst würde ich nicht den Impuls zur Reflektion bekommen haben, was das für eine Quatschidee ist.
Es gibt keinen Grund den Traum so weit von der (Er-)Lebensrealität meiner Figur zu entfernen und so nah an mich selbst heranzubringen, aber die “Verlockung” ist ganz klar da und kommt ja auch nicht aus dem Nichts.

Die “guten” Rolemodels für Menschen, die behindert werden, sind immer* die, die _trotzdem_ (nicht _auch_ ) klar kommen. Es sind immer die, die besonders strahlend von ihrer Lebensfreude und ihrer Kraft sprechen und natürlich “totaaaal normaaaaal” sind.
Sichtbar wird da nicht, dass es sich um Menschen handelt, die ohne (finanzielle) Unterstützungen gar niemals da angekommen wären, wo sie sind. Abhängigkeiten werden nicht als Abhängigkeiten benannt, sondern als Lebensstil oder großartig- fast unmenschlich aufopferungsvolle – Hilfe markiert. So, als hätten diese Personen die Wahl zur Hilfe getroffen, weil sie es wollten – nicht, weil ihr Überleben oder die Sicherung von Lebensqualität und Teilhabe an gesellschaftlichem Leben daran hängt. Also etwas, das man _braucht_ und deshalb will.
Das ist der Unterschied, den Behinderungen jeder Art einfach immer auch mit machen. Die Intension von Entscheidungen, die getroffen werden, haben immer auch mit dem Grad der Abhängigkeit von der Umgebung, in der diese Wahl getroffen wird, zu tun. Natürlich kann ein Rollifahrer zu den Paralympics fahren – wenn er genug UnterstützerInnen* hat, die die Ausrüstung, Hilfsmittel, Training, Transportkosten mitstemmen und er genug Resilienzfaktoren in sich hat, sich durch diese Herausforderung durchzubeißen.
Die Dynamik von Verwertungsinklusion, die derzeit überall gefördert (weil von KapitalistInnen* gefordert) wird, funktioniert auf Diskriminierungsachsen immer gleich und macht keinen Unterschied.

Ich glaube nicht (aber ich irre mich da gern), dass diese “Traum ohne Rollstuhl – Sequenz” bei einem Verlag direkt als schwierig markiert worden wäre, denn da ist ja noch “Heidi”.
Das Heidianime von 1989 – ich liebe es!
Klara war das erste Kind im Rollstuhl, mit dem ich als Grundschulkind in Berührung kam. Dass diese Figur durch das liebevolle Zuwenden und Üben; die gute Alpenluft und ihren Willen am Ende laufen konnte und alle Menschen damit glücklich macht, hat in meinem Bild von Menschen, die Rollstühle benutzen, bis heute eine Spur hinterlassen, an der ich nun als Kinderbuchautorin in Spee herumradiere.

Ich lebe heute allein und Rollstühle sind kein Alltagsgegenstand mehr für mich. Ich bin nicht mehr viel umgeben von Menschen, die körperliche Wuchsrichtungen mit Hilfsmitteln kompensieren (müssen), um sich an andere Menschen bzw. die auf sie und ihre Möglichkeiten ausgerichtete Lebensumgebung, anpassen zu können und ich merke, dass das etwas ist, woran ich mich jetzt aktiv erinnern muss, um nicht eine weitere Geschichte nach dem Heidistrickmuster bzw. mit einer Essenz von “Heidi” zu erzählen.

Das ist ein Faktor, der mich an der Darstellung auch meiner Behinderung nämlich sehr nervt: der Implizit der Veränderbarkeit der Behinderung (und nicht der Lebensumgebung).
Meine Behinderung aufgrund psychischer Faktoren wird immer und immer wieder als eine Phase, ein Lebensabschnitt, als krank (und deshalb von ÄrztInnen* “wegmachbar” oder zum Positiven veränderbar) dargestellt – nicht als etwas, das mich als jemanden sichtbar macht, der aufgrund bestimmter äußerer Faktoren so gewachsen ist. Es wird nicht klar, dass es sich um die Folge von Anpassungsreaktionen handelt, die bis heute und vielleicht auch für immer, wenn auch nicht immer gleich intensiv und umfassend, in mir und meinem Erleben wirken.

In meinen Fantasien über mich selbst, kommt nie drin vor, dass ich ohne Angst bin oder ohne Innens. Wenn ich mir ein Bild von mir in bestimmten Lagen mache – egal, wie fantastisch sie sind: “die Anderen” sind immer da, wie jetzt – meine Belastungsgrenze, meine emotionalen Kapazitäten, sind genauso ausgerichtet, wie jetzt. Meine Lebensumgebung verändert sich- aber ich selbst nicht.
Meine Fantasie sprengt immer nur die Grenzen, die ich auch real sprengen könnte (und sei es in Metaphern) und genau das jetzt bei dieser Kindergeschichte zu beachten.. woah- das ist wirklich überhaupt gar nicht so einfach, wie ich mir das am Anfang vorgestellt hatte.

Ich weiß, dass man in seine Figuren hineinschlüpfen muss, um sie voll und rund wirken zu lassen.
Es ist aber auch klar, dass ich nur so viel “Füllmaterial” mitbringen und positionieren kann, wie ich selbst wahrnehme.
So wird dieses kleine Ausruhprojekt auch eine Lektion in Demut vor meinen Fähigkeiten für mich.

Ich möchte keine Geschichte schreiben in der das Kind besonders ist, weil es den Rolli nutzt, sondern, weil es sich die Frage stellt, die es sich stellt und sich selbst beantwortet. Aber dadurch, dass es den Rolli nutzt (was es tut, gerade weil ich eben keine 08/15 Profitkindergeschichte schreiben möchte) wurde es für meine Vorstellung irgendwie doch wieder beinahe logisch, einen für viele junge wie alte Menschen alltäglichen Gegenstand zu etwas zu machen, das eben nicht so normal ist, dass er auch in einem Traum vorkommt.

Das ist, was Behinderungen zu Behinderungen im Sinne von Hindernissen macht: die eigenen (unreflektierten) Vorstellungen über die Lebensrealitäten anderer Menschen
und das ist, was Kinderbücher dann auch nicht divers macht.

der rosenblattsche Weg zur freiwilligen gesetzlichen Betreuung

Heute gabs mal wieder was aus der Serie “Frau Rosenblatt auf der Jagd nach dem goldenen Schnatz im Bereich Unterstützung und Fürsprache”

Kurzer Rückblick: August 2013 – Frau Rosenblatt möchte einen Abzweigungsantrag in Bezug auf das Kindergeld, das sie erhält, weil sie schwerbehindert und erwerbsunfähig ist, stellen, damit nicht jedes Jahr Post von der Herkunftsfamilie in ihre Kniekehlen tritt
– die folgenden 8 Monate verbringt Frau Rosenblatt damit, Menschen, die ihr Unterstützung und Fürsprache in ihren Belangen zugesichert haben, damit zu nerven, dass da was passieren muss, weil sie ohne Weiterbewilligung von 184€ weniger leben muss
– die Menschen versuchen und versuchen – lauschen gespannt Wartezeitenmelodien bis plötzlich … nun ja wahrscheinlich hatte man sich an die Unklärbarkeit und Unlösbarkeit gewöhnt oder das Rauschen, das aus Frau Rosenblatts Mund heraus kam, irgendwie auch einfach nicht mehr wahrgenommen. Kann ja passieren. Passiert ja allen ein “ich brauche Unterstützung- ich kann das nicht allein- es geht mir zu schlecht, ich habe keine Kapazitäten mitzuwirken- ich kann nicht helfen mir zu helfen” einfach irgendwann nicht mehr zu hören. That’s life und so was Frau Rosenblatts‘

Inzwischen schreibt man Mai 2014 – Frau Rosenblatt hat ein Riesenglück mit ihrem Jobcentermenschen: die Kindergelddifferenz wird ausgezahlt bis die Sache geklärt ist (das Jobcenter ist nicht verpflichtet das zu tun!)
– da ihre HelferInnen* taub für ihre Worte geworden und konfliktfähig wie ein Stück Landstraße sind, stellt sie einen Antrag auf eine freiwillige gesetzliche Betreuung

und wartet

meanwhile ist sie eigentlich eher Wrack als irgendetwas anderes und stemmt trotzdem ein Vorhaben nach dem anderen. Niemand soll ihr je nachsagen können, sie würde sich gehen lassen, würde schwach werden unter dem Verlust von Gemögten, Verbündeten und Gemochten, dem Infragestellen von Lebenssinn und Zukunftsperspektive. Sie verbringt viel Zeit damit Menschen zu sagen: Ich kann nicht mehr – ich bin müde – ich bin traurig – ich bin verletzt – ich bin ungerächt – ich bin überfordert , bis es auch in ihren Schädel geht: Es ist scheiß egal, was sie eben nicht kann. So lange sie es nicht für andere Menschen sichtbar nicht kann, kann sie eben doch alles.

Also atmet sie anders und beißt sich vorwärts bis in den Juli, wo ein Sozialbericht erstellt wird.
Man sagt ihr,
sie könnte noch immer eine Strafanzeige erstatten – bis die Gewalt an ihr verjährt ist, hat sie ja noch 4 Wochen.
Sie lacht die Frau fast aus und mariniert sich erneut in Bitterkeit.

“plätscher plätscher” machte die Zeit bis September, als Frau Rosenblatts Konto dann plötzlich leer blieb.
Überraschung. Nicht.
Das Jobcenter möchte selbstverständlich gerne endlich einmal Zettelage über das Kindergeld, die Frau Rosenblatt nicht hat. Aus Gründen.

Frau Rosenblatt hat inzwischen Kompetenzwut aufgebaut und ruft beim Gericht an. “Macht mal bitte schneller – ich habe kein Geld, bin zahlungssäumig und man will Zettel von mir, die ich nur mit eurer Hilfe bekommen kann”, sagt sie sinngemäß (und viel sachlicher, denn eigentlich war sie im September größtenteils tot).
Eine Woche später, bekommt sie Post zur Ansicht, die auch an die Medizinerin gegangen war, die sie begutachten sollte. “Machen sie mal schneller ihr Gutachtendings- Frau Rosenblatt hat Angst”.
Ja, es gab eine klitzekleine Hassexplosion in Frau Rosenblatts Bauch.

Dann die medizinische Begutachtung, die dankenswerterweise weder nervig noch schmerzlich noch sonst wie respektlos oder doof war.

Es folgte Warten bis heute.
9. Oktober: Anhörung bei Gericht. Nun gibt es die Erklärung vor dem Richter, warum Frau Rosenblatt denn gerne diese Betreuung möchte. An dieser Stelle kann ich es nicht lassen, darauf hinzuweisen, dass es immer wieder heißt: “Warum möchten Sie denn die Betreuung?” und nicht “Warum brauchen Sie denn die Betreuung?”.

Frau Rosenblatt braucht ja nie etwas- Frau Rosenblatt ist der wandelnde Imperativ – Frau Rosenblatt WILL immer etwas.
Das ist ja Nervige an ihr – STÄNDIG hat sie kein Geld – IMMER fehlt ihr irgendwas, will sie irgendeine Unterstützung, braucht Zuspruch, will Schutz – G’tt wie anstrengend!
Erst mal weggehen. Eine Rauchen… Kataloge blättern… sich gut fühlen, weil man nicht so ist, wie sie.

Scheibenwischer- Richteranhörung
Frau Rosenblatt erfährt, dass man eigentlich jemanden ausgesucht hatte, aber “in Anbetracht der Komplexität ihres Falls” sei eine volljuristische Betreuung, die sich engagiert, nötig.  Da müsse man jetzt aber nochmal schauen, wer sich das zutraut. Wer die Kapazitäten dafür hat. Kann noch mal 2 – 3 Wochen dauern.

“Ist diese Betreuung von jemandem anfechtbar?” – “Nein”.
”Schönen Tag  noch, ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich für mich genommen haben”. Falten aus dem Mädchenkostüm gezupft und mit dem üblichen Gefühl nichts weiter als eine Last für sich und eine Belästigung für den Rest der Welt zu sein, stieg sie in die Bahn nach Hause.

Alleine, wie sie in dem Flur aus 50 shades of grey saß, gar nicht so weit weg von dort, wo man ihr alles Unrecht, dass ihr je widerfahren ist, anerkennen und als Unrecht markieren hätte würde wenn können. Hätte sie angezeigt. Würde sie das durchhalten. Wäre alles anders und ganz besonders sie nicht sie.

Als sie nach Hause kommt, erwartet sie eine bombastische Rechnung über säumige Zahlungen.
“Es war nicht Ihre Schuld – Sie haben getan, was Sie konnten”, sagt die Frau bei der Telefonseelsorge.

Schon wieder ihren Gemögten und Gemochten oder der Therapeutin mit ihrem Kummer auf die Nerven gehen, wollte sie nicht.
Also rief sie dort an und freute sich, die eine achte Anruferin zu sein, die dort überhaupt nur durchkommt.

und wenn ich älter bin?

Vielleicht liegt es auch an meinem Alter, dass ich es als heuchlerische Kackscheiße empfinde, wenn sich meine HoffnungsträgerInnen* und vielleicht auch Vorbilder als elitäre Scheinbilder entpuppen.

Ich bin ja eine von denen, die nicht genau weiß, wie das so läuft, wenn man sich zu einem Status hingearbeitet hat.
Konnte ja noch nie arbeiten.

Ich hab keine Ahnung, wie man sich richtig verkauft.
Obwohl schon genug Menschen für ein Stück von mir bezahlt haben.

Immer wieder lese ich davon, dass Maßnahmen zur Inklusion meiner Person mit Kosten verbunden sei.
Aber wenn ich an Gruppen, Verbände, Gesellschaften, Organisationen und Vereine, Universitäten und sonstwie engagierte Menschen herantrete und mich einbringen will, um etwas zurückzugeben, bleibt die Tür zu.

Ich bin so jung und naiv- ich glaube tatsächlich noch, dass die Welt und ihr Funktionieren nicht festgeschrieben ist.

Wie lange wird das noch so bleiben?
Neulich habe ich mich daran erinnert, wie mir mal ein Mensch auf einer Antikriegsdemo an den Kopf warf, ich solle mir einen Job suchen. Als wäre Arbeit das beste Mittel, um mir all mein Aufbegehren abzuschmirgeln.
Klar, habe ich mir in den letzten Jahren unfassbar oft die Chance auf ein Studium gewünscht. Hatte mir überlegt, wie ich es schaffen könnte die Anforderungen zu erfüllen, die an mich gestellt werden, um das zu dürfen.
Mir ist langweilig. Verdammt mir ist so _langweilig_  Mein Kopf hat Hunger. Meine Augen sind durstig. Ich will Dinge lernen und kennen und wissen und verstehen. Ich will alles Wissenswerte auffressen und dafür Belohnungszettel haben. Und dann will ich mit meinem Stapel Belohnungszettel zur Kasse gehen und meinen Sammelbonus haben: Teilhabe an der Gemeinschaft derer, die in diesem System auch tatsächlich etwas von ihrem Wissen weitertragen können um Veränderungen anzustoßen. Klar denke ich: “Ich will richtig in echt anerkannt studieren”, “ich will einen Job”, “Ich will mein eigenes Geld verdienen” und so weiter und so fort.

Doch Fakt ist: Ist nicht, weil kann nicht “richtig”
Ich darf um Berechtigungszettel betteln. Ich darf kriechen und dankbar sein, dass wir nicht in einem Staat ohne Sozialleistungen leben, wo mein Leben noch einmal um ein paar Stufen schwieriger wäre.
Ich darf draußen bleiben, damit sich die Exklusiven exklusiv fühlen. Damit die, die drinnen sind, jemanden haben, den sie als draußen wahrnehmen können.
Ich bleibe eine Inklusionswürdige, damit weiter über Inklusion gesprochen werden kann, weil das so verdammt viel mehr Gelder und Statusbestätigung einbringt, als real greifbare Veränderungen.
Ich darf mich defizitär fühlen, weil sämtliche Schablonen auf die Füllung von Defiziten ausgelegt sind, statt auf die Angleichung der Gegebenheiten.

Noch kann ich mir Wasser aus dem Kopf laufen lassen, wenn es mal wieder so weit ist und das Maß an Enttäuschung gegenüber meinen Bemühungen, irgendwo einfach mal wenigstens einen Zeh in die Tür zu kriegen, voll ist. Doch was ist, wenn ich die 30 hinter mir habe? Die 40? Die 50? Werde ich eine goldene Mitte- einen zweiten Frühling haben und immer noch Enttäuschung fühlen können, wenn ich von einer Hoffnung auf Annäherung an ein Ideal getäuscht werde?

Ich habe mich selbst dazu erzogen keine Opferidentität zu entwickeln.
Ich sehe an mir so viel mehr als das, was ich überlebt habe und will mehr von mir als das eigene Überleben. Ich kann mehr als das und weiß das auch. Der Hunger in meinem Kopf ist nicht just for fun da.

Aber was soll ich sonst sein, wenn mir nur das zugestanden und anerkannt wird, weil ich dafür einen Beweiszettelberg habe?

Ich habe Angst davor, dass mein Kampf um Anerkennung als Mensch, der auch aufgrund seiner Erfahrungen Dinge bedenkt und sieht, die andere Menschen nicht sehen und bedenken, zu der Arbeit wird, die mir mein Aufbegehren abschmirgelt. Ich will mich nicht damit aufhalten. Ich will damit keine Zeit, keine Kraft verschwenden, die so viel konstruktiver und besser genutzt werden kann.

Das System stinkt- es ist Zeit Türen und Fenster aufzumachen.
Den Mief raus zu lassen und auch Menschen wie mich reinzulassen.

Ich rieche nicht nach dem neuesten Parfum von Betty Barcley und trage keine modische Kleidung. Ich duze zu schnell und kenne viele Fremdwörter nicht. Ich habe zu viel Respekt vor Krawatten und Pumps.  Ich schaffe keine 8 Stunden Arbeitstage- manchmal nicht mal meine eigene Existenz.

Aber ich bin noch nicht abgeschmirgelt und habe einen Hunger, den so viele andere Menschen nicht haben, weil sie eigentlich längst satt sind.
Wie wertvoll das ist, kann doch nicht nur eine  Schnapsideenseifenblase aus dem Geist einer Irren sein.

 

kann doch nicht…