das Handtuch

“Jetzt heul doch endlich!” schreie ich in das Hintermich und gehe weiter mit der Bastelschere durch das Handtuch.

Es war das Namensetikett. Das ist da seit 17 Jahren dran. Gestickt, von Oma dran genäht. Die Oma, die niemals auf uns zugekommen ist, um für sich selbst zu fragen, warum wir nicht mehr bei ihrem Sohn leben konnten.
Die von so vielen Kinderinnens geliebt wird bis heute. Die Oma.

Wir besitzen dieses Handtuch, weil sie es uns zu irgendeiner Gelegenheit vor dem ersten Klinikaufenthalt geschenkt hat. Es wurde uns nie geklaut, wie unsere Jacken, Hosen, Shirts, Lieblings-CDs und was nicht sonst noch alles verschwindet, wenn man in Institutionen und Wohngruppen wohnt, in denen alle immer nichts, nichts mehr oder nie genug haben.

Ich musste es waschen, nachdem ich damit das Abtauwasser vom Tiefkühlschrank im Keller aufgewischt hatte. Als ich es zum Trocknen aufhängte, bemerkte ich das Namensschild. Und fühlte nichts. Keinen Kommentar. Nicht einen einzigen anderen Seelenkörper.

Es verunsichert mich, so lange tot zu sein, wenn doch alles in Ordnung ist. Lässt mich meine Therapieerfolge in Frage stellen, wenn ich derartig zurückversetzt werde in mein Bevor-ich-von-den-Anderen-wusste-Er_Leben. Dieses funktionalfreundliche Gedankenträger_in-Sein.

Dann beschloss ich, das Handtuch zu zerschneiden. Brauche sowieso noch Stoffreste für Dinge.
Als ich anfange, drückt der Puls meinen Hals zu. Und dann werde ich wütend. K.-wütend, aber nicht nur. Auch Hannah-wütend. So fühlt sich das also an. Nach Handtuch in der linken und Bastelschere in der rechten Hand, nach Erstickungsfurcht und Druck hinter den Augen.

Ich schneide die erste Bahn, zerteile diese in Quadrate. Oma. Der alte Name. Damals.
Ich kenne Oma nicht und sie wird mich nie kennenlernen.
Im Garten schreien Kinder. Da steht ein aufblasbarer Pool.
Ich sehe mich als 4 jährige im Garten von Oma und Opa, schneide die nächste Bahn. Opa ist tot, die Vierjährige auch. Ich spüre das so deutlich wie den Druck, den ich aufbringen muss, um die Schere durch die Baumwolle zu kriegen.

Meine Augen brennen, mein Gesicht ist dicht. Ich will, dass sie da sind.

Das hab ich mir noch nie gewünscht. Hab noch nie gedacht, dass ich sie mal fühlen will.
Die Anderen.
Die, für die nichts in Ordnung ist.


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