Gastbeitrag: „Alles Verschwörungstheorie? Plädoyer für solide Information zwischen zwei Extremen“

Transparenzhinweis:
2017 haben wir ein Interview mit Claudia Fischer zum Infoportal Rituelle Gewalt aufgenommen. 
Wir arbeiten am Infoportal mit.

 

Eine gemeinsame Stellungnahme von der Emanuelstiftung (Bonn), von Lichtstrahlen Oldenburg e.V. und Mosaik gegen Gewalt e.V., Bielefeld. Alle drei betreiben das Infoportal Rituelle Gewalt. (Veröffentlicht am 18.4.2020)

Die öffentliche Diskussion um das Thema Rituelle bzw. organisierte sexualisierte Gewalt bewegt sich seit längerem in einem Umfeld, in dem

  • auf der einen Seite verschiedenste „Weltverschwörungs“-Narrative Verbreitung finden, die die Ausbeutung von Kindern durch pädokriminelle Täter*innen mit irgendwelchen „weltumspannenden Netzwerken“ verbinden und häufig noch mit anderen kruden, zum Teil sogar antisemitischen oder rechtsextremen Thesen oder Fantasien kombinieren, wobei der Boden jeder nüchternen, sachlichen Betrachtung längst verlassen wurde.
  • Auf der anderen Seite leugnen manche Einzelpersonen und Institutionen immer noch rundweg, dass es in Deutschland, Europa oder weltweit überhaupt zu solch schweren Straftaten kommt, wie Überlebende von organisierter Ritueller Gewalt sie berichten. Hier wird häufig argumentiert, das sei „alles nur von gut vernetzten Therapeut*innen eingeredet“ – eine nicht minder absurde Verschwörungsphantasie.

Beide Unwahrheiten enthalten, wie so oft, wahre Elemente: Natürlich kommt es in Einzelfällen vor, dass Menschen unter dem Einfluss unseriös arbeitender Therapeutinnen zu fehlerhaften Erinnerungen gelangen. Gleichzeitig ist auch immer wieder festzustellen, dass Täterinnen in diesem Bereich der Kriminalität sehr gut miteinander vernetzt sind und zudem individuell relevante gesellschaftliche Positionen einnehmen.

Wer daraus Pauschalaussagen bastelt, kommt aber zwangsläufig zu einer pauschalen Verdrängung oder Übertreibung. Richtig ist nach unseren jahrelangen Recherchen und Erfahrungen:

Weder haben es alle diejenigen, die sich als Betroffene zu erkennen geben, mit unfähigen/böswilligen Therapeut*innen zu tun (viele haben nicht zuletzt bereits Erinnerungen an traumatisch Erlebtes, bevor sie eine Psychotherapie beginnen), noch steht hinter dem, was da an Verbrechen immer wieder in sehr plausibler Form geschildert wird, logischerweise eine einzige große „Weltverschwörung“.

Beide Extreme werden der Realität, bzw. dem, was inzwischen an wissenschaftlichen und empirischen/klinischen Befunden zum Thema existiert, nicht gerecht. Sie führen schlicht zur Desinformation und schaden denen, die wir schützen müssen – nämlich denjenigen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die tatsächlich in schwer zu ertragender und schwer zu vermittelnder Form ausgebeutet und misshandelt werden.

Das eine Extrem: Weltverschwörung
Seit Jahren beobachten wir mit Sorge, dass das Thema Rituelle Gewalt, mitunter vermischt mit rechtsextremen und antisemitischen Aussagen, politisch instrumentalisiert und genutzt wird, um Endzeitgefühle zu erzeugen und Angst zu verbreiten. Entsprechende Websites sprechen dann häufig auch noch die Chemtrail-Gläubigen, Impfgegnerinnen oder Reichsbürgerinnen an oder geben Prepping-Hinweise.

Hiervon grenzen wir uns ganz klar ab und betonen: Von organisierter sexualisierter bzw. ritueller Gewalt haben inzwischen Hunderte von Betroffenen auch in Deutschland glaubhaft berichtet (u.a. in Anträgen beim Fonds Sexueller Missbrauch [1], bei Anhörungen der Aufarbeitungskommission [2], am berta-Telefon oder im Rahmen von wissenschaftlichen Studien [3]). Die damit verbundenen Straftaten tauchen auch im Rahmen von Strafverfahren immer wieder auf [4], und sie haben nichts, aber auch gar nichts zu tun mit einer sogenannten satanischen, jüdischen oder sonstwie gearteten „Weltverschwörung“, die „heimlich die Geschicke unserer Regierungen und Gesellschaften lenkt“. Wir grenzen uns auch ab von der Annahme, es gäbe irgendwelche „Eliten“, die in pauschaler Form in solche Taten verstrickt sein sollen, bzw. von „Pizzagate“ [5], „QAnon“ [6] und ähnlichen plakativen Konstrukten.

Wir sehen die Gefahr, dass derlei Verschwörungsgedanken und die politische Instrumentalisierung den wirklich Betroffenen massiv schaden, weil man sie für „Spinnerinnen“ hält und ihnen die dringend benötigten Hilfen verweigert. Weil Ermittlungen niedergeschlagen werden und weil sich damit die typische Drohung der Täterinnen
bewahrheitet: „Und wenn Du jemals darüber sprichst, wird Dir niemand glauben.“

Unsere Bitte: Wenn Sie helfen wollen, bleiben Sie skeptisch gegenüber solchen Verschwörungstheorien!
Eine Liste seriöser Quellen zum Thema finden Sie auf der Linkseite der Emanuelstiftung [7].

Das andere Extrem: Komplette Leugnung
Gleichzeitig nehmen wir immer wieder Bestrebungen wahr, das Thema Rituelle Gewalt in sehr bemühter Form unter den Tisch zu kehren. Hierzu verweisen wir gern auf die sehr fundierte Stellungnahme des Betroffenenrates beim UBSKM [8] und möchten auf folgende Erkenntnisse aus unserer Arbeit hinweisen:

Wir erleben in großer Zahl Menschen, die sich bei uns melden, weil sie in körperlicher, psychischer und/oder finanzieller Not sind, weil sie von pädokriminellen Straftäter*innen in extremer Form, langfristig, organisiert und/oder rituell sexuell ausgebeutet wurden und werden.

Ähnlich häufig erleben wir Menschen, die sich bei uns melden, weil sie direkt betroffene Personen begleiten. Das sind Ärztinnen, gesetzliche Betreuerinnen, Anwältinnen, Fachleute aus Sozialämtern, Sektenberatungen, Therapie, Krankenhäusern, Kirchen und Politik, aber auch Familienmitglieder von Betroffenen, Nachbarinnen, Freundinnen,
Arbeitskolleg
innen, Arbeitgeber*innen. Und auch das sind viele.

Viele dieser Berichte sind nachvollziehbar, ordentlich belegt und plausibel, auch wenn dies z.B. nicht zur Strafverfolgung oder zu Urteilen geführt hat. Ähnliches gilt für diverse Fälle von Bedrohung und Erpressung, mit denen sich insbesondere Kliniken und Therapeutinnen konfrontiert sehen, die Überlebende behandeln. Viele berichten von entsprechenden Übergriffen (z. B. von Bedrohung und Stalking von Klientinnen selbst bei Klinikaufenthalten). Meist reichen die Erlebnisse aber nicht aus für eine Strafverfolgung oder es gibt gute Gründe
(z. B. Klientinnenschutz oder die Sorge um die Existenz der Klinik), um damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Unsere Erfahrung: Täterinnen wissen sehr gut, wie weit sie gehen können. Zu diesem Schluss kommen wir nach solchen Gesprächen immer wieder.

Wir wissen, dass es gut vernetzte pädokriminelle Netzwerke gibt, die Kinder misshandeln, foltern und vergewaltigen (Beispiel aus neuester Zeit: Bergisch-Gladbach).

Wir wissen, dass diese Netzwerke Kinder und Erwachsene untereinander austauschen, anbieten, ausbeuten und vermarkten [9]. Und dass es „Kunden“ dafür gibt, bei diesen Folterungen auch töten zu wollen (s. Staufen [10]). Das ist keine Verschwörung, sondern ein fürchterliches, monströses, reales Geschäftsmodell.

Wir wissen, dass es im Kontext vieler Religionen, Sekten und Ideologien immer wieder auch zu sexualisierter Gewalt kommt und manche extrem gläubige Menschen bereit sind, für ihre Ideologie zu töten. Gerichtsbekannte Fälle dazu finden sich im Infoportal Rituelle Gewalt (infoportal-rg.de). Ob die Religion oder Ideologie dabei Ursache oder Tarnung der ausgeübten Gewalt ist, können wir nicht beurteilen. [11]

Wir wissen, dass kaum einer der gerichtsbekannten Fälle nur auf ein Land beschränkt war. Fast immer gibt es Verbindungen ins Ausland. Auch das ist keine Verschwörung, sondern schlicht und ergreifend eine Täterstrategie, um die Polizei auszutricksen, denn internationale Ermittlungen sind ungleich schwieriger, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher behördlicher Strukturen und Ermächtigungen. Das ist häufig schon zwischen Bundesländern innerhalb Deutschlands zu beobachten (siehe Lügde, der Haupttäter hat das Zuständigkeitsvakuum zwischen den Jugendämtern in Hameln-Pyrmont und Lippe geschickt ausgenutzt) [12].

Wir wissen, dass Pädokriminalität und sexuelle Ausbeutung in unterschiedlichen Ausprägungen auch unter Prominenten längst nachgewiesen wurde (Weinstein [13], Epstein [14], Edathy [15] etc.).

Wir wissen von vielen Fällen, in denen Polizei und Justiz den Betroffenen nicht geholfen haben – im Gegenteil: Die Betroffenen selbst und ihre Unterstützer*innen sahen und sehen sich teilweise selbst plötzlich mit Ermittlungen konfrontiert.

Wir wissen nicht, wann es aufhört, dass Rituelle Gewalt als Thema immer wieder heruntergespielt wird – und worin das Interesse bestehen kann, einen besseren Kinderschutz abzulehnen, wie die Fachleute ihn fordern, und Hunderte von Überlebenden per se für unglaubwürdig zu erklären.

Ähnliche Marginalisierungen gab es in jüngerer Vergangenheit bei ähnlichen Themen, z. B. bei der sexualisierten Gewalt gegen Kinder in Familien und Institutionen sowie der rechten Gewalt. Ebenso verhält es sich mit der Diagnose der Dissoziativen Identitätsstörung, die lange Zeit erst ignoriert und dann nicht als typische Folge komplexer, frühkindlicher Traumatisierung anerkannt wurde. Inzwischen hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt und wurde durch Einträge der Diagnose in DSM und ICD und die Arbeiten vieler Hirn- und Traumaforscher*innen bestätigt.

Für die betroffenen Kinder und Erwachsenen ist es verheerend, wenn nicht hingeschaut wird.
Auch hier wiederum gilt daher unsere große Bitte: Wenn Sie helfen wollen, sei es als Privat- oder auch als Fachperson, bleiben Sie bitte offen für das, was aus seriöser Quelle (etwa die Website des UBSKM [16]) über die Situation von Betroffenen veröffentlicht wird!

Fazit
Es scheint besonders schwierig zu sein für eine „zivilisierte“ Gesellschaft, in die Abgründe menschlich verursachter Gewalt zu schauen. Weder Übertreibung noch Leugnung bringen uns in der Bekämpfung dieser Gewalt weiter – und vor allem helfen beide Extreme den Betroffenen in keiner Weise. Bleiben Sie nüchtern, empathisch und offen für solide Aufklärung und sachliche Informationen. Damit helfen Sie – gerne an unserer Seite – den Überlebenden am meisten.

Danke dafür!


Quellen:
[1] Alleine von Mai 2013 bis 15.1.2018 haben 476 Antragsteller.innen beim Ergänzenden Hilfesystem Fonds Sexueller Missbrauch in ihren Anträgen „Ritueller/sektenmäßiger Missbrauch“ angegeben. Das ist die Angabe aus den Empfehlungen des Fachkreises „Sexualisierte Gewalt in rituellen und organisierten Gewaltstrukturen“ beim Bundesfamilienministerium (Seite 4): http://ecpat.de/wp-content/uploads/2018/04/Fachkreis_Empfehlungen_2018_web-2.pdf

[2] Zahlen zu Ritueller Gewalt im Bilanzbericht der Aufarbeitungskommission auf Seite 130:
https://www.aufarbeitungskommission.de/bilanzbericht_2019/

[3] An einem Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Eppendorf haben zu ritueller
Gewalt haben sich 165 Menschen beteiligt: https://elibrary.klett-cotta.de/article/10.21706/tg-12-3-244

[4] Wir sammeln entsprechende Urteile auf unserer Website https://www.infoportal-rg.de

[5] Unter dem Begriff „Pizzagate“ wurde während des Wahlkampfs von Donald Trump 2016 eine Verleumdungskampagne gegen die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in die Welt gesetzt: https://www.sueddeutsche.de/politik/neuer-us-praesident-wie-trumps-teamfake-news-streut-1.3283617 und https://www.nytimes.com/2016/11/21/technology/factcheck-this-pizzeria-is-not-a-child-trafficking-site.html

[6] Artikel des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom 11.4.2020:
https://www.rnd.de/politik/qanon-der-aufstieg-einer-gefahrlichen-verschworungstheorie-ORTPE4D5YRFRZKVTMJBTFADJTY.html

[7] Linkseite der Emanuelstiftung mit seriösen Quellen zu Ritueller Gewalt:
http://www.emanuelstiftung.info/links/

[8] Statement des Betroffenenrates zum Umgang mit Ritueller Gewalt vom 3.7.2018:
https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/aktuelles/detail/statement-des-betroffenenrates-zum-umgang-mit-ritueller-gewalt

[9] Eine Liste von veröffentlichten Fahndungserfolgen gegen Internet-Netzwerke zur Vermarktung von Kindesmissbrauch führen wir im Infoportal Rituelle Gewalt:
https://www.infoportal-rg.de/2020/02/18/news-kinderporno-ringe-gesprengt-einechronologie/#more-835

[10] Einer der verurteilten Täter aus dem Tatkomplex „Staufen“ hatte aktiv nach einem Kind gesucht, dass er nach dem Missbrauch töten dürfe:
https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-karlsruhe-urteil-mann-wegen-geplanter-vergewaltigung-in-psychiatrie-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200108-99-397783

[11] Rubrik „Religiöse und ideologische Hintergründe“ im Infoportal Rituelle Gewalt:
https://www.infoportal-rg.de/motive-und-hintergruende/religioeseideologische-hintergruende/

[12] Der Haupttäter aus Lügde im Kreis Lippe/NRW betreute ein Pflegekind (Mädchen), dessen Mutter in niedersächsischen Kreis Hameln-Pyrmont lebte. Den Behörden lagen Hinweise auf pädokriminelle Neigungen des Täters vor, durch Abstimmungsprobleme und Unklarheiten in den Zuständigkeiten wurde aber erst sehr spät reagiert. Es gibt diverse Analysen dieser Situation, z. B.:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/behoerdenversagen-im-missbrauchsfall-luegde-16370504.html

[13] Urteil gegen den ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein:
https://www.tagesschau.de/ausland/harvey-weinstein-urteil-haftstrafe-101.html

[14] Einer von vielen Berichten über die Netzwerke des Multimillionärs Jeffrey Epstein, in denen minderjährige junge Frauen sexuell ausgebeutet wurden und an denen viele Prominente beteiligt gewesen sein sollen:
https://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article136257539/Prinz-Andrews-Kumpel-und-seine-Schwaeche-fuer-Girls.html

[15] Der Ex-SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy hat zugegeben, Fotos und Videos von nackten Jungen aus dem Internet geladen zu haben. Das Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Verden wurde daraufhin gegen Zahlung einer Geldbuße von 5000 Euro an den Kinderschutzbund eingestellt: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sebastian-edathy-edathy-raeumt-schuld-ein-a-1021263.html

[16] Definition und Einordnung Ritueller Gewalt vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin: https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/was-ist-sexueller-missbrauch/organisierte-sexualisierte-und-rituelle-gewalt

„hey there – look at my butt – whoohoo“*

Vor Kurzem wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass eine Veranstaltung der „Rhein-Main-Skeptiker“ bei der auch L. Benecke von der „Satanic Panic reloaded“ sprechen würde, nach vielstimmigem Protest von Opferschutzorganisationen und Gewaltbetroffenen abgesagt wurde.
An sich schon ein Ereignis – doch kurz darauf veröffentlichte die Betreiberin M. Kreusel von „Blumenwiesen“ (einer schon lange laufenden Webseite zu Themen rund um Traumafolgen und Persönlichkeitsstörungen) einen offenen Brief (bei Facebook) an M. Huber (ihres Zeichens Pionierin auf dem Gebiet der Traumaforschung und Psychotherapeutin) und unterstellte ihr persönlich, „die Aufklärung“ zu stören.

Interessant ist an der ganzen Geschichte eigentlich nichts, wäre da nicht der von allen Parteien als Begründung für das eigene Handeln herangezogene Opferschutz.
Und wäre es nicht genau das, was damals in den 80er Jahren überhaupt zur ersten sogenannten „Satanic Panic“ geführt hat.

Keine Ahnung, worum es dabei ging? Kein Problem – die Times hat eine Retrospektive dazu veröffentlicht:

 

Interessanterweise sprechen manche Journalist_innen heute auch von einer „moral panic“, wenn es darum geht, was damals passiert ist. Hier in Deutschland würde man von einer „Massenhysterie“ sprechen. Wenn man misogyn ist. Ich nenne es „logische Folgen von systematischem Versagen sämtlicher Strukturen“.

Logisch deshalb, weil sexualisierte Gewalt in den 80er Jahren noch ein viel größeres Tabu, noch viel mehr mit Sexualität verknüpftes Thema war und es schlicht keinen etablierten, an Kindern, an Medien, an dem Rechtssystem erprobten Umgang mit Fällen (organisierter) sexualisierter Gewalt an Klein.Kindern gab.

Es war eine von Gefühlen und (eigenen Opferschaftserfahrungen) geleitete Welle, die diese Lücken damals aufzeigte (und die Weiterentwicklung anstieß) und es sind selbst ernannte „Skeptiker“, die bis heute, aller Forschung, aller Weiterentwicklung und aller bisher geschehener Rechtsprechung zum Trotz, immer noch verbreiten, dass Meldungen über (organisierte (rituelle)) Gewalt an Kindern „skeptisch“ zu begegnen sei. Was in ihrer Welt soviel heißt wie Einzelpersonen und Betroffene, die dazu seit Jahren und Jahrzehnten forschten, arbeiten und aufklären, bloßzustellen, zu beschämen und sich ihnen ergo gewaltvoll gegenüber zu verhalten. Weil man ja die „echten Opfer schützen“ will.

Für mich wirkt das, als hielte es jemand für schlau ein Haus anzuzünden, um zu verhindern, dass sich da drin jemand am Herd verbrennt.
Und es ist ein Verhalten, dass mich an das „Oh, my, God Becky – look at her butt – Its so big„- Meme erinnert.

Das Meme der beiden weißen jungen Frauen, die den Po einer schwarzen Frau auf eine abwertende, herablassende Art kommentieren. Ganz so, wie man das eben tut, wenn man sich kolossal überlegen fühlt, aufgrund von wirkmächtigen Strukturen wie Rassismus in dem Beispiel.

Nun kommentiert L. Benecke nicht den Körper von Personen, auf die sie offensichtlich aus Gründen von ableistischer bzw. saneistischer Haltung herabsieht, sondern die Personen als Ganzes. Etwas, das man als professionell arbeitende Psychologin vielleicht mal reflektiert oder eher nicht auch noch aufzeichnen lässt.
Schon der Umstand, das eigene „Aufklärungsprogramm“ auf Füße zu stellen, die in den 80ern und 90ern vielleicht noch Halt gefunden hätten, in den 2010er Jahren, aber nicht mehr, zeigt vor allem das: Selbstüberschätzung durch Blasendynamik. Denn sie spricht in keinem Fall für die Opfer von Gewalt, oder „die Wissenschaft“, sondern für Selbstversicherung vor Leuten in ihrer Privilegienblase. Weiße Akademiker(_innen), die sich selbst aufgrund ihrer Meinungen und Werte als nicht so dumm/verblendet/beeinflusst sehen, wie „die Anderen“. Die Spinner, die Verschwörungstheoretiker, die Nichtwissenschaftler, die Kranken, die Verrückten, die ihres Respektes, ihrer Achtung nicht würdigen Leute.

Hier wollen also Leute, die sich gewaltvoll gegenüber anderen Leuten verhalten, etwas für die Opfer von Gewalt tun. Ja herzlichen Dank, ich verzichte. Egal, wie „fundiert“ ist, was sie formulieren. Egal, wie richtig und wichtig Zweifel und rationale, wissenschaftliche Prüfung bestimmter Aspekte ist.
Wenn das nur passiert, um sich selbst zu versichern und andere Menschen runterzumachen, dann geht es nicht darum, was ~wirklich~ passiert ist oder um den Schutz Gewalt.üb.erlebender, sondern um das, was Gewalt von jeher in diese Welt bringt und darin hält.

Aus dem Grund ist der offene Brief von Webseitenbetreiberin Kreusel so irritierend wie symptomatisch für die Folgen des Opferschutzversuchs der Skeptiker.
Man sollte ja meinen, dass jemand, die_r Verschwörungstheorien gegenüber skeptisch ist, erkennt, wenn sie_r selbst eine produziert bzw. vertritt. Aber nein, offensichtlich verschwören und spinnen in dieser Blase tatsächlich immer nur „die anderen“ auf Kosten Dritter.

Eine nachwievor verbreitete Lüge ist zum Beispiel die, dass es so etwas wie „falsche Erinnerungen“ gibt.
Hier werden zwei völlig verschiedene Komplexe miteinander vermischt und dank einer Medienlandschaft, die es seit Jahren nicht schafft, die bereits geleistete Forschung dazu zu kommunizieren, der False Memory-Truppe und nun auch noch „Skeptikern“ immer weiter am Leben gehalten.
Wie in der Retrospektive der Times beschrieben, ist es nicht schwer – und war es speziell in den 80ern und 90ern nicht schwer, wo es die Erfahrungsgrundlage einfach noch nicht gab – durch bestimmte Fragestellungen und Behandlungsmethoden Menschen dazu zu bringen, bestimmte Dinge als erinnert zu äußern.
Das macht diese Dinge aber nicht zu Erinnerungen. Weder richtigen/echten noch falschen/unechten.

Das aufzuklären passt anscheinend irgendwie nie in einen Skeptiker- oder False Memory-Vortrag von einer Stunde und mehr, zu wohlig anscheinend das Gefühl sich schon seit gut 40 Jahren als letzte Bastion des Rationalen zu inszenieren und sich darin gegenseitig zu bestärken.

In ihrem Brief gibt sich Kreusel als Betroffene zu erkennen, die etwas gegen Behandlungsmethoden machen möchte, die sogenannte „falsche Erinnerungen“ fördern und deshalb die Skeptiker und Vorträge wie die von L. Benecke unterstützt – aber Leuten wie M. Huber, die seit Jahrzehnten an vorderster Front daran arbeiten, dass es vernünftige, passende, bedarfsgerechte Behandlungen für Opfer von Gewalt jeder Art gibt, vorwirft, die Aufklärung zu stören bzw. verhindern zu wollen.

Eine interessante Entscheidung ist das. Sich lieber an weiße Beckys hängen, als an Leute, die allen Widrigkeiten zum Trotz in bald 40 Jahren eine Datenlage erschaffen haben, die erheblich viel schmerzhaftere Schlüsse zulassen als den, dass es „die satanistische Weltverschwörung“ gar nicht gibt und, dass es Menschen gibt, die fabulieren oder lügen, um sich selbst (vor gewaltvoll handelnden Therapeut_innen und Bezugspersonen, also: Autoritäten) zu schützen.

Als Gewaltbetroffene, die mit schwerwiegenden Folgen der Gewalt lebt, ist es ungleich schmerzlicher für mich miterleben zu müssen, wie sich hier um etwas bemüht wird, das zu genau nichts führt, was es mir leichter macht kompetente Traumatherapeut_innen zu finden; was es mir ermöglicht unterscheiden zu können, welche Behandlungsmethoden eigentlich mehr wie Folter auf mich wirken könnten oder, was es mir ermöglicht klar und sicher einordnen zu können, welche Rückschlüsse ich aus meinen Erinnerungen und der Art wie ich erinnere, ziehen kann, ohne fürchten zu müssen, dabei Fehlschlüsse zu machen.

Als Gewaltbetroffene brauche ich niemanden mehr, die_r mir sagt, dass ich niemandem vertrauen kann.
Ich brauche niemanden mehr, die_r mir sagt, dass ich nicht einmal mir selbst vertrauen kann.
Ich weiß schon immer, dass es niemals ich bin, die irgendetwas davon hat, wenn Leute mich für ihre Privilegien und deren Erhalt miss.ge.brauchen oder instrumentalisieren.
Ich weiß, dass die Welt kompliziert ist und niemand jemals da sein wird, die_r sie mir zeigt, wie sie „in Wirklichkeit ist“.

Das sind Wahrheiten, zu denen ich durch meine Gewalterfahrungen gekommen bin und wie sie viele andere Gewaltüberlebende auch in sich tragen. Niemand von uns braucht Skeptiker, False Memory oder inkompetente Psychotherapeut_innen, um uns durch eine („DIE EINZIG WAHRE!!!“) Erklärung der Welt zu schützen.

Aber sie miss.brauchen uns Überlebende, um sich selbst in ihrem gewaltvollen Handeln zu legitimieren und das ist, worauf jeder von Gewaltbetroffenen initiierte Widerstand meiner Ansicht nach fußen sollte.

 

*

** Dieser Text wurde editiert nachdem wir darauf hingewiesen wurden, dass rassistische Diskriminierung nicht in der Form mit ableistischer bzw. saneistischer Diskirminierung gleichzusetzen ist, da sich die ableistische bzw. saneistische Diskriminierung für rassistische diskriminierte Personen als etwas zusätzlich wirkendes und also verstärkend greift.