mit Behörden reden

FassadenimLicht Meine Wahl gegen Gewalt, war eine Wahl für meine Freiheit und damit auch eine Wahl für die Armut. Die Schonimmerarmut und die Position neben einer Welt, die so verheißungsvoll jedem Menschen verspricht: “Du musst nur wollen, dann…”.

Mit Behörden zu reden, heißt im Grunde genommen nichts anderes als Betteln für mich und doch versuche ich immer wieder das Bestmögliche an den passenden Stellen für mich einzufordern. Manchmal, weil ich der Gesellschaft ™ die Aufgabe, sich um alle Menschen in ihr gleich zu kümmern, nicht abzunehmen gedenke und manchmal, weil ich noch diese lichten Momente habe, in denen mir legitim erscheint, dass auch diese Behörden keinen Grund haben, mich wie eine Bittstellerin zu behandeln.
Auch sie sind, ohne mich (und Menschen wie mich) nichts weiter als Menschen mit mehr oder weniger hübschen Büros und einer Auswahl Kugelschreiber.

Seit ich 19 Jahre alt bin, bin ich Jobcenterkundin. Eine Nummer, ein Schicksal, ein Gesicht von vielen.

Das Jobcenter ist die Behörde an der meine gesamte Existenz hängt. Ich bin ihr gnadenlos ausgeliefert und ihr Schatten schlägt sich in allen Belangen meines Leben dem meinen um Längen voraus. Es geht um Leben und Tod und egal, wer mir in Bezug darauf etwas Anderes vermitteln will, soll – mit Verlaub – einfach mal die Fresse halten und selbst 10 Jahre in dieser Armut leben, ohne irgendwelche Rücklagen.

Leben und Tod- diese Dynamik darum, der Kampf, die Notwendigkeit zu überleben, das kenne ich nur zu gut. Meine gesamte Kind- und Jugendzeit drehte sich darum und dort ist ein Punkt, der mich immer wieder triggert, wenn ich Post von dieser Behörde erhalte.

Was bei MedizinerInnen noch so leicht gedämpft werden kann, nämlich die Macht über mich, funktioniert nicht in Sachen Jobcenter.
Dort kann ich mich nur darauf besinnen, dass die Behörde selbst nur ein Verantwortungsdiffusionsbläschen ist und der oder die MitarbeiterIn vor mir, auch nur ein Mensch an einem PC sein kann.

Es ist eine Sachebene, fern aller Gefühle, aller Lebenslogik und auch aller Moral, die hier gepflegt werden muss.

So entschied ich mich vor drei Jahren für eine anwaltliche Vertretung in Sachen “passive Leistungen”. Ich merkte, dass ich den Inhalt der Bescheide, die Aufforderungen und Formulare allesamt kaum wirklich erfassen kann, wenn sie einfach so im Briefkasten landen und alle Handlungspflicht auf mir allein ruht.
Das, was ich heute an Hartz 4- Panik erlebe, ist nichts zu dem, was letztlich ein Innen von uns hervorbrachte: Jedes mal die Angst, es nicht richtig zu machen und dann kein Geld zu bekommen. Jedes Mal die Angst, etwas können zu müssen, was nicht gekonnt wird und in der Folge mit Geldentzug bestraft zu werden. Jedes Mal die Angst zu hören, dass die eigene Hoffnungslosigkeit in Bezug auf ein Leben aus dem Hartz 4 System heraus, bestätigt werden könnte. Jedes Mal ungefilterte Todesängste ohne Netz und doppelten Boden.

So eine anwaltliche Vertretung, wie ich sie habe, ist in meinem sozialen Netz eine Ausnahme. Andere Menschen entscheiden sich für eine gesetzliche Betreuung mit dem Schwerpunkt auf die Vertretung in diesen Dingen. (Hier ein Link dazu)

Doch das Jobcenter hat ja nicht nur einen Armutsverwaltungsauftrag. Es soll ja Menschen auch in Berufe bringen.
Auch Menschen mit grünem Schein.
Mit meiner Schwerbehinderung von 50%, landete ich dann in der Abteilung “Reha und Schwerbehinderung”. Meine frühere Sachbearbeiterin war immer sehr dankbar darum, wenn ich sagte, dass ich “im Moment” und “nicht absehen könnend” nicht fähig dazu bin, eine Vollzeitausbildung in Angriff zu nehmen. Schwupp- Jahresstatistik positiv beeinflusst, lächeln und zack- nächster Termin in einem Jahr.

Letztes Mal war aber alles anders. Auch hier kamen wieder diese Fragen:
“Wer sind Sie?”
“Was wollen Sie?”
“Was kann ich für sie tun?”, diesmal aber von einer fremden, weil neuen Sachbearbeiterin.

Okay- kurzes Schlingern, aber dann!!! Heldeninnencape im Raum herumschwenken!
Ich fragte sie, ob ich mal wild rumspinnen dürfte und sie mir dann sagt, was davon irgendwie im Rahmen ihrer Statuten umsetzbar ist.
(Haaaaaa!)
Nachdem wir das geklärt hatten, fragte sie nach den Einschränkungen, die ich habe.
Ich sagte ihr, dass es nicht nur Einschränkungen in dem Sinne “einfach ein Hilfsmittel dazu und fertig ist der Lack” sind, sondern für mich die Probleme in Sachen Leistungsbeständigkeit in Abhängigkeit meines Umfeldes liegen und, dass ich es einfach nicht schaffen werde, harte Therapiearbeit (und das ist Traumatherapie nun einmal) mit einer Vollzeitausbildung unter einen Hut zu bringen.
De fakto hatte diese Frau keine Ahnung von Traumafolgestörungen oder psychischen Behinderungen ganz allgemein.

Unterm Strich ging ich mit meinem ersten Rehaantrag und einem Gesundheitsfragebogen aus dem Gespräch.
In Behörden redet man eben doch nicht persönlich über sich.

Man redet über Fragebögen, Antrags- und Formularnummern mit einander und trägt so Bitten und Umstände von A nach B.
Es ist dort nicht relevant, wie abstrakt ich das Geschacher um meine Zukunft, mein Leben und dessen Qualität wahrnehme- existenzielle Abhängigkeit hat keine Ziffer.
Selbst Todesangst wird im Jobcenter nur durch immer mehr Videoüberwachung, dicke Sicherheitstüren vor Büroräumen und offenen Beratungszimmern sichtbar.

Ich muss nicht mit Behörden reden.
Ich darf nur nicht vergessen, was ich eigentlich erzählen können müsste.
Wenn ich mehr als nur eine Nummer in einem Aktenschrank wäre.

Multimythos Teil 5: von Multiversen und anderen Abstraktionen

Blasendunkel Was auch immer wieder gut kommt, sind beeindruckende Landschaften. Innere wenn möglich.
Multipelsein hat ja schließlich auch irgendwas mit System zu tun. Mit Persönlichkeitssystem halt.
Also fliegen in meiner Mailingliste immer mal wieder innere Landkarten von einzelnen Menschen herum und bewegen mich.

Zum Einen, weil das, was ich da sehe manchmal echt Stoff für eine Abwandlung der Buddenbroocks oder ein Schema für den gesamten Identitätenauflauf in dem Multiversen von Pratchett oder auch Walter Moers’ Zamonien sein könnte und zum Anderen, weil es mich als jemand ohne so ein umfassendes Bild über oder von seinem Innenleben, wie jemand “ohne Beweis” da stehen lässt.

Es gibt diesen naja- Halbmythos- der von einem linearen “je mehr, desto mehr” ausgeht und entsprechend riesengroße Systeme aus dem Innen zur Folge hat.
Was da dran ist, weiß ich nicht- es sind individuelle und subjektive Selbstinventuren.
Fakt ist: es gib die These der strukturellen Dissoziation und diese stützt sich darauf, dass sich die Spaltungstiefe bzw. der Umfang der Spaltung verändert bzw. spezifiziert, je häufiger es zu traumatischen Situationen kommt, in denen dissoziiert werden muss, um einen Informations/Reizoverload zu verhindern.
So sagt die These auch, dass dissoziative Strukturen entlang bestehender (und neurobiologisch angelegter) Notwendigkeiten entstehen. Sie sind also am Überleben des Individuums orientiert.
So stelle ich mir mein “System” auch eher wie einen Schaltplan vor: Wird an einer Stelle zu viel Strom reingejagt, springt die Sicherung an und leitet den Fluss an die Stelle, die damit umgehen kann oder weniger Verluste zur Folge hat, wenn sie versagt.
Die Systeme in meiner Mailingliste sehen da anders aus und so komme ich zu meiner Dauerschleife: “Abstraktion ist nicht gleich Dissoziation”.
Es gibt Menschen, die sich innere Rollenspiele oder auch ganze innere Welten erschaffen, um mit (durch ein Trauma zu begründende) Überforderung zurechtzukommen.
Sie dissoziieren aber nicht, sondern abstrahieren.
Abstraktion ist auch “Entfernung”- aber eben nicht “Trennung”.
Eine Entfernung zu generieren hat etwas mit Bewusstsein zu tun- man kann nur von sich halten, was man an sich dran hat.

Für mich spielt der Mythos in der Ecke der Alltagsgewalt und seinen Leidvergleichen.
Je mehr Gewalt, desto  mehr Innenleben, desto mehr Leid, desto mehr Verpflichtungsdruck auf dem Außen, sich dessen anzunehmen- sei es mit Aufmerksamkeit, Fürsorge, Mitgefühl, Halt.
Ergebnis: Sicherheitsgefühl durch Bindung- Verbundenheit

Die Realität der Folgen von Mensch-gegen- Menschgewalt hat aber eher die Kette:
Je mehr Gewalt desto mehr Unterwerfung/ desto weniger Bindungssicherheit, um mehr Innenleben zu verhindern, um weniger Außendruck in Bezug auf sich zu empfinden, um zu überleben.
Ergebnis: Sicherheitsgefühl durch Trennung- Autarkie

 

Ressourcen:
eine Folie von Michaela Huber zur Theorie der strukturellen Dissoziation
ein Text von der Internetseite “Traumatherapie Ruhr”, der die strukturelle Dissoziation näher erklärt
ein Artikel zur Alltagsgewalt