inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.