Gestern ist mir bewusst geworden, dass schon 10 Jahre vergangen sind, seit die Autismusdiagnose feststeht. Soweit meine eigene Autism Awareness.
10 Jahre, das fühlt sich komisch an, weil es gleichzeitig viel und wenig Zeit war.
Ich habe einige Texte geschrieben, wenn Weltautismustag war und ich finde sie alle gut. Und wichtig. Sie machen meine Entwicklung, meine Auseinandersetzung nachvollziehbar und ich freue mich darüber, das geschafft zu haben. Auseinandersetzung und Entwicklung.
Als ich „worum es geht“ geschrieben habe, war ich am Ende meiner Arbeit dazu, wie ich so lange nicht als autistisch erkannt werden konnte. Und was das bedeutet. Worum es dabei ging. Warum mir das immer noch weh tut. Was ich akzeptieren muss, während nicht autistische Menschen nichts akzeptieren müssen.
Das Buch war ein guter Schlusspunkt für meine Auseinandersetzung zum Warum.
Jetzt schreibe ich über das Wie. Jetzt kann ich das.
Seit meine Therapeutin und ich den Autismus mitdenken, seit meine Therapeutin besser verstanden hat, funktioniert die Traumatherapie für mich.
Ich habe kein stressbedingtes Fieber mehr nach den Stunden. Ich kann mich an die Stunden erinnern. Ich kann sagen, worüber ich sprechen möchte. Ich kann außerhalb der Stunden ausprobieren, was helfen könnte und meine Erfahrungen damit vermitteln. Ich kann mich körperlich und seelisch fühlen, obwohl es nach wie vor schwierig für mich ist, von ihr beobachtet zu werden. Der ganze Druck über die Möglichkeit, sie in ihrem Eindruck, ihren Annahmen über mich zu enttäuschen, ist nur noch sehr selten da. Und wenn – dann kann ich das sagen. Und in ihrer Reaktion Sicherheit finden. Ich kann sie dann verstehen. Und ihr glauben.
In den letzten Jahren konnte ich mich meinen Traumatisierungen als Erfahrungen widmen. Nicht mehr nur als abstrakt diffuse, eindeutig schlechte, falsche, schlimme, unaushaltbare Symptomquelle. Als Ursprung allen Übels. Sondern als Momente, die mit Empfindungen, Gedanken und Emotionen, mit Ideen und Überzeugungen zu tun hatten.
Das tut mir gut. Ich kann sagen, dass ich an einem Punkt bin, an dem ich mein Leben in die Hand nehmen kann, um es zu befühlen. Nicht wie ein Stück frische Lava, sondern wie ein Fossil. Nicht betäubt von Dissoziation, nicht erschöpft von Vermeidung und Kompensation, sondern von Sicherheitsgefühl ermutigt und gestärkt von inzwischen auch angenehmen Selbsterfahrungen.
Ohne die Kaskade der Klarheit über mich selbst nach der Diagnosestellung wäre ich da nicht angekommen. Ohne die Anpassungen, die meine Therapeutin leistet, erst recht nicht.
Dass ich eine Mitwelt brauche, in der sich andere Menschen an mich anpassen und sich anstrengen müssen, etwas dafür zu tun, dass etwas für mich erlebbar wird – zugänglich, verständlich, möglich, aushaltbar, erträglich – das ist eine brachiale Erkenntnis für mich gewesen. Eine, die ich abgewehrt habe, bis ich bemerkte, dass diese Abwehr ableistisch ist. Und eine Wiederholung. Eine Selbstverletzung.
Ich arbeite inzwischen in einem Inklusionsbetrieb. Der Prozess um diese Stelle und mein Wechsel von der freien Buchwirtschaft dahin hat mir sehr deutlich aufgezeigt, wie umfassend ich mich überstreckt habe, um überhaupt ins Arbeitsleben der Nichtbehinderten zu kommen. Dass ich sehr wohl massive Schwierigkeiten in der Selbstorganisation habe. Sehr wohl Unterstützung bei der Definition und Verteidigung von Leistungsgrenzen brauche.
Dass diese ganze Arbeitsnummer überhaupt nur funktioniert, wenn ich jemanden dafür an der Seite habe. Wenn mein Mann die Kraft hat, meine Kraftverluste zu kompensieren. Wenn meine Freund_innen mich an die Beiderseitigkeit unseres Kontaktes erinnern. Wenn meine Projektfreund_innen mich an die Allerseitigkeit von Verantwortung erinnern und mich dabei unterstützen, nicht in soziale Fallen zu geraten, die mich letztlich ausbrennen.
Für mich ist es nach wie vor ein heikles Unterfangen, meine Behinderung, speziell den Autismus, zu benennen und anderen Menschen zu vermitteln, was ich brauche. Immer noch ist das ein Trauma-Autismus-Mischpunkt.
Ich will nicht stören – tut mir leid, dass ich existiere, ich weiß, das nervt so hart (Trauma)
Ich muss stören, denn nichts hier ist so gemacht, dass mein Existieren kein Problem ist oder zu Problemen führt, die andere Menschen möglicherweise an den Gedanken bringen, dass es besser wäre, ich würde nicht existieren. (Autismus)
Ich wünschte ich wäre unsichtbar (Trauma)
Ich wünschte meine Behinderung wäre sichtbar (Autismus)
Besonders in diesen Momenten – den Momenten, in denen ich es sagen muss, wenn ich meine Selbstfürsorge, meine Gesundheit, meine seelische Integrität ernst nehmen will – brauche ich, dass sich andere für mich mit anstrengen.
Ich brauche, dass sie es nicht persönlich nehmen. Dass sie den Impuls der Abwehr als die Kraft nutzen, die es erfordert, auf mich zuzugehen. Dass sie nicht ihre Selbsterfahrungen in einer ähnlichen oder auch der gleichen Situation zur Grundlage nehmen, um einzuschätzen, wie es für mich ist.
Denn erst dann fühle ich mich nicht mehr bedroht oder gefährdet. Erst dann komme ich in den Zustand, in dem ich selbst überhaupt die Chance habe, mich selber zu fühlen und ganz bewusst zu erfahren, was mit mir passiert. Wie sich das anfühlt, diese Erfahrung zu machen. Was das für eine Erfahrung ist. Wie ich in dieser Situation bin. Nur so komme ich überhaupt in die Lage, die Situation zu erinnern und beschreiben zu können.
Wie umfassend ist, was mir unmöglich wird, wenn ich es nicht sage, macht mich inzwischen traurig. Für mich selbst. Um mich selbst. Obwohl ich auch verstehe, dass mein Crip Privilege da eine Rolle spielt – es ist einfach oft besser so unsichtbar behindert zu sein, weil in unserer Gesellschaft behindert zu sein mit scheiße sein gleichgestellt ist, darüber brauche ich nichts mehr schreiben.
Aber gerade weil ich das verstehe, macht es mich traurig. Denn mehr als Überleben sichert mir auch mein Crip Privilege nicht.
Jetzt, wo meine dissoziative Störung zurückgeht und ich auch mehr und mehr Zugang zu Erinnerungen an meine Jugend und Kindheit habe, wird mir bewusst, was ich für ein Leben hatte bis die Therapie wirklich funktioniert hat. Es war nicht immer schlecht und schlimm. Aber lebenswert halt auch nur bedingt.
Wäre ich kein autistischer Mensch, wäre es sicher ganz anders für mich gelaufen.
Aber wäre meine Umwelt, meine Mitmenschen nicht behindertenfeindlich, dann auch.