Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich eine ganze Portion Dekonstruktion, Abgrenzung und Wut aus Gründen wahr- und mitgenommen habe.
Vielleicht ist mein Anspruch zu hoch, meine Forderung falsch oder ach- vielleicht gibt es eine Art “Fuck off”, das einfach über Dekonstruktion, Findung und Wahrung des eigenen Standpunktes hinausgeht.
Ich weiß gar nicht- bewege ich mich im Alltag in einer queeren Szene? in queeren Kontexten? Offenbar nicht.
Bin ich queer? Keine Ahnung. Aber ich mag queer als Label für mich. Neben anderen.
”Bin ich?”, ist meine Frage. Jeden Tag. Mehrfach. Und absolut ohne Ironie oder philosophische Intension.
Vielleicht war es ein Overload für mich, mich gleich mehrere Tage in eine soziale Umgebung zu bringen, in der vieles? alles? über Awareness (Bewusstsein) und Konsens laufen möchte.
Ich habe gemerkt, dass ich den Wunsch nach kollektivem Bewusstsein mit einer fremden und doch total vertrauten Sprachlosigkeit beantworte. Ich wurde reaktiv, habe öfter als nötig die Luft angehalten, hatte ständig Angst jemanden zu verletzen oder Gewalt unbemerkt zu perpetuieren und am Ende gab es diese Angst die soziale Luft zu berühren.
Natürlich habe ich weiter gesozialt – dafür war ich ja im Sommercamp und immer war es am Ende gut und bereichernd.
Aber die Angst war da und arbeitete in meinem Angstgehirn.
Leben triggert und so auch diese Art zu leben in diesem kleinen Zeitraum.
Ich habe mein Innenleben nicht mehr gefühlt und aufgefallen ist mir das erst, als mich jemand das über Twitter fragte, der auch Viele ist.
“Bin ich noch, wenn ich mein Innenleben nicht mehr fühle?” – eine Frage, die mir erst jetzt mit meinem Bewusstsein für mein Viele- sein möglich ist.
Früher habe ich mich das nie gefragt. Ich “war” einfach und all mein Bewusstsein war nach außen gerichtet. Niemanden wütend machen, Balance im Außen haben, Anpassen, einstellen, re-agieren. Es war egal, ob mein Innenleben schreit und ich mit meinem Da-sein wie eine Art Korken auf einem Vulkan sitze. Ich habe nicht gespürt, was ich mir damit antue und es erschreckt mich, nein- es tut mir leid, dass ich es irgendwann nicht mehr gemerkt habe.
Für mich sind die Politiken, mit denen sich die queere Szene ™ auseinanderfetzt; neben- wie durcheinander und gegenübersetzt eine Welt, die ich mit mehr Entfernung betrachte.
Vielleicht.
Ich hab keine Ahnung. Irgendwie ja, irgendwie nein und ganz irgendwie bin ich selbst doch weder Fisch noch Fleisch noch Sojabratling.
Ich bin bewusst für Diskriminierung, Ausschlüsse, Umstände und Gewalten, Gründe für Gefühle von Verletzung und Einschränkung.
Bilde ich mir ein.
Wenn jemand dekonstruiert oder einfach nur kaputtschlagen mag, was mich zusammensetzt, ist das kacke und ein Übergriff, der unbenennbar ist, weil Dekonstruiertes in der Regel noch nicht kollektiv einheitlich benannt und/ oder bekannt ist. Ergo stellt sich das gleiche Problem, wie ich das lange mit dem Körperteil “Vulva” hatte: Was keinen Namen hat, _ist_ nicht.
Besonders krass trifft mich sowas, weil ich mein ICH als etwas, das ich konstruieren bzw. als Konstruktion wahrzunehmen zum Ziel habe.
Es ist nicht so, dass ich ein Bild von mir (als ein Ich) habe und das nur mal hier ein bisschen und mal da ein bisschen neu sortieren muss oder in einem Kontext neu oder anders positionieren muss.
Vielleicht liegts daran.
Ich hab keine Ahnung.
Ich bin viele Identitätswahrnehmungen- positionierungen- stati und – zustände gleichzeitig.
Vielleicht kam die Angst aus dem Viele gleichzeitig sein- dem alles gleichzeitig passen und genau deshalb wieder nicht passen- sein.
Ich habe den jugendlichen Anarchisten gefühlt, der sich zum ersten Mal irgendwie genau richtig zwischen den Trans*menschen gefühlt hat, und aber gleichzeitig scheiße, weil er meine lila Sneaker und den Jeansrock trug und null zu den Körperpolitiken, feministischer Theorie oder sonst irgendwas sagen oder denken oder meinen oder fragen konnte. Er ist ein Teenager mit Halfcut und selbstgedrehter Kippe im Mundwinkel, der gegen Atomkraft und Kapitalismus ist. Kein queer – feministischer Diskutant, der sich bereitwillig in ein Awarenesshaus setzen würde, um anzuhören, was konkret an seinem Sprachgebrauch oder Sozialverhalten problematisch sein könnte.
Ich hab die Frontfrau und die Hungerkünstlerin gefühlt, die über das vegane Essen und die Körperthemen gestolpert sind und sich inmitten all der Körperpolitik und Selbstbild vs. Fremdbild- Ding zerfaserten, um in Klumpen gegen meinem Frustkummermops am Bauch zu klatschen.
Ich hab mir mein Shabbatgebet verboten, nachdem ich den Aufdruck “GOD FREE YOUTH” unter den Merchartikeln gesehen hab. Er hat mir gefehlt, mein wöchentlicher Moment mit der Schöpfung und dem Ankommen bei mir, als Teil dessen.
Ach da waren so viele kurze Momente, die ich mir alle teils intuitiv und reaktiv runtergewürgt hab, weil klar war, dass sie mit mir allein und einzig meinem (Er-) Leben zu tun hatten und nicht mit der Szene, dem Raum, den Menschen, dem System oder irgendeiner Politik.
Vielleicht komme ich an mir und meinem Stückelselbst zu dem Schluss, dass alle Awareness und Einladung zum Dasein und Ausleben des Selbst nicht funktioniert, wenn keine Grundlage im Individuum selbst ist, auf der ein Standing passieren kann. Wenn ich mich noch so oft und so tiefgreifend fragen muss, ob es mich gibt, ob mein Sein eine Legitimierung fern des Außen hat, ja, dann ist vielleicht auch so ein offener aware-er Raum, einfach nicht der Raum, in dem ich funktioniere ohne in reaktives Unbewusstsein für mich selbst zu fallen.
Vielleicht.