Kinderrechte in der Kinderarbeit

DSC_1595 Heute ist internationaler Tag gegen Kinderarbeit.
Für die KinderarbeiterInnen dieser Welt also ein besonders
gewalt-voller Tag.

Auch in diesem Jahr erleben die jungen Menschen, die mit ihrem oft erbärmlich mickerigen Lohn für oft erbärmlich niedere, körperlich oft nicht altersgerecht belastende, oft lebensverkürzende Arbeiten, manchmal ihre ganze Familie, mindestens doch sich selbst ernähren, dass das, was sie tun verboten ist.
Nicht etwa die Armut in der sie leben. Nicht etwa das niedrige Gehalt. Nicht etwa der fehlende Arbeitsschutz. Nicht etwa, dass ihnen ihr Recht auf Unversehrtheit, ihr Recht auf Wahrung ihrer Würde verwehrt wird.

Kaum ein Themenbereich zeigt so eine Mehrfachbelastung von Diskriminierungen und Kriminalisierungen durch strukturelle Gewalt und weiße Rettungsmoral, wie Kinderarbeit.
In diesem Fall ist der Kapitalismus als treibende Kraft zu nennen, der den Kindern im eigenen Land sowohl die Notwendigkeit, als auch die Möglichkeiten abzwingt zu arbeiten, statt zur Schule zu gehen und mittels höherer Bildung in der Zukunft selbst Arbeitsplätze zu schaffen.
Kinder sind, in vielen Ländern, nach wie vor ohne Rechte und selbst wenn es Rechte gibt, fehlen Verbote, die diese Rechte stärken. So zum Beispiel gibt es in Deutschland das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, der Anwalt bzw. die Anwältin, der ohne Erwachsenen jederzeit und jeder Orts überhaupt für jedes Kind aufsuchbar ist, fehlt jedoch.

2010 hatte die erste Kinderarbeiter Gewerkschaft “Union arbeitender Kinder und Jugendlichen Boliviens” nach einer Verfassungsänderung des Landes, die ausdrücklich jede Gewalt gegen Kinder sowohl in der Familie als auch der Gesellschaft verbietet, einen Gesetztesentwurf zur Kinderarbeit veröffentlicht. In dem Entwurf geht es nicht um die Legitimierung von Kinderarbeit, sondern um einen Versuch neue Normen gegen die Entrechtung und Ausbeutung von Kindern, die arbeiten müssen, zu formulieren.
In einer Gesellschaft bzw. einem Land, dessen Verfassung Kinderrechte an eine Haltung von Mündigkeit und Autonomie geknüpft ist, kann so ein Gesetzesentwurf sogar aktiv gegen die Armut im eigenen Land beitragen.

Wer gut bezahlt wird, braucht nicht viel arbeiten und kann sowohl die Schule besuchen, als auch die Familie ernähren. Wer sich Medikamente, (Kondome), Reinigungsutensilien und Nahrungsmittel kaufen kann, kann von einer höheren Lebenserwartung und einer höheren Lebensqualität sprechen.

Es ist bei aller Fortschrittlichkeit der Kindergewerkschaft Boliviens durchaus kritisch zu betrachten, dass eine Anerkennung von Mündigkeit und Autonomie in Bezug auf kapitalistische Verwertungsdynamiken passiert, die als Ursache für Armut und damit der Arbeitsnotwendigkeit zu stehen hat.
Andererseits ist zu bedenken, dass in gesellschaftlichen Strukturen ohne gesellschaftliche Verbundenheit durch Anerkennung der Unantastbarkeit von Würde, Recht und Gesetz für alle Menschen gleich, so wie allgemeiner (Versorgungs-) Autonomie aller Individuen, auch kein Raum zur Veränderung entstehen kann.

Kinderarbeit ist genau dort ein Problem, wo Kinder ohne Rechte sind.
Kinder als so schützens- und achtenswert wahrzunehmen, wie es im weißen (christlichen) Kulturraum üblich und etabliert ist, hat mit Luxus zu tun, der genau dort erwirtschaftet wird, wo kein Luxus herrscht.
Dies weder zu benennen noch als Ursache zu bezeichnen, gerade an einem Tag, der sich mit Kindernot auseinandersetzt, ist ein Versäumnis, wie Marker der Rettungsmoral westlicher Kulturen, die ebenfalls mindestens indirekt (wirtschaftlich) davon abhängig ist, dass Kinder keine Rechte haben.

So bleibt bei allem positiven Charakter sich der komplexen, kaum einseitig abbildbaren Thematik zu widmen, die Fragen, warum Kinderarbeit immer wieder und immer noch so isoliert von kapitalistischer Ausbeutung auf Kosten “armer” Länder und von der Mehrfachdiskriminierung betrachtet wird, der Kinder sowohl in armen, als auch in reichen Ländern ausgesetzt sind.

Pinocchio und mein Unverständnis

Ja, ich habs mit Disney… dies gleich mal vorweg.
Ich möchte aber mal sagen, dass das eigentlich nicht soviel mit dem Label oder der Marke an sich zu tun hat, sondern mit dem Image und der Rolle, die ich in bzw. hinter diesem Namen sehe.
Ich möchte nur mal draufzeigen und offen hinterfragen

Ich versuche die (für mich neue und fremde) Welt  zu verstehen, in der ich nun lebe- also stelle ich Fragen. So auch bei der Geschichte des kleinen Holzkopfes- oder wie wir ihn vermutlich alle kennen: des “Pinocchios”.

Eigentlich begann die Frage mit folgender Begegnung.
Wir haben einen männlichen Kontakt der uns erzählte, dass seine Tochter klar wann immer sie will und es braucht, bei ihm im Bett schlafen darf und deren Freundinnen auch. Klar- oh wei oh weh- sowas darf er natürlich niemandem sagen- wie das schon klingt: “Ich habe meine Tochter mit in meinem Bett gehabt, (deshalb hatte ich so wenig Schlaf und sehe aus wie ein Zombie aber danke der Nachfrage- ich hoffe auch, der Wachstumsschub ist bald durch und das Kind braucht mich nicht mehr so oft auf diese Weise…)”
Mir fiel dabei auf, dass es alleinerziehende Väter oder auch einfach die Väter nach einer Scheidung allgemein echt schwer haben ( auch in ihrer Position- nicht nur allein als Mann “an sich”). Ständig beäugt “ob da nicht doch was im Busche ist”, immer wieder in ihren Kompetenzen hinterfragt und kritisiert. Furchtbar! Als ob Mütter von Natur aus, ihre Tochter nie in ihrem Bett  vergewaltigen könnten oder in der Erziehung absolut und immer das super Händchen haben!

Naja und dann ging es weiter in meinem Kopf und ich dachte: Wieso hatte eigentlich niemals jemand den Wunsch von “Meister” Gepetto hinterfragt, einen echten Jungen zu haben? (Und by the way- wieso finden es alle so normal, dass ein “Meister” (da isser wieder) Eder einen männlichen kleinen Kobold und Petterson eine sprechende männliche Katze bei sich wohnen hat?)
Was ist das für ein Typ der sich ne Puppe bastelt, sie “Holzkopf” nennt und sie gern lebendig hätte?

Puppen sind das älteste dem Menschen nachempfundene Objekt mit dem sich selbige befassen. Erst als Kultobjekt und dann als Spielzeug. Auch eine seltsame Wandlung, nicht wahr? Ist es nicht schon ein Anzeichen sich selbst erst in Stellvertretung (als Art oder Wesen der Natur) zu vergöttern und dann zum Spielzeug zu degradieren?
Seit wann sind Puppen- stumpfe, tumbe, dumme, stumme, als Projektionsfläche für alles und Jeden geeignete Gegenstände- reine Kinderspielzeuge?
Meine Antwort bis jetzt lautet: Seit es nötig, möglich, allgemein anerkannt und gewollt ist Kinder stumpf, tumb, dumm, stumm und als Projektionsfläche für alles und Jeden zu miss- ge- brauchen!

Ein Meister Gepetto fühlte sich einsam (mehr wollen wir ihm mal nicht unterstellen!) und schnitzte sich ein Ebenbild, um einen Ansprechpartner zu haben. Er wünschte sich eine Antwort und zack, kam eine Fee herein, machte den ungehobelten Holzkopf zu einem Wesen das immerhin in der Lage ist zu denken, sich ein Urteil zu bilden und sogar zu sprechen!
Doch die Verantwortung zur vollständigen Erfüllung des Wunsches seines Erschaffers wird dem Kind aufgedrückt.
Damit es ein echter Junge wird, muss es lernen Recht von Unrecht, gut von böse zu unterscheiden, immer schön brav sein und zur Schule gehen. Es darf nicht faul sein, es soll immer gehorchen… Es soll möglichst stumpf zur Schule gehen, dumme und tumbe Arbeiten verrichten, stumm allen Wünschen der Erwachsenen gehorchen und dabei immer ganz genau so sein, wie es der Erwachsene der vor ihm steht gerade in diesem Moment erwartet.

Wer schon einmal in die Familienstrukturen geguckt hat, in denen (sexuelle) Misshandlung geschieht, der kann sich spätestens jetzt beantworten welche Ansprüche genau diese Art von Gewalt begünstigen.

Pinocchio ist wunderbar renitent und frech zu Beginn und weil er seinen “Meister” so liebt und ihm gerne jeden Wunsch erfüllen möchte, tut er alles was ihm mit seinen begrenzten Mitteln und Fähigkeiten möglich ist. Im Disneyfilm schauen wir der weniger krassen Variante der Unterwerfung eines Kindes zu, als noch in dem Buch beschrieben wird.
Wir sehen wie leicht es ist Kindern einzureden was Erwachsenen gefällt. Was Erwachsene sich wünschen. Was man alles muss und was man alles nicht darf um Erwachsenen zu gefallen. Und wir sehen auch was Erwachsene alles dürfen. Das Ende des Films zeigt einen echten Jungen. So wie Erwachsene ihn wollen.
Toll ganz toll.

Nun darf mir gern entgegenhalten werden, dass der Disneyfilm von 1940 und die Bücher von 18hundertschießmichtot sind. Angeschaut werden sie aber noch heute!
Und noch heute ist es so, dass Kinder nicht (oder mindestens nicht genug) danach gefragt werden, was sie gern möchten! Was sie für sich brauchen. Was sie für sich schön und angenehm finden und was nicht. Und wenn doch richtet sich kaum jemand wirklich danach!
Und wenn die Eltern sich dann doch (auch) danach richten, dann sollen sie das bloss nicht zu oft machen, weil sie damit die Kinder ver-ge- wöhnen, ver- er- ziehen, sich angeblich nicht genug Respekt verschaffen, die Kinder ihnen irgendwann auf der Nase herum tanzen… Ihre Kinder angeblich keine normalen, ehrlichen, aufrechten, klugen Erwachsenen werden.

Wie kommt es, dass sich viele viele Menschen den Film angesehen haben und nachwievor der Meinung sind, Kinder würden sich aus den Wünschen und Hoffnungen der Erwachsenen nichts machen?

Und für mich, als inzwischen erwachsenes Opfer von sexueller Misshandlung, bekommt diese Frage noch eine weitere Schleife, nämlich:
Wie kann es sein, dass tausende Menschen sehen wie ein Pinocchio sich aufopfert um seinem Meister zu entsprechen- ich aber gefragt werde, wieso ich gegenüber meiner Mutter oder meinem Vater nie gesagt habe: “Nein- ich will keinen Sex mit dir haben!” ?