surreal

IMG_20140107_090507 Langsam kroch das Licht ins Zimmer. Schnitzte Umrisse schärfer, nuancierte Farben, verkündete den neuen Tag.
Ich hätte mir gewünscht, dass jemand bei mir ist.

War das echt? Dieses Gestern?
Wann spürte ich, dass es ein Kampf auf existenzieller Ebene wurde und diesen Kampf, mit den üblichen Empfindungen von Endlosigkeit inmitten der Krise, abgelöst hatte?

Ich hatte ein Zugticket gekauft.
Fühlte mich selbstsicher und stark, weil ich es geschafft hatte, eine Fahrkarte zu kaufen, die mich nicht “nach Hause” brächte. Weil ich mit einem Bahnmitarbeiter sprechen konnte. Weil ich sagen konnte, bezahlen konnte, machen konnte, was ich wollte.
Ich überlegte im Rausgehen, wo die kleine gelbe Eule hängen könnte. Wann ich die Ohrringeulen wohl tragen könnte.

Und dann trat ich wie Hans- guck- in- die- Luft in ein schwarzes Wurmloch und strudelte in der Art Angst, die mit Schweißflecken und Zittern einhergeht, zurück in die Innenstadt. Konnte nicht abrufen, wo ich war. Schickte meine SOS Signale durchs Handy. Ließ das Batsignal über den Himmel streifen und heulte in vielstimmigen Sirenen in den Äther.

Waren das Minuten oder Stunden? In welchem Intervall zerfaserfloss ich dort zwischen Spiegelwand und Juwelier? Wie lange kann ein Mensch in der Fußgängerzone still herumstehen, bis er auffällt?

“Sie hat gesagt, sie hat artig da im Wartezimmer gewartet und niemanden gestört. Hat sie sich da reingeschlichen oder wie war das?”. Es war die laute Gemögte. Die starke mutige, missachtende, die eigentlich irgendwie doch gar nicht mehr so richtig gemögt ist. Aber irgendwie doch. Oder nicht? Oder? Und wieso fragt sie mich, was ein anderes Innen wie gemacht hat, wenn doch sie die Quelle ist, die mir etwas sagen muss?
Es ist surreal.
Der arme Mensch im Wort „Therapeutin“.

Alles, was wir an dem Abend taten, war surreal.
Schmerzen, Muskelkrämpfe, beißender Dursthunger, Putz- und Spülmittel, Katzen, die ihre Köpfe schnurrend in meine Hand hineindrückten, NakNak* die ängstlich und verwirrt an meiner Seite war, eine wabbelige Körpergrenze und der dringdrängend notnötigende Zug zum Fenster. Später zu den Messern im Abwaschwasser.

Sie versteht die Bezeichnung “Gemögte” nicht.
Dabei war sie doch der Grund, weshalb wir nicht mehr von “FreundInnenschaften” sprechen.
Sie findet die Bezeichnung blöd.
Meine echten Gemögten mögen es.

Sie drängte zu trinken und zu essen.
Und ich war dankbar um diesen Druck von außen. Ich hatte schon lange weder gegessen noch getrunken.
”2 Tage sind schon gefährlich!”, hatte sie geeindringlicht und verständnislos den Kopf geschüttelt.

Was hätte ich ihr mehr sagen können als, dass ich das weiß? Es ging eben nicht. So einfach.
Mitternacht war es dann, als sie mich dann zu Hause absetzte.
Nicht einmal fragte, wie es mir inzwischen ginge.
Ob der Zug zum Fenster noch da sei.
Früher hätte sie gefragt und keine Antwort gelten lassen. So oder so, hätte ich bei ihr schlafen müssen.
Früher.
Wann ist das Früher zu Ende gewesen?

Mir tut jedes Wort, jeder Gedanke weh.
Trotzdem muss ich schreiben.
Muss ich sortieren.

“Ob das eine Art selbstverletzendes Verhalten ist?”, klirrte ein Gedanke auf den Boden und scheppert metallisch lachend von links nach rechts.

Ewigkeit

“Hallo?”
-“…” Anlauf… Druck- Atem im Gaumen ballen, Zunge formen
”C.? Seid ihr das?”
– “…” Anlauf… Luft zusammenpressen-  Luft woher? Zu was soll es werden?
Mehr als ein ersticktes Schniefen kommt nicht raus.
”Ich schick dir eine SMS, halte das Handy ans Telefon dass ich höre, dass sie da ist, ja? Wir haben das abgesprochen, damit ich weiß dass ihr das seid, okay?”

Das Mädchen steht im Arbeitszimmer als das Mobiltelefon auf dem Tisch vibriert.
”Ah ich höre es, okay.” Es raschelt am anderen Ende. “Wer ist denn da? Kennen wir uns schon?”
– “…” sie atmet ein, spannt alles an und würgt doch nur leere ungeformte Luft hervor.
”Hast du Angst? Was ist passiert?”, mehr zu sich als zu dem Kind sagt sie: “Ihr seid sicher.”

[Nein kann ja gar nicht sein, ich hab grad… da war grad ich hab doch gesehen… da ist doch… kann doch wieso sicher… ist doch nicht sicher wenn… da ist doch!!! Weißt du da… da da daaaa da…!!!]

“Traust du dich in die Küche? Im Frostfach ist eine Tüte mit Suppengemüse- leg dir die mal auf den Bauch.”

[Ich… und wenn da… und was wenn… ich nein ich beschütz mich doch da ist… und wenn ich jetzt sterbe was wenn… ich hab doch… da ist doch…  ich kann nicht]

“Ich ruf sofort die Polizei und H. an, wenn ich höre, dass was passiert! Fest versprochen! Dann kommen sie alle zu euch und helfen euch. Das geht ganz schnell. Die sind dann in ein paar Minuten da. Versuch mal in die Küche zugehen. Das Kalte hilft dir vielleicht. Du bist ja ganz außer dir.”

Ich kralle mich in ihre Worte, die Sicherheit der Gemeinsamkeit- höre sie durch Nebelwatte und kann fast lachen. Denn ich bin außer ihr. Ich stehe daneben, schwebe um diese Szenerie.

Ich nehme einen der Fäden auf, der von dem Mädchen herunter hängt und ziehe es in die Küche, lasse es in das Frostfach fassen. Halte ihren Arm damit sie das Telefon nicht fallen lässt.
”N.? Ich könnte mir vorstellen, dass du irgendwo mit bei euch herumschwebst und mich hörst. Kannst du versuchen etwas zu sagen?”, sie wartet und ich fühle mich ertappt. Plötzlich bin ich unsicher- nicht wegen der Situation, sondern wegen der Sicherheit mit der sich eine Außenstehende in unserem Sein bewegt.
”Nicht vergessen- nicht die Hand im Eisfach liegen lassen. Nehmt lieber das Gemüse in die Hand und legt euch die Tüte auf den Bauch.” Ich höre wie sie sich in ihrem Bett zurechtwickelt und werde erst jetzt gewahr, dass es halb 5 am Morgen ist. Die Arme…

“Gehts? Kannst du langsam was sagen?”
Die Nebelwatte löst sich unter dem Eis auf, die Dämme brechen.
Das Mädchen weint und weint und weint.
Ihr hemmungsloses Schluchzen wird zu einem Damm um sie herum. In solchen Fluten würde ich ertrinken. Alles was ich machen kann ist warten und es sich leerlaufen lassen. Ich versuche das Innen zu lichten. Eine Hilfe für sie zu finden.
”Ja… wein dich aus… ist okay. Ich warte.“

Anlauf… Luft… eine Form im Kopf wird zur Form im Mund… wird zum Wort… Absprung
Sie spricht.
Sie wird getröstet, beruhigt, im Heute orientiert.
Sie löst sich auf und wird zu einem der kleinen Herzen, dass in der Brusttasche von jemandem behütet wird.

“Hm, bist du noch da?”
-“Ja, ich bin da.”
”Na? Lust auf Suppe heute Abend?”
-“Hm?”
”Das Gemüse müsste jetzt langsam aufgetaut sein.” sie kichert.
-“Entschuldige.” Ich versuche den Körper irgendwie zu sortieren und die Tüte wieder ins Frostfach zu legen. “Ich weiß nicht, wieso wir so zerfallen im Moment. Mehr als Wahlwiederholung ging nicht.”, ich wische das Gesicht frei und atme durch.
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”Es ist okay- wirklich! Ich hab da schon was im Kopf, wieso das alles grad so krass ist. Aber ich bin keine Expertinesse- ihr müsst das mit eurer Seelenfrau unbedingt irgendwie auf die Kette kriegen. Wann ist wieder Termin?”
– “Donnerstag”
”Oh man…das ist ne Ewigkeit in Kinderrechnung”

Ja…
oh man
Das ist es auch ohne Kind zu sein.