„Ich muss Termine absagen und hab am Mittwoch einen verpasst. Und jetzt übe ich mich in Hirnhass.“. Ich sitze am Fenster und gucke jemand anderem zu, wie er meine Lunge verpestet, während wir telefonieren.
„Warum musst du die Termine absagen? Ist was passiert am Mittwoch?“.
Ich bin unschlüssig. Was ist passiert? Ist das wichtig? Bin ich wütend auf mich und mein Kopfinneres, weil ich die Termine absagen muss, oder, weil ich nicht verhindern konnte, dass passierte, was halt war?
Ich erzähle vom verpassten Jobcentertermin, dem Fehlen bei einer Feier, zu der wir eingeladen wurden, und der Absage zur verabredeten Dokumentenübergabe. Will nicht zugeben, dass ich mich matschbrösligwund und eklig fühle und ganz eigentlich nur in meine Höhle zurück will, um die Welt auszuschließen.
Sie sagt, es sei okay, solche Termine abzusagen. „Und wegen dem Jobcenter braucht du, glaub ich, auch keine Angst haben. Ihr wärt nicht da, wenn ihr nie Panikattacken aus heiterem Himmel hättet.“.
Ich weiß das alles. Weiß es und könnte trotzdem ausrastplatzschreien. Wieso hab ich mich nie im Griff, wieso hört mein Kopf nicht einfach auf mit diesem Mist, wieso sind 14 Jahre um und ich eigentlich nur in einer aufgehübschten Version dessen, was ich damals schon für Schwierigkeiten hatte?!
„K.? Bist du noch dran oder schluckst du grad deinen Hirnselbsthass runter?“.
-„Hirnhass… mee.“, ich atme durch und verbinde die Pfützen, die der Regen auf meiner Fensterbank hinterlassen hat. „Ich will, eine andere Normalität leben.“.
Sie holt ihre Sozialcheerleaderpompons raus und fängt an damit herumzuwedeln. Irgendwo innen spüre ich eine Dankbarkeit darüber, während mir Krätzepickel auf den Gedanken wachsen.
Ich hatte mich auf alle Termine gefreut. War neugierig, was sich beim Jobcenter für uns ergeben könnte. Immerhin stand in dem Brief, dass wir uns über meine „berufliche Zukunft“ unterhalten wollten. Als gäbe es sie, als hätte ich eine Chance darauf. Eine echte. So wie beim Lotto.
Ich hatte mich auf die Einweihungsfeier gefreut, mich auf interessante Gespräche und neue Kontakte eingestellt. Ich hatte mich auch darauf gefreut, die Dokumente zu übergeben, weil wir die Hundewelpen auch gleich noch besuchen hätten können.
Und nur mein scheiß Gehirn stellt mir ein Bein und lässt mich kopfüber in die 90 er plumpsen, von denen ich weder wissen noch fühlen will und ewig nichts von mir abgekratzt bekomme.
„Ich will nicht „irgendwann“. Ich will jetzt!“. Krätzepickel geplatzt. Scheiße.
– „Ich weiß, aber „Jetzt“ ist grad anders. Ich sag ja auch nicht, dass du dich damit abfinden musst, aber mit Aufstampfen und bockigem „Ich will aber“, gehts auch nicht- merkst du doch.“.
„Hrrr… mee.“. Widerrede kommt mir sinnlos vor und mehr als das, was ich schon gesagt habe, fällt mir auch nicht ein. Vorsichtig rette ich eine Fruchtfliege vor dem Ertrinken auf meiner Fensterbank. Ich habe einen Kloß im Hals und stelle eine Ähnlichkeit zwischen mir und meinen Krätzepickeln fest.
„Weißt du was? Ich komme jetzt vorbei und wir frühstücken, ja?“.
– „Ich bin grad ein wandelnder Krätzepickel.“.
Sie lacht. „Aha. Und? Ich sitze trotzdem gerade hungrig in meinem Bett und will euch besuchen, um zu frühstücken.“.
Ich weiß, dass ihr egal ist, dass es hier aussieht, wie unterm Eumel, der sich unter Hempels Sofa gesammelt hat. Dass es ihr egal ist, wenn wir immer noch im Schlafpanzer und mit Medusenhaarrestfrisur die Tür aufmachen und auch, dass ich unter ihren Händen zerfasern könnte.
-„Ich will nicht, dass dein Samstag mit Rosenblätterrettung anfängt.“.
„Weiß ich. Aber eigentlich hat er das doch schon längst. Pass auf“, ich höre, wie sie aufsteht und ihr Bett macht, „Du schreibst jetzt die Absagen und fängst mit deiner hektischen Putzerei an und wenn ich da bin, gucken wir zusammen, ob du sie abschickst oder nicht. Okay?“.
– „Okay.“.
Ich putze hektisch, tippe schnell und denke, dass das alles scheiße ist, als ich die Wohnungstür aufmache. „Weißt du, früher hätte man sich eine Pestmaske oder sowas aufgesetzt, bevor man Seuchenherde besucht.“. Sie grinst mich an. „Du verseuchst nur dein Inneres. Ich hab meine eigenen Seuchen.“.
„Und offenbar keine Angst vor Konversionsmutationen.“.
Sie lacht.
„Komm, soll ich dir mal die Haare kämmen? Das sieht nicht aus, als wenn du das schnell alleine schaffst.“. Sie mag unsere Haare. Eigentlich will sie sie nur kämmen, weil sie das schön findet und nicht, weil sie denkt, ich könnte dieses Gewusel auf meinem Kopf nicht allein bändigen.
– „Von mir aus…“. Ich drücke ihr die Haarbrüste in die Hand und setze mich auf den Küchenstuhl vor dem gedeckten Tisch. „Aber erwarte nicht, dass ich zu schnurren anfange.“.
„Quatschkopf“, sie grinst und beginnt mit den Spitzen.
Irgendwann fühlt es sich an, als würde sie mir den Kopf streicheln.
Später sitze ich vor einem Haufen nasser Taschentücher, von denen ein ekelhafter Kopfgestank ausgeht.
Sie schickt die Emails, die noch offen auf dem Laptopbildschirm sind, ab und fragt, obs jetzt geht.
„Ich fühl mich noch ekliger als vorher. Scheiße und jetzt auch noch schwach.“.
– „Diesen Krätzepickel kriegt man auch nie weg, oder?“.
„Ich hab keine Ahnung. Vielleicht ist es auch einfach wahr und ich bin nur zu stolz das anzunehmen.“.
Sie holt ein Brötchen aus der Tüte und legt es mir auf den Teller. „Nimm erst mal das hier an. Mit vollem Magen zerfleischt es sich besser.“.
Jemand spießt das Gebäck mit dem Messer an der Seite auf und fuchtelt damit vor ihrer Nase herum. „Wieso bist du eigentlich immer hier, wenns jemand scheiße geht? Findste das geil oder was?“.
Sie schiebt die verkorkte Messerspitze von sich.
„Nein.“.
Sie lässt die Antwort einfach in uns reinfallen und die Abwehrhaltung, wie eine Brausetablette auflösen.
Wir essen eine Weile schweigend. Draußen nieselt es noch immer und NakNak*s Sabber tropft in langen Fäden auf das Laminat.
„Du hast nicht versagt, K.“.
Entdecke mehr von Ein Blog von Vielen
Subscribe to get the latest posts sent to your email.