note on: Nazis boxen

Irgendwo zwischen dem 14ten und 15ten, vielleicht auch noch 16tem Lebensjahr war ich ein Naziklatscher.
Das war nichts Besonderes. Da, wo ich gelebt hab, hängen die NPD-Plakate auch heute noch kilometerweit und über 3 Meter hoch an den Straßenlaternen.
Nazis klatschen war wichtig und richtig. Egal, ob man nun in irgendeiner Form politisiert war oder nicht.

Ich saß mit den Leuten aus der örtlichen sozialistischen Jugendorganisation zusammen, rauchte meine ersten Zigaretten und versuchte mich in dem ganzen Ding zu finden, obwohl nicht mal wusste, wer ich bin.
Dann ist mein Leben zerbrochen in Vorher und Nachher.

10 Jahre später saß ich in einem Leben, in dem Nazis klatschen keine Rolle mehr spielte.
Wir wohnen in einer Stadt, in der es normal ist, wenn Leute nicht in Deutschland geboren wurden oder deren Eltern gerade neu nach Deutschland gezogen sind. Hier ist die MLPD radikal, die Sticker der Identitären eine jugendliche Verirrung und die Antifa die Leute, mit denen man sich verbündet, wenn eine Demo für mehr Vielfalt passieren soll.

In den 10 Jahren, die mir mehr oder weniger fehlen, hat sich das, was in meinem Leben eine total banale Rolle gespielt hat, zu etwas entwickelt, was alles andere als banal ist: Gewalt
Keine Panik, das wird jetzt hier kein “früher hab ich draufgehauen, heute bin ich Pazifist und deshalb find ich Nazis klatschen scheiße- Text”, aber es wird eine mit.geteilte Perspektive.

Ich konnte Nazis gut klatschen, weil ich es kannte geklatscht zu werden und mir kein Leben vorstellen konnte, in dem diese permanente Drohung nicht da war. Die Ungerechtigkeit mit der die Gewalt an mir passiert ist, konnte ich niemals 1 zu 1 zurückgeben, umwandeln oder in irgendeiner Form überhaupt mehr als nur wahrnehmen.
Da war mir jemand total überlegen und das war nie anders.

Nazis gegenüber hab ich mich überlegen gefühlt. Ihr Hass, ihre Menschenverachtung erscheint mir noch heute wie eine Schwäche, für die sie sich schämen sollten. Ihre Selbstdarstellung als tiefgekränktes Wesen, das sich nur selbst verteidigt, erscheint mir erbärmlich und manipulativ. Ich verachte sie dafür so zu denken, zu sein und alles das als Wahrheit zu kommunizieren.
Für den Fall, dass das nicht offensichtlich ist: Ich verachte Nazis für das was sie tun. Was sie glauben und wie sie sich selbst präsentieren. Sie selbst als Personen sind davon nicht komplett getrennt, aber doch: da sind Dinge an Menschen, die Nazis sind, die ich nicht verachten will, weil ich sie für mich als universell erarbeitet habe.

Für mich, als Teil eines uns, ist es nämlich so:
Um zu verarbeiten, dass das, was uns passiert ist, Gewalt war und damit nicht banal oder okay, mussten wir uns erst einmal als etwas annehmen, das ein Mensch ist. Ein Mensch, für den so etwas wie Würde und Menschenrechte ein Ding ist auf dem beruhend für sich selbst eingefordert werden darf, gefälligst nicht geschlagen, getreten, geboxt, geklatscht, ausgenutzt und verwertet zu werden.

Für uns ist das eine echt massive Stütze heute. Das ist nichts, was wir mal eben zur Seite tun können oder von dem wir sagen: “Och ja, mal hier oder da brauchen wir das nicht so ernst zu nehmen.”. Es gibt für uns absolut keine Ausnahme von diesem Grundsatz mehr. Vor niemandem.

Das bedeutet auch, dass wir selbst von uns abverlangen, niemanden mehr nicht auch als Mensch zu sehen und zu begegnen. Es bedeutet für uns, dass wir niemanden mehr schlagen, klatschen, boxen, treten, ausnutzen oder verwerten, nur weil wir das können. Denn, dass es so ein Miteinander braucht, um für sich selbst an diese Selbstverortung zu kommen, haben wir selbst gelernt.

Wir verstehen Antifas und bPoc und natürlich auch alle anderen Personengruppen, die sich unter all der Gewalt, die ihnen von Nazis entgegengebracht wird, aufrichten und darüber empowern, dass Nazis alle Schweine sind und geboxt gehören. Ich verstehe diesen Dreh echt so gut.

Aber für mich, für uns, ist das vorbei, weils vorbei sein muss.
Ich hab keine Ahnung, wie man Nazimobs, wie zuletzt groß in Chemnitz, stoppen soll, ohne sie k.o. zu boxen oder noch mehr Bullen zu fordern. Man kriegt diese Leute nicht weggekuschelt oder durch symbolische Gesten von der Irrationalität ihres Hasses überzeugt. Das ist mir total klar und ich sehe es auch nicht als sinnhaft an, sich das als Linke_r einzureden.

Gleichzeitig denk ich manchmal aber auch, was für ne Scheiße das ist, wie oft ich mich deshalb oft nur noch schweigend und scheinbar genau zwischen links und rechts wiederfinde.
Aus den linken Reihen werd ich fürs nicht boxen und Menschlichkeit nicht außer Acht lassen wollen, verhöhnt, kritisiert und zuweilen ausgeschlossen und von den Rechten für meine Ablehnung von Menschenhass und Nazitum bedroht. Ja geil – hier wollt ich niemals hin: in diese stumme starre Mitte, die tumb und plump zu nichts zu gebrauchen ist.

Und was für mich noch dazukommt, ist die Erfahrung sowieso nie für irgendeine Seite (wenn man überhaupt von Seiten sprechen kann – links und rechts sind einfach mal keine zwei Pole der Politik, sondern Punkte eines Spektrums) “zu gebrauchen” zu sein.
Es ist ja nicht so, dass die Linke so hammer offen ist für traumatisierte, behinderte Leute, die als Frau gelesen werden, aber doch nonbinary sind. Die deutsche Linke ist so so oft überhaupt 0 die Speerspitze für Menschenrechte, Gleichberechtigung und hastenichgesehn, für die sich selbst hält. Manche linkspolitischen Gruppen sind an der Stelle nicht besser oder anders, als jede beliebige als “unpolitisch” bezeichnete Gruppe, die sie so verachten.

Überhaupt geht mir die Verachtung von Linken, für die “gegen Nazis sein” das Kernding des Antifaschismus ist, dermaßen auf den Sack.

Du bist kein Antifaschist, wenn Nazis klatschen alles ist, was du machst.

Faschismus ist ein Herrschaftsbegriff. Da gehts um Strukturen, um Herrschaft, um Machtfragen.
Natürlich kannst du deine Machtfragen mit der Faust klären oder über Autoritätsgebaren wie der Ausübung von Definitionsmacht oder Deutungshoheiten über diverse Dinge lösen. Keine Frage.
Aber alternative Strukturen werden darüber nicht auch wachsen.
Ich mein – mal ganz pragmatisch – du hast einen Nazi geklatscht und dann?
Ist dann die Gesetzgebung eine andere? Sind Waffen made in Germany nicht mehr in das Ausland ausgeliefert, aus dem Millionen von Menschen jetzt flüchten müssen? Sind Geflüchtete, bPoc und alle anderen marginalisierten Gruppen, die du mit deinem Naziboxen schützen, retten, empowern willst dadurch in ihrer Selbstvertretung gestärkt? Also bei mir läuft hier kein Zähler, der mir sagt: “Noch 200 geklatschte Nazis und dann gibts echten Schutz für Leute, die welchen brauchen”.

Ich hatte vor ein paar Tagen einen Twitteraustausch mit jemandem, die_r @kriegundfreitag für seine Strichmännchen-Aktion kritisiert hatte. Der Cartoonzeichner hatte angekündigt, für jede 5€, die gespendet werden, ein Strichmännchen in einer Kette zu zeichnen. Die Spenden gehen an den Sächsischen Flüchtlingsrat.
Wir unterstützen die Aktion, weil sie einer Organisation Geld einbringt, die für die Selbst_Vertretung einer Gruppe da ist, die sonst keine Lobby hat. Nicht, weil ich Strichmännchen oder den Künstler so toll antifaschistisch finde oder glaube, dass diese Aktion irgendwas gegen Nazis macht.

In dieser Auseinandersetzung formulierte ich: Diese klar linke Aktion tut etwas für etwas, wogegen Nazis sind und das ist meine Art heute links zu sein und links handeln: linksalternative Strukturen aufbauen und stärken, linksalternatives Verhalten einüben und vor_leben.
Das mag zuweilen bürgerlich wirken, weil Bürgerliche sich da oft auch schön drankuscheln können, aber fuck it – was solls. Es trägt vielleicht zur Stärkung auf einer Ebene bei, die von Geboxe und physischen Straßenkämpfen nicht berührt wird. Mir sind linkskuschelnde Bürgerliche lieber, als rechtskuschelnde.

Als Letztes will ich noch sagen, dass ich Linke, die gerne Nazis boxen möchten, nicht davon abhalte, das zu tun.
Ich würde einen mich oder andere Leute boxenden Nazi auch zurückboxen, wenn ich das in dem Moment auf die Kette kriege.
Aber ich suche keine Situationen mehr auf, in denen das der Fall sein könnte.
Und das muss meiner Ansicht nach legitim sein und als Teil des linken Aktivismus anerkannt werden.

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