und wenn ich älter bin?

Vielleicht liegt es auch an meinem Alter, dass ich es als heuchlerische Kackscheiße empfinde, wenn sich meine HoffnungsträgerInnen* und vielleicht auch Vorbilder als elitäre Scheinbilder entpuppen.

Ich bin ja eine von denen, die nicht genau weiß, wie das so läuft, wenn man sich zu einem Status hingearbeitet hat.
Konnte ja noch nie arbeiten.

Ich hab keine Ahnung, wie man sich richtig verkauft.
Obwohl schon genug Menschen für ein Stück von mir bezahlt haben.

Immer wieder lese ich davon, dass Maßnahmen zur Inklusion meiner Person mit Kosten verbunden sei.
Aber wenn ich an Gruppen, Verbände, Gesellschaften, Organisationen und Vereine, Universitäten und sonstwie engagierte Menschen herantrete und mich einbringen will, um etwas zurückzugeben, bleibt die Tür zu.

Ich bin so jung und naiv- ich glaube tatsächlich noch, dass die Welt und ihr Funktionieren nicht festgeschrieben ist.

Wie lange wird das noch so bleiben?
Neulich habe ich mich daran erinnert, wie mir mal ein Mensch auf einer Antikriegsdemo an den Kopf warf, ich solle mir einen Job suchen. Als wäre Arbeit das beste Mittel, um mir all mein Aufbegehren abzuschmirgeln.
Klar, habe ich mir in den letzten Jahren unfassbar oft die Chance auf ein Studium gewünscht. Hatte mir überlegt, wie ich es schaffen könnte die Anforderungen zu erfüllen, die an mich gestellt werden, um das zu dürfen.
Mir ist langweilig. Verdammt mir ist so _langweilig_  Mein Kopf hat Hunger. Meine Augen sind durstig. Ich will Dinge lernen und kennen und wissen und verstehen. Ich will alles Wissenswerte auffressen und dafür Belohnungszettel haben. Und dann will ich mit meinem Stapel Belohnungszettel zur Kasse gehen und meinen Sammelbonus haben: Teilhabe an der Gemeinschaft derer, die in diesem System auch tatsächlich etwas von ihrem Wissen weitertragen können um Veränderungen anzustoßen. Klar denke ich: “Ich will richtig in echt anerkannt studieren”, “ich will einen Job”, “Ich will mein eigenes Geld verdienen” und so weiter und so fort.

Doch Fakt ist: Ist nicht, weil kann nicht “richtig”
Ich darf um Berechtigungszettel betteln. Ich darf kriechen und dankbar sein, dass wir nicht in einem Staat ohne Sozialleistungen leben, wo mein Leben noch einmal um ein paar Stufen schwieriger wäre.
Ich darf draußen bleiben, damit sich die Exklusiven exklusiv fühlen. Damit die, die drinnen sind, jemanden haben, den sie als draußen wahrnehmen können.
Ich bleibe eine Inklusionswürdige, damit weiter über Inklusion gesprochen werden kann, weil das so verdammt viel mehr Gelder und Statusbestätigung einbringt, als real greifbare Veränderungen.
Ich darf mich defizitär fühlen, weil sämtliche Schablonen auf die Füllung von Defiziten ausgelegt sind, statt auf die Angleichung der Gegebenheiten.

Noch kann ich mir Wasser aus dem Kopf laufen lassen, wenn es mal wieder so weit ist und das Maß an Enttäuschung gegenüber meinen Bemühungen, irgendwo einfach mal wenigstens einen Zeh in die Tür zu kriegen, voll ist. Doch was ist, wenn ich die 30 hinter mir habe? Die 40? Die 50? Werde ich eine goldene Mitte- einen zweiten Frühling haben und immer noch Enttäuschung fühlen können, wenn ich von einer Hoffnung auf Annäherung an ein Ideal getäuscht werde?

Ich habe mich selbst dazu erzogen keine Opferidentität zu entwickeln.
Ich sehe an mir so viel mehr als das, was ich überlebt habe und will mehr von mir als das eigene Überleben. Ich kann mehr als das und weiß das auch. Der Hunger in meinem Kopf ist nicht just for fun da.

Aber was soll ich sonst sein, wenn mir nur das zugestanden und anerkannt wird, weil ich dafür einen Beweiszettelberg habe?

Ich habe Angst davor, dass mein Kampf um Anerkennung als Mensch, der auch aufgrund seiner Erfahrungen Dinge bedenkt und sieht, die andere Menschen nicht sehen und bedenken, zu der Arbeit wird, die mir mein Aufbegehren abschmirgelt. Ich will mich nicht damit aufhalten. Ich will damit keine Zeit, keine Kraft verschwenden, die so viel konstruktiver und besser genutzt werden kann.

Das System stinkt- es ist Zeit Türen und Fenster aufzumachen.
Den Mief raus zu lassen und auch Menschen wie mich reinzulassen.

Ich rieche nicht nach dem neuesten Parfum von Betty Barcley und trage keine modische Kleidung. Ich duze zu schnell und kenne viele Fremdwörter nicht. Ich habe zu viel Respekt vor Krawatten und Pumps.  Ich schaffe keine 8 Stunden Arbeitstage- manchmal nicht mal meine eigene Existenz.

Aber ich bin noch nicht abgeschmirgelt und habe einen Hunger, den so viele andere Menschen nicht haben, weil sie eigentlich längst satt sind.
Wie wertvoll das ist, kann doch nicht nur eine  Schnapsideenseifenblase aus dem Geist einer Irren sein.

 

kann doch nicht…

all the storys…

Im Moment geht ein PoetrySlam viral, in dem Julia Engelmann darüber spricht, wie “wir” so drauf sind…
Es ist nicht mein “Wir”. Das wird sich Nadia Shehadeh auch gedacht haben- also setzte sie sich hin und schrieb den Text um.
Ich hab heute jemanden, der mit meinem Hund für mich raus geht.
Also verschieße ich meine Tageskraft, um mein “Wir” in diesen Kontext zu bringen.

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Eines Tages Baby, werden wir noch mal zusammensitzen und uns sagen, dass wir stark sind, weil wir das heutige Jetzt überlebt haben und unsere Geschichten, die zu erzählen wir versuchen, bis es uns von innen nach außen umstülpt,

noch immer niemand hören will.

Wir brauchen uns nicht mehr zu reflektieren, zu überlegen, wieso denn bloß niemand ein Ohr für uns hat, was wir denn bloß falsch machen
Wir sind die Steine unter den Lebenswaisen

die geheimen Funkelsteinchen in Fragen wie: “Wie nennt man diese Zeit, in der man stirbt bei lebendigem Leib?”
”Depression” würden wir sagen und mit unserem Schimmer die Gedankenwelt eines Anderen erhellen
der ohne Dank weiter an uns vorbei zieht

auf seiner Jagd nach Selbstoptimierung,
Verwachsung
bis zur Verschmelzung mit einer Welt, an die anzupassen wir

Mais2 oh Baby, auch wenn wir alt sind

am Besten nur noch zu Testzwecken, ob der Geschwindigkeit des Scheiterns
versuchen und versuchen

Versuchen müssen
sie sind faul, heben Dinge später auf, warten auf Freitag, sparen sich Dopamin
und, weil sie sie sind
müssen alle sie sein

sie sind eben auch zu faul, die Gedanken zu denken
die zu etwas führen könnten

Und wir?
Wir leben des Rest unseres Lebens, denn was anderes haben wir nicht
und fragen uns was leben, Leben und am Lebenssein ist
und landen immer wieder an der Basis
dem Sein
dem Dasein
und sind immer wieder neu verunsichert

weil sie uns anbrüllen, schubsen, schieben, stoßen

in ihrem Dreck festdrücken mit dem, was sie als Leben und lebenswert bezeichnen
Was sie hoheitsgütig definieren, als mit dem einen,
für sie fremden,
Leben in Würde vereinbar

Wegen all dem Können, dem Machen, dem Werden
dem Sein allein wegen etwas, das gekonnt, gemacht, geworden ist

Oh Baby,
falls wir “alt” noch selbst definieren dürfen, dann werden wir noch immer die Geschichten von Diskriminierung und Ausgrenzung
Ausbeutung
und Gewalt
zu erzählen haben
wie jetzt, wie heute

wo wir uns schon als so alt betrachten, dass wir unsere Hoffnungen, Wünsche und Träume
bereits im Keime demaskieren
und mit Alkohol von uns wischen

bevor wir mit ihnen verschmelzen
und uns ihre Nichterfüllung
die Haut vom Sein reißt

und eine neue Geschichte zu erzählen ist,
die niemand hören will

Schon gar nicht die,
die denken
ohne zu sehen, zu spüren,
unsere Schreie zu hören,

das Leben, dass Menschen führen, sei frei wählbar.

Oh Baby,
während wir alt werden
sind wir Teil ihrer Hamsterräder
haben sie mit unserem Waisensein angeekelt, abgestoßen, angetrieben sich von uns als Lebensform zu entfernen
Bis wir tot sind, werden wir sie erinnern, dass sie
geworden sind, durch ihre Fähigkeit etwas tun zu können
geworden sind, durch ihre Fähigkeit ihr Sein mit Handlungen wie Schleifen zu behängen
die allein
sie frei wählen können

Und, oh Baby, wenn sie alt sind
werden sie sich wünschen
unsere Geschichten gehört zu haben

denn wenn sie alt sind
werden sie mit dem Rest ihres Lebens vor ihren Füßen
an einem Fenster sitzen
und auf jemandes Hand warten

der denkt:
das heb ich später auf
Horror dieser Alltag
hier

im Abstellgleis Wartesaal des Jobcenters Klinikums Gefängnisses
Lebens

zwischen all den Menschen, die den ganzen Tag vor sich hinsabbeln