Im Moment geht ein PoetrySlam viral, in dem Julia Engelmann darüber spricht, wie “wir” so drauf sind…
Es ist nicht mein “Wir”. Das wird sich Nadia Shehadeh auch gedacht haben- also setzte sie sich hin und schrieb den Text um.
Ich hab heute jemanden, der mit meinem Hund für mich raus geht.
Also verschieße ich meine Tageskraft, um mein “Wir” in diesen Kontext zu bringen.
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Eines Tages Baby, werden wir noch mal zusammensitzen und uns sagen, dass wir stark sind, weil wir das heutige Jetzt überlebt haben und unsere Geschichten, die zu erzählen wir versuchen, bis es uns von innen nach außen umstülpt,
noch immer niemand hören will.
Wir brauchen uns nicht mehr zu reflektieren, zu überlegen, wieso denn bloß niemand ein Ohr für uns hat, was wir denn bloß falsch machen
Wir sind die Steine unter den Lebenswaisen
die geheimen Funkelsteinchen in Fragen wie: “Wie nennt man diese Zeit, in der man stirbt bei lebendigem Leib?”
”Depression” würden wir sagen und mit unserem Schimmer die Gedankenwelt eines Anderen erhellen
der ohne Dank weiter an uns vorbei zieht
auf seiner Jagd nach Selbstoptimierung,
Verwachsung
bis zur Verschmelzung mit einer Welt, an die anzupassen wir
oh Baby, auch wenn wir alt sind
am Besten nur noch zu Testzwecken, ob der Geschwindigkeit des Scheiterns
versuchen und versuchen
Versuchen müssen
sie sind faul, heben Dinge später auf, warten auf Freitag, sparen sich Dopamin
und, weil sie sie sind
müssen alle sie sein
sie sind eben auch zu faul, die Gedanken zu denken
die zu etwas führen könnten
Und wir?
Wir leben des Rest unseres Lebens, denn was anderes haben wir nicht
und fragen uns was leben, Leben und am Lebenssein ist
und landen immer wieder an der Basis
dem Sein
dem Dasein
und sind immer wieder neu verunsichert
weil sie uns anbrüllen, schubsen, schieben, stoßen
in ihrem Dreck festdrücken mit dem, was sie als Leben und lebenswert bezeichnen
Was sie hoheitsgütig definieren, als mit dem einen,
für sie fremden,
Leben in Würde vereinbar
Wegen all dem Können, dem Machen, dem Werden
dem Sein allein wegen etwas, das gekonnt, gemacht, geworden ist
Oh Baby,
falls wir “alt” noch selbst definieren dürfen, dann werden wir noch immer die Geschichten von Diskriminierung und Ausgrenzung
Ausbeutung
und Gewalt
zu erzählen haben
wie jetzt, wie heute
wo wir uns schon als so alt betrachten, dass wir unsere Hoffnungen, Wünsche und Träume
bereits im Keime demaskieren
und mit Alkohol von uns wischen
bevor wir mit ihnen verschmelzen
und uns ihre Nichterfüllung
die Haut vom Sein reißt
und eine neue Geschichte zu erzählen ist,
die niemand hören will
Schon gar nicht die,
die denken
ohne zu sehen, zu spüren,
unsere Schreie zu hören,
das Leben, dass Menschen führen, sei frei wählbar.
Oh Baby,
während wir alt werden
sind wir Teil ihrer Hamsterräder
haben sie mit unserem Waisensein angeekelt, abgestoßen, angetrieben sich von uns als Lebensform zu entfernen
Bis wir tot sind, werden wir sie erinnern, dass sie
geworden sind, durch ihre Fähigkeit etwas tun zu können
geworden sind, durch ihre Fähigkeit ihr Sein mit Handlungen wie Schleifen zu behängen
die allein
sie frei wählen können
Und, oh Baby, wenn sie alt sind
werden sie sich wünschen
unsere Geschichten gehört zu haben
denn wenn sie alt sind
werden sie mit dem Rest ihres Lebens vor ihren Füßen
an einem Fenster sitzen
und auf jemandes Hand warten
der denkt:
das heb ich später auf
Horror dieser Alltag
hier
im Abstellgleis Wartesaal des Jobcenters Klinikums Gefängnisses
Lebens
zwischen all den Menschen, die den ganzen Tag vor sich hinsabbeln
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