der Funke, der Raum, das Machen

Das Sommerpicknick-Gespräch war auf Klinikerfahrungen gekommen. Auf den Umstand, dass die konzentrierte, konkrete Traumaarbeit praktisch nirgendwo möglich ist. Für niemanden. Weil nicht die Klient_innen bestimmen, wann sie stabil genug sind. Weil nicht die Behandler_innen darüber bestimmen, wie lange welche Behandlung passiert. Weil Strukturen als Menschen mit Macht gedacht werden. Weil Geld wichtiger ist als die Leben, die damit gelebt werden. Können. Müssen.

Wir verließen das Gespräch darüber mit der gleichen schalen Erkenntnis und der gleichen ohnmächtigen Wut wie immer.
Man muss das ändern. Das muss sich ändern. Es kann doch nicht sein, dass alle damit unzufrieden sind, alle leiden und wissen, dass es nicht genug und wenn schon nicht schädlich, so doch viel zu oft nicht gut ist – und NICHTS passiert, um es anders zu machen.
Was braucht es? Brauchen wir einfach nur, keine Ahnung, 50 Millionen Euro? 100 Millionen? Und dann bauen wir die Klinik, suchen die Leute, die in den letzten 20 Jahren hingeschmissen haben, weil ihr ethisches Rückgrat, ihre Seele, ihr Körper diesen Scheiß nicht mehr er_tragen konnten – und alles wird gut?
Vermutlich nicht.
Die Macht kommt immer mit.
Man müsste die Zeit des Geldhortens damit verbringen, sich gegenseitig beizubringen, wie man Hierarchie durch Zugehörigkeit ersetzt. Wie man Gewalt durch konsensorientiertes Verhandeln ersetzt. Wie man die Systematik von fachlicher Diagnose zum ersten Verständnis benutzt und zur Therapie wieder vergisst. Wie man in Ver_Bindung geht und bleibt. Wie Grenzen funktionieren und warum. Für wen, wann, wozu.

Und dafür sorgen, dass die Leute dieses Wissen, diese Haltung mit in ihr Leben tragen. So, dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen draußen und drinnen. Wo es ist wie überall, nur anders. Gewaltanders. Fremdbestimmungsanders. Machtanders. Gesundkrankanders. Weil der Unterschied gemacht, erhalten, immer wieder reproduziert wird. Von allen.

Ich weiß, dass ich eine Utopie denke. Weiß aber auch – wäre ich so stinkreich, dass ich jedes Jahr 100 Millionen Euro einfach raushauen könnte, schon längst solche Häuser ständen. Und es gehen würde. Weil es dann eben keine Abhängigkeiten von der Krankenkasse gäbe. Keine Abhängigkeiten von Behandler_innen, die über ihren Status als Koryphäe in Teams gehalten werden, wo sie schaden und Prozess verhindern. Reiche Menschen leben in Parallelwelten. Es wäre so leicht eine bedürfnisorientierte Parallelwelt aufzubauen, statt sich eine Insel zu kaufen, um sich ungestört vom Pöbel ins Koma zu saufen oder mit einem Privatjet um die Welt zu jetten, um mal woanders Geld auszugeben.

Bitter, dass wir über Geld nachdenken müssen. Unabhängigkeit allein ist schon ein riesen Ding. Aber ohne Geld gibt es keine Unabhängigkeit. Frustrierend ist das. Bitter, frustrierend, absolute Scheiße.

Auf dem Heimweg zieht die Landschaft an mir vorbei. Drinnen, so hoffe ich, das Coronavirus.
Warum will ich das, frage ich mich. Es ist so viel Arbeit. Ich werde das in meiner Lebenszeit maximal mit anstoßen können. Werde vermutlich nie erleben, wie irgendetwas von meiner Utopie für (komplex) traumatisierte (behinderte) Menschen und ihre Begleiter_innen umgesetzt wird. Nachwachshaus, Klinik für alle, Heilen, wachsen, gut leben kennen_lernen für alle.
Aber der Widerspruch. Dieser himmelschreiende Widerspruch.
Alle wollen, dass es allen gut geht – aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus. Niemand auf der ganzen Welt will ganz aktiv und bewusst, dass es anderen schlecht geht. Das Leben will immer sich selbst. Es gibt nichts, dass sich selbst nicht erhalten, nicht reproduzieren, nicht sichern will. Nichts. Selbst die kleinste Amöbe, der brutalste Killer aller Zeiten will nicht Leiden und Zerstörung allein. Das Leiden ist dem Leben immanent, weil es gebraucht wird, um seine Bedrohung wahrzunehmen und sichernde Handlungen einzuleiten. Aber diese sichernde Einleitung ist in unserer Gesellschaft zu abstrakten Verwaltungsentscheidungen verkommen. Nicht zu einer sozialen Praxis der bedingungslosen Für_Sorge. Nicht zu einer Kultur der sozialen Aus_Handlung zur Sicherung und Stillung unser aller Bedürfnisse.

Das Trauma, die ständige Verletzung ist in unserer Gesellschaft die Norm – das Leiden darunter jedoch die Krankheit, der Fehler, der Makel. Ein Problem.
Es wäre zu leicht zu sagen, dass das unbewusst ist. Dass die meisten Menschen das gar nicht wissen. Oder kapieren. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Die meisten Menschen wissen das. Können aber (noch) gar nicht anders re_agieren. Es gibt noch nicht genug Vorbilder. Nicht genug Gegenentwürfe. Noch nicht genug realisierte Utopie.
Aber den Funken dazu haben alle Menschen. Da bin ich mir sehr sicher. Weil das Leben sich selbst will. Alle Menschen wollen gut leben und andere Menschen gehören dazu. Deshalb haben sie Mitleid mit (komplex) traumatisierten (behinderten) Menschen, deshalb sind alle „gegen Gewalt“, deshalb empören sie sich so gern über Täter_innen und Ungerechtigkeit.

Es braucht die Räume, um diesen Funken zu einem Prozess zu bringen.
Und Raum ist aktiv herstellbar.

Man muss es nur machen.
Können.

Neues vom Nachwachshaus

Wir laden euch ein zu einem zweiten Austausch- und Vernetzungstreffen unserer Arbeitsgruppe „das Nachwachshaus“ zu kommen.

Hier ist die Einladung –> klick
Hier steht ein bisschen mehr zu den Themen der Arbeitsgruppe –> klick

Gerne teilen, kommen, mitmachen!
 24. Juni 2017
von 11:00 bis 15:00 Uhr
im bethel.regional Begegnungszentrum,
Prießallee 34, 33604 Bielefeld

Neben dem Austausch über gemachte Erfahrungen und Ideen, wollen wir erste Ergebnisse unserer kleinen Onlineumfrage präsentieren.

Anmeldeschluß ist der 11. Juni