„Was haben die Täter_innen denn davon?“

Ich hab mich durch das Feature geskipped. Kinderfolter – Sexuelle Gewalt in organisierten und rituellen Gruppen.
Nach einiger Gewaltschilderung und vielem, was schon bekannt ist, aber darin ein Update erfährt, hört man die leise Frage: „Was haben die Täter denn davon?“.

Ich sitze auf dem Rad, als ich das höre. Kämpfe mit Gegenwind und der Wärme, die mein Körper nach außen drückt. Nachdem wir die Protagonist_innen erkannt haben, wollen wir dran bleiben und zuhören. Denken, dass wir es ihnen irgendwie schuldig sind als Mit~Auch~Opfer. Denken darüber nach, wie wir ihre Stimmen boosten können, wie ihren Mut belohnen.
Aber diese Frage. Die ist mein Kipppunkt. Ich reiße mir das Headset aus dem Kopf und stopfe es in die Jackentasche. Es fängt an zu regnen, vor mir liegt eine Steigung.

Was ist das für ein Ding, das Leute fragen lässt: „Was hat denn einer von Gewalt an Kindern?“ – bitte wie naiv, wie behütet sozialisiert muss man sein, um sich zu fragen, was Gewaltäter_innen von Gewalt haben?
Fragen sich diese Leute auch, was denn alle anderen von einem nicht gewaltvollen Umgang mit Kindern haben? Nein. Vermutlich nicht. Weil das logisch erscheint und Gewalt nicht. Was doch aber auch davon zeugt, dass man den Überlebenden von Gewalt über Jahre und Jahrzehnte nicht wirklich zugehört hat. Oder nicht wirklich begriffen hat, was sie gesagt haben.
Ja, ich kann einsehen, dass es für viele Menschen schwer ist, sich vorzustellen, wie normal es sein kann, jeden Tag in Todesangst zu leben, weil sie einfach zum Leben gehört. Beziehungsweise wie logisch Gewalt und die Gefahr Gewalt zu erfahren in einen Alltag integriert werden kann. Dass auch Gewalt ver_bindet.
Und erst recht wie unvorstellbar es erscheint, etwas für sich aus etwas gegen andere zu ziehen.

Aber bitte, was für ein Move ist das die Überlebenden danach zu fragen. Was für ein mieser Move.

Was sollen sie anderes sagen als das offensichtlichste – Geld und Macht – Sie sind nicht die Täter_innen. Sie können nicht und werden nie wissen, was die Täter_innen davon hatten. Niemand außer den Täter_innen, die noch nie irgendwer mit dieser Frage im Radio oder Fernsehen konfrontiert hat.

„Übriggebliebene“ denke ich oben angekommen, meine Regenjacke schließend. „Wir Opfer sind der Rest für Journalist_innen auf Spurensuche. Unsere Leben sind ihre Grabungsstätte. Weil es uns gibt, weil wir Zeug_innen sind, wird von uns Zeugnis über alles abverlangt und erwartet, dass das klar geht, weil ja sonst nix weiter da ist.“ Der Boden ist glatt vom nassen Herbstlaub, ein Laster rauscht an mir vorbei, der Wind drückt sich gegen mich wie eine riesige Katze. Ich erinnere mich an einen Text von vor tausend Jahren. „über etwas drübergelebt“. 

„Das Überleben ist einfach immer nur das Leben, was über ist.
Der Rest von vorher und das, was dann kommt.“

Was dann kommt, ist für uns Opfer nicht nur allgemeiner Unglaube, Behörden, die ignorieren und eine Gesellschaft, die sich ihrer Hilflosigkeit gefällt, sondern auch die ständige Definition über das, was wir überwunden haben. Der ständige Rückbezug auf alles, was war, alles, was wir mit.teilen.

Überlebt zu haben ist keine Auszeichnung für besondere Fähigkeiten.
Es ist nur eine Würdigung dessen, was dort so gefährdend war, das man über es drüber zu leben gezwungen war.

Ich frage mich, ob das alles ist, was geht. Würdigung.
Ist das alles, was geht, jetzt, wo Mediziner_innen, diverse Wissenschaftler_innen, einige Polizist_innen und Jurist_innen unsere Teile des Zeugnisses rahmen und fundieren? Würdigung unserer Existenz als Überlebende von grauenhaften Erfahrungen.

Ist das alles, was uns zusteht oder alles, was wir wollen?

Ich weiß gar nicht, wieso ich dauernd „wir Opfer“ denke und hier schreibe. Ich bin viel zu identifiziert, viel zu nah dran. Was weiß ich über die Wünsche anderer Überlebender? Gar nichts.
„Was haben die Überlebenden denn von so einer Berichterstattung?“, die Frage stellt sich mir und bleibt erst einmal nur für mich beantwortet mit: Nichts – außer die Bestätigung von etwas, das ich schon längst weiß und mir in diesem Leben, in dieser Gesellschaft, überhaupt nichts bringt.

7 thoughts on “„Was haben die Täter_innen denn davon?“

  1. Danke!

    (Ich rege mich auch grad sehr über diese Frage auf und erschrecke zugleich wieder mal, wie sehr ich solchen Fragen gegenüber abgestumpft geworden bin. Eine meiner Strategien, ein „Normalisieren“ von krasser Unsensiblität à la „die wissen es nicht besser“. Und darüber rege ich mich jetzt auch gleich mit auf. Abstumpfung ist eine Form von Resignation, von Aufgegebenhaben.)

    Eure Gedanken zum Begriff „überleben“ gehen mir durch Mark und Bein.

  2. Wir haben uns das auch angehört, und obwohl wir diesen Beitrag im Großen und Ganzen gut finden, waren einige Stellen für uns voll unerträglich. Die von euch angesprochene gehörte auch dazu. Wir saßen im Bus beim Anhören, und vor lauter Unwohlsein hatten wir das Gefühl, durch das Fenster springen zu wollen.
    Uns wurde diese Frage auch immer mal wieder gestellt. Und wir fühlten uns damit bisher jedes Mal total unwohl, inadäquat, irgendwie an den Pranger gestellt. Weil wir sie nicht beantworten können. Wir haben uns diese Frage selbst schon tausendmal gestellt, und sie ist so nah an dem großen „Warum“, und irgendwie führt sie, zumindest uns, in Richtung Sinnlosigkeit. Bisher haben wir uns immer falsch gefühlt. Zum ersten Mal geht uns auf, dass die Frage falsch sein könnte. Zumindest an uns gerichtet. Denn, ja, scheiße, woher sollen wir das wissen???
    Wir wissen, was wir jeweils davon hatten, wenn wir Gewalt angewendet haben. Wenn wir darüber nachdenken. Aber lustigerweise will das von uns eigentlich nie jemand wissen, sondern wenn es um Schuldfragen oder Motivationsfragen geht, dann wird da vom Gegenüber eher drüber gebügelt mit pauschalisiertem „Ihr wurdet ja dazu gewzungen“ oder „Ihr seid ja auch schwer traumatisiert“.
    Denken „unsere“ Täterinnen jemals darüber nach? Nicht mal das wissen wir.
    „Was hattest du davon?“ wäre eine kluge Frage an Menschen, die zu Täter
    innen geworden sind, oder überhaupt an Menschen, die Gewalt anwenden. Aus den Antworten ließe sich bestimmt wirklich was lernen, was allen nützen könnte.
    Sorry, das war jetzt recht lang für einen Kommentar. Wir sind einfach so froh über das, was ihr benannt habt. Danke.

    1. Ja, bei dem was ihr schreibt, kommt mir direkt das nächste heiße Eisen in den Sinn: Was hatten wir Opfer von der Gewalt an uns? Wie oft ist man zurück gegangen, weil man was davon hatte? Wie oft hat es bedeutet, dass man weiterleben durfte, gerade weil man sich immer ausgeliefert hat?
      In dem Feature wird ja sogar berichtet, dass es Anteile gibt/gab, die immer wieder hin sind und Kontakt gesucht haben – aber das wurde irgendwie einfach so hingenommen, als wäre das immer passiert, weil sie ja Opfer waren, die nichts davon haben können (und noch nie hatten und deshalb auch nie irgendwas für sich davon haben konnten).

      Ach ach…
      Es ist vielleicht mal wieder zu viel erwartet von uns, dass es solche Stellen nicht gibt, wenn es denn mal etwas gibt, das sich damit befasst, aber so ist es irgendwie vergiftet. :/

      1. Ja…
        Es ist vergiftet, weil immer noch sowohl die Täter_innen als auch die Opfer objektiviert und entmenschlicht werden müssen, anscheinend, vielleicht, um sich die Wirklichkeit des Geschehens, und WIE SEHR es verwoben ist mit dem Leben aller auf Distanz halten zu können? (Gerade beim Schreiben wurde mir ganz deutlich, dass DAS Opfer sogar ein Neutrum-Wort ist, wohingegen ich Täter_innen gendern kann/muss.)
        Genau das ist es, was uns so unwohl fühlen lässt, auch mit diesem Beitrag.
        Zu der Gewalt gehört gerade auch dazu, dass alle darin Handelnde sind, aus welchen Gründen auch immer. Gerade das (gewachsene) gegenseitige Etwas-davon-haben, die Verstrickung, diese ganzen Motivationen davor, danach, währenddessen. Es braucht Wege, darüber zu reden, wo nicht die Verantwortungen verschoben und relativiert werden, aber wo deutlich wird, das Menschen so an/über Menschen handeln.
        Gewalt ist verstrickt, messy, kompliziert, historisch gewachsen, findet in Kontexten statt.
        Ich kann dieses „es ist so unfassbar“ echt nicht mehr ertragen. Ist das ein Privileg, sowas sagen zu können, oder eine Weigerung?
        Und, ach man, dabei ist das Feature schon so viel weiter als das allermeiste, was bisher in der Öffentlichkeit war…

  3. Durch Euren Kommentar merken wir, dass wir diese Frage „überhört“ haben und das wiederum macht so viel mit uns – wir mögen es aktuell nicht noch mal hören, das Feature, war anstrengend genug, es einmal zu hören. Und ja, wir fanden es überwiegend gelungen … !
    Ach ja.
    Eure Gedanken und die Gedanken von denen, die hier mit kommentieren und nachdenken, sind so wichtig und wir können doch noch mal der Wirkung von so einer Frage auf uns nachgehen. DANKE dafür. Euch allen.

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