zum #RareDiseaseDay

Als wir uns kennengelernt haben, hatte der Partner gerade eine MTX [1]-Therapie angefangen und nahm hohe Dosen Cortison ein.
Wir trafen uns auf einer Wiese, im Regen, mein Rad mit NakNak* und Anhänger neben uns stehend. Gesehen haben wir uns vorher nie. Wir haben via Twitter geschrieben und das nicht einmal viel.
Als Person, die Menschen mit anstrengenden, komplizierten, chronischen, schlimmen Krankheiten* irgendwie anzieht, war mir sein Zustand nicht sonderlich ungeheuer. Ich erwartete eine Person, die wässrig ist – aufgeschwemmt, schwitzend. Ich erwartete nicht, die Krankheit selbst auch zu sehen. Eher, dass er ihre Zeichen zu verstecken versucht. Dass er sehr fit tut, sich verausgabt, um nicht krank zu wirken.
Das machen die meisten, die nicht so institutionalisiert aufgewachsen sind wie ich. Im Leben von Menschen, in dem Krankheit nicht der Grund für Miteinander ist, sind plötzlich auftretende (seltene) Krankheiten ein Grund, um das Miteinander zu fürchten.

Tatsächlich schwitzte er sehr und zitterte oft vor Übererregung durch das Cortison. Seine eigentliche Krankheit und deren Symptome flossen so schnell in mein Bild von ihm, dass die Nebenwirkungen der Medikamente zu dem wurden, was seine Krankheit als Element des Alltags definiert. Sein Husten, die Atemnot, die veränderten Hautpartien, die Fatigue, das war und ist bis heute etwas, das einfach zu ihm gehört. Klar, nicht wie seine Augen- oder Haarfarbe, aber wie die Narbe auf seiner Kopfhaut oder der angedengelte große Zeh, der, ebenfalls schon seit ich ihn kenne, heilt.

Er gibt der Krankheit nicht viel Raum in seinem Leben. Er besucht keine Selbsthilfegruppe, keine Foren, recherchiert nicht nach random Heilungsmöglichkeiten. Seit mehr als einem Jahr ist die experimentelle Behandlung, die mit einer Studie verbunden ist, unterbrochen. Das bedeutet, dass zwei Fahrten mit je 250 km und einige Tage völlige Kaputtness alle 6 Wochen ausfallen. Es bedeutet aber auch, dass gerade nichts gegen die Krankheit gemacht wird.
Sie schreitet deshalb nicht voran, weg schreitet sie aber auch nicht. Er lebt jetzt mit ihr und wir mit ihnen beiden, wie er mit meinen Krankheiten [2] lebt.

Wir reden selten über seine Krankheit. Entgegen der verbreiteten Meinung bei körperlichen Krankheiten wäre vieles einfacher und klarer, ist es das bei seltenen körperlichen Krankheiten nicht der Fall. Wenn ich mich über die Krankheit des Partners informieren möchte, dann kann ich wählen zwischen einer für mich fast leeren Verallgemeinerung wie: „Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung.“ oder Laborsprech aus der Wissenschaft, den ich nicht verstehe. Und niemand macht konkrete Aussagen in die Zukunft der erkrankten Menschen. Immer wieder bleibt das Orakeln: Könnte gehen, könnte bleiben.

Mein Alltagsverstand sagt: Wir können froh sein, wenn es bleibt, wie es ist und sich drum rum verbessert, was sich verbessern kann.
Ich denke uns in eine gemeinsame Zukunft und die Krankheit immer mit. Manchmal bin ich traurig, weil ich meine gute Prognose nicht mit ihm teilen kann. Meistens ist es einfach wie es ist. Manchmal bleibt was liegen, manchmal unterstützen wir einander, einige Dinge erfordern Unterstützung von außen. Das machen alle Menschen so. Wir machen das mit seltenen Krankheiten.

[1] MTX ist ein Medikament, das zur Behandlung von Krebs, aber auch Rheuma und anderen Krankheiten bei denen entzündliche Prozesse laufen, eingesetzt wird.
[2] Für mich sind die Dinge, die mit den Krankheitsdiagnosen „Autismus-Spektrum-Störung“ und „multiple Persönlichkeitsstörung (DIS)“ bezeichnet werden keine Krankheiten, sondern meine innere Architektur.