Das Gute ist: Du bist nicht allein mit deinen Erfahrungen sexualisierter Gewalt.
Das Schlechte ist: Du bist nicht allein mit deinen Erfahrungen sexualisierter Gewalt.
Wann immer wir Kongresse und Tagungen zum Thema besuchen, kommt uns das in den Sinn. So auch in diesem Jahr beim MitSprache-Kongress in Berlin. 250 Teilnehmer_innen, darunter einige aus dem Aus- und Umland, kamen zusammen, um in Diskussionspanels und Workshops und auch noch in den Pausen, miteinander über ihre Erfahrungen mit und nach der Gewalt zu sprechen, aber auch um politische Forderungen zu formulieren.
Wie muss man sich das vorstellen. Stehen wir da und erzählen uns wie schlimm der eine oder die vielen Übergriffe waren und einigen uns darauf, dass das bestraft gehört?
Manche Menschen, denen wir von dem Kongress erzählt haben, denken sich das so.
Dass wir konkret oder indirekt davon betroffenen Menschen doch eigentlich genau nur so auf einander treffen können. Und, dass es doch nur das Thema geben kann. Rachewünsche, Strafverhandlung, Gerechtigkeit und Genugtuung für den eigenen individuellen Fall.
Genau, weil es diese Haltung bei so vielen – selbst jenen, die eigentlich sehr offen und politisiert sind – gibt, fühlen wir uns persönlich oft einsam mit der Auseinandersetzung.
Denn über Schuldfragen, den Wunsch die Gewalterfahrungen mit.zu.teilen und Fragen der Genugtuung sind wir schon seit Jahren hinaus. Für uns geht es heute mehr und mehr um die stille Mittäter_innenschaft der Gesellschaft, die Frage nach Schutz in einer Öffentlichkeit, die sich selbst nicht als solche begreift. Uns geht es um politische Forderungen nach Anerkennung und Schutz, um die Erschaffung von Räumen und Wahlmöglichkeiten, sich unabhängig und selbstbestimmt zu helfen, zu verarbeiten und zu heilen.
Mit dem Betroffenenrat, der dem unabhängigen Beauftragten für Fragen des (dort so genannten) „sexuellen Missbrauchs“, beisteht, wurde eine Struktur etabliert, die konkret von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen nützen kann, solche Anliegen in die Auseinandersetzungen der Politik einzubringen.
Nun sind wir nicht gerade dafür bekannt, autoritäre Strukturen für gut im Sinne von unkritisch zu sehen. Es gefällt uns nicht, von einigen wenigen Betroffenen repräsentiert zu werden und gleichzeitig zu merken, wie einerseits unstrittig die Notwendigkeit von Betroffenenrat und UBSKM ist, andererseits aber doch klein die Möglichkeiten der Einflussnahme sind.
Aber auch mit dieser Sicht sind wir nicht allein und besonders in den beiden bisher veranstalteten Mitsprache-Kongressen zeigte sich, dass es eine solche bündelnde, ja, konzentrierende Struktur braucht, um die Kernprobleme zu erfassen.
So nahm auch in diesem Jahr die Thematik der sexualisierten Übergriffe durch Vertreter_innen der Kirche wieder viel Raum ein, nachdem in den vorangegangenen Tagen die ersten Ergebnisse der Studie der Deutschen Bischofskonferenz über das Ausmaß der sexualisierten Gewalt veröffentlicht wurden.
Die Ergebnisse mögen schockieren, jedoch werden sie es nur jene, die in den letzten Jahren kein einziges Mal ein Ohr für die Betroffenen hatten, die seit Jahren darüber reden, dass sie nie der Einzelfall waren, zu dem sie von Medien und Politik, aber und vor allem auch von der Kirche selbst gemacht wurden.
Und vertrauen kann der Studie sowieso nur, wer glaubt, dass unabhängig ist, wer von der Kirche über die Kirche spricht.
Dennoch. Als Betroffene sexualisierter Gewalt kommt man nicht zum Kongress, weil der eigene Hintergrund eine so tragende Rolle spielt und hier zeigt es sich. Für viele ist es nicht relevant, wo und wann der Übergriff passierte. Ob im Sport, in einer Institution oder in der eigenen Familie – der Schmerz und die Leiden danach, die Folgen auf so viele Aspekte des Lebens nach der Gewalt, sind sich so ähnlich, dass sich ein Gefühl der Verbundenheit einfach so ergibt.
Wir profitieren sehr von diesen Verbundenheitsgefühlen. Davon, so viel im Kontakt überspringen zu können, um über das zu sprechen, was Aspekte des Lebens heute schwierig macht, weil manchmal eben doch noch eine Traumawahrheit danach greift.
Für uns ist es ein gegenwärtiges Da_Sein. Mit Blick auf das, was kommt.
Wir verstehen Aufarbeitung als Arbeit an der Zukunft. Als Akt der Sabotage an den Strukturen und Dynamiken, die Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene bis heute in Gefahr bringen unsere Erfahrungen auch machen zu müssen.
Das kann man Präventionsarbeit nennen. Aber vielleicht ist es auch das gegenseitige Bestärken darin, dass es okay und wichtig ist, die eigene Betroffenheit, das eigene Bewusstsein um die Fragilität der eigenen Körper-, Seelen- und Geistesgrenzen in den Alltag zu einzubringen und darüber zu sensibilisieren.
Wir gehen gestärkt und auf eine Art gekräftigt aus dem Kongress hervor, wie nur passieren konnte, weil uns andere von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen an sensiblen Themen berührten und bestätigten.
Das bedeutet uns viel und hat uns ermöglicht die Kunstaktion am Ende der Veranstaltung mitmachen zu können. Wir gingen mit unseren Forderungen vor den Reichstag.
An anderen Tagen hätte uns das ganze Setting in die Flucht geschlagen. Um uns herum standen Touristen, die uns vermutlich für irgendeine schräge Berliner Aktion gehalten haben. Teilnehmer_innen des Marathons fuhren an uns vorbei, ohne den Raum, den wir dort gestalteten in Bezug zu etwas zu setzen mit dem auch sie direkt zu tun haben könnten.
Überhaupt – die Entfernung zwischen Menschen um uns herum und dem, weshalb und womit wir dort standen.
Die Polizisten, die sofort in Aktion gingen, als jemand seinen Rucksack an den Zaun gestellt hatte; die Tüpen, die sich mit ihrem Fußballvereinsbanner hinter uns stellten, als wir uns daran machten, den Betroffenen zu gedenken, die jetzt nicht mehr bei uns sein können; all die Glotzer oder Gaffer, das Treiben und Reißen dessen, was um uns herum passierte – es war in dem Moment für uns so nah an dem, was uns früher das Gefühl gegeben hat, aus der Welt gefallen zu sein, weil passiert ist, was passiert ist.
Und dann war da dieses Paar aus England. Eine Person, die sich weinend an der anderen festhielt. Selbst betroffen. Berührt von dem, was sie als Mut, Kraft und Stärke in uns als Gruppe wahrnahm.
Dafür wars gut.
Dafür ist es wichtig.