Haasenburg und Menschenrechte

Ich wollte das Thema eigentlich nicht hier drin haben.
Es erschien mir wie eine der üblichen Schockmeldungen, die die Medien halt mal so bringen. Ihr wisst schon: die Bombe des Skandals auf die die Rufe von „Rettet die Kinder“ und „Ein Ende machen- Jetzt!“ erschallen und die Lösung letztlich doch wieder hinter geschlossenen Türen passiert.

Nunja, getäuscht habe ich mich nicht. Trotzdem will ich meinen Senf dazu ins Internet schreiben. Ich will nicht, dass es in vielen Jahren die Möglichkeit gibt zu sagen, man hätte es ja nicht gewusst oder man wäre ja so unglaublich uninformiert.

Ich spreche vom Kinderheim Haasenburg in Brandenburg.
Die
Taz veröffentlichte am Wochenende einen Artikel, der die Missstände in dem Heim „aufdeckte“, die bereits 2010 bekannt waren.
In meiner Facebooktimeline war man sprach- und fassungslos. In meiner Twittertimeline herrschte eine ähnliche Mischung wie bei mir: „Das gibts immer noch- aha.“

Das Bild, das heute über Kinderheime herrscht, schwankt zwischen „Oliver Twist“ und dem Bauernhof, wo alles besser ist. Die Realität ist, glaube ich, einfach zu real und nah und die Worte, die man braucht, um manches zu benennen. sind limitiert auf Kriegswirren und die „dritte Welt“. „Folter“ zum Beispiel. Oder auch „Angriff auf die Menschenwürde“.

Die „nationale Stelle“ besucht regelmäßig Einrichtungen wie diese Heime, aber auch Gefängnisse und psychiatrische Einrichtungen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Menschen nicht so wirklich verstehen, warum das passiert und auf welcher Grundlage.
Unser Grundgesetz unterstreicht das Recht auf Freiheit, auf Unversehrtheit, gleiche Rechte für alle Menschen. Das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit.
In allen 3 Institutionsbereichen sind Teile dieser Rechte beschnitten. Es ist legitim, dass Menschen zwangseingewiesen, zu Haftstrafen verurteilt werden und zur Verhaltensmodulation (Erziehung) in solchen Einrichtungen untergebracht werden. Heißt: Der Staat hat das Recht Menschen ihrer Freiheit zu berauben und nutzt es auch, hat aber nicht das erklärte Ziel, diese Menschen auch noch in ihrer Würde zu verletzen oder ihren Willen zu brechen. So lange sie keine Gefahr für sich und/ oder andere Menschen darstellen.

Dann wird es heikel und der Auftrag zur Überprüfung der Einrichtungen, ob Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben oder nicht, wird zum Beispiel der „nationalen Stelle“ übertragen.
Wenn sich ein Mitarbeiter vom Jugendamt zum Beispiel das Heim, in dem sein Klient untergebracht ist, ansieht, dann achtet er auf konzeptionelle Vorgaben und deren Umsetzung. Er achtet vielleicht noch darauf, wie es seinem Klienten dort geht, ob er „gut gedeiht“. Er hat aber nicht direkt den Auftrag zu gucken, ob zum Beispiel Fixierungen und Medikationen richtig, im Sinne von notwendig und unter dem Aspekt des (Selbst-) Schutzes angewendet werden, oder nicht. Er hat in der Regel Richtlinien seiner Arbeit und Unterbringungsvorgaben im Kopf- nicht das Grundgesetz.
So jemand kann von Missständen erfahren, wenn er guten (im Sinne von „auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt“) Kontakt zum Klienten hat (oder der Klient die Möglichkeiten hat, wann immer und warum auch immer Kontakt mit ihm aufnehmen zu können) und kann dann handeln. Etwa in dem er eine Unterbringung woanders veranlasst oder eine Beschwerde über die Einrichtung anbringt.

Die Gesamtstruktur bleibt so unberührt.
(Pflege- Erziehungs- und Kinder-) Heime werden gebraucht, denn Alternativen gibt es nicht oder kaum. Dort wütet der Rotstift, denn „gefährliches Material“ wird dort nicht gelagert. Alles, was jederzeit „hochgehen“ kann hingegen, hat Vorrang und wird entsprechend eingelagert und die Verwahrung gefördert- etwa mit staatlichen Geldern, wie im Fall Haasenburg. Logisch nicht wahr? Jemand der reihenweise Menschen verletzt oder gar tötet, braucht dringender Gitter um sich herum, als jemand, der lediglich sein Leben zerstört oder eventuell vielleicht auf die schiefe Bahn geraten könnte… (Ja: Ironie)
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Es ist der Staat selbst, der hier wirkt und ermöglicht, was passiert. Einfach schon mit der Ausnahme der Wirkung von Grundgesetzen in diesen Einrichtungen.
Egal, wo fixiert wird, wird Zwang ausgeübt. Egal, warum fixiert wird, wird Folter ausgeübt. Egal, wo und wie bestraft wird, wird etwas im Bestraften verletzt.

Jetzt gibt es eine Petition, welche die Schließung von Haasenburgs Kinderheimen zum Ziel hat. Natürlich habe ich sie mitgezeichnet, doch meine Intension dabei, ist nicht die Schließung der Heime, sondern die Thematisierung von geschlossenen Einrichtungen im Landtag.
Ich wünsche mir eine Debatte, die zu dem Schluss kommt, dass es bessere Kontrollapparate braucht, Gesetze die nicht nur „ein Recht auf“, sondern auch „ein Verbot von“ und eine Förderung der „nationalen Stelle“ beinhaltet.
Diese ist mit nur fünf ehrenamtlichen Mitgliedern und Mitteln für drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eine Fachangestellte für Bürokommunikation völlig unzureichend ausgestattet, um so flächendeckend und regelmäßig tätig zu werden, wie es eigentlich angebracht ist und wird so Deutschlands Vorreiterrolle in Bezug auf die Wahrung von Menschenrechten nicht gerecht. (Quelle:
Jahresbericht für 2012)

Ich weiß, dass es viele Heime wie Haasenburg gibt. Eines zu schließen, hat keinen Effekt. Die Dynamik der Gewalt wirkt weiter- nur mit einem anderen Trägerlogo.

Aktuell ist man dankenswerterweise sensibel für „Heimkindgeschichten“.
Doch nachwievor nicht für die Heimkinder selbst.
Neulich hörte ich zum Beispiel in einer Serie den Satz „17 Jahre Fürsorgeheimerziehung- was erwarten sie denn?“, über eine zum Opfer gewordene Jugendliche, die nicht „kooperativ“ mit den Autoritätspersonen sprechen wollte.
Ich selbst, sah mich oft mit Zweifeln an meinen Aussagen in Bezug auf sexuelle Misshandlungen, sowie Fixierungen und Medikationen als Mittel meinen Willen zu brechen in psychiatrischen Einrichtungen konfrontiert. „Das kann doch gar nicht sein.“.
Doch. Kann es, weil es so ist:
Wo Macht ungleich verteilt ist, da gibt es auch mindestens den Nährboden zum Machtmissbrauch. Sei es auf kleiner Ebene: PflegerInnen – Patienten; PflegeteamchefIn- Pflegeteam oder auf großer: LeiterIn der Einrichtung- PflegeteamchefIn; GmbH- Einrichtungsleitung

Niemand ist leichter zu brechen, als jener, der ohne Fürsprecher ist. Niemand ist leichter existenziell zu bedrohen, als der, der zu krank, zu arm, zu schwach ist, um sich selbst zu versorgen. Niemand ist leichter auszubeuten, als der Abhängige.

Also kommt hier nun wieder mein Appell: Stellt euch an die Seite der Schwachen, Verlassenen, Armen, Kranken und gebt ihnen eure Stimme.
Verzichtet auf eine Separierung von ihnen, in dem ihr euch zwischen sie und die Verantwortlichen stellt und ein simples „Schluss damit“ fordert. Das bringt nichts. Sie bleiben so weiter allein und abgeschoben. So verändert sich nicht die Ursache für ihr Leiden.

Ich hätte nicht in diversen Heimen leben müssen, wenn ich FürsprecherInnen gehabt hätte. Menschen, die mich, bei sich aufgenommen und mir beigestanden hätten, bei der Entdeckung einer Welt, ohne die Art Gewalt mit der ich aufgewachsen bin. Dann hätte mir noch hundert Mal ein Pfleger sagen können: „Wenn du hier rumzickst oder etwas verrätst, lass ich dich zu deinen Eltern schicken.“. Ich hätte in der Besuchszeit Besuch bekommen, dem ich hätte etwas sagen können. Ich hätte mich darauf verlassen können, dass sie mir helfen eine Strafanzeige zu stellen und hätte keine so globalen Auslieferungsgefühle haben müssen.

Ich hatte damals keine Möglichkeit PatientensprecherInnen zu kontaktieren, denn dazu hätte ich den Pflegedienst der Station um Hilfe bitten müssen.
Niemand in der Klinik hat mir auch nur ein Wort geglaubt, weil ich eine Diagnose, die Realitätsbezugsverlust implizierte, in der Akte stehen hatte. Meine Jugendamtsachbearbeiterin war gar nicht in der Stadt tätig, in der ich lebte, weil die Gesetzgebung Zuständigkeiten vorschreibt, die maximal von dem abwich, was ich brauchte.
Ich war de facto obdachlos, fürsprecherInnenlos und obendrein noch irre.
Niemand wollte mich haben. Niemand wollte mir zuhören.
Kann sich ein Täter ein besseres Opfer vorstellen? Kann er sich ein günstigeres Umfeld dafür wünschen, als das, in dem sämtliches Wirken zum Schutz der Menschenwürde außer Kraft gesetzt ist?
Nein.
Er braucht noch nicht einmal Sorge zu haben, dass ihm von mir eine Strafanzeige droht, denn Beweise habe ich nicht. Ich hätte auch keine sichern können, denn immer hätte ich dazu jemanden gebraucht, der mir glaubt und meine Person als gleichwertig betrachtet und behandelt.

Ich werde genauso niemals Schadensersatzansprüche oder Schmerzensgelder von den verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen erfolgreich einklagen können, in denen ich mit Gewalt fixiert und zugedröhnt wurde, nachdem ich mich „falsch verhalten“ hatte. Denn die Begründung (bzw. Definitions-) Macht über den Sinn der Handlung oblag jenen, die sie verordnet haben.

Wenn wir solche Dinge verhindern wollen, wenn wir Heime wie Haasenburg vernünftig geführt haben wollen, brauchen wir mehr Wahrung der Patienten(Menschen)rechte. Ein grundlegendes Bewusstsein dafür und strikte Kontrolle darüber. Wir brauchen ein System in dem Zwang hinterfragt wird und Möglichkeiten geschaffen werden, in denen er nicht gebraucht wird. Zum Beispiel mit mehr Arbeitsplätzen in dem Bereich, Förderung von Betreuungsangeboten und Hilfsprojekten, die direkt am Ansatz anfangen. Mit Patienten/Klientenfürsprechersystemen, die nicht vom gleichen Träger, wie die Einrichtung finanziert werden, einen Betreuungsschlüssel von 1:5 haben und ihre Klienten einmal in der Woche aufsuchen, als Standartmaßnahme.

Das sind so  meine Ideen und sie sind sicherlich leichter einzuführen bzw. umzusetzen, als diverse Beendigungsversuche, die sich für den Gesamtapparat, wie Don Quichottes Kämpfe gegen die Windmühlen ausmachen.