Vom Fühlen ins Handeln kommen

Diese Woche wurden Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie der Uni Bielefeld bekannt gegeben. Sie zeigte, dass fast ein Viertel (22,3 Prozent) von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen (28 Prozent davon sind Kinder ab sechs Jahren, etwa 17 Prozent Jugendliche) werden.
Die „
Bild“ hat daraus gleich mal einen Schlachtruf: „Rettet die Kinder“ gemacht und die „Taz“ stürzte sich auf die sozialen Umfelder der Kinder.

Ich saß hier und fragte mich, wieso ausgerechnet der Pharmariese Bayer diese Studie in Auftrag gegeben hat und nicht der Staat selbst. Dieser steht nämlich in der Pflicht die Menschen in diesem Land vor Gewalt zu schützen und sollte, meiner Meinung nach, folgerichtig auch dafür sorgen, dass erlassene Gesetze eingehalten werden. Indem er zum Beispiel eine Umgebung schafft, in dem Kinder zu ihrem Recht auf gewaltfreie Erziehung kommen und dies mittels Studien/ Bevölkerungsumfragen überprüft.

Mehr gibt es nämlich nicht. Nur dieses Recht auf Gewaltfreiheit. Nicht etwa: ein Verbot von Gewalt (an Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und erwachsenen Menschen).

In den letzten Jahren wird immer öfter über Kinder berichtet, die von ihren Eltern getötet, schwer misshandelt und auf verschiedene Arten gequält wurden. Es folgt eine Welle der Empörung, der „Kinderschänder an die Wand“- Rufe und Schimpftiraden auf das zuständige Jugendamt. Dann ist die Story abgenudelt und wir kommen zum Sport, zum Wetter und den Stars.

Immer wieder kommt im Empörungsrausch: „Ja wieso haben die das Kind da nicht rausgeholt?“, „Wieso wird so viel Gewalt gebilligt, bis da endlich mal was passiert?!“, Schlechte Eltern!“.

Ich persönlich, kenne keine schlechten Eltern. Aber viele Menschen, die Eltern wurden und schlecht mit ihren Kindern umgingen, weil sie es nicht „gut“ konnten oder auch nicht wollten.
Diejenigen die es nicht können, profitieren sehr von Hilfestellungen von außen und können die Gewaltspirale verlassen.
Die, die es nicht wollen, wissen entweder, wie sich sich aus dem Radar des Staates herausziehen können oder fallen durch die Raster der Möglichkeiten der Hilfen. Sie fallen erst auf (und werden zur Story), wenn ihre Kinder tot sind.

Ich habe ein gewisses Grundverständnis dafür in großer Emotion die Ratio, Ratio sein zu lassen und die Sache mit dem Weiterdenken auf später zu verschieben. In Bezug auf Gewalt an Kindern hingegen, so denke ich, sollten wir seit den Erfolgen der großen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts eigentlich langsam mal fertig sein mit dem Emotionswirken allein. Zu der Zeit begann man bereits sein Handeln und Denken zu hinterfragen und bildete die Grundlage für neue Ansätze und Umgänge, die sich bis heute immer wieder neu aufnehmen und mühelos anpassen lassen.

Wir sind soweit, dass wir Gewalt ablehnen.
Aber immer noch nicht soweit, zu gucken, wie man ohne zurecht kommt. Ob nun als Opfer oder als Täter.
Und wir denken immer noch, Heime seien besser für Kinder als ein Leben in einem Umfeld, das ihnen nicht gut tut- aber Chancen zur Veränderung hat!

Meiner Meinung nach, spielt hier mit rein, was ich im Artikel „Heim, Klapse, Knast“ schrieb: „Weggeben ist leichter als Annehmen.“. Doch wem hilft das?

Eine Familie die im Chaos lebt, dessen Spitzen sich an den Kindern entladen, hört nicht auf im Chaos zu leben und Gewaltpotenzial zu nähren, wenn die Kinder da raus sind. Die Eltern lernen keinen anderen Umgang mit ihren Kindern, wenn diese nicht bei ihnen wohnen. Sie können gebildet werden, können sich Wissen aneignen, wie ein gewaltloser und friedfertiger Umgang aussehen kann. Doch an dieser Stelle denke ich, haben wir es mit einem klassischen Fall von: „Bildung hilft- nutzt aber nix.“ zu tun.
Was nützt der beste Vorsatz und das festeste Wissen, wenn die Kinder dann wieder da sind und alle auf einmal Brechdurchfall haben, die Nachbarn auf jedes Mucken aus der Wohnung der „schlechten Eltern“ mit dem Jugendamt drohen (und damit eine Instanz, die Hilfen zu vermitteln verpflichtet ist, zur Waffe machen!) und niemand dann (und zwar genau DANN!) zur Seite steht?

Was geht in den Kindern vor, wenn sie auf einmal in ein Heim sollen?
Es hat sich viel getan in der (Heim- und auch Schul-) Pädagogik und doch ist es eine Massenverwahrungsstelle in der man die Aufmerksamkeit und Nähe zu Erwachsenen nicht nur durch die Anzahl der Geschwister, sondern die Anzahl der Mitbewohner, des Telefons, des Alltagsgetümmels teilen muss, noch während man seine Eltern vermisst, die Umgebung und Gegebenheiten verarbeiten und in sich integrieren muss, was man nach Jahren von Gewalt- und unsicheren/ chaotischen Bindungserfahrungen nur schwer bis gar nicht kann.

Ein Heimkind ist in der Regel einsam.
Alles was mit ihm zu tun hat, ist diffundiert in Behörden, Gesetze, Richtlinien und Konzepte. Für ein Kind ist das eine graue Eminenz, die alles bestimmt, doch nie mit ihm spricht.
Das Umfeld verdient an der Obhut Geld. Zeit und Raum werden zum heiligen Gral der Privilegien.

Wir wissen heute so so so viel mehr darüber was Gewalt für Folgen hat und doch nutzt uns all diese Bildung nichts, wenn wir wieder von solchen Studienergebnissen, der schrecklichen Lebensrealität von Kindern oder Gewaltopfern allgemein stehen.

Mich hat diese Studie nicht überrascht. Sie gleicht unzähligen Studien aus anderen wissenschaftlichen Bereichen und hat für mich lediglich Aktualitätswert. Außerdem halte ich es für eine Frechheit, dass sich Pharmakonzerne auf Kosten der Opfer mit einem „Wir sind sowas von sozial engagiert und nah am Menschen“- Aufkleber bedeckt, gleichzeitig aber an ihrem Leiden verdient, in dem es Psychopharmaka und andere medizinisch relevante Mittel herstellt.

Ich warte auf Lösungen und Handlungen, die solchen Zahlen entgegen wirken.
Ein Zweig davon ist bereits installiert, doch mangelhaft. Das Jugendamt und all seine Möglichkeiten zum Beispiel, Familienberatungsstellen, die dünn gesät und überlaufen sind, sowie das Modell der „
Elternschulen„.

Das Stigma der „schlechten Eltern“, ist durchschlagend und hinderlich.
„Wer ein schlechtes Elter ist, kann ja gar nichts richtig machen. Ist minderwertig/ böse/ schlecht durch und durch, vielleicht nicht ganz dicht und gehört selber auch weggesperrt.“
Wer hört, er sei ein schlechtes Elter, kommt in Anpassungsstress und den Druck es Außenstehenden recht zu machen (nicht es sich und seinen Kindern recht zu machen!). Dabei ist Druck und Stress das Letzte was jemand, der sich in Gewaltorgien Luft macht, noch braucht.
Und welches „schlechte Elter“ geht irgendwo hin und sagt: „Ich brauche Hilfe.“?

Aber welches auch „schlechte Elter“ würde es ablehnen, wenn jemand käme und sowas sagt wie: „Boa, du siehst aber schlecht aus- soll ich mal ein paar Stunden auf die Kinder aufpassen, damit du deine Sachen in Ordnung bringen und dich mal ausschlafen kannst?“- es ist eher das Elter, dass das Leid seiner Kinder wirklich will (und braucht), als das, das echt unterm Zahnfleisch läuft.

Die Annahme, dass jedes Elter das Beste tut, was es eben gerade kann, brauchen wir. Wir alle. Auch wenn wir andere Maßstäbe und Anforderungen an uns selbst haben.
Für die einen Eltern ist der Anspruch seine Kinder von 8 bis 18 Uhr  in Sprache, Sport oder was weiß ich auszubilden- für die Anderen die Kinder grundversorgt zu bekommen, ohne zum Täter an ihnen zu werden.

Ich habe die Schnauze voll davon, dass sich sogar Eltern untereinander ihre Elternschaft zum Wettbewerb machen und das in die ganze Gesellschaft hinaus tragen. Dass so oft und immer wieder die Basis- nämlich das Leben der Kinder selbst- so massiv zur Seite geschoben wird und man sich in Kürschnörkeln rund um „gut“ und „schlecht“ verliert (und dabei dann eben auch abschiebt, statt anzunehmen), nur um seine Angst vor dem Versagen als Eltern zu beruhigen.

Man ist ein Elter sobald man ein Kind gezeugt oder geboren hat. Dann ist man Mensch mit Versorgungsauftrag und Verantwortung über ein Kind. Nicht mehr und nicht weniger. Der Begriff des Versagens über diesen Auftrag allein, reicht nicht um etwas zu verändern.
Zu versagen kann immer passieren- doch das heißt nicht, dass damit immer und in jedem Fall der Auftrag als solcher abzunehmen ist. Er hat erst einmal unterstützt zu werden, vielleicht umkonstruiert zu werden.

Gewalt an Kindern geht weder weg, noch wird sie ungeschehen dadurch, dass man sie in Heimen oder Pflegefamilien unterbringt.
Gewalttäter hören nicht auf Gewalt auszuüben oder zu leben, oder zu phantasieren, wenn sie keine Opfer mehr im Haushalt haben.

Was wir wissen müssen, um Gewalt zu verhindern und zu verwandeln, wissen wir längst.
Es wird Zeit dieses Wissen anzuwenden und zwar mit allen verfügbaren Hilfsstrukturen die wir haben. Und seien es unsere eigenen zwei Hände, die wir helfend hinhalten, wenn wir sie selbst gerade frei haben.

Pinocchio und mein Unverständnis

Ja, ich habs mit Disney… dies gleich mal vorweg.
Ich möchte aber mal sagen, dass das eigentlich nicht soviel mit dem Label oder der Marke an sich zu tun hat, sondern mit dem Image und der Rolle, die ich in bzw. hinter diesem Namen sehe.
Ich möchte nur mal draufzeigen und offen hinterfragen

Ich versuche die (für mich neue und fremde) Welt  zu verstehen, in der ich nun lebe- also stelle ich Fragen. So auch bei der Geschichte des kleinen Holzkopfes- oder wie wir ihn vermutlich alle kennen: des “Pinocchios”.

Eigentlich begann die Frage mit folgender Begegnung.
Wir haben einen männlichen Kontakt der uns erzählte, dass seine Tochter klar wann immer sie will und es braucht, bei ihm im Bett schlafen darf und deren Freundinnen auch. Klar- oh wei oh weh- sowas darf er natürlich niemandem sagen- wie das schon klingt: “Ich habe meine Tochter mit in meinem Bett gehabt, (deshalb hatte ich so wenig Schlaf und sehe aus wie ein Zombie aber danke der Nachfrage- ich hoffe auch, der Wachstumsschub ist bald durch und das Kind braucht mich nicht mehr so oft auf diese Weise…)”
Mir fiel dabei auf, dass es alleinerziehende Väter oder auch einfach die Väter nach einer Scheidung allgemein echt schwer haben ( auch in ihrer Position- nicht nur allein als Mann “an sich”). Ständig beäugt “ob da nicht doch was im Busche ist”, immer wieder in ihren Kompetenzen hinterfragt und kritisiert. Furchtbar! Als ob Mütter von Natur aus, ihre Tochter nie in ihrem Bett  vergewaltigen könnten oder in der Erziehung absolut und immer das super Händchen haben!

Naja und dann ging es weiter in meinem Kopf und ich dachte: Wieso hatte eigentlich niemals jemand den Wunsch von “Meister” Gepetto hinterfragt, einen echten Jungen zu haben? (Und by the way- wieso finden es alle so normal, dass ein “Meister” (da isser wieder) Eder einen männlichen kleinen Kobold und Petterson eine sprechende männliche Katze bei sich wohnen hat?)
Was ist das für ein Typ der sich ne Puppe bastelt, sie “Holzkopf” nennt und sie gern lebendig hätte?

Puppen sind das älteste dem Menschen nachempfundene Objekt mit dem sich selbige befassen. Erst als Kultobjekt und dann als Spielzeug. Auch eine seltsame Wandlung, nicht wahr? Ist es nicht schon ein Anzeichen sich selbst erst in Stellvertretung (als Art oder Wesen der Natur) zu vergöttern und dann zum Spielzeug zu degradieren?
Seit wann sind Puppen- stumpfe, tumbe, dumme, stumme, als Projektionsfläche für alles und Jeden geeignete Gegenstände- reine Kinderspielzeuge?
Meine Antwort bis jetzt lautet: Seit es nötig, möglich, allgemein anerkannt und gewollt ist Kinder stumpf, tumb, dumm, stumm und als Projektionsfläche für alles und Jeden zu miss- ge- brauchen!

Ein Meister Gepetto fühlte sich einsam (mehr wollen wir ihm mal nicht unterstellen!) und schnitzte sich ein Ebenbild, um einen Ansprechpartner zu haben. Er wünschte sich eine Antwort und zack, kam eine Fee herein, machte den ungehobelten Holzkopf zu einem Wesen das immerhin in der Lage ist zu denken, sich ein Urteil zu bilden und sogar zu sprechen!
Doch die Verantwortung zur vollständigen Erfüllung des Wunsches seines Erschaffers wird dem Kind aufgedrückt.
Damit es ein echter Junge wird, muss es lernen Recht von Unrecht, gut von böse zu unterscheiden, immer schön brav sein und zur Schule gehen. Es darf nicht faul sein, es soll immer gehorchen… Es soll möglichst stumpf zur Schule gehen, dumme und tumbe Arbeiten verrichten, stumm allen Wünschen der Erwachsenen gehorchen und dabei immer ganz genau so sein, wie es der Erwachsene der vor ihm steht gerade in diesem Moment erwartet.

Wer schon einmal in die Familienstrukturen geguckt hat, in denen (sexuelle) Misshandlung geschieht, der kann sich spätestens jetzt beantworten welche Ansprüche genau diese Art von Gewalt begünstigen.

Pinocchio ist wunderbar renitent und frech zu Beginn und weil er seinen “Meister” so liebt und ihm gerne jeden Wunsch erfüllen möchte, tut er alles was ihm mit seinen begrenzten Mitteln und Fähigkeiten möglich ist. Im Disneyfilm schauen wir der weniger krassen Variante der Unterwerfung eines Kindes zu, als noch in dem Buch beschrieben wird.
Wir sehen wie leicht es ist Kindern einzureden was Erwachsenen gefällt. Was Erwachsene sich wünschen. Was man alles muss und was man alles nicht darf um Erwachsenen zu gefallen. Und wir sehen auch was Erwachsene alles dürfen. Das Ende des Films zeigt einen echten Jungen. So wie Erwachsene ihn wollen.
Toll ganz toll.

Nun darf mir gern entgegenhalten werden, dass der Disneyfilm von 1940 und die Bücher von 18hundertschießmichtot sind. Angeschaut werden sie aber noch heute!
Und noch heute ist es so, dass Kinder nicht (oder mindestens nicht genug) danach gefragt werden, was sie gern möchten! Was sie für sich brauchen. Was sie für sich schön und angenehm finden und was nicht. Und wenn doch richtet sich kaum jemand wirklich danach!
Und wenn die Eltern sich dann doch (auch) danach richten, dann sollen sie das bloss nicht zu oft machen, weil sie damit die Kinder ver-ge- wöhnen, ver- er- ziehen, sich angeblich nicht genug Respekt verschaffen, die Kinder ihnen irgendwann auf der Nase herum tanzen… Ihre Kinder angeblich keine normalen, ehrlichen, aufrechten, klugen Erwachsenen werden.

Wie kommt es, dass sich viele viele Menschen den Film angesehen haben und nachwievor der Meinung sind, Kinder würden sich aus den Wünschen und Hoffnungen der Erwachsenen nichts machen?

Und für mich, als inzwischen erwachsenes Opfer von sexueller Misshandlung, bekommt diese Frage noch eine weitere Schleife, nämlich:
Wie kann es sein, dass tausende Menschen sehen wie ein Pinocchio sich aufopfert um seinem Meister zu entsprechen- ich aber gefragt werde, wieso ich gegenüber meiner Mutter oder meinem Vater nie gesagt habe: “Nein- ich will keinen Sex mit dir haben!” ?