der Unterschied – #AutismAcceptanceMonth

Mein autistisches Geschwist hatte im Kindergartenalter den gleichen Kopfumfang wie ich als Grundschulkind. Damals als kurioser Befund von der Kinderärztin und als Beweis meiner Dämlichkeit von den Eltern behandelt, weiß ich heute, dass Autismus mit neuronaler Hyperkonnektivität einhergehen kann. Es werden sehr viel mehr Verbindungen hergestellt und weniger schnell wieder verworfen. [1]
Ein Biomarker ist das jedoch nicht. Eher eine weitere Theorie auf der Forschungsreise zum Ursprung von Autismus. [2]

Als erwachsene autistische Person kann ich diesem Ziel der Forschung nur wenig abgewinnen. Die Ursache von etwas zu finden, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, dient lediglich dem Erkenntnisgewinn zur Verhinderung von Wiederholung in der Zukunft. In Bezug auf autistische Menschen bedeutet dies Eugenik. Die Verhinderung von autistischem Leben.
Mich interessiert viel mehr, was autistische Menschen von nicht-autistischen Menschen unterscheidet, um mein Leben unter überwiegend nicht-autistischen Menschen gut zu gestalten. Verstehe ich mich, so denke ich, verstehe ich andere Menschen besser. Um mich zu verstehen muss ich auch mein Autistischsein verstehen.
Und was ich bisher verstanden habe ist, dass ich mich kaum im Was unterscheide, im Wie jedoch erheblich.

Ich kann sehr viel von dem, was neurotypische und nicht-autistische Menschen können. Kann mein Verhalten so gut anpassen, dass ich kaum noch ein Kriterium aus dem DSM oder den ICD erfülle und mein Innenleben so gut von mir dissoziieren, dass ich so gut wie nichts darüber sagen oder fühlen oder bewusst begreifen kann, wie mich was wann warum belastet oder behindert.
Mein maskiertes Leben ist de facto ein neurotypisch funktionierendes. Ein Modus des Was, ein Modus der Funktion durch Nachahmung, Spiegelung, Anpassung.

Mein Wie jedoch ist anders. Autistisch eben.
Der Umstand, wie ich Dinge wie Interaktion und Kommunikation, meine Orientierung in verschiedenen Kontexten herstelle, ist nicht wie bei neurotypisch entwickelten Menschen und auch nicht wie bei nicht-autistisch neurodivergenten Menschen.
Manchmal fühle ich mich sehr einsam in meinem Wie, weil es nur durch Abgrenzung sichtbar wird. Ich merke, dass meine Art der Beobachtung und Herleitung manchen Menschen sehr unheimlich ist – sie sich objektifiziert oder entmenschlicht, oft sogar persönlich abgelehnt fühlen, wenn ich mich so authentisch zeige, wie ich bin. Sobald ich mich authentisch zeige, wird die Grenze sichtbar, die ich meistens stillschweigend kompensiere, um Gefühle nicht zu verletzen, die ich selbst nie habe und in der Regel auch überhaupt erst dann nachvollziehen kann, wenn ich mich ganz verlasse.

Problematisiert wird oft nur das. Der Umstand, dass autistische Menschen oft einsam unter vielen neurotypischen Menschen sind, wenn sie sich gut maskieren und in vielen Bereichen sehr angepasst funktionieren können – oder dass autistische Menschen sehr viele (neurotypische) Menschen und ihre Kapazitäten an sich binden, wenn (weil) sie nicht gut maskieren (können) und/oder in vielen Bereichen nicht angepasst funktionieren (können).
Deshalb gibt es die Diagnose „Autismus“ – ein Substantiv, ein Ding, ein Was – und viel Expertise rund um Anpassungstrainings Therapien, aber keine allgemeine Akzeptanz des Wie von autistischen Menschen. Keinen Willen zur Ver_Bindung, keine Bereitschaft sich für andere Wege und Ansichten zum Was des Lebens und Miteinanders zu öffnen.

Für mich ist das der Unterschied zum Er_Leben nicht-autistischer Menschen.
Mein Wie wird als ein Was behandelt.

 

[1] Askham, Angie. (2021). Synaptic overgrowth, hyperconnectivity may define autism subtype. Spectrum. 10.53053/QQHB1099. 
[2] The connectivity theory of autism, explained (Link zu Spectrum News)