Ich glaube, ein Coming out like: “Ta daaa Ich liebe lesbisch*-dings irgendwas anderes als Heterro Küsschen” hatte ich nicht und inzwischen bin ich sogar ganz froh drum. Mein Leben ist inzwischen so offen, dass ich nicht versteckt sein muss.
In der letzten Zeit allerdings hatte ich einige ziemlich schräge Gespräche übers Lesbisch*sein.
Wobei- nein- eigentlich habe nur ich über das Lesbisch*sein gesprochen- die Menschen in den Gesprächen haben über Homosexualität gesprochen.
Vielleicht hab ich meine Minicomingouts in der Vergangenheit auch deshalb immer irgendwie nicht “echt” empfunden- irgendwie ging es immer nur um Sex. Als würde die Gestaltung meines Sexlebens allein das Label “lesbisch” bereits füllen.
Ich empfinde das nicht so, denn für sexuelle Lust und Befriedigung brauche ich nicht einmal einen anderen Menschen.
Ich habe meine Jugend in Kliniken und Jugendhilfeeinrichtungen verbracht. Im Alter zwischen zwischen 15 und 18 habe ich genau ein Mal masturbiert und wurde dabei auch noch erwischt. Privatsphäre gabs da eben nicht und meine Medis haben haben mir so oder so meine Libido und auch die Erregbarkeit gekillt. Trotzdem war ich damals bereits “lesbisch*-dings irgendwas anderes als Heterro Küsschen liebend” und wusste das auch. Ich hab mich zu der Zeit – obwohl ich exakt 0 Mal Sex und 0,5 Freundinnen hatte, für mich selbst sehr klar positioniert- obwohl ich für meine Umwelt als eine Art geschlechtsloses Neutrum gelten musste. Auch das ist Teil von Gewalt in Institutionen: die Sexualität und das sexuelle Begehren ist ein Tabu hoch zehn, obwohl gerade Menschen, die eben mehr als Heterro Küsschen lieben, das weitaus höhere Risiko haben in eben genau deshalb in Einrichtungen zu landen.
Und, weil die Sexualität von PatientInnen* so ein Tabu ist, ist meiner Meinung nach noch immer so einiges schief an der psychiatrisch/psychologischen Diagnostik und auch Behandlung, obwohl das Ausüben von homosexuellen Handlungen heute keine Diagnosenkatalogziffer mehr hat.
Nehmen wir an, dass ich mit 14 genau deshalb durchgetillt bin, weil ich merkte, dass diese meine erste Verliebung in meine Musiklehrerin mit dem Wunsch nach körperlicher Nähe einherging und dieser in meinem Kopf aber durch die sexualisierte Gewalt im Leben außerhalb der Schule belegt war.
Nehmen wir an, ich hätte gespürt, dass der gesamte Rest meines sozialen Umfelds ausschließlich heterosexuell und irgendwo zwischen cis und “mittel” geschlechtlich orientiert war.
Wie groß ist da die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Depression aufgrund von Lebensumständen, in denen weder mein Begehren noch meine queere (genderfluide) Selbstwahrnehmung Raum und Akzeptanz erfuhren, hatte (jetzt mal ganz davon ab, dass es niemandem gut geht, der durchgehend misshandelt wird)?
Ich erinnere mich nicht, je danach gefragt worden zu sein in diversen Aufnahmegesprächen und Kriseninterventionen. Ich wurde gefragt, ob ich einen Freund hätte oder gehabt hätte und mit ihm Sex gehabt hätte.
Ich sagte nein. Überraschung.
Mit 15 schluckte ich Antidepressiva. Mit 16 kamen Neuroleptika und Benzodiazepine dazu.
Mit Anfang 20 setzte ich alles ab. Woa hatte ich plötzlich Spaß mit diesem Dings zwischen meinen Beinen!
Es war niemals für irgendjemanden ein Problem oder eine Frage, dass ich weder sexuelle Gelüste hatte noch Erregung fühlte, noch tatsächlich fähig zum Orgasmus war. Natürlich steht das alles in den Nebenwirkungen dieser Mittel, aber niemand hatte je danach gefragt. Es war klar, dass ich sexualisierte Gewalt erlebte bzw. erlebt hatte. So sprachen wir auch nie über Sex und meine quasi chemische Kastration mitten in der Adoleszenz wurde nie zum Thema.
Irgendwie ist das auch eh so eine Art Themen-Magie: “Oh ehemaliges Opfer von sexualisierter Gewalt – lass uns lieber über Blümchen, Politik und Religion sprechen, als über Lust und Begehren.”.
Ein bisschen ist es dann doch noch immer so, dass viele Menschen denken, eine Vergewaltigung wäre “irgendwie was mit (hetero) Sex, aber irgendwie nur nicht ganz so freiwillig” oder aber denken, sexualisierte Gewalt würde Lustfähigkeitenzerstörung bedeuten.
So nehmen auch noch immer Menschen an, ich hätte meine Vorliebe für alles andere als Heterro Küsschen gewählt, weil mir Sex mit Männern zu viele Erinnerungen hochholt oder ich alle Männer für Gewalttäter halte. Nicht merkend, was da eigentlich für ein seltsames, Frauen als TäterInnen unsichtbar haltendes, Stigma mitwirkt und was mir alles an Differenzierungsfähigkeit abgesprochen wird.
Mal abgesehen davon: Hallo Heteras dieser Welt- warum habt ihr euch denn bitte für eure heterosexuellen Vorlieben entschieden? Wenn ich nachher Kuchen kaufen gehe, muss ich mir auch mal noch überlegen, wieso ich Kirschkuchen einfach lieber mag als Bienenstich und wann und warum ich mir das ausgerechnet so überlegt habe.
Ich finde Frauenkörper schöner, ich mag Frauenstimmen lieber, ich bin lieber von Frauen umgeben, mag die Kopfinhalte von Frauen lieber. Ich fühle mich unter Frauen wohler, selbst dann, wenn es ein Haufen gemeiner fieser Frauen ist. Das heißt nicht, dass ich Männer und Männer* hässlich, abstoßend, unangenehm und dumm finde. Da bewegt sich nur nicht das Gleiche in mir drin. Ich kann Männern nicht auf gleiche Art nah und verbunden sein, einfach, weil da dieses eine Fünkchen fehlt, dass ich bei Frauen und Frauen* gar nicht suchen muss.
Gestern habe ich eine zum orthodoxen Judentum konvertierende Frau kennengelernt.
Das sind mir ja Themenbereiche, in denen ich am liebsten über mein Lesbisch*-dings rede.
Nicht.
Nicht nur, dass ich hier mich hier in unserer Stadt gar nicht erst traue um Eingemeindung zu bitten, weil es sich nicht um eine reformierte oder liberale, sondern eine Einheitsgemeinde handelt (und ich mich ergo auch nicht „richtig jüdisch“ fühle) – sondern, weil gerade (tschuldigung) KonvertitInnen* wie die Frau, so so so sehr an den Worten, die uns über Jahrtausende hinweg durchgehend von Männern* übersetzt und interpretiert und weiter getragen wurden, hängen und noch so komisch anders nichtjüdisch (tschuldigung ich kanns nicht anders ausdrücken) rezipieren und ich Angst habe in meiner Konversion hier in diese Gemeinde hinein, genau nur noch davon umgeben und damit konfrontiert zu sein.
Und dann nur noch Dinge zu hören wie: “G’tt spricht alle seine Geschöpfe als Männer an”. Ich konnte nicht anders als zu denken: “Orr und du glaubst echt G’tt weiß nicht, dass Männer und Frauen und Intermenschen und Transmenschen und irgendwie noch anders gewachsene und entwickelnde und blühende und sprießende Wesen geschaffen sind?” Ich fühle mich von G’tt als Teil der Schöpfung angesprochen. Fertig.
Die Frau fragte mich, ob ich glaube, dass G’tt mich so (lesbisch*) gemacht hat. Sie sagte, Homosexualität sei im Judentum verboten. Ich hab mich aufgespießt und schlecht gefühlt.
Ich verstehe nicht, wie man aus Religionen immer wieder ein Korsett aus Strafen und Verboten klöppeln kann. Mag sein, dass sich Menschen eingeengt fühlen; dass es ihnen wichtig ist, ihr Leben von Werten und Richtlinien, die sie selbst stecken und wahrnehmen zu führen; dass es ihnen pupsegal ist, was der Papst zu Kondomen meint und; dass religiöse Tradition und die damit einhergehende Kultur als steinzeitlich und realitätsfern empfunden werden. Ich habe inzwischen für mich gemerkt, dass in jeder Religion Platz für Zweifel und Selbstbestimmung ist. Manche Strömungen aus größeren Religionen sogar direkt davon profitieren und sich daraus entwickelt haben. Ich glaube nicht, dass wir sonst offen lesbische RabbinerInnen* oder BuddistInnen* im Maßanzug oder offen schwule christliche PredigerInnen* mit Ehemann hätten.
Letztlich geht es immer darum sein Leben mit so viel Befriedigung wie es nur geht zu leben. Das bedeutet neben körperlicher Befriedigung eben auch seelische und geistige Befriedigung und also folgte ich meinem “lesbisch*-dings irgendwas anderes als Heterro Küsschen” – Gelüst und fand was mein Herz begehrte. Was für eine Macht sollte mir solche Gelüste zu empfinden erlauben, mir aber verbieten ihnen zu folgen und fordern ihnen abzuschwören? G’tt, Schöpfung, Leben ist nicht sadistisch – Menschen, die religiöse Schriften übersetzten, interpretierten und lehrten hingegen des Öfteren.
Und wo wir gerade bei Sadismus und menschlicher Natur sind:
“Toleranz und Vielfalt = schwul dings äh lesbisch äh äh hm äh DINGS! und behindert auch! Hmmmm und „farbig“ und Migrationshintergrund!”
Ich bin nicht tolerant. Ich mag Toleranz nicht, weil Toleranz nicht bedeutet, die Dinge so wie sie sind anzunehmen und ein Leben mit ihnen zu gestalten, sondern in aller Regel, die Dinge so wie sind zu bewerten und dann gesellschaftlich konform zu missachten bzw. zu ignorieren.
Deshalb kriege ich auf CSDs die Krätze, die so unfassbar Toastbrotschwul sind und in einer Tour von Toleranz schwadronieren. Ja, als weißer Schwuler kann man sich durchaus hinstellen und mit wehenden Regenbogenflaggen an alleinerziehenden Lesben mit HIV in Mobbingkontexten vorbeischreiten. Kann manN tun. Kann manN aber eben auch als Hetepastete tun. Der Schwule kriegt aber weniger dafür vor den Bug, weil ihm sein Schwulsein synonym für “super tolerant” ausgelegt wird.
Die gleichen Diskriminierungs- und anderen Gewaltdynamiken, die sich in patriarchalen wie kapitalistischen Kontexten zeigen, verschwinden nicht durch den lauwarmen Einfluss der schwullesbischenalleswasandersalsheteroist- “Gruppe”. Fast mag ich sagen: “Im Gegenteil”, denn sie treffen mich viel schmerzhafter, wenn ich mich in dieser Gruppe” dem ausgesetzt fühle, weil ich naiverweise immer davon ausgehe, dass doch jede/r* ohne Hetenhintergrund sich genau damit auseinandersetzt oder auseinandergesetzt hat. Aber nein- guck an- Nichthetesein schützt nicht vorm Arschloch sein. Auch eine Lektion auf die ich auch gerne verzichtet hätte.
Nichtheterosexualitäten und Nicht- oder noch ganz Anderssexualitäten zu tolerieren ändert nichts daran, dass die Erfüllung meines Kinderwunsches voraussichtlich eine der größten Kämpfe meiner Zukunft wird.
Bedeutet nicht, dass Gewalterfahrungen wegen der sexuellen Präferenz weniger werden oder gar ausbleiben.
Bedeutet nicht, dass mir und tausenden, Millionen anderen Menschen, in Frage gestellt wird, was für Heten nie auch nur einen Gedanken wert ist.
Bedeutet nicht, dass bestehende Diskriminierungen aufgelöst werden.
Toleranz ist ein Feigenblättchenbegriff, der exakt nur jene genug bekleidet, deren Nacktheit nur sie selbst schocken würde. Nämlich genau deshalb, weil sie erst auf diese Art nackt erkennen können, dass sie sich in nichts, aber auch gar nichts von den Menschen unterscheiden, deren Lebens- und Liebensweisen, sie sonst so gerne wegignorieren.
Es ist schon eine Weile her, dass ich mal wegen meinem lesbischen Begehren direkt blöd oder hasserfüllt angesprochen wurde.
Täglich fühle ich mich aber von dem was MedienmacherInnen* als lesbische Repräsentanz einsetzen, blöd und hasserfüllt angesprochen. Ich sehe ständig Bilder die lesbisches Leben auf die Sexualität runter reduzieren, Kultur absprechen und immer wieder an heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit orientiert sind. Safer Sex für lesbische Frauen*? Kein Thema offenbar.
Jedes Outing eines Schwulen wird beklatscht – outet sich eine Lesbe, oder schlimmer noch!: “erhebt ihre Lebens- und Liebensform zur Normalität” gibts was auf die Pfoten.
Und überhaupt kotzt mich an, dass jedes sexuelle Dings mit einem Menschen des gleichen Geschlechts gleich mit gleichgeschlechtlicher Liebe steht. Weil, because of NO.
Den “Kuss der wahren Liebe” den gibts nur bei Disney und den Kuss/ den Sex der ALLES bedeutet- oh heavens to betsy, wenns den gäbe, dann wäre unsere gesellschaftliche Haltung zu Sex eine ganz andere.
Das Label bedeutet für mich so viel mehr, als ich in den Medien ™ und manchmal auch von den schwullesbischenalleswasnichtheteroist*- Communitys so sehe.
Es ist ein Stück Identität. Ein Teil von mir als Einsmensch.
Eines, das, wie man sieht, viele Bereiche in meinem Leben neben all dem was da noch so drin ist berührt und manchmal auch belastet.