zum Thema Politik

Wir wurden von der örtlichen Selbsthilfegruppe für Menschen mit DIS ausgeschlossen.
Begründung: Wir sind zu politisch drauf.
Ja… neben der Kränkung meines Egos und den üblichen Kreisen, die so eine komplette Ablehnung und die absolut anmaßende Haltung “der Gruppe” bei uns lostreten, habe ich mir ernsthafte Gedanken zu meiner Politischkeit (ernsthaft- es gibt kein anerkanntes Nomen dazu!) gemacht. Und wieso sie ein Ausschlussgrund von der einzigen Gruppe in der gesamten Region, in der ich als Mensch mit Menschen in mir, sowas wie eine Insel gegen mindestens Einsamkeit inmitten meiner Vielfallt hätte erleben können, sein soll oder könnte.

Und nachwievor gibt es keinen Grund der mir so offensichtlich und logisch erscheint, dass ich mich vor einer Gedankenwegwahl sehe.
These a) sie haben schlicht keinen Bock aus ihrem lauschigen Plüschnest aus netten Kinderspielen und nebliger Alltagsschafferei heraus zu treten und wollen mit der Gruppe eine schöne kleine Insel haben
(oh huch- erwähnte ich nicht gerade irgendwie schon sowas wie ne Insel …?)
These b) in den letzten 3 Jahren (da waren wir nämlich auch schon da und sind nur gegangen, weil uns die ständige Unzuverlässigkeit zu dem Zeitpunkt nervte) haben alle Teilnehmer das Hellsehen gelernt und können meine Reaktionen, Gefühle, Gedanken und Meinungen inzwischen per Ferntelekinese vorhersagen
(Sowas gibts!- Gibt voll viele Leute, denen voll viele Leute glauben, dass die das können! Jajajaaaa!)
These c) Unser abartiger Schuld- Schande-Scheißedunst der uns aus allem Poren trieft hat ihre feinen Nasen erreicht und sie haben keinen Bock auf Dauerkotzen durch direkte Nähe…
These d) vielleicht sind sie auch einfach so arrogant und das Ganze hat nichts mit mir zu tun und die politischen Bestrebungen, die wir tatsächlich auch haben (neben vielem vielem Anderem, bei dem uns eine Gruppe von Menschen denen wir die Basis unserer Gefühle nicht großartig erklären müssten, wirklich als sehr hilfreich erscheinen würde!) sind ein feige vorgeschobener Grund

Hm…Ich habe mich für eine Mischform der Thesen a und d entschieden und frage mich, ob es
a) verboten ist eine politische Haltung einzunehmen, wenn man als direkt betroffener Mensch kein Bock mehr auf immer wieder aufgedrückte Ohnmacht und Hilflosigkeit hat
oder b) ganz grundsätzlich einfach nicht erwünscht ist, etwas verändern zu wollen.

Wenn ich die Zeitung aufschlage (mich also mit der “großen bösen Welt befasse und mein lauschiges Plüschnest verlasse”), könnte ich selbige in der Regel nach 5 Minuten als Serviette verwenden, um mir den Mund nach dem Kotzen abzuwischen. Und das geht mir bei fast allen Massenmedien so. Entweder wird mir graphische Gewalt angetan, in dem mir Fotos ins Gehirn gedrückt werden von zermalmten- zerbombten-tot misshandelten Menschenkörpern oder ich begegne einer Berichterstattung die alles sein kann- ausser sachlich, neutral und berichtend. Und das obendrauf noch über Zustände und Gegebenheiten die einfach nur stinken!
Und weil ich sowas einfach nicht leiden kann, mache ich den Mund auf.
Früher nannte man das “eine Eingabe” machen oder auch: “sich beschweren” (interessantes Wort, nicht wahr? “sich beschweren”- sich selbst, seiner Stimme, seiner Meinung, ein Gewicht verleihen…!). Heute sagt man: “meckern” oder “politisch drauf sein”.
Ja nett, dann bin ich eben ein Freizeit- Revolutionär- und zwar der egoistischste den es geben kann!

Ich bin politisch, damit es mir gut geht. Ich will etwas verändern, weil ich mich, um jetzt mal bei dem Beispiel wirklich furchtbaren Fotos in Zeitungen oder auch in Internetmagazinen zu bleiben, von Gewaltdarstellungen richtigehend ver-gewalt-igt fühle! 
Ich will Anteil an der Welt haben- ich will dazu gehören. Ich will wissen was passiert, wie es den Menschen auf der Welt geht. Ich will erfahren was mein Handeln, oder das Handeln, welches in meinem Namen passiert- jeder scheiß Panzer in Afghanistan trägt irgendwo meinen Namen!!!- für Auswirkungen hat! Und das was ich da sehe, gefällt mir schlicht nicht!
Selbst ich- die wirklich winzige Kreise um sich hat, spürt die Auswirkungen dessen, was in der Welt und in der Politik- die ja letztlich uns alle Menschen in Deutschland vertreten, schützen, organisieren und irgendwo versorgen und sichern soll- passiert.

Ich sehe an meiner kleinen Welt:
Keine Arbeit, weil es unsere Bundesregierung nicht schafft, Menschen mit (seelischer) Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Keine wirklich freie und sinnige Gesundheitsversorgung, weil weite Teile des Leistungskatalogs immer mehr privatisiert werden. Für jemanden ohne Arbeit und mit Hartz4 stellt sich tatsächlich dann auch so eine Frage: “Zahnfüllung oder Wocheneinkauf?” Natürlich entscheide ich immer wieder für den Wocheneinkauf!  Denn: Wenn ich hungern muss, um meinen neuen Zahn zu bezahlen wird es richtig düster! Denn:  alle meine Zähne sind schon deshalb so kaputt, weil ich unter der staatlich geförderten Fehlernährung und der Nichtfinanzierung der richtig echten Therapie meiner Essstörung leide! Spätestens im Oktober ist Obst und Gemüse- oder gar Fleisch- einfach nicht mehr zu bezahlen. Eine Ernährungstherapie bekommt man nur noch bezahlt, wenn man Muselmann ist… Lebensmittelgutscheine werden im nächsten Monat von Satz abgezogen… und so weiter und so weiter… Als gesund gilt, wer noch nicht tot ist- und dann entscheiden die alten Statuten von Anno tuck wann wer welche Hilfsmaßnahmen in Anspruch nehmen darf und wer eben noch zu gesund ist. Prävention und Vorsorge- zukunftsorientiertes (Be)Handeln steht dann nur noch als Kundenlockmittel und moralisch wichtiges Wort auf dem Flyer des Wirtschaftsunternehmens, dass wir Krankenversicherung oder auch staatliches Gesundheitssystem nennen.

Unsere Politik fährt einen “Pflaster drauf- gucken wir am D-Day drauf- wenn sie Schmerzen haben nehmen sie ne Droge”- Kurs! Und zwar durch die Bank weg in allen Bereichen- die alle- samt und sonders mindestens unser direktes Leben tangieren! Und jeder der einmal kurz darüber nachdenkt, was das für ihn im ganz ganz kleinen Rahmen, nur für sich allein in seinen 4 Wänden und seiner ganz eigenen Lebensrealität, bedeutet, müsste eigentlich sofort überlegen, wo er Plakatfarben, Karton und nen Knüppel herkriegt!

Aber wir haben ja so eine Angst. Wir sind ja nix (wir hören ja auch nichts anderes- ausser kurz vor der Wahl) und wir haben ja keinen Einfluss…die da oben… was bin ich dass…nutzt ja alles nix…
Fällt jemandem was auf?
Wir machen uns klein! Wir machen uns leicht- lassen uns und unsere Probleme, Forderungen und Ansprüche auf “die leichte Schulter” nehmen! Wir haben aufgehört uns zu be-schweren!

Ich bin sehr dankbar um diesen einen dicken fetten großen Resilienzfaktor in meiner Persönlichkeit. Ich habe kein Problem damit mich zu be-schweren und mich im letzten Schritt auch unbequem zu machen, wenn es darum geht etwas zu erreichen, dass mir Erleichterung, Ver-Sorgung, Ver-Pflegung verschafft. So habe ich mich schon einmal gerettet- so will ich mich nun auch retten.
Ich bin das, was man eigentlich mal sogar noch als sehr gefährlich betrachten kann, selbst wenn ich nie mit Steinen oder Molotowcocktails werfen oder Autos anzünden würde, um meine Forderungen anzubringen und vielleicht sogar durchzusetzen.
Ich habe nichts zu verlieren!
Ich habe die Hölle gesehen. Ich habe sie leben und überleben müssen.
Ich habe kein Ansehen, keine Würde und einfach ganz grundsätzlich rein gar nichts zu verlieren! (ausser mein Leben- was mir in dem Moment aber ja wurscht wäre, weil ich dann eh schon tot wäre…)

Und die vielen vielen anderen tausend Menschen da draussen, die auch Opfer sind, die auch unterversorgt sind, die auch nach Strich und Faden an der Nase herum geführt werden (entweder in die Psychiatrie oder ins Bestattungsunternehmen hinein) geht es ganz genauso!

Wir sind eine große Gefahr für das System, das hier gerade läuft. Sollten wir nicht wenigstens unsere Masse nutzen um uns zu „be-SCHWEREN”?!
Sollten wir uns nicht einfach nur schon dadurch, dass wir uns (völlig friedlich!) alle die wir da sind, auf einen Haufen setzen zu einer Stimme zusammen finden, auf das wir endlich von der leichten Schulter runter kommen?

JA! Sollten wir!

Und was machen wir statt dessen?
Wir schliessen einander schon von vornherein aus, weil es einzelne Punkte gibt die nicht besprochen, nicht ausgelotet oder ausbalanciert werden.
Das ist dann sowas wie mein Ausschluss aus der Selbsthilfegruppe, das ist die nicht erwünschte Teilnahme von Betroffenen bei Kongressen, die die Hilfen für selbige tangieren, das ist der Ausschluss von Professionellen, bei Vereinen oder Bewegungen der Opfer usw usw usw

Mit “Wir sind das Volk” haben wir Deutschen eine Mauer quer durchs Land fallen lassen können.
Wie muss der Slogan für diese bescheuerte Mauer quer durch die Köpfe der Menschen lauten?!